Wie kann ein Außenstehender helfen?

Elisabeth fragte in den Kommentaren, was sie tun kann um vorzubeugen – ich erweitere das jetzt einfach mal:

Was kann ein Außenstehender, ein Freund, ein Bekannter tun – um einem Betroffenen im Alltag oder im Umgang miteinander zu helfen:

Das ist gar nicht so einfach gesagt, denn die Auswirkungen sind bei vielen unterschiedlich. Im Endeffekt kann jedes Wort der Sprache, jeder Geruch, jede Kleinigkeit ein Trigger sein.

Der grüne Gartenstuhl, der Nagel im Holzrahmen, ein buntes Fähnchen, egal was – weil vielleicht genau das grade im Blickfeld stand, während des Missbrauchs – und das Kind sich darauf konzentrierte um alles andere ausblenden zu können – und schon ist dieser Gegenstand ein Trigger – weil eng verknüpft mit dem Missbrauch.

Dieser Gegenstand ist dann sozusagen der Säbelzahntiger, der schon unseren Vorfahren klar machte: entweder fliehen – und wenn das nicht mehr möglich ist – tot stellen – weil sonst bin ich tot.

Das läuft nicht über den Verstand – sondern ist ein Reflex der zum Überleben notwendig ist – weil sofort gehandelt werden muss – denn jede Überlegung zu viel Zeit kostet – und den Tod bedeuten konnte. Unser Gehirn hat im Laufe der Jahrtausende da Möglichkeiten entwickelt – dann eben zu reagieren – ohne dass man das steuern könnte.

Aber auch ein bestimmtes Wort – häufig sogar eines, dass im Alltag ein völlig „harmloses“ ist – kann ein Trigger  (also der Säbelzahntiger) sein.

Das macht es aber für Außenstehende auch schwer (für die Betroffenen übrigens auch, denn auch die müssen erst langsam die verschiedenen Trigger (Auslöser) erkennen lernen).

Natürlich geht es darum Grenzen zu wahren – doch das gilt ja nicht nur im Umgang mit Betroffenen, sondern generell.

Oft denke ich, dass das ein „Grundübel“ ist – Kindern wird beigebracht, der Oma doch einen Kuss zu geben – auch wenn es nicht will – weil es ist doch die Oma und die hat man lieb und da gibt man einen Kuss. Oder zu akzeptieren, wenn die Tante in die Wange kneift oder auf die Wange küsst.

Da wird nicht gefragt ob das Kind das will – sondern das „gehört“ sich so.

Natürlich ist das noch kein Missbrauch – aber da wird eine Grenze des Kindes nicht akzeptiert – das möchte das jetzt nicht – und auch ein Kind hat das Recht über seinen Körper – ob es angefasst, geküsst werden will oder nicht – oder Küsse verteilen will.

Es sind diese kleinen Dinge, die dem Kind lehren, dass die eigenen Wünsche was den Körper und die Nähe angehen – denen anderer untergeordnet werden müssen (in dem Fall der Oma, Tante usw).

Dabei finde ich es wichtig, dass sie da eben auch „stop“ sagen dürfen – und selbst bestimmen wie nah jemand kommen darf (Ausnahmen gibt es immer – Arztbesuche usw – aber die kann man auch entsprechend erklären und sollten Ausnahmen bleiben) – man kann ja fragen: magste mich drücken? – aber dann auch ein nein akzeptieren.

Selbst Nicht-Betroffene haben oft Schwierigkeiten die eigenen Grenzen zu kennen oder gar nach außen klar zu machen – Betroffene haben gelernt, dass die eigenen Grenzen nicht gelten – dass es die nicht gibt – denn sie wurden ständig überschritten.

Sie müssen lernen diese erstmal wieder zu erkennen – in der Regel wissen wir die erst wenn wir schon meilenweit drüber sind – und so ist das Ziel – das früher zu merken und irgendwann sie zu erkennen bevor man sie überschreitet oder überschreiten lässt.

Dann geht es darum diese auch zu wahren – und da können Außenstehende durchaus helfen – indem sie Grenzen akzeptieren – auch wenn sie nicht verstehen warum da jemand grade so reagiert. Nicht denkt „na jetzt stellt sie sich wieder an“ – sondern einfach: ok – das ist eine Grenze – es ist gut, dass sie die klar macht – auch wenn ich das grad nicht verstehe.

Es ist nicht so einfach irgendwo einen Kaffee trinken zu gehen – oder ins Schwimmbad oder zu einem Konzert oder ähnliches. Wenn das immer – oft mit Ausreden – abgelehnt wird – fragt mal nach unter welchen Umständen es denn ok wäre – vielleicht reicht schon den Kaffee dann irgendwo zu Hause zu trinken.

Für mich war z.Bsp ein großes Problem wenn jemand zu mir kam. Wenn ich jetzt eingeladen wurde, wurde doch meist erwartet, dass auch derjenige mal bei mir vorbeikommen will – doch das war unmöglich – und das wiederum stößt nicht wirklich auf Verständnis. Oder mit dem Bus wo hin zu fahren – ist nicht so einfach.

Das Umarmen bei Begrüssungen – ist z.Bsp auch so ein Thema – es ist ja „normal“ – weil das machen ja alle – aber mir ist das zu „nahe“ – doch wenn du jemand kennenlernst und nur die Hand gibst – entsteht eine komische Situation.

Einfach ein bisschen Gefühl für den Mitmenschen, das Achten und Wahren von Grenzen, Offenheit – lieber mal nachfragen – und eben auch Kinder ernst nehmen – deren Grenzen akzeptieren – und ihnen klar machen, dass sie auch Erwachsenen gegenüber „nein“ sagen dürfen – auch der Oma oder der Tante gegenüber.

Es gibt keine Pauschalantwort – wenn du das Gefühl hast, da ist etwas – frag nach – nicht nach der Vergangenheit, sondern ein: du ich merke, da steht irgendwas zwischen uns, habe das Gefühl du fühlst dich nicht recht wohl – wollen wir raus gehen uns spazieren oder sonst etwas machen? Einfach auch miteinander reden – wenn du unsicher bist – sag das einfach, aber behandele dein Gegenüber nicht wie ein rohes Ei – sondern wie einen Erwachsenen.

Denn was auch wichtig ist – nicht du als Außenstehender bist dafür verantwortlich, dass der Betroffene seine Grenzen auch klar macht – das muss er selber lernen. Aber wenn du merkst, dass da eine Grenze ist – musst du sie nicht überschreiten – wenn du unsicher bist: frag nach.

Nimm dein Gegenüber ernst – und nimm ihn so wie er ist – mit all den Macken 😉

So gesehen gibt es keinen besonderen Umgang mit einem Betroffenen – denn das sollte eigentlich immer mit Miteinander sein. Egal ob groß oder klein.

Dieser Beitrag wurde unter Beziehungen/Kontakte, Leben, Psycho-Somatik veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

3 Antworten zu Wie kann ein Außenstehender helfen?

  1. Silberaugen schreibt:

    Puh, das mit dem „mal vorbeikommen“ kenne ich nur zu gut.
    Ständig wird bei neuen Bekanntschaften die einen zu sich einladen erwartet, dass man auch im Gegenzug einläd. Auch Freunde gehen davon aus das es ganz selbstverständlich ist „mal eben vorbeizukommen“.

    Zum Glück weiss mein Freundeskreis mittlerweile das „mal eben vorbeikommen“ gar nicht geht. Es gibt einige wenige Leute die ich auch spontan in meiner Wohnung dulden kann, bei allem anderen brauche ich eine Vorlaufzeit von mindestens ein paar Stunden und selbst dann fühle ich mich unwohl.

    Oder wenn ein Freund den ich eingeladen habe dann unangekündigt mit seiner Freundin vor der Tür steht. Geht gar nicht.

    Allgemein kann ich vieles davon, auch wenn meine Problematik denke ich eine andere ist, nur unerschreiben.

    Liebe Grüße,

    Silberaugen

  2. Violine schreibt:

    Ich kann das mit dem Vorbeikommen auch nicht leiden. My home is my castle.

    Ansonsten finde ich, dass man als Aussenstehender sich einfach die Mühe machen soll – wenn es einem schon klar ist – sich mit dem Thema zu befassen. Es gibt ja viel Literatur und ich habe Dir ja schon gesagt, wie gut ich das finde, dass Du hier dieses Blog führst, in dem Du so toll aufklärst.
    Das sensibilisiert dann, schafft Verständnis, ohne dass man seinem Gegenüber ein Loch in den Bauch fragen muss.
    Abgesehen davon kann es nur gut tun, sich mit diesem Thema zu beschäftigen, denn Gewalt ist SEHR weit verbreitet und die Folgen erlebt man allüberall, egal wo.

  3. Ilana schreibt:

    Das mit dem Vorbeikommen: für mich war das nicht nur unangenehm, sondern ein Problem, weil ich nicht in der Lage war jemanden reinzulassen – es ging nicht. Und ich drehte, wenn ich es wusste, schon im Vorfeld so ab (gerne auch Tage vorher) – und wenn dann doch jemand rein musste (Rauchfangkehrer z.Bsp) – hatte ich wochenlang Probleme in der Wohnung, fühlte mich bedroht und schreckte ständig hoch.

    Die letzten 3 Jahre waren dann ja die Hölle in dieser Wohnung, da brauchte niemand zu kommen, die Wohnung reichte – was aber an baulichen Mängeln lag.

    Und natürlich an dem Chaos in der Wohnung, wenn man das aufräumen nicht hinbekommt und die alte Wohnung war auch einfach nur versifft und man musste sich schon genau seine Wege bahnen.

    Das ist hier anders – Dank der Betreuung und dadurch, dass der natürlich auch immer in die Wohnung kommt (gab aber auch Zeiten, da durfte er nicht rein, gibt es auch heute noch ab und an) – klappt das für mich besser – und so ist es heute für mich ok – wenn ich es weiß und Zeit habe mich drauf einzustellen – freue ich mich sogar drüber.

    Aber jemand der plötzlich vor der Tür steht und rein will – ist mir auch heute noch unangenehm – aber eben „nur“ noch unangenehm.

    Und der Umgang miteinander – einfach achtsam sein, aber auch ehrlich und nicht „rohes Ei“ und aus Angst das falsche zu sagen, lieber nichts zu sagen usw. Ich zumindest will nicht in Watte gepackt werden, ich möchte dass mein Gegenüber seine Grenze auch klar macht, wenn ihm das zuviel wird – auch Rücksichtnahme kann zuviel werden. Mir ist lieber jemand fragt nach wenn er unsicher ist, ich bin keine Bombe, wo man jedes Wort auf die Waage legen muss oder jede Bewegung mit äußerster Vorsicht ausgeführt werden muss.

    Natürlichkeit – nicht nur das Trauma sehen, sondern mich als Mensch – und wenn ich eigenartig reagiere – nachfragen – vielleicht gibt es einen Grund dafür, vielleicht ist es nur eine Schrulle oder mir gar nicht aufgefallen und einfach so passiert oder ähnliches.

    Interesse zeigen – nicht am Trauma (das darf auch, muss aber nicht) – zu verstehen warum ich dieses oder jenes so handhabe – einfach weil es interessiert, weil derjenige an mir interessiert ist.

    Nicht unsensibel nachbohren, nach Einzelheiten des Traumas (grade wenn man weiß, dass jemand Schwierigkeiten hat seine Grenzen zu setzen) – weil das triggern könnte – wenn aber jemand sagt: frag lieber nach – dann macht das auch, wenn euch etwas unklar ist.

    Und wenn ihr versehentlich etwas gesagt habt, was getriggert hat (und das kann gut passieren) – dann ist das so – das ist kein Weltuntergang! – Immerhin leben wir jeden Tag damit und das wird sicher nicht der einzige Trigger des Tages gewesen sein 😉 – das kann passieren – übel nehmen werden wir das erst, wenn ihr den Trigger kennt und ihn gezielt einsetzt!

    Eigenartige Reaktionen (auch ablehnende z.Bsp) – möglichst nicht persönlich nehmen – es sind Reaktionen auf die Täter von damals und irgendwas hat grade erinnert – hat nichts mit euch persönlich zu tun – aber irgend eine Geste von euch, ein Wort, ein Tonfall, hat grad erinnert und wir müssen schauen ob wir das getrennt kriegen, diese Geste von euch – von der Person von damals – was nicht immer gelingt. Andererseits ist das auch unsere beste „Alarmanlage“ – denn Betroffene neigen dazu alte Geschichten zu wiederholen und sich wieder den entsprechenden Menschenschlag auszusuchen – genauso wie Täter sich gezielt ihre Opfer suchen, suchen Opfer – unbewusst – Täter.

    Denn das ist vertraut – und vertrautes vermittelt Sicherheit – auch wenn es eine trügerische ist. Neues macht Angst – und Angst haben wir schon genug. Das macht es ja so schwer aus diesem „Opferverhalten“ auszusteigen.

Hinterlasse einen Kommentar