C.A. Bernoulli
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C. A. Bernoulli über Bô Yin Râ

So viel kann man vorausschicken — wenn es heute gelingt, daß eine neureligiöse Gruppe ins Leben tritt und sich darin halten kann, ohne eine eigentliche finanziell gesicherte Unternehmung mit entsprechendem Werbeaufwand zu sein, nur als Wirkung einer Anzahl Bücher, die anspruchslos in jedem Buchladen käuflich aufliegen, dann muß hinter einer solchen geistigen Sache auch die Kraft wirklich stehen, auf die sie sich beruft.

Mit Recht und Unrecht kann man von einer Bewegung sprechen, mit Recht und Unrecht von Okkultismus, mit Recht und Unrecht endlich auch von einer neuen Art Religion. Es scheint eine neue Art Unmittelbarkeit von Mensch zu Mensch vorzuliegen mit dem Anspruch auf göttliche Sendung und Berufung. Aber auch dieser Ursprung erscheint gedämpft und tritt nur wenig betont, in auffallender Bescheidenheit auf, während es anderseits außer Frage steht, daß ein letzter Gehorsam gegen eine überirdische Verkörperung als etwas für die Zulassung zum Kreise Unerläßliches gefordert wird. An den vorhandenen ähnlichen Gebilden gemessen, auf zweitausend und mehr Jahre zurück, läßt es einiges vermissen und weist nirgendwo Anzeichen einer eigentlichen Abstammung oder Abhängigkeit von Vorbildern auf, so vieles auch gleichartig in die Augen springt. Das Fehlende wirkt nicht als Mangel, sondern läßt die eigenen Züge besser hervortreten.

Die Merkwürdigkeit einer originalen Religionsentstehung, die sich schon so oft ereignet hat, scheint sich wieder einmal zwanglos, ohne künstliche Absichten, in einem originalen Werdegang vollzogen zu haben. Doch ist natürlich nicht außer Acht zu lassen, daß es sich um ein junges Gebilde handelt. In der Mitte, als offenbarende Instanz steht allerdings ein reifer Mensch, in seinem Beruf als Künstler erfolgreich und geachtet, im erfüllten Mannesalter. Der Verfasser der Offenbarungsbücher, wie wir sie einmal nennen wollen, obwohl sie diese Bezeichnung in durchaus schlichter und sympathischer Weise verdienen, erklärt soeben durch ein kurzes Druckschreiben: „Warum ich meinen Namen führe.“ Die Erklärung, die sich aus den autobiographischen Andeutungen in den Büchern selbst ergänzt, ist durchaus dazu angetan, jeden Argwohn gegen sensationelle Geheimnistuerei und drapierende Aufmachung zu zerstreuen. Aber durch diese an sich anziehende Natürlichkeit verstärkt sich erst recht ein innerer Abstand zu der verkündeten Art der Schulung und Gemeinschaftsschließung. Nicht aus Gleichgültigkeit, denn nichts Abstoßendes oder Verdächtiges hält uns fern. Es kann Ehrfurcht sein, es kann auch ein instinktives Gefühl sein, daß die Bedürfnisse, die hier ihre Befriedigung finden, uns zur Zeit nicht zu schaffen machen. Aber obenauf bleibt die Hochachtung vor diesem Bô Yin Râ und seiner Anschauung menschlicher und göttlicher Dinge.

Er erwähnt beiläufig, er heiße eigentlich Josef Schneiderfranken. Das mit dem Prospekt verbreitete Bildnis zeigt einen mächtigen, bärtigen Kopf, etwas zu breit für einen arabischen Beduinenscheich, den man sonst am ehesten dahinter vermuten würde. Es ist aber reines mitteldeutsches Bauernblut aus der Gegend von Würzburg. „Bauern, Förster und ländliche Handwerker waren die Vorahnen“ —‚ auch war er streng katholisch gesinnt, bis das andere kam, das wie eine Umwechslung kirchlicher Zugehörigkeit auf seine Künstlerschaft anmutete, — haftete nur an der geheimnisvollen Begegnung mit dem indischen Seelenführer nicht jene unerklärliche Fremdwirklichkeit orientalischen Zaubers, die in alle diese guten deutschen Worte und in den anständigen bürgerlichen Ton der Ratschläge und Ermahnungen den atemhemmenden Zauber eines klösterlichen Ordens auf dem Himalaja hineinlegt!

Ausgeschlossen, daß wir es mit einem wenig erfreulichen Gepansche von Neubuddhismus und deutscher Treue zu tun haben. Der Verfasser ist im europäischen Süden zuhause, er ist seine wie so vieler anderer Maler Heimat. Wo er weilt, umgibt ihn ein Ursprüngliches. Es ist an ihm organisch da. Die Bücher sind gut geschrieben. Ihr Deutsch ist ordentlich, es herrscht im sprachlichen Ausdruck ein bestimmter, sicherer Geschmack, der aber nicht die geringsten Absichten verfolgt. Es geht vollkommen unliterarisch zu. Wer sich in einzelnen getragenen, volltönenden Spruchfolgen an den Zarathustra erinnert fühlt, täuscht sich. Es ist ja für eine Sagekunst dieser Art als gemeinsamstes Vorbild noch immer die Bibel da. Ein Buch nennt sich geradezu „Psalmen“. Ohne sich zu entschuldigen, aber auch ohne sich zu überheben. Evangelische Wesenszüge klingen an, — aus der Leidensgeschichte meistens. Es sind Stufen, sie werden nicht verleugnet, — aber der Aufstieg hat auch über sie hinweg geführt. Die erstiegene Höhe ist die uralte brahmanische Landschaft Indiens. Aber es wird nichts davon vorgefilmt, noch auch der Weg hin und zurück jemals geschildert — nirgendwo flattert der grauseidene Führertalar des Tagore. Wäre dieses Einfache gekünstelt — die erzeugte Schlichtheit ließe sich nichtraffinierter ausdenken. Aber da es sich von selbst so gab und auch alles bloß Kulturhafte, etwa die altklugen Ermahnungen des edlen und älteren Orients an das zerfallene Europa, sich nirgendwo geltend macht, so ist dieser leise Augenaufschlag in das feierliche Ätherblau der Ewigkeit schon dazu angetan, auch die Draußenstehenden heimlich zu erschüttern.

Vieles an der vorgetragenen Lehre könnte auch in alltäglichen Erbauungsbüchern stehen oder klingt an landesübliche Sittenregeln an. Und doch ist jeder einzelne Spruch an einem unsichtbaren Goldfaden aufgereiht, der ihn mit allen andern verbindet. Und wieder stehen wir außerhalb von allem, was uns umgibt, und begreifen es wohl, daß wir es hier mit etwas zu tun haben, das nur die besonders Eingeweihten näher angehen darf. Warum zögern wir? Es wird kein Fußfall gefordert — es genügt, vom sanften magischen Strom sich hinziehen zu lassen. Also warum? Wer vermag zu antworten.

Der eine wird Folge leisten und der andere, dicht neben ihm, wird stehen bleiben. Es herrscht das Geheimnis der Wahl, die in jedem wirklich echten Entscheidungsfall den Ausschlag gibt: „Dann werden Zween auf dem Felde sein — einer wird angenommen und der andere verlassen werden. Zwo werden mahlen auf der Mühle — eine wird angenommen und die andere verlassen werden“ (Matth. 24,40,41).

Von Interesse ist auch die scheinbar ungeordnete, unklar disponierte Art der Mitteilungen. Die Stoffteile schieben sich in den einzelnen Büchern übereinander und wiederholen sich oder beziehen sich aufeinander, ohne dass dazu deutliche Rückverweise vorliegen. Das wäre bei einer wissenschaftlichen Darlegung ein Mangel; nach den Beispielen der Religionsgeschichte ist das aber die typische Überlieferungsweise von (echten oder angeblichen) Offenbarungen. Ihr Empfänger kann nicht verfügen wie ein literarischer Autor. Er findet eine vorhandene Reihenfolge vor, und schon aus Scheu vor ihr kann er mit dem, was er zu sagen sich gedrängt fühlt, nicht umgehen wie ein ungehemmt Schaffender, der eben die Inhalte seiner Phantasie ballt und darin nur den künstlerischen Gesetzen Gehorsam schuldet.

Die Werke Bô Yin Râ’s beginnen im Jahre 1920 mit dem „Buch der königlichen Kunst. (In Einzeldarstellungen bereits seit 1913 veröffentlicht. 1919 erschien zum erstenmal das „Buch vom lebendigen Gott“. Anmerkung des Verlags).

Im selben Jahre 1920 folgte auch das sehr wichtige „Buch der Gespräche“, das die Heimsuchung, Berufung und Prüfung des Verfassers durch den indischen Guru (Vater-Weisen) überliefert. Das „Buch vom Jenseits“ (1921) behandelt die Unsterblichkeit. Eine mehr ausführliche autobiographische Erzählung bringt dann „Das Geheimnis“ (1923). Es folgen eine Anzahl weiterer dogmatischer Monographien, in denen offenbar als Antwort auf erhaltene Fragen, „Glück“, „Trost“, „Leben“, „Geist“ als Teilstücke der Lehre eingefügt werden. Großen Eindruck hinterließ mir schon früher „Das Buch der Liebe“ (1922), das sich mit überlegenem Verständnis über Erotik verbreitet. Es wendet sich gegen die gefährlichen sexualkommunistischen Geheimmethoden, die Bachofen im Mutterrecht unter dem androgynen Templersymbol „Baphomet“ darstellt. In seinem Sinne warnt Bô Yin Râ eindringlich: „Es gibt wahrlich kein Gebiet okkulter Kräfte, das so der Täuschung Raum gewährt, wie der Bereich des Sexualmysteriums. Wehe denen, die hier zu finden glauben, was sie suchen! Wer auf diesen Wegen sich weiß, der reiße sich eilends los von allem, was ihn an diese Wege binden mag, denn die Gefahr ist unnennbar groß. Ich brauche wohl nicht zu sagen, daß ich hier alle geheimgehaltenen Methoden kenne, ich kenne jedoch auch das Schicksal derer, die sie entfesselt haben, und deshalb wird mir die Pflicht der Warnung für alle, die sich warnen lassen wollen.“

Als das zusammenfassenste Buch der Gesamtlehre darf jetzt in erster Linie das neuaufgelegte und nur stilistisch etwas erweiterte „Buch vom lebendigen Gott“ weitesten Kreisen empfohlen werden. Verkündet wird eine Religion der Suchenden und Zweifler in der Gewißheit, daß Hilfe geleistet wird. Es ist Geheimlehre und Okkultismus, aber in Vollmacht der Weißen Loge gegen die schwarze Magie. Der hoffend Zweifelnde erblickt als Prüfling die Vollkommenheit als fernes Ziel. Von Nöten ist ein Herz, um das Wort aufzunehmen. Ein „Urteil“ kann nur der Priester, nicht der Laie aussprechen. Aufgesucht werden alle, die guten Willens und starken Wollens sind. Also eine Willensreligion in der Richtung des Freimaurerideals, aber tief ins religiöse Erleben hinabgesenkt. In dieser Hinsicht bietet Bô Yin Râ durchaus nichts Neues. Was seine Verkündigung rettet und hoch über inhaltlich ähnlich klingende emporhebt, ist die unabweisbare Erlebnisfolge, der tief aus dem Gewissen emporsteigende Verpflichtungsernst und die redliche Vernunftklarheit seiner Botschaft.

Die Einlagerung seiner Religion ist sowohl philosophisch als geschichtlich durchaus gegeben: es ist eine brahminische Gnosis, wie sie ihm vermittelt wurde durch einen Geheimapostel der irgendwo im Himalaja versammelten Meisterschule der „sieben Tore“ — uralte Traditionen, die aber am heutigen Weltgeschehen ebenso eindringlich als verschwiegen teilhaben:

„Wisse, daß unter den Meistern Meister des Schwertes sind! Wisse, daß andere die Geschicke großer Länder lenken! Einige pflegen hohe Künste, einige hohe Wissenschaft, andere wieder fliehen jede Gelehrsamkeit und alle Kunst. Einige leben in großen Städten inmitten des Weitgetriebes, andere hausen in ferner, unnahbare Einsamkeit. Alle aber hören denselben Ruf, der sie berufen hat.“

Wie schon angedeutet, lehnt sich die Lehre in manchen Stücken nachbarlich an das Christentum an. Der Stern von Bethlehem und die „Hütte Gottes bei den Menschen“ (Offenb. Joh. 21, 3) werden angerufen. Und wenn es noch kurz gilt, den Unterschied namhaft zu machen zwischen dem Christentum und dem Glauben Bô Yin Râ‘s, so geschieht das vielleicht am deutlichsten, wenn ich an die Korrektur erinnere, die schon im ersten Buche an der Bergpredigt vorgenommen wird mit dem Spruch: „Suchet, und ihr werdet — gefunden!“

Carl Albrecht Bernoulli, in der literarischen Beilage der National-Zeitung, Basel.

Univ. Prof.Dr. C.A.Bernoulli, Lic. theol., Basel, der bekannte Herausgeber des Briefwechsels zwischen Nietzsche und Overbeck, des dreibändigen Werkes „Urreligion und antike Symbole“ (Bachofen), Verfasser des Werkes: JESUS, WIE SIE IHN SAHEN, Eine Deutung der drei ersten Evangelien, erscheint uns besonders bedeutsam als Beurteiler der Bücher von Bô Yin Râ, auf den er auch in seinem Werke über Bachofen schon ausführlich aufmerksam machte.

 

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09.11.2012