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SoSe2010 „Brennpunkte der kristischen Rezeption afrikanischer und lateinamerikanischer Literaturen“: Wissenschaftliche Texte haben ja oft den Ruf vollkommen unverständlich geschrieben zu sein, dabei gibt es wirklich viele leicht lesbare (vor allem im anglophonen Bereich). Homi Bhabhas Texte unterstützen aber leider voll und ganz die erste Annahme. Diese Woche haben wir uns mit seinem Konzept des „Third Space“ beschäftigt. Hier nun eine kleine Annäherung.

Im Seminar „Brennpunkte der kritischen Rezeption afrikanischer und lateinamerikanischer Literaturen“ haben wir das Interview „The Third Space“ von Jonathan Rutherford mit Homi Bhabha besprochen. Interview – Da denkt man zu erst an etwas verständlichere Texte, kürzere Absätze und knappe Sätze. Hier ist dies leider nicht der Fall. Die Antworten von Bhabha wirken eher essayistisch inklusive Äußerungen in Klammern. Auch sind die Konzepte nicht allzu leicht zu fassen, vor allem wenn man wenige spezifische Vorkenntnisse vorzuweisen hat. Ich werde hier zu erst eine mini-kleine Kurzbiografie zu Bhabha posten, dann folgen knappe Zusammenfassungen der (aus meiner Sicht und für das Seminar) wichtigsten Thesen. Zum Schluss folgt dann noch eine kurze Anmerkung zu einem Gedanken, den ich sehr interessant fand in dem Interview.

An dieser Zusammenfassung habe ich einige Zeit herumgedoktert, aber mich nun entschlossen, sie so zu veröffentlichen. Ich freue mich sehr über Anmerkungen, Gedanken oder schlichtweg bessere Zusammenfassungen.

Homi Bhabha – Kurz-Bio

  • 1949 im indischen Mumbai geboren
  • studierte am Elphinstone College der University of Mumbai sowie an der Oxford University
  • 1990 Promotion an der Oxford Universiy
  • 1994: „The Location of Culture“ (Die Verortung der Kultur), in dem er das Verhältnis zwischen den Kolonisierenden und den Kolonisierten analysiert und die Unterschiede innerhalb kultureller Identitäten diskutiert
  • ist Anne F. Rothenberg-Professor for the Humanities und Direktor des Humanities Center an der Harvard University

Thesen und Themen des Interviews

Unterscheidung „cultural diversity“ und „cultural difference“

Bhabha stellt das Konzept der „cultural difference“ dem der „cultural diversity“ (welches er ablehnt) entgegen. Hier in einigen kurzen Stichpunkten, was die Konzepte unterscheidet:

  • „cultural diversity“ bedeutet/ steht für/ macht aus:
    • multikulturell orientierte (liberale) Politik der Bejahung kultureller Vielfalt
    • dieses multikulturelle Denken habe den Effekt,  dass Ethnien als Ganzheiten überhaupt erst festgeschrieben und manifestiert werden (durch Grenzziehungen)
    • Bhabha kritisiert, dass diesem „Multikulti“ auch ein bestimmtes Denken zu Grund liegt, welches so dominant bleibt
    • für ihn ist als der Zweck von „cultural diversity“, dass die kulturelle Vormachtstellung, aus deren Position heraus die Grenzziehung vollzogen wird, zu stabilisieren
  • „cultural difference“ bedeutet/ steht für/ macht aus:
    • hier liegt die Betonung auf Konstruktion und Prozessualität
    • bei diesem Konzept sollen Widersprüche anerkannt werden
    • Bhabha sieht die Modalitäten der kulturellen Interaktion
    • Modalitäten kultureller Interaktion in der Gegenwart als komplexeren Prozess, in dem verschiedene Kulturen nicht als Monaden betrachten werden, die sich im Kontext der Globalisierung einander begegnen, vielmehr verdeutlicht die Begegnung verschiedener Kulturen ihre Porosität

„cultural translation“

Besonders schwer verständlich war für mich das Konzept der „cultural translation“. Hier wendet Bhabha ein sprachwissenschaftliches Konzept für Kultur an. Er geht davon aus, dass in jeder Bezeichnung etc. bereits Übersetzung stattfindet – selbst innerhalb einer Kultur. Denn in dem Versuch die eigene Kultur zu objektivieren, muss zuerst ein Prozess der Distanzierung stattfinden. Durch dies vielfältigen Übersetzungsrozesse wird das Orginale unsichtbar, es ist immer überlagert von verschiedensten Übersetzungen. Mit diesem Konzept wendet sich Bhabha auch gegen den Essentialismus. Da das Orginale nicht greifbar ist, ist auch nichts orginaler als etwas anderes.

Zu dem Thema zitiere ich auch gerne Homi Bhabha selbst:

„(A)ll forms of culture are in some way related to each other, because culture is a signifying or symbolic activity. (…) We are very resistant to thinking how the act of signification, the act of producing icons and symbols, the myths and metaphors through which we live culture, must always — by virtue of the fact that they are forms of representation — have within them a kind of self-alienating limit. Meaning is constructed across the bar of difference and separation between the signifier and the signified. So it follows that no culture is full unto itself, no culture is plainly plenitudinous, not only because there are other cultures which contradict its authority, but also because its own symbol-forming activity (…) underscores the claim to an originary, holistic, organic identity.“ (Rutherford 1990)

Hybridität / „The Third Space“

Die Betrachtung von „cultural difference“ und „cultural translation“ führen zum Begriff der Hybridität und damit zu Bhabhas zentralem Konzept „the third space“. Er versteht Hybridität entschieden anders, als es „normalerweise“ verstanden wird. Hybridität wird meistens als Vermischung zweier Ur-Dinge zu etwas Neuem begriffen – Mit dieser Bedeutung kommt der Begriff ja auch aus der Biologie. Bei Bhabha ist die Konnotation eine andere: Hybridität ermöglicht NICHT zwei originale Punkte zu verfolgen, aus welchen der dritte entsteht, sondern bezeichnet den „third space“, welcher anderen Positionen ermöglicht aufzukommen. In einem ORF-Interview (Link am Ende des Eintrags) definierte er den Begriff wie folgt: „Hybridisierung heißt für mich nicht einfach Vermischen, sondern strategische und selektive Aneignung von Bedeutungen, Raum schaffen für Handelnde, deren Freiheit und Gleichheit gefährdet sind.“ Der „third space“ bei Homi Bhabha ist also ein Aushandlungsort. Er selbst sagt im gerade erwähnten ORF-Interview: „Menschen kommen mit unterschiedlichen Einstellungen zusammen und streiten miteinander um Bedeutungen. Dabei entstehen neue Freiräume.“

Ich finde dieses Konzept sehr interessant. Doch bleibt es für mich schwer vorzustellen, wie dies in der Praxis funktionieren soll. In einem Kunst/Literatur-Kontext fällt mir eine Anwendung leichter, aber Bhabha meint sein Konzept ja auch explizit politisch (was man an seinen Beispielen sehen kann).

Auch spannend – Gibt es „archaic“?

Nun zum Schluss noch ein Gedanke des Interviews, welchen ich besonders interessant fand. Umgangssprachlich werden bestimmte Gedanken und Äußerungen ja als archaisch bezeichnet. Gemeint ist damit „altertümlich“ in einer abwertenden Art und Weise. Oft findet sich diese Einschätzung zum Beispiel im Bezug auf „fundamentalistische“ islamische Äußerungen. Bhabha argumentiert, dass es „archaisch“ in dem Sinn nicht gibt, denn die Äußerungen werden jetzt getätigt, in einem aktuellen Kontext. Sie können uns als abwegig erscheinen, wir können sie zutiefst ablehnen, aber sie sind aktuell.

Literatur

Rutherford, Jonathan. 1990. The Third Space. Interview with Homi Bhabha. In.: Ders. (Hg.): Identity: Community, Culture, Difference. London: Lawrence and Wishart, 207-211.

Online findet man den Text hier: http://ccfi.educ.ubc.ca/Courses_Reading_Materials/ccfi502/Bhabha.pdf

Das Interview beim ORF findet man hier.

7 Kommentare zu “„The Third Space“ – Versuche Homi Bhabha zu verstehen

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  5. Habe mich in diversen Hausarbeiten und auch meiner Magisterarbeit ausführlicher mit Bhabha’s Theoriegebäude beschäftigt. Bis man die Feinheiten wirklich versteht braucht es in der Tat seine Zeit… Aber so wie du das hier erklärt hast finde ich, dass es einen sehr guten Eindruck macht. Aber hochkomplex ist das allemal… vor allem wenn man noch die Sache mit der „Enunciation“ hineinnimmt, die bei dem archaic-Thema mitreinkommt. Aber wie gesagt, finde du hast das gut und vor allem allgemeinverständlich runtergebrochen in diesem Eintrag! Respekt 🙂

  6. Vielen Dank 🙂 Das freut mich sehr. Und falls du mal etwas aus deine Arbeiten hier veröffentlichen möchtest, kannst du dich gern melden. Ich bin immer offen für Gastbeiträge und Homi Bhabha ist der mit Abstand häufigste Suchbegriff, mit dem Menschen auf diese Seite kommen 😀

    • danke für diese kurze und prägnante, informative Zusammenfassung. Ich habe ein Baby bekommen und schreibe jetzt eine Examensklausur über Bhabha und seine postkolonialistischen Freunde, ohne beim betreffenden Seminar gewesen zu sein. Das heißt, ich bin erstmal alleine mit den Texten und Theorien. Aber dein Eintrag hat mir sehr geholfen.

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