Wenn
Farben leuchten
Zum 100. Geburtstag von Ida Maria Bauerreiss
Ihre Lebensdaten waren fast identisch mit dem 20. Jahrhundert. Doch
als Künstlerin machte sie nicht alles mit, was Strömungen
so "verlangten", das Kunst-Jahrhundert ist an ihrer Arbeit
nicht "abzulesen" - und siehe da, Ida Maria Bauerreiss, vor
100 Jahren geboren, am 18. Februar 1902, bedingungslose Huldigerin von
Farbe, Blume, Landschaft wirkt in vielem modern.
Als Ida Maria Bauerreiss am Pfingstmontag 1994 starb, war es ein Abschied
von der „Seniorin" der Augsburger Kunstszene. Diesen Titel
hatte sie als Zeichen des Respekts mit gelassener Würde zur Kenntnis
genommen, immer im Bewusstsein, dass ihre Bilder nichts mit alt oder
neu zu tun haben, sondern dass sie einfach so sein mussten. Wer sich
an ihre große Retrospektive zum 80. Geburtstag in der Toskanischen
Säulenhalle, an eine kleinere Ausstellung 1988 im Holbeinhaus,
eine letzte Schau 1996 im Neusässer Rathaus erinnert, oder wer
die prächtig bebilderte Monographie zum 80. durchblättert,
ist von der Frische dieses Oeuvres angezogen.
Ida Maria Bauerreiss ist gebürtige Heidenheimerin, kam mit sechs
Jahren nach Augsburg und identifizierte sich mit der Geburtstadt ihrer
Mutter von und ganz. Doch zuhause war sie weiß Gott nicht ständig.
Das Mittelmeer bereiste sie schon in Jahren, als der Massentourismus
noch nicht eine Welt verwüstete, deren Zauber aus den Bildern der
Künstlerin aufscheint - Aufenthalte besonders im Haus ihres Wiener
Künstlerfreundes Friedrich Mauracher auf einer dalmatinischen Insel
entwickelten ihre Malersinne. Doch diese Welt hat Ida Maria Bauerreiss,
die in München bei Carl Kasper, Adolf Schinnerer und Josef Eberz
studierte, die im übrigen auch im Leipziger Kunstlexikon ausführlich
aufgeführt ist, uns nur in Bildern ihres sozusagen zweiten künstlerischen
Leben hinterlassen können, denn im Bomben-Inferno von 1944 verbrannten
mit dem Augsburger Künstlerbaus im Domviertel, wo sie ihr Atelier
hatte, auch alle ihre Bilder.
Paradiesische Welten
Was sie nach dem Krieg, beginnend in den frühesten 5Oern und noch
einige Jahrzehnte in unentwegten Reisen in die Türkei, nach Italien,
Ibiza, Frankreich, Griechenland, ins dalmatinische Jugoslawien malte,
ist ein Trip durch leuchtende Farben, manchmal Visionen eines paradiesischen
Daseins. Impressionistisches Flirren, auch die kräftig pulsierenden,
wie sich selbst gebärenden Farbströme in der Art der "fauvistischen"
Wilden, oder auch das zarte, an Raoul Dufy erinnernde Spiel mit feinen
schwarzen Konturen beschwören mediterrane Lebensfreude, gestaltet
mit sicherer Formdramaturgie, changierend oft zwischen Gegenstand und
freiem Ausdruck.
(...)
(me) Augsburger Zeitung 16. Februar 2002
Zu den Bildern der Ida Maria Bauerreiss
(…) Frau Bauerreiss suchte und fand ihr malerisches Glück
à la recherche du temps perdu. Sie hatte das Malerhandwerk in
München erlernt, war Schülerin von Karl Caspar und Adolf Schinnerer
gewesen. Aber was ihr an freier, malerischer Fleckentechnik in der weiteren
Cezanne-Nachfolge vermittelt wurde, wandte sie in einem ganz anderen
Sinne an. Ihr war es nicht so sehr um bildnerische Probleme zu tun,
um Fragen der Form und des Bildbaus im Zusammenhang mit der Fläche.
Was sie daran interessierte, bewältigte sie mehr oder minder intuitiv.
Wichtig war ihr vor allem das Motiv, das sie anging wie die Maler der
Romantik, nur in einem veränderten, malerischen Gewand. Sie setzte
sich immer noch vor das landschaftliche Objekt, schleppte Reisbrett,
Malzeug und Sonnenschirm an die aussichtsreichste Stelle und gestaltete
zupackend, zugleich auch souverän verändernd, das vor ihr
ausgebreitete Panorama. Das ist bis heute so geblieben.
Auf den Bildern der Bauerreiss gibt es kein schlechtes Wetter, keine
hässliche Industrie, nichts, was an unser technisches Zeitalter
erinnert. Die von ihr gemalte Natur lebt noch mit der zugehörigen
Architektur in vollendeter Harmonier. Um solche Motive zu finden, bedurfte
es keiner zwangvollen Ausgrenzung des Blickfeldes. Sie ging einfach
in Gegenden, die Technik und Tourismus noch nicht erreicht hatten. Überall
eilte sie dem Reisevolk um 10 bis 15 Jahre voraus. Ibiza war noch eine
einfache Bauerninsel, von Malern (vornehmlich Holländern) entdeckt
und geliebt. Die griechischen Inseln und Süditalien hüteten
ihre antiken Tempel und Burgen wie Naturstücke; außer Archäologen
und Kennern interessierte sich kaum jemand, zumal es in vielen Fällen
keinen Übernachtungskomfort gab.
Als Frau Bauerreiss schöne Gegenden der Türkei für sich
entdeckte, leistete sie unfreiwillig wieder dem Tourismus Vorschub.
Wenn sie im nächsten Jahr Capri aufsucht, lässt sich darauf
schließen, dass nun die altbewährten Drei-Sterne-Ziele im
Baedecker von neuem attraktiv werden, soweit sie ihre Reize außerhalb
des Massentourismus bewahren konnten. Eine Felseninsel wie Capri ohne
erwähnenswerte Badestrände zählt zu diesen Glücksfällen.
Die Malerin rückt ihren Motiven mit verblüffender Selbstverständlichkeit
zu Leibe. Die Ausdrucksmittel variieren von Bild zu Bild, aber es würde
ihr kaum je einfallen, eine einmal in Tüpfelmanier gestaltete Landschaft
nun in einer anderen Malweise durchzuspielen. So wie sie ein Motiv zuerst
erfasste, wie es ihr in malerischer Umsetzung zum Bilde wurde, sollte
es bleiben, ein Glücksfall, ein Unikat. Ihr Stil ist nicht festzulegen.
Sie malt und zeichnet mit dem Pinsel, wobei einmal die Konturen, eine
anderes Mal die Flecken dominieren. Auch die farbige Erscheinung ist
nicht an eine bestimmte Palette gebunden. Sie richtet sich nach der
jeweiligen Ansicht. Innerhalb der einmal gewählten maniera aber
bleibt sie konsequent. Seltener zeichnet sie mit farbigen Kreiden; in
manchen Bildern akzentuiert sie plastisches auch mit Bleistift oder
Feder. Charakteristisch bleibt aber eine freizügige, breitpinslig
ineinander arbeitende à la prima-Malerei, deren Flecken und Tupfer
auch in Engführung erscheinen können, damit ein wenig an das
Vibrato des Impressionismus zurückerinnernd.
So außerhalb ihrer Zeit glücklich zu leben und ebenso naiv
(nicht im stilistischen Sinne des Begriffes) zu produzieren, gelingt
sicher nur wenigen. (…)
Als Frau Bauerreiss sich ihre facon de parler, war der Spätimpressionismus
eines Corinth oder Slevogt noch zeitgenössisch; über die frühen
Fauves kam dann wieder ein dekoratives Element in die Fleckenmalerei.
Nicht nur Frau Bauerreiss, viele ihrer malenden Generationsgenossen
zehrte von diesem Kompromiss. Frau Bauerreiss, die noch eine schöne
Welt erleben wollte mit einer darin vollintegrierten alten Kultur, sah
keine Veranlassung, ihren einmal erworbenen Stil etwa im Sinne des Kubismus
zu „modernisieren“. Ihre Art zu malen erschien ihr stets
als die bestmögliche, Natur und Kunst in Einklang zu bringen. (…)
Juliane Roh
(…) Was Farbe bedeutet, was Licht bedeutet, was Leben als geschaffene
blühende Ordnung in einer Landschaft, das weiß sie seit damals.
Ihre Bilder verraten es, selbst wenn man Details aus der Lebensgeschichte
gar nicht weiß. Irgendwo erübrigen sich Erklärungen,
weil der Augenschein schlüssig ist. Ihr Verhältnis zum Süden
– die Adriaküste war es, wo alles anfing, menschlich und
künstlerisch – ist ein leidenschaftliches geblieben. Darum
gehört sie heute unbestritten zu den großen deutschen Malerinnen
südlicher Landschaft.
Sie malt das was Reiseprospekte nur vorgaukeln. Ida Maria Bauerreiss
hat es wirklich gesehen. Ibiza hat sie für diejenigen, die nicht
mehr rechtzeitig dorthin gekommen sind, dokumentarisch festgehalten.
Die Insel, als sie noch unberührt war, ein Paradies lodernder Farben,
etwas für Menschen, die allein sein können, eine dramatische
Landschaft auszuhalten. Ibiza ist dem Moloch Tourismus geopfert worden.
Die Ibiza-Bilder der Bauerreiss sind historisch so unwiederbringlich
wie Gaugins Südsee-Bilder. Wie alle bedeutenden Portraitisten der
Natur in der jüngeren Kunstgeschichte hat Ida Maria Bauerreiss
so etwas wie eine innere Uhr, die ihr sagt, wo sie hin muß, ehe
es zu spät wird. Das gilt für die Provence, für die italienischen
und griechischen Landschaften abseits der großen Reiserouten,
die Inselwelt der Ägäis, die westliche Türkei. Sie wartet
geduldig auf das Licht an den Küsten des Mittelmeeres, findet das
Perlmutt im Wasser, Töne alter Seiden in Venedig, das bühnenmäßige
in den Wolken, Gärten, Wiesen, die geschwungenen Linien von Hügelkuppen,
Uferläufen, Ackerfurchen sind ihr Material mit dem sie eine Landschaft
relativ einfach aufbaut, um dieselbe dann mit überbordenden Kaskaden
von Farbe zu füllen. Menschen spielen eine relativ geringe Rolle
in den Bildern selbst, aber die Individualität des Menschen der
die Landschaft sieht, ist entscheidend. (…)
„Ich modern? Wieso? Ich mußte es so machen.“ Sie hat
eine Art von Humor, Fähigkeit zur kleinen Selbstironie, auch zu
schallenden Gelächter, das nie verletzt, aber ungemein gesund wirkt
wie sie ganze stabile Person. Nein, mit dem Problematisieren der eigenen
Existenz und der Welt um sich herum hat sie es nur insofern, als sie
die tödliche Gefährdung der Schönheit spürt in unserer
Zeit. Dann malt sie die bezaubernsten Pastelle in ganz weichen, verblassten
Tönen. Sie ist eine große Malerin des dramatischen Südens,
aber die gedämpften Lichter zu Hause nimmt sie jeweils nach Reisen
wieder empfindsam auf und setzt sie in ihrem dämmerigen Gartenhaus
an der Staffelei um, mit ein paar Blumen, altem Porzellan, einem wehenden
Vorhang als Motiv. (…)
Dr. phil. Elisabeth Emmerich
aus: Ida Maria Bauerreiss – Freude und Gedanken um eine Malerin
in Augsburg zum 80. Geburtstag, Frühjahr 1982
Impressum Home letzte
Aktualisierung: 15.03.2005