Seemannsverein Ilse
- Entstehungsgeschichte und Werdegang
Auf diesen Seiten möchte sich der älteste Verein des Dorfes Ilse vorstellen und einen kleinen Einblick in die Geschichte vermitteln,
und zwar von der Entstehung bis zur Gegenwart. Ferner soll verständlich gemacht werden, dass der Verein in das kulturelle Leben unserer
Ortschaft bis in die heutige Zeit fest eingebunden war und ist. Sind auch 99 Jahre im Strom der Zeit nur eine verhältnismäßig
kurze Zeitspanne, so ist es für einen Verein sicherlich eine recht lange Zeit. Nur wenigen von uns ist es vergönnt, diesen langen
Abschnitt in der Geschichte einer solchen Vereinigung in guten und schlechten Zeiten überhaupt zu erleben. Zwei Weltkriege haben der Verein
und seine Mitglieder überlebt. Natürlich haben alle das Unangenehme schnell vergessen und den Verein kurze Zeit nach den Kriegen
wieder voll aufleben lassen.
Damit wir uns ein Bild von der Gründerzeit machen können, müssen wir in das Jahr 1840 zurückblicken. Aus reiner Existenznot
entwickelte sich damals in allen kleineren Gemeinden der Unterweser-Region und auch im benachbarten Schaumburg-Lipperland die Hollandgängerei.
Wirtschaftlich und verkehrspolitisch war unsere Gegend vor 160 Jahren noch wenig oder teils überhaupt nicht erschlossen. Aus diesem Grund
taten sich Gruppen von 40 bis 60 Leuten zusammen, um den gemeinsamen Fußmarsch (ca. 300 km) nach den Niederlanden anzutreten. Eine
Eisenbahn oder sonstige Verkehrsmittel gab es zu dieser Zeit noch nicht.
In alten Chroniken wird berichtet, dass die ganze Gegend bis hin zum Rheinland in der damaligen Zeit sehr unsicher war. Überall auf den
Landwegen lauerten Gefahren durch Wegelagerer und Vagabunden, die einzelne und kleinere Gruppen gern überfielen. Der Fußmarsch
dauerte etwa sechs bis acht Tage. Jüngere Gruppen nutzten auch die sternklaren Nächte zur Wanderung um schneller ins Land der Weiden,
Wiesen und Windmühlen zu kommen. Meistens fand man auf holländischem Boden gastfreundliche Aufnahme, denn die Holländer wussten
schon, was sie an den soliden und fleißigen Grasmähern aus den deutschen Landen hatten. In der Regel gingen sie von Hof zu Hof und
boten den Bauern ihre Dienste an. Hatten sie in einem Ort ihre Arbeit getan, suchten sie eine andere Gemeinde auf, bis die vier bis sechs Wochen
der Grasmahd zu Ende waren.
Die Entlohnung der eintönigen und knochenharten Arbeit der Grasmäher erfolgte stets in holländischen Gulden. Wurden diese beim
Grenzübertritt in deutsches Geld umgetauscht, erhielt man je nach vollbrachter Leistung zwischen 30 und 50 Taler. Dieses Geld
reichte, um eine Familie mit drei Kindern einige Monate zu ernähren. Bittere Not war es, die Väter und Söhne nach Holland trieb.
Ab dem Jahre 1867 verbesserte sich die Lage der Hollandgänger durch die Inbetriebnahme der preußischen Eisenbahn. Sie kamen jetzt an
einem Tag von der Weser bis an den Rhein und erreichten schon in zwei Tagen ihr Ziel.
Nach dem deutsch-französischen Krieg 1870 1871 wurden auch für die heimische Bevölkerung die Arbeitsbedingungen etwas
besser. Es gab nun auch hier mehr Verdienst- und Beschäftigungsmöglichkeiten. Auch die industrielle Entwicklung breitete sich immer
mehr auf das flache Land aus. Es entstanden zunehmend Ziegeleien und andere Kleinbetriebe und auch der Heringsfang nahm um 1895 erweiterte
Formen an.
Bereits in Holland waren die deutschen Grasmäher nach der Grasmahd mit holländischen Hochseefischern in Berührung gekommen. Sie
versprachen ihnen abwechslungsreiche Arbeit auf See und guten Lohn. Weil es zu Hause noch sehr wenig Arbeit gab, heuerten viele auf
Heringsloggern an und wurden somit vom Grasmäher zum Seemann.
Im Jahre 1880 wurde die erste Heringsfischerei-Gesellschaft in Emden/Ostfriesland gegründet. Ihr folgten an Deutschlands Nordseeküste
bis zum Jahre 1900 Vegesack, Bremerhaven, Cuxhaven und Glückstadt.
Viele Arbeitssuchende sparten sich nun den weiten Weg nach Holland und heuerten auf deutschen Schiffen an. Die Fischereigesellschaften griffen
immer wieder gerne auf die Menschen von der Mittelweser zurück. Sie wussten, dass es zuverlässige, arbeitsame und erfahrene
Heringsfischer waren.
Bis Anfang des zweiten Weltkrieges fuhren jährlich aus dem alten Amtsbezirk Windheim etwa 700 Heringsfänger zur See. Sie alle gingen
dem Beruf nach, der nicht viel von der Romantik des Seemannlebens, dafür aber um so mehr harte Arbeit und große Gefahren und die
Trennung von der Familie mit sich brachte.
Angeheuert wurde Anfang Mai und viele kamen erst kurz vor Weihnachten zurück. Welchen Entbehrungen und Gefahren sie ausgesetzt waren, kann
nur der ermessen, der selbst einmal zur See gefahren ist. In den ganzen Jahren blieben 35 Fischdampfer (20 bis 22 Mann) und 29 Logger (16 bis 18
Mann) mit der gesamten Besatzung auf See.
Obwohl die meisten Bewohner unserer Gemeinde ihre Existenz und Ernährungsgrundlage in der eigenen Landwirtschaft besaßen, fuhr in
Ilse fast aus jedem Hause einer zur See. Anfang des 20. Jahrhunderts heuerten bis zu 50 Mann als Heringsfischer an. Unter ihnen waren häufig
sieben bis acht Kapitäne, fünf bis sechs Steuerleute, zwei bis drei Bestleute, 20 Matrosen und 15 bis 20 Leichtmatrosen sowie jüngste
Leichtmatrosen und Junge.
Um eine feste Kameradschaft und erfolgreiche Berufsfortbildung zu erreichen, fassten einige Seeleute aus Ilse den Entschluss, einen
Seemannsverein ins Leben zu rufen. Viele Seeleute aus Ilse, Ilserheide und Loh kamen damals in der ehemaligen Gastwirtschaft Reinking - Ernsting
im Ortsteil Dorf (jetzige Stätte Erich Meyer) zusammen.
Der Verein wurde aus 21 Seemännern am 15. Dezember 1902 gegründet. Ilserheide gründete erst 1950 und Gorspen-Vahlsen Loh
1936 ihren eigenen Seemannsverein.
Die 21 Gründungsmitglieder seien hier genannt:
Conrad Döhrmann, Conrad Kleine, Conrad Nahrwold, Ernst Nahrwold, Fritz Brase, Ernst Conrad Rösener, Wilhelm Rösener, Karl
Hitzemann, Karl Döhrmann, Wilhelm Wendte, Fritz Dannenberg, Ernst Peek, Fritz Peek, Heinrich Müller, Wilhelm Janze, Wilhelm
Deterding, Ernst Tüting, Fritz Möhlenbrock, Wilhelm Botterbrodt, Fritz Wiebke
Zum ersten Vorsitzenden wurde Conrad Döhrmann, zum Schriftführer Fritz Brase und zum Kassenwart Conrad Kleine gewählt. Die
Aufzeichnungen der Jahre 1902 bis 1918 sind nicht mehr auffindbar, aber dennoch soll versucht werden, den 99-jährigen Lebensweg des Ilser
Seemannsvereins darzustellen.
Der Seemannsverein vergrößerte sich in den darauffolgenden Jahren auf 69 Mitglieder. Der Höhepunkt des Vereins war die
Fahnenweihe am 14. und 15. Mai 1922. Im Jahre 1925 gründete der Verein die Vereinigung Selbsthilfe am Grabe. Dieser
Zusammenschluss unterstützte die Hinterbliebenen der auf See oder an Land verstorbenen Kameraden.
Der Sarg des Toten wurde bezahlt und der Verstorbene von Vereinsmitgliedern zu Grabe getragen. Zusätzlich erhielten die Hinterbliebenen
eine kleine finanzielle Unterstützung. Diese Vereinigung wurde nach dem zweiten Weltkrieg aufgelöst.
Geblieben ist die Tradition, dass der Verein den verstorbenen Kameraden wenn möglich zu Grabe trägt und einen Kranz mit blauweißer
Schleife (Seemannsfarben) als letzten Gruß am Grabe niedergelegt.
Die gefahrvolle Tätigkeit auf See forderte zahlreiche Opfer, von denen auch einige Seemänner aus Ilse, Ilserheide und Loh dazugehörten.
In den Jahren 1902 bis 1937 sind nachfolgend genannte Kameraden auf See geblieben:
Schiffsuntergang 23.9.1905 - Logger S. G. Tümmler
Heinrich Krömer (Ilserheide) geb. 1889, Leichtmatrose
Wilhelm Kaiser (Loh) geb 1889, Leichtmatrose
Schiffsuntergang 6.10.1905 - Logger A. E. Saturn
Heinrich Limbach (Ilse) geb. 1888,
Leichtmatrose Heinrich Blaas (Ilse) geb. 1882, Matrose
Schiffsuntergang 8.10.1905 (Burhave) OE 17
Heinrich Halfeld (Ilserheide) geb. 1865, Kapitän
Friedrich Sudmeier (Ilserheide) geb. 1888, Leichtmatrose
Schiffsuntergang 12.10.1909 - Fischdampfer
Adolf Ernst Nahrwold (Loh) geb. 1872, Matrose
Schiffsuntergang 11.11.1912 - B.V. 33 West
Ernst Könnemann (Loh) geb. 1877, Kapitän
Friedrich Meier (Ilserheide) geb. 1895, Matrose
Schiffsuntergang 15.8.1917 - OB 40 Senta
Ernst Tüting (Ilse) geb. 1883, Steuermann
Schiffsuntergang 11.10.1935 - Logger A. E. 117 Ravensberg
Friedrich Janze (Ilserheide), geb. 1883, Kapitän
Außer bei Schiffsuntergängen sind noch weitere Seeleute durch andere Umstände zu Tode gekommen:
Heinrich Müller (Loh) geb. 1851, Matrose, am 18.11.1908 verletzt und am 20.11.1908 auf Logger Senta verstorben,
Carl Aumann (Ilserheide) geb. 1893, Matrose, ertrunken am 8.2.1913, Fischdampfer Juno,
Konrad Reinking (Ilserheide) geb. 1866, Steuermann, ertrunken am 10.10.1926 Logger B. V. 45 Albatros.
Wie auf dem Ehrenmal für die auf See gebliebenen Kameraden des Heimser Heringsfängermuseums zu lesen ist, fanden aus 88 Ortschaften
der Mittelweserregion bei der Ausübung von Pflicht und Beruf 42 Kapitäne, 61 Steuer- und Bestleute, 19 Angehörige des technischen
Personals, 319 Matrosen und 64 Junggrade den Tod in den Wellen. Viele Leichtmatrosen und Schiffsjungen waren gerade erst 13 1/2 Jahre alt, als
das Meer sie für immer verschlang.
Von 65 Mitgliedern vor dem Zweiten Weltkrieg waren laut Chronik noch 24 Mitglieder nach dem Krieg dem Verein treu.
Als 1949 die Vereinstätigkeit wieder voll aufgenommen werden konnte, wählte man einen neuen Vorstand.
1. |
Vorsitzender: Stellvertreter: |
Carl Döhrmann Ernst Janze sen. |
1. |
Kassierer: Stellvertreter: |
W. Rösener W. Hägermann |
1. |
Schriftführer: | E. Kleine |