Die Zahnarzt Woche: Dr. Holger-Ludwig Riemer, Vorstandsvorsitzender der MDH AG, über den Wandel in der klassischen Wettbewerbsstruktur
Wettbewerb ist für Unternehmen, die im Bereich Zahntechnik tätig sind, kein Fremdwort. Mit zunehmender Globalisierung beschränkt sich dieser nicht nur auf Mitbewerber im Inland. Man mag aus Sicht des deutschen Zahntechnikerhandwerks die Konkurrenz beim Auslandszahnersatz als belastend empfinden. Gleichwohl müssen sich die Akteure diesem länderübergreifenden Wettbewerb stellen, da es Deutschland als Exportnation weder faktisch noch rechtlich möglich sein wird, seine Märkte abzuschotten. Letztlich muss der Kunde, sprich Zahnarzt, im Zusammenwirken mit seinem Patienten entscheiden, welches zahntechnische Labor er beauftragt, egal ob sich dieses im Ausland oder Inland befindet. Neben dem Preis werden insbesondere die Qualität und der Service für die Auswahl des Labors entscheidend sein.
Bislang erfolgt dieser Wettbewerb in geregelten Bahnen. Einzelne Zahnärztinnen und Zahnärzte beauftragen das Labor ihres Vertrauens, um für den jeweiligen Patienten das optimale Ergebnis zu erzielen. Auf diese Auswahlentscheidung haben weder die Krankenkasse noch die private Krankenversicherung eines Patienten Einfluss. Der Markt ist dabei auch diversifiziert, da die Auftraggeber, sprich Zahnärzte, ihre Aufträge individuell verteilen. Bei dieser Systematik haben sowohl inländische als auch ausländische Zahntechnikanbieter die Chance, am Markt teilzunehmen und durch das beste Preis-/Leistungsverhältnis zu überzeugen.
ZE-Selektivvertragsmodelle
Wenn man die Entwicklung im Bereich Zahntechnik verfolgt, kann man allerdings den Eindruck gewinnen, dass diese Wettbewerbsstruktur aktuell ins Wanken gebracht werden soll. So werden beispielsweise im Betriebs- und Ersatzkassenbereich via neu gegründeter externer Managementgesellschaften Verträge mit einzelnen Zahntechniklaboren geschlossen, die die Versorgung von eingeschriebenen Versicherten mit „zuzahlungsfreier“ Zahntechnik zum Gegenstand haben. Angesichts von mehr als 10 Millionen Versicherten, die durch die an diesen Verträgen teilnehmenden Krankenkassen repräsentiert werden, ist der Wunsch Vater des Gedankens, dass sich potenziell zahlreiche Versicherte in derartige Verträge einschreiben sollen.
An dieser Stelle fragt man sich, wie derartige Vertragskonstruktionen eigentlich möglich sein können, da die Krankenkassen eigentlich keinen Einfluss darauf haben dürften, welches Labor ein Zahnarzt beauftragt oder nicht.
Hintergrund dieser Vertragsmodelle ist eine Regelung des GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetzes (GKV-WSG), das Anfang 2007 in Kraft getreten ist. Nach der mit diesem Gesetz eingeführten Regelung des Paragrafen 73c SGB V ist es Krankenkassen möglich, ihren Versicherten die ambulante ärztliche und zahnärztliche Versorgung durch Abschluss von Selektivverträgen anzubieten. Gegenstand dieser Selektivverträge können Versorgungsaufträge sein, die sowohl die versichertenbezogene gesamte ambulante ärztliche und zahnärztliche Versorgung als auch einzelne Bereiche der Versorgung umfassen. Vertragspartner der Krankenkassen können dabei die vertragsärztlichen Leistungserbringer (unter anderem Zahnärzte), deren Gemeinschaften oder Managementgesellschaften sein, die die Leistungen nicht selbst erbringen, sondern nur vermitteln.
Diese gesetzliche Neuregelung nutzen Krankenkassen auch im Bereich der Zahnersatzversorgung für ihre Versicherten, was zunächst verwundert, da die Selektivverträge nach Paragraf 73c SGB V eigentlich nur die rein vertragszahnärztlichen Leistungen zum Gegenstand haben. Von der Grundkonstruktion her gehen die Krankenkassen deshalb den Weg, dass sie bei der Vereinbarung der besonderen ambulanten Versorgung den Bereich Zahntechnik zusätzlich in den Bereich der zahnärztlichen Leistungen in die Vertragskonstruktion einbinden.
Praktisch sieht dies zum Beispiel so aus, dass Zahnärzte im Rahmen eines Selektivvertrags für bestimmte zahnärztliche Leistungen ein vereinbartes Honorar erhalten (zum Beispiel für die Durchführung einer professionellen Zahnreinigung den Betrag x). Gleichzeitig werden sie im Rahmen des Selektivvertrags und zum Teil auch darüber hinaus verpflichtet, nur bestimmte Laboratorien zu beauftragen.
Diese in den Selektivvertrag exklusiv eingebundenen Labore werden dabei über eine externe Managementgesellschaft im Rahmen eines Ausschreibungsverfahrens in den Selektivvertrag eingebunden. Damit die Konstruktion insgesamt zum Tragen kommt, ist es außerdem erforderlich, dass sich Versicherte in dieses Vertragsmodell einschreiben.
Folge dieser Konstruktion ist, dass Zahnärzte im Rahmen des Selektivvertrags nur noch bestimmte Labore beauftragen können und Versicherte nur noch bestimmte Zahnärzte konsultieren dürfen, ohne auf ihren Leistungsanspruch verzichten zu müssen.
Mehr Markt durch Selektivvertragskonstruktionen?
Die Frage ist, ob diese Art von Selektivverträgen wirklich mehr „Wettbewerb im Gesundheitswesen, mehr Bedarfsgerechtigkeit, eine bessere Qualität, mehr Effizienz, geringere Kosten sowie weniger Bürokratie im GKV-System“ bringt, wie der Gesetzgeber seinerzeit in Zusammenhang mit dem GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz ausgeführt hat.
Mit derartigen Selektivvertragskonstruktionen wird es Krankenkassen über die in die Verträge eingeschriebenen Zahnärzte und Versicherten grundsätzlich ermöglicht, Einfluss auf die Auswahl des Zahntechniklabors zu nehmen. De facto führen derartige Konstruktionen dazu, dass nicht an diesem Versorgungsmodell teilnehmende Zahntechniklabore nicht mehr von Zahnärzten beauftragt werden, die in die Vertragsstruktur eingebunden sind. Als zusätzliche Konsequenz kann sich darüber hinaus ergeben, dass in die Vertragskonstruktion eingeschriebene Versicherte ihren Zahnarzt wechseln müssen oder diesen dazu bewegen, sich dem Selektivvertrag anzuschließen, damit eine Weiterbehandlung erfolgen kann.
Ob mit derartigen Konstruktionen wirklich mehr Markt geschaffen wird, ist auch deshalb fraglich, da es aktuell Selektivvertragskonstruktionen gibt, bei denen nur ein einziges zahntechnisches Laboratorium einbezogen wurde.
„Patientenzuführung“ und ihre Schattenseiten
Auch bei den Zahnärzten finden diese Konstruktionen keine ungeteilte Zustimmung. Manch ein Zahnarzt wird sich von der Einbindung in einen derartigen Vertrag und entsprechende Netzwerkkonstruktionen eine Art von „Patientenzuführung“ versprechen. Der Preis ist aber hoch, da auch den Zahnärzten stringente Vorgaben, insbesondere hinsichtlich der Preisgestaltung und der Auswahl des Labors gemacht werden. So hat jüngst die KZV Baden-Württemberg die pauschale Preisdeckelung einer professionellen Zahnreinigung auf 50 Euro in einem Selektivvertrag als „Vertrags-Irrweg“ bezeichnet (siehe DZW 33/09) und jedem Praxisinhaber dringend davon abgeraten, an solchen Knebelverträgen teilzunehmen.
Wünschenswert wäre es, wenn derartige Selektivvertragskonstruktionen auch von offizieller Zahntechnikerseite sehr detailliert beobachtet werden, da es in keinem Fall zu einem unzulässigen Ausschluss von Marktteilnehmern kommen sollte. Im Ergebnis fragt man sich, ob derartige „Zahntechnikselektivverträge“ wirklich mehr Wettbewerb bringen. Ein diversifizierter Markt ist jedenfalls die beste Vorbeugung gegen Oligopole gleich welcher Art.
Möge jeder Anbieter von Zahnersatz jeden Tag aufs Neue Zahnärzte und Patienten durch seine guten Leistungen überzeugen.
Dr. Holger-Ludwig Riemer, Mühlheim (Ruhr)