Wilfried Kurtzke
Gerd Markus

Ansätze zur Wiedergewinnung der Vollbeschäftigung

Ergebnispapier der GFP-Arbeitsgruppe Vollbeschäftigung

Bremen 1997

Inhalt

1. Massenarbeitslosigkeit und Politikversagen
   Abb. 1: Entwicklung der Arbeitslosigkeit in der Bundesrepublik

2. Die Standortdebatte

2.1 Die Bundesrepublik - ein belasteter Standort?
     Abb. 2: Entwicklung der Sozialquote
2.2 Die Entwicklung der Gewinne
     Abb. 3: Entwicklung der Kapitalrendite
2.3 Die Exportstärke der Bundesrepublik
     Abb. 4: Außenhandelsüberschuß
     Abb. 5: Außenhandel nach Ländergruppen
     Abb. 6: Außenhandel nach Gütergruppen
2.4 Zu hohe Löhne und Lohnnebenkosten?
     Abb. 7: Kostendisziplin
     Abb. 8: Kostenvorteil durch Wechselkurs aufgezehrt
2.5 Zu hohe Steuerbelastungen für Unternehmen in der BRD?
2.6 Internationale Kapitalbewegung: Flieht das Kapital aus Deutschland?
2.7 Gibt es in der Bundesrepublik eine mangelnde Konkurrenzfähigkeit bei High-Tech-Produkten?

3. Ursachen der Arbeitslosigkeit

4. Die Wiedergewinnung der Vollbeschäftigung

4.1 Bausteine zu einer Strategie der Vollbeschäftigung
4.2 Aktive Beschäftigungspolitik
4.3 Arbeitszeitverkürzung
4.4 Qualifizierungspolitik
4.5 Lohnpolitik
     Abb. 9: Einkommensverteilung in Westdeutschland
4.6 Langfristige Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit und eines tragfähigen Wachstums

5. Fazit: Die Wiedergewinnung der Vollbeschäftigung ist möglich

Massenarbeitslosigkeit und Politikversagen

Die Bundesregierung ist nach § 1 des Gesetzes zur Förderung des Wachstums und der Stabilität der Wirtschaft verpflichtet, ein gleichgewichtiges Wachstum der Wirtschaft und damit Vollbeschäftigung sicherzustellen. Nicht erst seit dem traurigen Negativrekord des Winters 1996/97 mit über 4,6 Mio. registrierten Arbeitslosen ist klar, das dieses Vollbeschäftigungsziel massiv verfehlt wird, ohne daß die Bundesregierung aktiv wird. Bereits seit den siebziger Jahren herrscht in der Bundesrepublik Massenarbeitslosigkeit; spätestens, seitdem 1974 die Grenze von über einer Million registrierter Arbeitsloser überschritten wurde.

Während die Aufbauphase nach dem Zweiten Weltkrieg einherging mit einem kräftigen Abbau der Arbeitslosigkeit und in den sechziger Jahren Vollbeschäftigung (mit einer relativ konstanten Arbeitslosenquote von knapp unter einem Prozent) und Arbeitskräftemangel Realität waren (ausgeglichen durch das massive Anwerben von Gastarbeitern), kam es in der Krise 1966/67 zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik zu einem nennenswerten Anstieg der Arbeitslosigkeit (die Arbeitslosenquote betrug auf dem Höchststand der Krise 1967 2,1% (1)), die aber im darauffolgenden Aufschwung wieder abgebaut werden konnte. 1970 war die Arbeitslosenquote auf den Tiefstand von 0,7% gesunken.

Die Krise 1973/74 brachte dann eine neue Entwicklung: die Arbeitslosigkeit nahm enorm zu (die Quote stieg bis auf 4,7% im Jahre 1975) und verringerte sich im nachfolgenden Aufschwung nur noch unwesentlich. Diese "Treppenentwicklung" ist seither kennzeichnend für den Arbeitsmarkt in der Bundesrepublik und auf dem Schaubild deutlich zu erkennen. In jedem Krisenzyklus steigt die Arbeitslosigkeit stark an, ohne sich im nachfolgenden Aufschwung wieder wesentlich zu verringern.

Die niedrigste Arbeitslosenquote im Konjunkturaufschwung in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre war 3,8% 1979. Infolge der Krise 198 1/83 kletterte die Arbeitslosenquote bis 1985 auf 9,3% und sank nur noch auf 8,7% im Jahr 1988. Erst der ab 1989 einsetzende Vereinigungsboom brachte eine deutliche Belebung des westdeutschen Arbeitsmarktes. 1991 wurde mit 6,3% das beste Ergebnis erzielt. In Ostdeutschland war dagegen die Arbeitslosenquote von Beginn an höher (1991 10,3%). Seither liegt sie in West und Ost in einem klaren Aufwärtstrend und erreichte 1996 im Westen eine noch nie gekannte Höhe von 10,1%, im Osten 16,7% und in Gesamtdeutschland 11,5%.

Das gesamte Ausmaß der Unterbeschäftigung ist dabei noch viel größer, als es die Zahl von mittlerweile etwa 4 Mio. registrierter Arbeitsloser suggeriert. Rechnet man noch die Menschen in arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen und die Stille Reserve hinzu, so ergibt sich eine Beschäftigungslücke von 7 - 8 Mio. Arbeitsplätzen, die vom Markt nicht bedient werden.

Abb. 1: Entwicklung der Arbeitslosigkeit in der Bundesrepublik

Der Anstieg der Arbeitslosigkeit in den siebziger Jahren war begleitet von einem radikalen Kurswechsel in Wirtschaftstheorie- und Politik. Während vorher eine keynesianisch geprägte Lehre die Wissenschaft beherrschte und von der Politik angewandt wurde, welche die aktive Rolle des Staates bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit betonte, griffen nun die neoklassischen und neoliberalen Weisheiten Platz. Aufgabe des Staates war es nur noch, sich selbst zurückzunehmen und die Kräfte des freien Marktes in ihrer Entfaltung zu fördern.

Für die Bundesrepublik vollzog sich der Kurswechsel in der Politik in zwei Schritten: der erste Schritt war der Beschluß über das Haushaltsstrukturgesetz noch unter der Regierung Helmut Schmidt 1975. Der wirtschaftspolitische Kurs danach war sehr widersprüchlich. Er enthielt gleichzeitig und abwechselnd expansive und restriktive, prozyklische und antizyklische Elemente. (2) Der zweite Schritt war der Wechsel in der Bundesregierung im Oktober 1982, mit dem die Wende in der Wirtschaftspolitik endgültig vollzogen wurde. Mittlerweile ist die Dominanz der neoklassischen Dogmen in der öffentlichen Meinung so groß, daß diese Politik oft nur noch als 'moderne" Wirtschaftspolitik schlechthin bezeichnet wird.

Der Zusammenbruch der realsozialistischen Okonomien hat die ideologische Vorherrschaft der Neoliberalen weiter gefestigt. Das Fehlen der Systemkonkurrenz hat die kapitalistischen Staaten der Notwendigkeit einer wirkungsvollen Sozialpolitik beraubt, da es zu diesem System keine Alternative mehr gibt.

Die völlige Hegemonie der neoklassischen Ansichten in der öffentlichen Meinung steht aIlerdings in einem fundamentalen Gegensatz zu den Erfolgen dieser Politik. Der Anstieg der Arbeitslosigkeit konnte mit der Wende in der Politik nicht aufgehalten werden. Im Gegenteil: Das Wachstum der Arbeitslosigkeit verstärkte sich dramatisch.

Aber auch in ihrem ureigensten Feld, dem Abbau der Verschuldung der öffentlichen Haushalte hat diese Politik kläglich versagt: mit jedem Sparpaket wuchsen die Schuldenberge. Lag die Verschuldung der öffentlichen Haushalte bis 1974 immer (in relativ gleichbleibenden Werten) knapp unter 20% des BIP' so war sie 1979 bereits auf 30% gewachsen. 1989, bevor die Lasten der deutschen Einheit hinzukamen, war die Verschuldung bereits auf 42% des BIP geklettert und aktuell (1996) lag sie schon bei 60,3 %. (3)

2. Die Standortdebatte

In den letzten Jahren hat sich die Argumentation stark von der binnenwirtschaftlichen auf die außenwirtschaftliche Ebene verschoben. Mit der zunehmenden Globalisierung der Märkte stehen die einzelnen Volkswirtschaften in einer wachsenden Standortkonkurrenz. Die hohe Arbeitslosigkeit in der Bundesrepublik liege darin begründet, daß der schlechte Standort Deutschland international nicht mehr wettbewerbsfähig sei.

Die "Standort Deutschland"-Debatte geht davon aus, daß der wesentliche Grund für die seit 20 Jahren anhaltende lnvestitionsschwäche in (West-)Deutschland hohe Standortkosten sind. Sie hinderten die Unternehmen daran, in ausreichendem Maße in Deutschland zu investieren.

Dabei stützen sich die Vertreter dieser Position auf mehrere Argumente. Zu hoch seien

  • die Soziallasten
  • die aus dem Wirtschaftskreislauf zu finanzierenden Staatsausgaben, insbes. die schnell wachsende Zinslast
  • die Investitionshindernisse, insbes. durch ein Ubermaß an Staatsvorschriften und die damit verbundene Staatsbürokratie
  • Löhne und Lohnnebenkosten
  • die Steuerbelastung.

2.1 Die Bundesrepublik - ein belasteter Standort?

Das erste Argument ist doppelt falsch. Zum einen kann von einer ungewöhnlich hohen finanziellen Belastung der Gesellschaft durch Sozialausgaben keine Rede sein. Die Sozialquote, also der Anteil sämtlicher Sozialausgaben am Sozialprodukt, ist zwischen 1975 und 1990 von 34% auf 29,7% gesunken. Erst nach 1990 ist sie vereinigungsbedingt wieder auf 34% gestiegen. (siehe Schaubild)

Abb. 2: Entwicklung der Sozialquote

Zum anderen werden die Soziallasten wesentlich bestimmt durch die Rentenzahlungen. Diese sind kein Standortproblem, sondern ein Problem der Verteilung des Sozialprodukts zwischen Erwerbstätigen und aus dem Erwerbsleben Ausgeschiedenen. Zu fragen ist, ein

wie hohes durchschnittliches Einkommmens- und Konsumniveau billigt die erwerbstätige Bevölkerung den nicht Erwerbstätigen zu. Da die Renten- und sonstigen Sozialbeiträge der Lohn- und Gehaltssumme zugerechnet werden, können sie die Gewinne und die Investitionskraft nicht schmälern.

Auch das zweite Argument, die zu hohen Zinslasten des Staates, ist nicht stichhaltig. Einerseits steht das "crowding out" Argument empirisch auf sehr schwachen Füßen (es kann schlicht und ergreifend nicht belegt werden) und andererseits hängen die Zinslasten auch von der Einnahmenpolitik des Staates ab. Wenn die Zinslast des Staates zu sehr steigt, die für ihre Abdeckung erforderlichen Steuern zu hoch erscheinen, dann weist dies nicht auf einen Standortnachteil, sondern auf eine unseriöse Ausgabenfinanzierung durch Kredite hin. Möglich wäre auch eine standortneutrale Erhöhung der Steuereinnahmen, gerade auch für die vereinigungsbedingten Sonderausgaben.

Das dritte Argument, das staatliche Vorschriftendickicht sei zu eng und bremse die privaten Aktivitäten, ist zu global, um glaubhaft zu sein. Efflzientere öffentliche Dienstleistungserstellung ist konkret anzustreben, doch Sicherheits- und Umweltschutzvorschriften sind alles andere als überflüssig oder zu eng gefaßt.

2.2 Die Entwicklung der Gewinne

So ist es kein Wunder, daß Soziallasten, Staatsverschuldung und Investitionshemmnisse die Gewinne nicht bremsen konnten, im Gegenteil: Der Standort Deutschland ist nach wie vor hoch profitabel. In der Entwicklung der letzten 13 Jahre läßt sich sogar eine erhebliche Verbesserung der Kapitalrendite belegen.

"Durch die Einkommensumverteilung zugunsten der Gewinne, verstärkt durch eine Besteuerung, die vornehmlich die Abgaben für Lohnempfänger erhöhte und die Gewinne und Vermögenseinkommen entlastete, wurden die Kapitalrenditen auf relativ hohem Niveau - bei deutlichen konjunkturellen Schwankungen - stabilisiert. Diese Renditen würden ein viel höheres Niveau der Investitionen und des Wirtschaftswachstums ermöglichen; von der Finanzierungsseite gibt es im Durchschnitt der Volkswirtschaft keinerlei Probleme für vermehrte Investitionstätigkeit." (4)

Abb. 3: Entwicklung der Kapitalrendite

Auch nach anderen Kennzahlen und Berechnungsmethoden ergibt sich ein ähnliches Bild: Die Gewinn-Erlös-Relation (Gewinne in v.H. der Erlöse) ist, nach dem Tiefstand in der Krise 81/82, wieder kräftig gestiegen und erreichte 1995 mit ca. 5,5% ein Niveau, wie es zuletzt etwa 1969 erzielt wurde. (5)

2.3 Die Exportstärke der Bundesrepublik

Das die deutschen Unternehmen am Weltmarkt überaus erfolgreich agieren, ja ihrerseits gerade den Standortwettbewerb anheizen und andere aus ihren Märkten verdrängen, zeigt die Außenhandelssituation des Exportweltmeisters Bundesrepublik. Die Exportquote von fast 35% beweist eindrucksvoll die Stärke von in der Bundesrepublik produzierten Gütern. Japan ist im direkten Vergleich mit einer Exportquote von ca. 8% geradezu ein binnenwirtschaftlich orientiertes Land. (6)

Doch nicht nur die Exportquote, auch der Außenhandelsüberschuß beweist die Konkurrenzstärke. 1995 wurden für fast 100 Mrd. DM mehr Güter exportiert als importiert. Der Überschuß betrifft dabei viele Warengruppen und praktisch alle Ländergruppen (bis auf Japan, wobei hier sicherlich die restriktiven Marktzugangsbedingungen bedeutsamer sind als die Konkurrenzfähigkeit bundesdeutscher Produkte) .Die Exporterfolge nehmen auch die Länder Osteuropas nicht aus, bei denen die Argumentation von der Standortverlagerung noch am ehesten zutrifft. Auch ihnen gegenüber besteht ein positiver Außenhandelssaldo. Selbst gegenüber den berüchtigten kleinen asiatischen Tigern (vertreten in den ASEAN-Ländern) besteht mittlerweile ein Außenhandelsüberschuß! Die weltweiten Außenhandelsverflechtungen sind dabei aber vom Volumen bedeutungslos, die große Masse bewegt sich innerhalb der EU (was die These von der "Globalisierung" der Ökonomie stark relativiert).

Abb. 4: Außenhandelsüberschuß

Abb. 5: Außenhandel nach Ländergruppen

Abb. 6: Außenhandel nach Gütergruppen

2.4 Zu hohe Löhne und Lohnnebenkosten?

Ein wichtiges Argument in der Standortdebatte sind die zu hohen Löhne und Lohnnebenkosten in der Bundesrepublik. Doch entscheidend ist nicht das absolute Lohnniveau, sondern es muß in Relation zu der erzielten Arbeitsproduktivität gesetzt werden. Für das Unternehmen (und seine Gewinnsituation bzw. seine Wettbewerbsfähigkeit) zählt nur, wieviel Lohn es für eine produzierte Ware zahlen muß. Dabei kann das Argument der Lohnnebenkosten getrost vergessen werden, denn diese sind in der Lohnsumme bereits enthalten.

Die Berechnungen des IFO-Instituts zeigen, daß die enorme Produktivität in Deutschland das relativ hohe Lohnniveau rechtfertigt, ja das die absoluten, realen Lohnstückkosten hierzulande deutlich niedriger liegen als in Frankreich, Großbritannien, den USA und Japan. (7) Die Berechnungen des DlW zeigen die Gründe dafür: seit zwanzig Jahren verläuft die Entwicklung der Lohnstückkosten (gerechnet in DM) in der Bundesrepublik günstiger als in den anderen Industrieländern.

Abb. 7: Kostendisziplin

In der internationalen Wettbewerbssituation konnte dieser Kostenvorteil aber nicht realisiert werden, weil er von der Aufwertung der DM aufgezehrt wurde.

Abb. 8: Kostenvorteil durch Wechselkurs aufgezehrt

Die Wirtschaft reagiert wie im ökonomischen Lehrbuch: Ein starker Standort, der seine Waren auf dem Weltmarkt wohlfeiler anbietet und dabei noch eine hohe Kapitalrendite erzielt, wird mit der Aufwertung seiner Währung "bestraft", um die Konkurrenzbedingungen für die anderen Volkswirtschaften nicht zu sehr zu verschlechtern. Daneben ist diese Situation natürlich auch Ausdruck der Politik der Bundesbank.

Der von den abhängig Beschäftigten seit 15 Jahren geübte Verzicht, der sich in den niedrigen Tarifabschlüssen ausdrückt, war vergebens. Die "Gürtel-enger-schnallen" Parolen haben nur zu einem relativ sinkenden Wohlstand der ArbeitnehmerInnen und einer schrumpfenden Binnennachfrage (mit dem dazugehörigen Abbau von Arbeitsplätzen) geführt, aber nicht über Kostensenkungen zu einer Stärkung der bundesdeutschen Wirtschaft auf den internationalen Märkten geführt. Dieser Effekt wurde von den DM-Aufwertungen vollständig kompensiert

Dies sollte aber nicht dazu verleiten, einer bewußten Abwertungspolitik das Wort zu reden. Die Bundesrepublik ist, wie oben dargestellt, ein Überschußland. Jeder Versuch, gegenüber den Defizitländern abwerten zu wollen, ist unsinnig und zum Scheitern verurteilt. Abgesehen davon, daß eine solche Politik an den Devisenmärkten nicht durchsetzbar wäre, könnte sie auch politisch nicht greifen. Sie würde lediglich einen Abwertungswettlauf auslösen. Außerdem kann eine solche Politik von linken Kräften nicht gewünscht werden. Wenn ein Überschußland abwertet, heißt dies doch nichts anderes, als die eigenen Probleme auf Kosten der Anderen lösen zu wollen. Schließlich bedeutet ein Außenhandelsüberschuß, daß bereits jetzt ein Teil der eigentlich im Land bestehenden Arbeitslosigkeit faktisch exportiert wird.

Im Ubrigen hat die günstige Entwicklung der Produktivität im Verhältnis zu den Löhnen dazu geführt, daß die Lohnkosten insgesamt keine herausragende Bedeutung mehr haben. Im Jahre 1994 war der Anteil der Personalkosten an der Gesamtleistung der Unternehmen auf 19,5% gesunken. (8)

2.5 Zu hohe Steuerbelastungen für Unternehmen in der BRD?

Der internationale Vergleich von Steuerbelastungen für Unternehmen ist ein äußerst schwieriges Unterfangen. Sowohl die Struktur der Besteuerung als auch die Finanzierungssituationen für die Unternehmen stellen sich in den verschiedenen Ländern höchst unterschiedlich dar. So werden Fremd- und Eigenfinanzierungen unterschiedlich besteuert, Bauten anders belastet als andere Anlagen und für internationale Investitionen, die die Steuersysteme mehrerer Länder betreffen, gelten wieder andere Regelungen.

Grundsätzlich unterscheidet sich das deutsche Steuersystem von dem der meisten Industriestaaten. Es gelten hierzulande ungewöhnlich hohe Steuersätze: 1995 ermittelte das IFO-Institut eine durchschnittliche Grenzbelastung von 55,1%, wesentlich mehr als in allen anderen wichtigen Konkurrenzstaaten. (9) Auf der anderen Seite fallen die Gestaltung der Bemessungsgrundlage und der Abschreibungsmodalitäten außergewöhnlich günstig aus. Für die Optik entsteht so ein ungünstiges Bild für die Bundesrepublik, über die tatsächliche, effektive Steuerbelastung ergeben sich daraus noch keine Schlüsse.

Auch hierüber hat das IFO-Institut eine vergleichende Analyse zwischen Deutschland, Frankreich, Großbritannien, den USA und Japan durchgeführt. Im Ergebnis zeigt sich dabei keine überdurchschnittlich hohe Steuerbelastung für deutsche Unternehmen: "Für Deutschland ergibt sich für das Jahr 1991 insgesamt ein vorteilhaftes Bild, unter der Annahme gleicher Finanzierungsstrukturen in allen Ländern erreichen lediglich Frankreich und das Vereinigte Königreich bessere Ergebnisse. Unterstellt man unterschiedliche Finanzierungsstrukturen, schneidet Deutschland noch besser ab." (10)

2.6 Internationale Kapitalbewegung: Flieht das Kapital aus Deutschland?

Ein weiteres Argument in der Standortdebatte, welches die Probleme des Standortes belegen soll, sind die internationalen Kapitalbewegungen. Seit Jahren gibt es einen negativen Saldo bei den Direktinvestitionen: 1996 betrugen die deutschen Direktinvestitionen im Ausland 41,8 Mrd. DM, die ausländischen Direktinvestitionen in Deutschland wiesen dagegen sogar einen Negativwert (der Bestand verringerte sich) von 4,9 Mrd. DM auf. (11)

Aus der betrieblichen Sicht muß dies zunächst erstaunen, denn eine Reihe von Standortqualitäten werden durchaus positiv beurteilt:

  • Arbeitskräfte: Qualifikation und Arbeitsdisziplin
  • Politik der Gewerkschaften
  • local contents
  • Infrastruktur
  • Sicherheit (und Transferierbarkeit) für Kapital und Gewinn
  • politische Stabilität

Dagegen werden negativ für Direktinvestitionen beurteilt:

    - starke Regulierungen bei
    Umweltbelastungen
    Arbeitsrecht
    Pharmaproduktion und Gentechnologie

  • die Entrichtung der Währungsparitäten
  • Lohn- und Steuerniveau
  • öffentliche Verwaltung

Dabei spiegelt die negative Beurteilung nur die subjektive Sicht von Unternehmensvertretern von außen dar, denn die relativ starken Regulierungen z. B. haben durchaus zu Standortvorteilen bei inländischen Unternehmen geführt. Die Regulierung im Urnweltbereich hat zu Vorteilen beim Aufbau des Wirtschaftszweiges Umwelttechnologie geführt, gute Kündigungsschutzregelungen bedeuten das Erhalten einer hoch qualifizierten Stammbelegschaft auch in Krisenzeiten.

Auch die bereits oben beschriebene, hervorragende Ertragslage der Unternehmen liefert keine Erklärung für den negativen Saldo bei den Direktinvestitionen.

Eine mögliche Antwort ergibt sich aus der näheren Betrachtung der Statistik. Als Direktinvestitionen werden alle Arten von grenzüberschreitenden Unternehmensbeteiligungen (bei mehr als 20% Anteil) gezählt, auch solche, die nicht mit dem Aufbau von neuen Produktionskapazitäten in Verbindung stehen. Der Aufkauf von Rover in England durch BMW beispielsweise ist eine Direktinvestition im Ausland, obwohl lediglich Besitztitel (der Aktien und der Kontostände) sich verändern, aber nirgends irgendein Arbeitsplatz abgebaut oder neu geschaffen wird. Spektakuläre Aufkäufe machen einen großen Teil der Direktinvestitionen aus. "Allein die acht größten Übernahmen von ausländischen Unternehmen durch Inländer machten 1996 ein Finanzvolumen von 18,3 Mrd. DM aus." (12)

So betrachtet macht das Argument Sinn, daß der Kapitalabfluß gerade ein Ausdruck des starken, hochprofitablen Standortes ist: Im Rahmen der europäischen Integration werden die Konzernstrukturen europaweit neu gestaltet, was an der beispiellosen Zentialisationswelle des Kapitals abzulesen ist. In diesem Spiel können sich die finanzstarken Konzerne aus der Bundesrepublik weit mehr im Ausland engagieren (und damit auch Märkte öffnen) als umgekehrt.

"Der Saldo der Direktinvestitionen folgt dem Saldo der Handelsbilanz und der Leistungsbilanz bzw. deren Korrelat, dem Nettokapitalexport. Das heißt, ein Teil des zum Ausgleich des Handelsbilanzüberschusses notwendigen Nettokapitalexports ist direkt zum Kauf von Sachanlagen oder Beteiligungen im Ausland verwendet worden. ... Hohe Direktinvestitionen im Ausland sind Ergebnis hoher Wettbewerbsfähigkeit, nicht zu geringer, wie es die einzelwirtschaftliche, die unternehmerische Sicht suggeriert." (13)

Für diesen Zusammenhang gibt es auch empirische Belege. Auch Japan, welches neben der Bundesrepublik das einzige andere bedeutende Industrieland ist, daß seit vielen Jahren enorme Handelsbilanzüberschüsse produziert, weist einen großen negativen Saldo bei den Direktinvestitionen auf, ohne daß dies als Beleg für schlechte Standortqualitäten herhalten muß.

Außerdem ist es grundsätzlich problematisch und unseriös, einen einzigen Posten aus der Kapitalverkehrsbilanz herauszugreifen und diesen als Beleg für gute oder schlechte Standort-bedingungen zu benutzen. Schließlich ist die Kapitalverkehrsbilanz der Bundesrepublik seit Jahren positiv, d.h. Deutschland zieht mehr ausländisches Kapital an, als es exportiert. Die Kapitaleinfuhr war 1996 um 18,2 Mrd. DM größer als die Ausfuhr. (14) "Daß es kaum schlüssige Erklärungen für das Muster der Direktinvestitionen gibt, hat offenbar sehr viel mit der Art der Abgrenzung von Direktinvestitionen im Vergleich zu anderen Arten des Kapitalexports oder -imports zu tun. Beachtet man dies nicht und analysiert daher die Direktinvestitionen ohne den Zusammenhang mit den übrigen Posten der Zahlungsbilanz, sind Fehlschlüsse kaum zu vermeiden." (15) Gründe für die bestehende Arbeitslosigkeit lassen sich aus den Kapitalbewegungen jedenfalls nicht herleiten.

2.7 Gibt es in der Bundesrepublik eine mangelnde Konkurrenzfähigkeit bei High Tech Produkten?

Oft wird das Standortargument auch in einer strategischen Dimension gebraucht. Zwar sei die Wettbewerbsposition der Bundesrepublik noch gut, doch der Standort sei nur stark bei der Produktion von Gütern mittlerer Technologie. Bei der Hochtechnologie, und damit bei den zukunftsträchtigen Branchen, sehe die Situation aber sehr schlecht aus. Verwiesen wird dabei auf den geringen Anteil von High-Tech-Produkten an den Exporten. (16)

Bei dieser Argumentation wird allerdings der Basiseffekt außer acht gelassen. Die Anteile des hochtechnologischen Sektors an der Bruttowertschöpfung unterscheiden sich zwischen der BRD, den USA und Japan nur sehr wenig. Da aber die Exportquote der Bundesrepublik etwa dreimal so hoch ist wie in den beiden anderen Ländern, verwundert es nicht, daß der Anteil der High-Tech-Güter an den Exporten wesentlich kleiner ausfallen muß. Dies ist gerade ein Ausdruck der Wettbewerbsstärke der gesamten Industrie in Deutschland und nicht ein Ausdruck der Schwäche des Hochtechnologie-Bereichs.

3. Ursachen der Arbeitslosigkeit

Die gesamte wirtschaftliche Entwicklung der Bundesrepublik ist geprägt von einem sich verlangsamenden Wirtschaftswachstum. Das durchschnittliche jährliche Wachstum des BPI betrug real (in Preisen von 1991) in den Zeiten des Wirtschaftswunders und Wiederaufbaus von 1950 - 1960 8,9%. Schon in der Dekade von 1960 - 1970 hatte sich dieses Wachstum auf 4,4% halbiert. In dem Jahrzehnt von 1970 - 1980, bereits von der beginnenden Massenarbeitslosigkeit geprägt, konnte nur noch ein jährliches Wachstum von 2,7% erzielt werden, 1980 - 1990 sogar nur noch 2,2%. Diese Entwicklung läßt sich für die beginnenden neunziger Jahre (jetzt einschließlich der neuen Bundesländer) fortschreiben: Von 1992 - 1995 betrug das jährliche BP-Wachstum nur noch 1,45%. (17) Ein derart zurückgehender Wachstumstrend ist allerdings keine deutsche Besonderheit, er ist kennzeichnend für alle entwickelten kapitalistischen Staaten.

Parallel zur nachlassenden Wachstumsdynamik schwächt sich auch der Produktivitätstrend ab, allerdings in einem geringeren Umfang. Von 1960 - 1970 nahm die Produktivität je Erwerbstätigenstunde noch um jahresdurchschnittlich 5,3% zu, von 1980-1990 nur noch um 2,3%. Anfang der neunziger Jahre stabilisiert er sich in Westdeutschland mit einem Anstieg von jährlich 2,25%. (18) In jeder Dekade war also das durchschnittliche Wachstum der Produktivität höher als die Steigerung beim Sozialprodukt. Als zwingende Folge verringert sich das auf dem Arbeitsmarkt nachgefragte und zur Erstellung des jeweiligen Volkseinkommens notwendige Arbeitsvolumen. Wurden in der Bundesrepublik 1970 noch 51,768 Mrd. Arbeitsstunden geleistet, waren es 1980 noch 47,102 Mrd. und 1995 (Westdeutschland) 44,413 Mrd. (19)

Die verringerte Nachfrage nach Arbeit trifft auf ein wachsendes Arbeitsangebot. Eine durch Zuwanderungen leicht steigende Bevölkerungszahl und eine wachsende Erwerbsneigung führt zu einem wachsenden Arbeitskräftepotential. Gab es in Westdeutschland 1980 noch 26,980 Mio. Erwerbstätige, so waren es 1995 bereits 28,461 Mio. (20) Unter den gegebenen Rahmenbedingungen (schrumpfendes Arbeitsvolumen durch Wachstumsschwäche und zunehmendes Arbeitsangebot) muß es ohne eine drastische Arbeitszeitverkürzung zwangsläufig zu immer neuen Rekorden bei den Arbeitslosenzahlen kommen.

Natürlich sind die Rahmenbedingungen keine unveränderlich feststehenden Größen. Über die Frage, was das Wirtschaftswachstum ankurbeln kann, streiten sich die Wirtschaftswissenschaftler schon lange. Seit dem Ende der siebziger Jahre wird die Diskussion von denjenigen beherrscht, die in Anlehnung an das Saysche Theorem (jedes Angebot schafft sich seine Nachfrage) die Angebotsseite der Ökonomie im Blick haben. Die Verbesserung der Angebotsbedingungen für die Unternehmen ist ihre Therapieempfehlung. Ein Blick auf die wichtigsten Indikatoren für die Angebotsbedingungen (Kapitalrendite, Lohnstückkosten, Exporterfolge - siehe Kap. 2) zeigt allerdings, daß diese sich in den letzten Jahren enorm verbessert haben und in absoluter Größe für die Unternehmen sehr günstige Werte einnehmen. Ein kräftiger Wachstumsimpuls ist dennoch ausgeblieben.

Dagegen sprechen die empirischen Daten bei den wichtigsten Nachfragekomponenten für ein Nachfragedefizit als Wachstumsbremse. Durch eine ungünstige Einkommensverteilung, bei der die abhängig Beschäftigen und die Bezieher von Transferleistungen (und damit die unteren Einkommen) seit Jahren systematisch benachteiligt werden, entwickelt der Private Verbrauch nur eine geringe Wachstumsdynamik. In der Zeit von 1980 - 1990 stieg er im Jahresdurchschnitt (preisbereinigt) nur um 2,1%. Er blieb damit hinter der Zunahme der Produktivität und des BIP zurück. Bei einer gleichzeitig stagnierenden Staatsquote geht auch von der öffentlichen Hand kein Nachfrageimpuls aus.

Unter diesen Bedingungen können auch die privaten Investitionen nicht der Motor der Nachfrage sein. Bei einer ungenügenden Entwicklung der konsumtiven Endnachfrage gibt es keinen Grund für Erweiterungsinvestitionen, die unter diesen Umständen auch betriebswirtschaftlich falsch und nicht profitabel wären. So kann es nicht verwundern, daß die Investitionsquote mittlerweile mit ca. 10,5% (Westdeutschland) auf einem historischen Tiefpunkt angelangt ist. Der Wert von 11% wurde in der Geschichte der Bundesrepublik in der Zeit seit 1960 noch nie unterschritten. (21)

Der Außenbeitrag kommt zum Ausgleich der Nachfragelücke ebenfalls nicht in Betracht, dafür ist schon sein Volumen zu gering.

4. Die Wiedergewinnung der Vollbeschäftigung

Dieses Problem der Wachstumsschwäche (das auch alle anderen Länder Westeuropas betrifft) muß im eigenen Land angepackt werden. Die Bundesrepublik ist als leistungsfähigste Ökonomie innerhalb der EU dazu auch in der Lage, trotz wachsender Verflechtungen zwischen den Volkswirtschaften.

Nachstehend schlagen wir zunächst eine Reihe von Einzelmaßnahmen vor. Sie alle verfolgen erstens das Ziel, einen Beitrag zum Abbau der Massenarbeitslosigkeit zu leisten. Sie berücksichtigen auch, daß die öffentlichen Haushalte ihre Finanzierungsdefizite abbauen müssen. Sie beachten schließlich - drittens - daß die Erweiterung des Produktionsapparates für die dauerhafte Rückkehr zur Vollbeschäftigung notwendig ist, nachdem sich insbesondere in den achtziger Jahren das Arbeitskräftepotential und der Produktionsapparat durch ein mangelndes Investitionswachstum auseinander entwickelt haben. So lag die Kapazitätsauslastung im Verarbeitenden Gewerbe in den Jahren 1971 bis 1975 mit durchschnittlich 83,5% trotz der damals im Vergleich zu heute äußerst geringen Arbeitslosigkeit sogar niedriger als 1995, wo dieser Wert (fiir Westdeutschland) 84,7% betrug. (22) Das zeigt sehr deutlich, daß wir auch bei einer vollen Auslastung dieser vorhandenen Kapazitäten weit von einer Vollbeschäftigungssituation entfernt wären.

Nach Darstellung der Einzelmaßnahmen wird eine Gesamtstrategie zur Wiederherstellung der Vollbeschäftigung, zur Sanierung der öffentlichen Haushalte und zur Sicherung des Sozialversicherungssystems als integraler Bestandteil der sozialen Marktwirtschaft entworfen. Die Vorschläge stützen sich in ihren quantitativen Aussagen auf die vom LAB angestellten Simulationsrechnungen. (23) Sie implizieren damit die im zugrunde liegenden IAB /Westphal-Modell gemachten Prämissen. Dies geschieht nicht in unkritischer Akzeptanz dieses Modells. Vielmehr gehört es heute zum selbstverständlichen und verfügbaren gesellschaftlichen Know-how, die quantitativen Dimensionen einer solchen Politik auszuweisen.

4.1 Bausteine zu einer Strategie der Vollbeschäftigung

Vollbeschäftigung läßt sich - wie die Simulationsrechnungen des IAB zeigen, schrittweise über einen Zeitraum von rund 10 Jahren durch Bündel von Maßnahmen erreichen, insbesondere wenn sie eingebettet werden in entsprechende Maßnahmen der wichtigsten Handelspartner der deutschen Wirtschaft. Zu den wesentlichen Bestandteilen einer solchen Gesamtstrategie gehören:

  • die Erhöhung der öffentlichen Investitionsnachfrage
  • substantielle Maßnahmen zur Arbeitszeitverkürzung, zumindest in einer ersten Phase ohne Lohnausgleich
  • eine aktive Qualifizierungspolitik
  • Lohnpolitik

Strukturell sind in ein solches Maßnahmenbündel einzupassen:

  • eine Forschungs- und Entwicklungspolitik zur Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit
  • eine aktive Existenzgründerpolitik
  • Maßnahmen zur beschäftigungswirksamen Neuordnung des Handwerks, um z.B. im Bereich des Städtebaus und der Wohnungsversorgung, (Klein-) Unternehmensdienstleistungen aus einer Hand zu ermöglichen
  • eine auf die nachhaltige Entwicklung ausgerichtete Gestaltung des Steuersystems.

Die Ausweitung des Produktionsapparates zur Erreichung eines gleichgewichtigen Wachstunis bei Vollbeschäftigung macht es bei den gegebenen Modellannahmen notwendig, daß für eine begrenzte Übergangszeit die Gewerkschaften der Beschäftigungssteigerung Priorität vor Lohnerhöhung geben. Nach Erreichen eines deutlich höheren Beschäftigungsstandes als gegenwärtig ist eine aggressivere Lohnpolitik zur Sicherung einer ausreichenden gesamtwirtschaftlichen (Konsum-)Nachfrage notwendig.

4.2 Aktive Beschäftigungspolitik

Um die effektive Nachfrage zu erhöhen und damit die Beschäftigungslücke zu schließen, ist die Ausweitung der öffentlichen Investitionsnachfrage nötig. Der Staat kann über zusätzliche Ausgaben brachliegendes Kapital aktivieren und damit dafür sorgen, daß brachliegende Arbeitskraft produktiv beschäftigt wird. Der Markt kann dies nicht, weil eine solche Handlung bei zunächst fehlender Nachfrage gegen die einzelwirtschaftliche Rationalität der Unternehmen verstößt.

Wir schlagen für alle drei Ebenen öffentlichen Handelns insgesamt eine Erhöhung des Investitionsvolumens um DM 30 Mrd. p.a. vor. Nach den Berechnungen des IAB ist bis 2005 dadurch ein Zuwachs des Besehäftigungsvolumens von rund 500.000 Arbeitsplätzen zu erwarten.

Nur soweit es sich um ein konjunkturelles Programm handelt, darf die Finanzierung über eine wachsende Neuverschuldung erfolgen. Konjunkturell bedeutet _für eine Auslastung der bestehenden Kapazitäten zu sorgen. Die dann immer noch bestehende Beschäftigungslücke, die nur durch neue Anlagen zu schließen ist, stellt den (weitaus größeren) strukturellen Teil des Problems dar. Um eine Ausuferung der Verschuldung (und damit der durch die öffentlichen Haushalte zu tragenden Zinslasten) zu verhindern, muß dieser Teil durch Steuern finanziert werden. Um die Erfolge nicht durch sinkende Nachfrage wegen sinkender Einkommen zu konterkarieren, dürfen diese Steuern nicht bei Beziehern niedrigerer Einkommen wirksam werden. Stattdessen müssen höhere Einkommen und nicht investierte Unternehmensgewinne besteuert werden. Dies verschlechtert zunächst einmal die Standortbedingungen. Da diese Bedingungen, wie oben bereits ausgeführt, aber derart gut sind, ist es durchaus zu vertreten. Im Übrigen ist die Steuerbelastung der bundesdeutschen Unternehmen im internationalen Vergleich keineswegs ungewöhnlich hoch. (24) Die mittelfristigen Wirkungen sind dabei durchaus offen: durch ein Nachlassen des Aufwertungsdruckes auf die DM könnte so eine Maßnahme letztendlich sogar standortneutral sein.

Das Beschäftigungsprogramm muß mittel- bis langfristig angelegt sein und gleichzeitig struktur- und branchenpolitische Dimensionen enthalten. Neue, zukunftsträchtige Branchen werden gefördert, der Niedergang alter damit abgefedert. Als konkretes Beispiel aus der Vergangenheit kommt das Zukunftsinvestitionsprogramm von 1977 dem geforderten Beschäftigungsprogramm am nächsten. (25)

Die Ausgaben des Beschäftigungsprogramms werden genutzt für:

  • den ökologischen Umbau der Wirtschaft
  • die Renovierung des Wohnungsbestandes
  • die Verbesserung der Infrastruktur, insbesondere die Verkehrsinfrastruktur und die Wasserver- und entsorgungssysteme
  • Innovations- und Forschungsförderung
  • Qualifikationsmaßnahmen

Um neue Investitionsfelder zu erschließen, um - zweitens - sofort wirksam werden zu können und um Mitnahmeeffekte von vornherein auszuschließen, werden mit den Geldern des Beschäftigungsprogramms vor allem direkte staatliche Ausgaben finanziert.

Zur Realisierung einer solchen Ausgabenstrategie ist die föderale Finanzverfassung zugunsten der Länder und insbesondere zugunsten der Gemeinden umzugestalten. Die Dimensionierung eines solchen Programms kann aus mehreren Gründen großzügig bemessen werden:

Die öffentlichen Investitionsausgaben finanzieren sich mittelfristig selbst. Das damit induzierte Wirtschaftswachstum und die dadurch geschaffenen Arbeitsplätze sorgen für ein steigendes Steueraufkommen und eine Entlastung des Sozialversicherungssystems. Nach den Berechnungen des IAB wäre mit der Durchführung eines solchen Investitionsprogramms sogar bis 2005 ein Einnahmezuwachs des Gesamtstaates (einschl. Sozialversicherung) von über 10 Mrd. DM zu erwarten. Insbesondere die Sozialversicherung profitiert von erheblichen Entlastungseffekten.

4.3 Arbeitszeitverkürzung

Um Vollbeschäftigung zu erreichen, ist neben einem Beschäftigungsprogramm die weitere Verkürzung der Arbeitszeit unabdingbare Voraussetzung. Dabei hat vor allem die Verkürzung der Wochenarbeitszeit in den letzten 15 Jahren meßbare Erfolge bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit gebracht.

"Aufgrund der objektiven meßtechnischen Schwierigkeiten, unterschiedlicher Methodiken, verschiedener Interessenlagen der die Untersuchung Durchführenden und abweichender Untersuchungsgegenstände (Wirtschaftsbereiche, Berufsgruppen, Zeiträume) reichen die Ergebnisse von 35 v.H. bis 80 v.H. des maximalen, rein rechnerischen Beschäftigungseffektes. Positive Beschäftigungseffekte lassen sich also in jeder Untersuchung konstatieren." (26)

Die Bedeutung, die die verschiedenen Formen der Arbeitszeitverkürzung (vor allem tarifliche Wochenarbeitszeit, Ausweitung von Teilzeitbeschäftigungen und Verkürzung der Lebensarbeitszeit durch Vorruhestandsregelungen) für den Arbeitsmarkt auch schon in der Vergangenheit hatten, zeigt schon ein Blick auf die Zahl der Erwerbstätigen und die geleisteten Arbeitsstunden. Trotz hoher Arbeitslosigkeit waren in Westdeutschland 1995 28,482 Mio Menschen erwerbstätig, mehr als in jedem anderen Jahr vor 1990 in der Geschichte der Bundesrepublik. Diese Menschen leisteten allerdings ein Arbeitsvolumen von 44,324 Mio. Arbeitsstunden. Weniger, als jemals im Zeitraum seit 1950 gemessen wurde. (27)

Die Arbeitszeitverkürzung bedeutet nicht die Reduzierung der Betriebszeit der Unternehmen. So gesehen macht sie zugleich eine höhere zeitliche Flexibilität des individuellen Arbeitseinsatzes notwendig.

Die weitere Verkürzung der Arbeitszeit ist um so notwendiger, als die zur Beseitigung der strukture1len Arbeitslosigkeit notwendige Ausweitung des Produktionsapparates nur vergleichsweise langsam vonstatten gehen kann. Insofern ist die Verringerung des dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehenden Arbeitsvolumens ein schnell wirkendes Mittel zum Abbau der Arbeitslosigkeit.

Sie ist aber nur voll wirksam, wenn sie nicht durch Maßnahmen konterkariert wird, die das Arbeitsvolumen steigern, wie z.B. eine Verkürzung von Schulzeit oder einer Erhöhung des Rentenalters.

Um Probleme der mangelnden qualitativen Übereinstimmung von Arbeitskräfteangebot und -nachfrage zu mindern ist die Qualifizierungspolitik zu verstärken.

Die schrittweise Rücknahme der Arbeitszeit um 5,7 % oder etwa 2 Wochenarbeitsstunden bis zum Jahr 2005 führt - ohne Lohnausgleich - nach den Schätzungen des IAB im gleichen Zeitraum zu einer zusätzlichen Beschäftigung von mehr als 700 000 Erwerbstätigen und zu einer Absenkung der Arbeitslosenzahl von zwischen 400 000 und 500 000 Personen.

Die Finanzierungssalden der öffentlichen Hand verbessern sich durch die Arbeitszeitverkürzung ansteigend um bis zu 40 Mrd. DM p.a., mit einer Entlastung der Sozialversicherungen bis zu rund 10 Mrd. DM p.a. Das Bruttoinlandsprodukt wächst als Folge der Arbeitszeitverkürzung geringfügig langsamer.

Mit vollem Lohnausgleich fallen die Beschäftigungseffekte mit mehr als 400 000 Beschäftigten und einem Abbau der Arbeitslosigkeit zwischen 260 000 und 360 000 Personen geringer aus. Die Sanierung der öffentlichen Haushalte erfolgt dagegen in derselben Größenordnung wie im Fall der Arbeitszeitverkürzung ohne Lohnausgleich.

Die schnellste arbeitsmarktpolitische Wirkung hat die Erhöhung der Teilzeitarbeit: Unterstellt man eine Erhöhung des Anteils der Teilzeitbeschäftigten von 19% (1997) um rd. 5 Prozentpunkte, so ist mit einer Erhöhung der Beschäftigtenzahl um rd. 550 000 Personen innerhalb von drei Jahren zu rechnen (Abbau der Arbeitslosenzahl um rd. 350 000). Diese Effekte bilden sich aber längerfristig um etwa 40 % zurück, so daß 2005 noch eine zusätzliche Beschäftigung von 300 000 Personen zu erwarten wäre.

Zu Erreichen und aus gleichstellungspolitischen Gründen zu vertreten ist dieses Ziel aber nur, wenn Teilzeitarbeit nicht mehr länger eine ausschließliche Angelegenheit von Frauen bleibt.

Die finanziellen Entlastungseffekte für die öffentliche Hand sind nur etwa halb so groß wie bei der Arbeitszeitverkürzung um zwei Wochenstunden.

Während im ersten Fall die Tarifvertragsparteien gefordert sind, beruht die Erhöhung der Teilzeitquote im wesentlichen auf individuellen Entscheidungen der ArbeitnehmerInnen. Aufgabe der Bundes- und der Länderregierungen sowie der Sozialpartner ist allerdings die nachhaltige Propagierung dieser Zielsetzung, verbunden mit dem Abbau institutioneller Hemmnisse. Die Produktions- und Dienstleistungsstrukturen müssen so gestaltet werden, daß Teilzeitarbeit möglich wird und die volle soziale Absicherung der Teilzeitbeschäftigten muß gewährleistet sein.

Weitere 200 000 Arbeitsplätze ließen sich nach den Berechnungen des IAB bis 2005 durch die Verringerung der Überstunden um 40% schaffen. Auch diese Maßnahme würde die Einnahmen des Gesamtstaates in diesem Zeitraum noch einmal kräftig erhöhen (plus 13 Mrd. DM).

Neben der üblicherweise als Überstunden definierten Arbeitszeit sollte auch die Normalarbeitszeit für hochqualifizierte Berufe, die oft weit über den in Tarifverträge festgelegten Arbeitszeiten von 35-40 Std. in der Woche liegen, auf dieses Maß reduziert werden.

Mit der Kombination aller drei Strategien zur Arbeitszeitverkürzung (Wochenarbeitszeit, Erhöhung der Teilzeitquote und Überstundenabbau) könnten immerhin bis 2005 1,3 Mio. Arbeitsplätze geschaffen werden, Für die öffentlichen Haushalte und die Sozialversicherung würden damit enorme Einkommenszuwächse von etwa 70 Mrd. DM entstehen.

Die ausgesprochen positiven Effekte, die sich aus den Berechnungen des IAB durch die Arbeitszeitverkürzung ergeben, decken sich mit den empirischen Befunden aus den Niederlanden. Diesem Land wird in jüngster Zeit in den Medien ein Beschäftigungswunder" unterstellt. Die Erfolge bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, die dort erreicht wurden, sind fast ausschließlich auf die Arbeitszeitverkürzung zurückzuführen. Dabei besteht das dortige Politikszenario aus zwei Komponenten: gefördert wird massiv die Ausweitung von Teilzeitarbeit und von Frühverrentungen. (28)

4.4 Qualifizierungspolitik

Eine aktive Beschäftigungspolitik, die über verbesserte Finanzierungsmöglichkeiten der öffentlichen Hand die Vollbeschäftigung flankiert, wird als Politik zur Qualifizierung der Arbeitnehmer zu konzipieren sein. Sie ist an den Gegebenheiten der EU zu orientieren und aus dem Steueraufkommen und nicht über Beiträge der Arbeitnehmer (Lohnnebenkosten) zu finanzieren.

Effizient wird die Qualifizierung der Erwerbstätigen dann, wenn parallel dazu die Berufsbildung der Jugendlichen modernisiert und mit der Weiterbildung zu einem Ganzen verbunden wird. Qualifizierung der Erwerbspersonen wird so zur Investition in den Kapitalstock, durch die Humankapital gesichert und nachhaltig gefördert wird; denn die Umschulung und Weiterbildung von Arbeitslosen allein reicht dafür längst nicht aus. Sie erreicht nur einen begrenzten Kreis von ArbeitnehmerInnen und setzt erst dann ein, wenn die bestehenden

Qualifikationen durch die Arbeitslosigkeit massiv bedroht sind. Derartige Maßnahmen bleiben aber weiterhin wichtig und müssen in ihrer Effektivität deutlich verbessert werden.

Je besser Erstausbildung und nachfolgende Erwachsenenqualifizierung integriert sind, desto eher werden modulares Vorgehen und multimediale Formen der Erwachsenenqualifizierung auch in Deutschland zur Norm. Qualitätsstandards, die mit den ISQ-Normen 9000ff. Einzug halten und morgen die Marktchancen der Anbieter von Produkten und Service bestimmen, werden um so reibungsloser einzuführen sein, je besser unser System der Berufsbildung mit seinen Komponenten in globale Gegebenheiten eingepaßt wird.

Die zeitweise Herausnahme der Erwerbstätigen aus dem Arbeitsprozeß wird über die integrativen Ansätze reduzierbar. Die verbleibende zeitweise Minderung des Arbeitskräfteangebots, die mit höheren Transferleistungen der öffentlichen Hand einhergeht, hat zwei Seiten. Die Beschäftigungseffekte und Wachstumsimpulse sind ggf. höher zu veranschlagen als eine isoliert durchgesetzte Arbeitszeitverkürzung um eine Wochenstunde. U.a. erwachsen allein aus dem erhöhten Einsatz an Finanzmitteln Beschäftigungwirkungen dadurch, daß mehr Lehrpersonal für die Teilnehmer an Qualifizierungsmaßnahmen nötig sein wird.

4.5 Lohnpolitik

Ein für die Vollbeschäftigung notwendiges beschleunigtes Wachstum der Anlage- und Bauinvestitionen wirft die Frage nach ihren Bestimmungsgründen auf. Diese liegen in den Wachstumserwartungen der Unternehmen und der Profitabilität der Investitionen. Dies zeigt sich deutlich in der konjunkturellen Bewegung der Investitionstätigkeit. In jeder Aufschwungsphase kommt es kurzzeitig zu einer starken Zunahme der Investitionstätigkeit. Im Vereinigungsboom 1989/9 1 stieg die Investitionsquote um über zwei Prozentpunkte auf fast 14% (Westdeutschland) an. (29)

Notwendig ist eine Stärkung der stabilen Nachfragekomponenten, des privaten Konsums und einer kontinuierlichen Versorgung mit öffentlichen Gütern und Dienstleistungen. Vor allem der private Konsum hatte sich aufgrund einer sinkenden Lohnquote in den letzten Jahren in Westdeutschland wesentlich schlechter entwickelt als das Sozialprodukt oder die Produktivität. Nur durch die Transferleistungen in die neuen Bundesländer konnte der private Verbrauch in Deutschland etwas gesteigert werden. Dauerhaft muß der private Verbrauch aber für die gesamte Bundesrepublik über Lohnzahlungen gestützt werden.

Abb. 9: Einkommensverteilung in Westdeutschland

Auch an der Bruttolohnquote läßt sich diese Entwicklung ablesen: Lag sie 1981 noch bei 76,8%, so fiel sie 1985 auf 73,0% und 1990 auf 69,6%. (30)

Ein dauerhafter Lohnverzicht schwächt die stabilste der Nachfragekomponenten, den privaten Massenkonsum. Wenn seine wettbewerbsfördernden Wirkungen zudem noch durch kontinuierliche Aufwertungen zunichte gemacht werden - wie in der Vergangenheit geschehen -ist er kein Weg, den die Gewerkschaften gehen können und der langfristig Beschäftigung sichert.

Vielmehr ist es notwendig, in einer konzertierten Aktion eine auf stabiles Wachstum ausgelegte Politik mit den Komponenten Zins-, Währungs-, Investitions- und Lohnpolitik zwischen öffentlicher Hand und Tarifpartnern zu vereinbaren. In einem solchen Rahmen ist eine befristete, maßvolle Lohnpolitik, die zunächst durch eine aktive, nachfragestabilisierende Finanzpolitik begleitet wird, erträglich.

4.6 Langfristige Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit und eines tragfähigen Wachstums

Eine Volkswirtschaft, die ein Drittel ihrer Produkte und Dienstleistungen international aus-tauscht, ist auf ihre globale Wettbewerbsfähigkeit angewiesen.

Eine Volkswirtschaft, die einen wesentlichen Anteil an der europäischen Wirtschaft hat, muß darüber hinaus auch einen maßgeblichen Beitrag zur Nachhaltigkeit wirtschaftlichen Wachstums leisten.

Auf diese Ziele sind fünf Elemente einer Strategie zur Wiedergewinnung der Vollbeschäftigung auszurichten:

  • die öffentliche Investitionspolitik
  • die Innovationspolitik als Teil der Ausgabepolitik
  • die Maßnahmen zur Deregulierung einzelner Märkte
  • die Förderung der (internationalen) Kooperationsfähigkeit kleinerer und mittlerer Unternehmen
  • die Gestaltung des Steuersystems.

Mit der Benennung und Quantifizierung der öffentlichen Investitionspolitik als Maßnahme zur Wiedergewinnung der Vollbeschäftigung ist über die konkrete Ausgestaltung dieser Investitionen noch keine hinreichende Aussage getroffen.

Die öffentliche Infrastruktur ist in der Ausgestaltung der Verkehrsnetze und der städtischen Ver- und Entsorgung in der Lage, erhebliche Beiträge sowohl zur Wettbewerbsfähigkeit als zum Umweltschutz zu leisten. Der Investitionsbedarf für die städtischen Ver- und Entsorgungsnetze ist außerordentlich hoch. Sie bedürfen gerade in den älteren Kernstädten dringend der Sanierung.

Die Gestaltung der nationalen und europäischen Verkehrsnetze ist konsequent unter dem Gesichtspunkt der Vermeidung von Güterströmen durch den Ausbau moderner Kommunikationstechnologie zu unterstützen.

Öffentliche Forschung und Entwicklung sind auf die konsequente Nutzung regenerierbarer Energieträger und die Stützung umweltfreundlicher Produktions- und Transporttechniken auszurichten.

Eine weitsichtige Qualifizierungspolitik dient der Wettbewerbsfähigkeit des Standortes. Der Veralterung des Produktionwissens ist durch eine Requalifizierungspolitik, die sich an den o.g. Zielen orientiert, Rechnung zu tragen. Das betrifft sowohl die Fachqualifikationen als auch die sozialen Kompetenzen der Beschäftigten. Die europäische Integration macht darüber hinaus den Erwerb zusätzlicher Sprachen dringend erforderlich. Ein wichtiger Standortvorteil der kleineren EU-Partner besteht aus der höheren Fremdsprachenkompetenz unserer Nachbarn.

Im Bereich der Kernstadtsanierung sind die Gestaltung und die Sanierung von älteren Wohnvierteln und der öffentlichen Einrichtungen inzwischen nicht nur in den neuen Bundesländern dringlich zur Erhaltung ihrer Lebensqualität.

Nicht zuletzt in diesen komplexen Sanierungsbereichen ist die Nachfrageentwicklung durch Programme zur erhöhten Kooperationsfähigkeit kleiner und mittlerer Unternehmen (KMU) zu stützen. Dasselbe gilt für die KMUs der Informations- und Kommunikationstechnologie und des Transportsektors.

Eine einseitige Beherrschung der globalen Wirtschaftsverflechtung durch transnationale Konzerne stützt die Wettbewerbsfähigkeit des Standortes nicht. Innovations- und beschäftigungspolitisch sind die KMUs von erheblich größerer Bedeutung als die Großorganisationen, Technologietransferpolitilc, Qualifizierungs- und Deregulierungspolitik sind zu Gunsten der KMUs auszugestalten.

Schließlich ist das Steuersystem auf die Anreize zu nachhaltiger Entwicklung hin auszugestalten: Abfallvermeidung, Recycling von Rohstoffen, Nutzung regenerierbarer Energie und die Vermeidung von Transportwegen sind steuerlich zu stützen, die gegenteiligen Prozesse steuerlich zu belasten.

5. Fazit: Die Wiedergewinnung der Vollbeschäftigung ist möglich!

Die Vollbeschäftigung ist wegen des Umfangs der Arbeitslosigkeit nicht mehr durch den isolierten Einsatz einer Instrumentengruppe, z.B. der Arbeitszeitverkürzung oder der staatlichen Nachfragepolitik, wie sie oben dargestellt worden sind, zu gewinnen. Aber sie ist durch die Bündelung mehrerer Maßnahmen, wie sie im vorigen Kapitel beschrieben und anhand der Ergebnisse der Simulationsrechnungen des IAB in ihren Beschäftigungseffekten quanti-fiziert wurden, nach wie vor erreichbar.

Die dauerhafte Erhöhung der staatlichen Investitionstätigkeit hat mittel- und langfristig posi-tive Wirkungen für den Staatshaushalt, insbesondere für die Sozialversicherungen. Der Ab-bau der Arbeitslosigkeit ist nennenswert, aber bescheiden.

Zum Abbau der Arbeitslosigkeit bedarf es vor allem einer Verringerung des Arbeitskraftan-gebots durch Verkürzung der Arbeitszeit und Ausweitung der Teilzeitarbeit. Etwa ein Viertel der Arbeitslosigkeit kann mit diesen beiden Instrumenten abgebaut werden. Zugleich werden mittel- und langfristig die öffentlichen Haushalte massiv entlastet. Damit allein schon obliegt der öffentlichen Hand die Aufgabe, gemeinsam mit den Tarifpartnern die Arbeitslosigkeit aktiv zu bekämpfen. õ 1 des Gesetzes zur Förderung des Wachstums und der Stabilität der Wirtschaft verpflichtet sie ohnehin dazu.

Eine zurückhaltende Lohnpolitik als Beitrag zur Wiedergewinnung der Vollbeschäftigung unterstellt, daß die Unternehmen in erheblichem Maße Arbeit gegen Kapital austauschen können. Eine solche Politik erfordert nach den Erfahrungen der Vergangenheit, daß eine breite Abstimmung von Außenwirtschafts- und Geldpolitik über das Maß hinaus, das Ar-beitszeitverkürzung und öffentliche Finanzpolitik notwendig machen, erfolgt. Eine sozialdemokratische Regierung, die das Ziel der Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit und ihre Tradition ernst nimmt, hat diese breite Politik(feld-)koordination zu leisten.

Alle hier vorgeschlagenen Maßnahmen sind zunächst als nationale Alleingänge konzipiert. Die vom IAB errechneten Beschäftigungswirkungen beziehen sich auf isoliert, ausschließlich in Deutschland durchgeführten Maßnahmen. Das mag zunächst erstaunen, da die zunehmen-den Wirtschaftsverflechtungen in der EU die Vorstellung nähren, eine rein nationale Wirt-schaftspolitik sei von vornherein wirkungslos. Doch das Gewicht der Bundesrepublik als stärkste Wirtschaftsmacht in der EU, die im zweiten Kapitel dargestellte überragende Wett-bewerbsfähigkeit des deutschen Standortes und nicht zuletzt auch der Außenbeitrag in der Größe von einem Drittel des Sozialproduktes, was im Umkehrschluß natürlich heißt, daß zwei Drittel des Volkseinkommens ausschließlich binnenwirtschaftlich erstellt wird (was einen ausreichend großen Ausgabenmultiplikator bedeutet) lassen die Berechnungen des IAB plausibel erscheinen.

Die verstärkte internationale Verflechtung der deutschen Wirtschaft macht eine internationale, insbesondere europäische Koordination nationaler Finanz- und Wachstumspolitiken zur Be-kämpfung der Massenarbeitslosigkeit in Deutschland und Europa dennoch zweckmäßig. Sie ist keine Bedingung für den Erfolg der Maßnahmen, steigert ihre Wirksamkeit aber beträchtlich. Nach den jüngsten Wahlerfolgen von Sozialdemokratischen Parteien in Großbritannien und Frankreich dürften sich die Bedingungen für eine koordinierte keynseanische Politik in Europa deutlich verbessert haben.

Eine solche erfolgreiche Koordination von Maßnahmen zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit (öffentliches Investitionsprogramm, Arbeitszeitverkürzung, Lohnpolitik und Qualifizierungen) ist nach den Berechnungen des IAB in der Lage, mittelfristig (bis 2005) die Arbeitslosigkeit in Deutschland um etwa zwei Drittel zu senken und die Erwerbstätigenzahl in Deutschland um über 4 Mio. Personen zu erhöhen.

Die Erfolge der oben beschriebenen Politik gelten auch dann, wenn man - wie in den entsprechenden makroökonometrischen Simulationen des IAB - erhebliche internationale Konkurrenz und die Möglichkeit der Unternehmen, dem Lohnkostendruck durch verstärkten Kapitaleinsatz auszuweichen (neoklassische Produktionsfunktion), annimmt.

Zu ähnlichen Ergebnissen kommen auch die Autoren des "Berliner Memorandums". Mit einem vergleichbaren Politikbündel (Arbeitszeitverkürzung, Lohnpolitik, öffentliche Investitionen und Qualifizierung) wird die Halbierung der Arbeitslosigkeit bis zum Jahr 2000 simuliert. Der wichtigste Unterschied besteht in der stärkeren Bedeutung der Massenkaufkraft durch die Löhne, da im entsprechenden makroökonometrischen Simulationsmodell (LAPROSIM) die Rolle der Löhne anders modelliert wurde. (31)

Eine solche Politik, die zu einem Wachstum der Beschäftigung führt, stärkt letztendlich auch die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen und der europäischen Wirtschaft. Es gibt keine politische Entschuldigung für die Existenz der Massenarbeitslosigkeit in einem der reichsten Länder der Erde. Diejenigen, die sich an dieser Frage vorbeizudrücken versuchen, verfolgen in Wirklichkeit andere gesellschaftliche Partikularinteressen oder leisten Beihilfe dazu.


  1. Die Arbeitslosenquoten sind angegeben in Prozent der abhängigen zivilen Erwerbspersonen. Die Quelle für alle Angaben über Arbeitslosenquoten und Arbeitslosenzahlen ist: Amtliche Nachrichten der Bundesanstalt für Arbeit (ANBA) in diversen Ausgaben. zurück
  2. vgl. hierzu: Hickel/Priewe: Ineffiziente Instrumente oder unzureichende Anwendung? Die Finanzpolitik von 1974 - 1984 auf dem Prüfstand, Bremen 1985. zurück
  3. Angaben nach: Deutsche Bundesbank, Monatsbericht März 1997, S. 18. zurück
  4. Jan Priewe: Die Suche nach den Ursachen der Krise, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, 4/96, 5. 431. zurück
  5. vgl. hierzu: DIW-Wochenbericht 1-2/97, S. 18. zurück
  6. Zahlen für 1995, bei der BRD nur Westdeutschland. Quelle: DlW Vierteljahresheft 2, 1995,S. 236. zurück
  7. vgl. IFO Schnelldienst 20/96, S. 6ff. zurück
  8. Bezogen auf die Unternehmen des Produzierenden Gewerbes, des Handels und des Verkehrs in Westdeutschland. Quelle: Deutsche Bundesbank, Monatsbericht November 1995, S. 38. zurück
  9. siehe hierzu: IFO Schnelldienst 20/96, S. 10. zurück
  10. ebenda, S. 11. zurück
  11. Quelle: Deutsche Bundesbank, Monatsbericht März 1997, S. 55. zurück
  12. Memorandum 97, S. 75. zurück
  13. Flassbeck: Deutschland - kein Standort für Investitionen? in: WSI Mitteilungen 11/1995, S. 703/704. zurück
  14. Quelle: Deutsche Bundesbank, Monatsbericht März 1997, 5. 55. zurück
  15. DlW Wochenbericht 1-2/97, 5. 21. zurück
  16. Dieser betrug im Jahre 1990 in Westdeutschland 18,8%, in den USA dagegen 36,2% und in Japan 33.6%. Quelle: D. Schumacher: Zur technologischen Wettbewerbsfähigkeit der westdeutschen Wirtschaft, in: DlW Vierteljahreshefte 2/1995, Tabelle 2. zurück
  17. Alle Angaben zur Entwicklung des BIP nach: Institut der deutschen Wirtschaft Köln, Zahlen zur wirtschaftlichen Entwicklung der Bundesrepublik Deutschland 1996. zurück
  18. Alle Angaben zur Entwicklung der Produktivität: Institut der deutschen... zurück
  19. Quelle: Institut der deutschen ... zurück
  20. Quelle: ebenda. zurück
  21. vgl. zur Investitionsquote: DlW Wochenbericht 1-2/97, S. 18. zurück
  22. Quelle: Institut der deutschen Wirtschaft Köln, Zahlen zur wirtschaftlichen Entwicklung 1996. zurück
  23. IAB Werkstattbericht, Wege zu mehr Beschäftigung. Grundlage für die Arbeit des IAB war das Ziel, Politikszenarien zu entwickeln, mit denen das Ziel der Halbierung der Arbeitslosigkeit bis zum Jahr 2000 zu erreichen wären. Bedingung war, daß mit diesen Maßnahmen die Kriterien des Maastricht-Vertrages erfüllt werden müssen. Durchgeführt wurden die Berechnungen mit dem makroökonometrischen Modell SYSIFO. Ausgangsjahr ist 1997, durchgeführt wurden die Simulationen bis 2005. zurück
  24. vgl. IFO Schnelldienst 20/96, 5. 10 ff. zurück
  25. Das Zukunftsinvestitionsprogramm (ZIP) wurde im März 1977 aufgelegt mit einer Laufzeit von drei Jahren und einem Volumen von 20 Mrd. DM. Die Schwerpunkte lagen in den Bereichen Verkehr, Energie, Wasserwirtschaft, Wohnumfeldverbesserung und Berufsausbildung. Es sollen damit 300.000 Arbeitsplätze geschaffen worden sein. Vgl. dazu: Eichner/Richter: Bedrohung für Millionen, Bonn 1989, 5. 21 ff. zurück
  26. Memorandum 96, 5. 144. zurück
  27. Quelle: Berechnungen des IAB nach Angaben des Statistischen Bundesamtes. zurück
  28. vgl. hierzu: DlW Wochenbericht 16/97, S. 259 ff. zurück
  29. siehe hierzu: DlW Wochenbericht 1-2/97, 5. 18. zurück
  30. Angaben nach: bmb+f, Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft, Technologien, Grund- und Strukturdaten 1996/97, S. 413. zurück
  31. vgl. hierzu: Frankfurter Rundschau vom 02.05.1997, S. 22. zurück

Zuletzt geändert am 02.11.1999

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