Chemie-Tarifabschluss: Lebensarbeitszeit und Ausbildung - plus
kräftige Entgelterhöhung in zwei Stufen
!
Nach zweitägigen Verhandlungen haben IG BCE und Chemie-Arbeitgeber
am Mittwoch (16. April) den Tarifabschluss 2008 für die 550.000
Beschäftigten der Branche unter Dach und Fach gebracht. Die
Schwerpunkte:
o 2008 werden die Entgelte um 4,4 Prozent erhöht. Zudem gibt es eine
Einmalzahlung von 0,5 Prozent.
o 2009 steigen die Entgelte um weitere 3,3 Prozent.
o Das Vertragswerk „Lebensarbeitszeit und Demografie“ eröffnet neue
Spielräume für den flexiblen Übergang in die Rente. Ein Kernpunkt
ist eine Regelung zur Altersteilzeit. Zugleich verbreitert der
Vertrag die Möglichkeiten, Arbeit alterns- und altersgerecht zu
organisieren. Zur Finanzierung werden 2009 betriebliche Fonds
eingerichtet, die von den Arbeitgebern jährlich mit einem
„Demografiebeitrag“ von zunächst 300 Euro pro Beschäftigten gespeist
werden. Dieser Betrag ist dynamisiert, die künftigen Erhöhungen
werden entsprechend den Entgelterhöhungen vorgenommen.
o Der Tarifvertrag „Zukunft durch Ausbildung“ wird verlängert. Damit
ist das hohe Ausbildungsplatzniveau in der chemischen Industrie
mindestens bis 2012 garantiert.
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IG-BCE-Tarifexperte Werner Bischoff
Foto: Cintula |
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Werner Bischoff,
Verhandlungsführer der IG BCE: „Das Gesamtpaket stimmt, die
einzelnen Elemente passen gut zueinander. Die kräftige Anhebung der
Einkommen entspricht der Lage, wir haben unser Ziel – ein höherer
Abschluss als 2007 – erreicht. Wir lassen die jungen Leute nicht im
Regen stehen, die Erfolgsstory des Tarifvertrags „Zukunft durch
Ausbildung“ wird fortgeschrieben. Und nicht zuletzt ist es gelungen,
den Weg frei zu machen für einen flexiblen Übergang in den
Ruhestand. Zugleich haben wir damit eine Beschäftigungsbrücke
zwischen Jüngeren und Älteren geschlagen. Das ist ein Novum in der
tarifpolitischen Landschaft. Die IG BCE ist trotz schwieriger
Rahmenbedingungen voll handlungs- und gestaltungsfähig. Mit dem
Chemie-Abschluss 2008 haben wir einen Meilenstein gesetzt.“
Das Ergebnis im Einzelnen:
Einkommen
Die Entgelte werden 2008 für 13 Monate um 4,4 Prozent angehoben,
außerdem erhalten die Beschäftigten eine Einmalzahlung von 0,5
Prozent.
Im Jahr 2009 werden die Entgelte um weitere 3,3 Prozent für 12
Monate erhöht.
Die Vertragslaufzeit beginnt regional unterschiedlich: In den
Tarifbezirken Rheinland-Pfalz, Nordrhein und Hessen rückwirkend zum
1. März; in Westfalen, Bayern, Baden-Württemberg,
Niedersachsen/Bremen, Schleswig-Holstein/Hamburg und Berlin (West)
rückwirkend zum 1. April sowie das Saarland zum 1. Mai.
Im Tarifbezirk Chemie-Ost werden die Lahnsteiner Vereinbarungen ohne
Abstriche übernommen. Die Entgelterhöhung 2008 tritt zum 1. Mai in
Kraft, 2009 zum 1. Juni. Zusätzlich sind weitere Erhöhungen
verabredet: Während der Laufzeit erfolgt die Anpassung der
Tarifentgelte an das Niveau von Berlin (West).
Tarifvertrag „Zukunft
durch Ausbildung“
IG BCE und Chemie-Arbeitgeber setzen ihre gemeinsamen Anstrengungen
in der Ausbildungsfrage fort und haben den Tarifvertrag „Zukunft
durch Ausbildung“ für die Jahre 2009 und 2010 konkretisiert. In
diesem Zeitraum werden für das erste Ausbildungsjahr insgesamt
18.200 Ausbildungsplätze angeboten. Die Ausbildungsplatzzahlen nach
2010 werden im Rahmen künftiger Tarifverhandlungen festgelegt.
2003 hatten IG BCE und Chemie-Arbeitgeber verbindlich vereinbart,
das Ausbildungsplatzangebot bis 2007 stufenweise um 7 Prozent zu
erhöhen. Dieses Abkommen wurde unterdessen mehrfach erweitert.
Ergebnis: Die vereinbarten Zielzahlen wurden nicht nur eingehalten,
sondern deutlich übertroffen. Das Ausbildungsniveau liegt heute um
9,4 Prozent höher als 2003.
Die Chemie-Tarifparteien werden ihrer gesellschaftlichen und
industriepolitischen Verantwortung gerecht. Sie wirken mit ihren
Möglichkeiten dem Ausbildungsplatzmangel entgegen und sorgen für ein
hohes Qualifikationsniveau.
Tarifvertrag
„Lebensarbeitszeit und Demografie“
IG BCE und Chemie-Arbeitgeber stimmen darin überein, dass der
Übergang vom Berufsleben in den Ruhestand flexibel gestaltet werden
muss. Der dazu geschlossene Tarifvertrag „Lebensarbeitszeit und
Demografie“ umfasst Regelungen zur alterns- und altersgerechten
Arbeitsorganisation, Qualifizierung, Gesundheitsförderung,
Altersteilzeit, Langzeitkonten, Chemie-Altersvorsorge, Teilrente und
Berufsunfähigkeit.
Auf betrieblicher Ebene werden Demografiefonds eingerichtet. Über
die Verwendung der Mittel entscheiden Betriebsräte und
Geschäftsführungen.
Entscheidungsgrundlage ist eine Altersstruktur- und
Qualifikationsanalyse, die von den Betriebsparteien im Jahr 2009
erstellt wird. Ab 2010 werden dann die betriebsspezifischen Modelle
für einen flexiblen Übergang in den Ruhestand umgesetzt. Möglich ist
auch eine Kombination der vom Tarifvertrag vorgesehenen Instrumente:
1. Der bestehende Tarifvertrag zur Altersteilzeit endet 2009. Neu
geregelt ist jetzt, dass die Altersteilzeit auch danach auf dem
bisherigen materiellen Niveau fortgeführt werden kann. Sie kann dann
vom 59. bis 65. Lebensjahr in Anspruch genommen werden.
Die IG BCE geht nach entsprechenden Signalen aus der Politik davon
aus, dass die gesetzliche Förderung der Altersteilzeit in
modifizierter Form auch über 2009 hinaus fortgesetzt wird.
Die Förderung soll aller Voraussicht nach an verbindliche
Bedingungen geknüpft werden. Dabei spielt die Schaffung von
Ausbildungsplätzen eine besondere Rolle. Die IG BCE begrüßt diese
Pläne. Altersteilzeit ist kein Programm zum Abbau von
Arbeitsplätzen, sondern ein Instrument zum flexiblen Übergang in den
Ruhestand und zugleich ein wichtiger Baustein der
Beschäftigungsbrücke zwischen Jung und Alt.
2. Das bestehende Instrument Langzeitkonto wird attraktiver.
Schon 2003 haben IG BCE und Chemie-Arbeitgeber einen Tarifvertrag
„Langzeitkonten“ abgeschlossen und damit gute Voraussetzungen für
Vereinbarungen auf betrieblicher Ebene geschaffen.
Dieser Vertrag regelt, dass die Beschäftigten beispielsweise
Überstunden, Zuschläge, Zulagen oder Urlaubszeiten, die über die
gesetzlichen Bestimmungen hinausgehen, auf ein Langzeitkonto
einzahlen können. Zeit wird dabei in Geld umgerechnet. Es ist auch
möglich, Teile des Entgelts auf dieses Konto umzulenken.
Neu ist, dass für das Langzeitkonto Mittel aus dem Demografiefonds
verwendet werden können, um einen vorzeitigen Eintritt in den
Ruhestand zu finanzieren.
3. Die Teilrente kann aus Fondsmitteln aufgebessert werden.
Voraussetzung für eine positive Resonanz unter den Beschäftigten
ist, dass der Bundestag die Defizite in den gesetzlichen
Bestimmungen beseitigt. Aus gewerkschaftlicher Sicht muss der Bezug
von Teilrente künftig vom 60. Lebensjahr an möglich sein. Außerdem
müssen die Hinzuverdienstgrenzen angehoben und das
Berechnungsverfahren vereinfacht werden. Schließlich ist
sicherzustellen, dass die Aufstockungsbeträge steuer- und
beitragsfrei gestellt werden.
4. Die Mittel aus den Demografiefonds können in die tarifliche
Chemie-Altersvorsorge einfließen. Das ohnehin lukrative Modell
gewinnt noch einmal deutlich an Attraktivität.
1998 haben IG BCE und Chemie-Arbeitgeber ein entsprechendes Abkommen
abgeschlossen. Dieses Vertragswerk wurde 2001 und 2005 erweitert und
modernisiert.
Ein Arbeitnehmer hat einen tariflichen Anspruch auf 613 Euro pro
Jahr für die Altersvorsorge. Für jede 100 Euro, die ein Arbeitnehmer
zusätzlich aufbringt, erhält er vom Arbeitgeber weitere 13 Euro als
besondere „Chemie-Förderung“.
5. Mittel aus dem Demografiefonds können auch für eine
Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung Chemie (BUC) verwendet werden.
Danach erhalten Arbeitnehmer eine Absicherung für den Fall, dass sie
ihren Beruf aus gesundheitlichen Gründen nicht bis zur Rente ausüben
können. Die BUC-Rente beträgt monatlich 1000 Euro und wird bis zum
67. Lebensjahr gezahlt.
Damit haben IG BCE und Chemie-Arbeitgeber tarifpolitisches Neuland
erschlossen |