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Niederlassungsfreiheit von Daily Mail bis Inspire Art, EuGH, Rs. 81/87, C-212/97, C-208/00, C-167/01

Disclaimer




Einzig durch Bosheit gedeihen die Geschäfte nicht.



Victor Hugo




Daily Mail

Centros

Überseering

Inspire Art







Daily Mail, EuGH, Rs. 81/87




Der Fall (Kurzfassung):




Die in Großbritannien gegründete Daily Mail and General Trust plc. wollte ihren Sitz in die Niederlande verlegen, um dort Steuervorteile für eine Umschichtung von Betriebsvermögen in eigene Aktien wahrzunehmen.


Daran wurde sie gehindert. Das britische Steuerrecht verbot Gesellschaften mit steuerlichem Sitz im Vereinigten Koenigreich, diesen Sitz ohne Zustimmung des Finanzministeriums aufzugeben. Die Behörde wollte zumindest einen Teil des Geschäfts in Großbritannien versteuert wissen und verweigerte die Erteilung der Genehmigung zur Sitzverlegung.




Die Entscheidung des EuGH:




Die Niederlassungsfreiheit ist eine der grundlegenden Vorschriften der Gemeinschaft. Sie verbietet es dem Herkunftsstaat, seine Staatsangehörigen oder eine nach seinem Recht gegründete Gesellschaft i.S.d. Artt. 48 EG (58 EGV) bei die Niederlassung in einem anderen Mitgliedstaat zu behindern.


Allein aus Artt. 43 und 48 EG (52 und 58 EGV) kann aber nicht hergeleitet werden, dass Gesellschaften nationalen Rechts den Sitz ihrer Geschäftsleitung unter Wahrung ihrer Eigenschaft als Gesellschaften des Gründungsstaates in einen anderen Mitgliedstaat verlegen können.










Centros, EuGH, Rs. C-212/97




Der Fall (Kurzfassung):




Zwei in Dänemark ansässige dänische Staatsangehörige gründeten in Großbritannien die Centros Ltd. Letztere hatte ihren Briefkasten bei einem in Großbritannien wohnenden Freund der Gründer.


Die Centros Ltd. sollte ausschließlich in Dänemark tätig werden.


Die dänische Zentralverwaltung für Handel und Gesellschaften weigerte sich, eine Zweigniederlassung der Centros Ltd. im Register einzutragen. Die Gesellschaft habe tatsächlich ihren Hauptsitz in Dänemark. Es sollten nur die dänischen Gründungsvorschriften, insbesondere die Einzahlung der Mindesteinlage (von ca. 25.000 EUR) umgangen werden.




Die Entscheidung des EuGH:




Dass die Centros Ltd. Nach britschem Recht gegründet wurde, um das dänische Recht zu umgehen, also die Einzahlung der Mindesteinlage zu vermeiden, ändert nichts daran, dass die Gründung einer Zweigniederlassung in Dänemark durch die britische Gesellschaft unter die Niederlassungsfreiheit i. S. d. Artt. 43 und 48 EG (52 und 58 EGV) fällt.




Ein Mitgliedstaat kann allerdings Maßnahmen treffen, um einen Missbrauch der durch den EGV geschaffenen Möglichkeiten durch seine Staatsangehörigen zu vermeiden. Das folgt daraus, dass die missbräuchliche oder betrügerische Berufung auf Gemeinschaftsrecht (zur Umgehung nationaler Vorschriften) nicht gestattet ist.




Im Fall Centros ist ein Missbrauch des Gemeinschaftsrechts nicht zu sehen:


Die nationalen (dänischen) Vorschriften, die die Errichtung von Gesellschaften behandeln, werden (durch die Gesellschaftsgründung in Großbritannien) zwar "umgangen". Niederlassungsfreiheit bedeutet aber, dass nach dem Recht eines Mitgliedstaats errichtete Gesellschaften, die ihren satzungsmäßigen Sitz, ihre Hauptverwaltung oder ihre Hauptniederlassung innerhalb der Gemeinschaft haben, mittels einer Agentur, Zweigniederlassung oder Tochtergesellschaft in anderen Mitgliedstaaten tätig werden dürfen.

iQ: Hintergrund für die Beliebtheit der plc. nicht nur bei den Briten ist, dass es - kurz gefasst - Haftungsbeschränkung ohne Mindestkapital gibt

Wird dieses Prinzip - wie im Fall Centros - verwirklicht, besteht darin kein Missbrauch. Es handelt sich vielmehr um eine legitime Ausnutzung des Niederlassungsrechts, wenn ein Staatsangehöriger eines Mitgliedstaates eine Gesellschaft in dem Mitgliedstaat errichtet, dessen gesellschaftsrechtliche Vorschriften ihm die größte Freiheit lassen, in anderen Mitgliedstaaten dagegen nur Zweigniederlassungen gründet.

iQ: dem tritt die Sitztheorie u.a. mit dem Argument entgegen, dass damit ein „race to the bottom“, ermöglicht werde; die Gründer könnten sich aussuchen, wo und unter welchen Voraussetzungen sie ihre Gesellschaften gründen – genau dies ist aber, wie der EuGH darlegt, Inhalt der Niederlassungsfreiheit

Wenn eine Gesellschaft ihre Tätigkeit ausschließlich im Mitgliedstaat ihrer Zweigniederlassung ausübt, ist das für sich genommen noch kein missbräuchliches und betrügerisches Verhalten.




Die dänische Verweigerung der Eintragung ist ungeeignet, das angestrebte Ziel des Gläubigerschutzes zu erreichen und kann daher auch nicht gerechtfertigt sein.

iQ: zu diesem Argument auch unten

Wenn nämlich die Centros Ltd. in Großbritannien (am Hauptsitz) eine Geschäftstätigkeit ausgeübt hätte, wäre sie in Dänemark ohne Probleme eingetragen worden, obwohl sie nicht mehr Kapital gehabt hätte (also nicht mehr Schutz für die Gläubiger bestanden hätte).










Überseering, EuGH, Rs. C-208/00




Der Fall (Kurzfassung):




Die Überseering BV (niederländische Form der GmbH) war in den Niederlanden rechtswirksam gegründet worden. Sie verlagerte ihren tatsächlichen Verwaltungssitz nach Deutschland. Als Folge der Sitztheorie erkannte ein deutsches Gericht die Parteifähigkeit der Gesellschaft nicht an. Die wirksame Errichtung nach niederländischem Recht sei nicht anzuerkennen. Daher wurde eine Klage der Überseering BV abgewiesen.

iQ: Sitztheorie = die Parteifähigkeit der Gesellschaft richtet sich nach dem Recht des Staates, in dem die Gesellschaft ihren Sitz hat; kommt es zur Sitzverlagerung nach Deutschland, muss die Gesellschaft hier (neu) gegründet werden. Mehr zu den Argumenten hier.



Die Entscheidung des EuGH:




Die Erwägungen aus dem Urteil Daily Mail stehen der Anerkennung der Parteifähigkeit nicht entgegen. Dort sei es um eine andere Frage gegangen, nämlich die Beziehung zwischen der Gesellschaft und dem Mietgliedsstaat der Gründung, während die Überseering BV ihre Anerkennung durch einen anderen Mitgliedsstaat anstrebe.

iQ: zu unterscheiden sind die Konstellationen des Zuzugs (Centros; Überseering; Inspire Art) und des Wegzugs (Daily Mail)



Die Überseering BV beruft sich zu Recht auf die Niederlassungsfreiheit, da sie ihren satzungsmäßigen und tatsächlichen Verwaltungssitz innerhalb der Gemeinschaft hat, und daher, wie im Urteil Centros ausgeführt, nach Artt. 48 EG (58 EGV) den natürlichen Personen gleichstellt ist, die Angehörige der Mitgliedstaaten sind.


Die Behandlung der Überseering BV als nicht parteifähig verstößt gegen Artt. 43 und 48 EG (52 und 58 EGV). Denn nach deutschem Recht müsste sie sich in Deutschland neu gründen, wenn sie vor einem deutschen Gericht Ansprüche aus einem Vertrag mit einer Gesellschaft deutschen Rechts geltend machen will.


Überseering ist aber in den Niederlanden bereits wirksam gegründet worden und hat daher aus Artt. 43 und 48 EG (52 und 58 EGV) das Recht, als Gesellschaft niederländischen Rechts in Deutschland von ihrer Niederlassungsfreiheit Gebrauch zu machen. Es ist auch unbeachtlich, dass nach der Gründung dieser Gesellschaft deren gesamtes Kapital von in Deutschland ansässigen deutschen Staatsangehörigen erworben wurde, weil dieser Umstand nicht zum Verlust der Rechtspersönlichkeit geführt hat, die ihr die niederländische Rechtsordnung zuerkennt.

iQ: so die Gründungstheorie, die darauf abstellt, ob die Gesellschaft wirksam gegründet worden ist


iQ: mittlerweile hat sich der BGH der Entscheidung Centros angeschlossen, Urteil v. 13. 3. 2003 - VII ZR 370/98







Inspire Art, EuGH, Rs. C-167/01




Der Fall (Kurzfassung):




Die in Großbritannien gegündete Inspire Art PLC. war - wie die Centros Ltd. - nur am Ort ihrer Zweigniederlassung, in den Niederlanden, tätig.




Nach niederländischem Recht ist vorgesehen, dass

1. die Gesellschaft den Zusatz "formal ausländische Gesellschaft" tragen muss, und


2. eine persönliche Haftung der Gesellschafter besteht, wenn eine ausländische Kapitalgesellschaft nicht mit einem bestimmten Mindestkapital ausgestattet ist.




Die Entscheidung des EuGH:




Beide Regelungen verstoßen gegen Gemeinschaftsrecht.


1. Die Regelung betreffend den Zusatz "formal ausländische Gesellschaft verstößt gegen Rl. 89/666/EWG. Jene Richtlinie beinhaltet eine abschließende Aufzählung der erforderlichen Angaben, die Zweigniederlassungen ausländischer Gesellschaften führen müssen und solche, deren Führung die Mitgliedstaaten verlangen können. Der niederländische Zusatz ist davon nicht erfasst.




2. Die Regelung betreffend das Mindestkapital ausländischer Gesellschaften und die persönliche Haftung der Gesellschafter verstößt gegen die Niederlassungsfreiheit.


Der - angeblich - bezweckte Gläubigerschutz stellt keine Rechtfertigung dar, weil die ausländische Gesellschaft als solche auftritt, sodass die (potentiellen) Gläubiger genügend unterrichtet sind.



iQ: zu diesem Argument auch oben. Die unfreiwilligen Gläubiger der Gesellschaft sind zwar nicht dadurch geschützt, dass eine ausländische Gesellschaft den Zusatz „Ltd.“ führt. Um diese ging es aber auch nicht. Der EuGH hatte völlig richtig nur die Vertragspartner im Auge - dass sämtliche Gläubiger einer Kapitalgesellschaft vollständig befriedigt werden, gewährleisten weder das niederländische noch das deutsche Kapitalgesellschaftsrecht.


iQ: zu Altmeppen, NJW 2004, 97 ff. siehe hier


CLM





Die Rl. 89/666/EWG schreibt vor, dass die Mitgliedstaaten verlangen

müssen, dass offen gelegt werden

können, dass offengelegt werden

- Anschrift und Tätigkeit der Zweigniederlassung,

- eine Unterschrift der Vertreter und Liquidatoren

- das Register, zu dem die Gesellschaft gegründet wurde,

- eine Bescheinigung aus dem Gründungsregister über das Bestehen der Gesellschaft;

- Firma und Rechtsform der Gesellschaft sowie ggf. abweichende Firma der Zweigniederlassung,

- Angaben zu Sicherheiten der Gesellschaft, die sich in Mitgliedstaat der Zweigniederlassung befinden, sofern diese Offenlegung sich auf die Gültigkeit solcher Sicherheiten bezieht

- Bestellung, Ausscheiden und Personalien der Organvertreter der Gesellschaft und der sonstigen ständigen Vertreter der Gesellschaft für die Zweigniederlassung

- der Errichtungsakt und die Rechnungslegung in einer anderen Amtssprache der Gemeinschaft als der Amtssprache des Gründungsstaates und die Beglaubigung der Übersetzung

- die Auflösung der Gesellschaft; Bestellung Personalien und Befugnisse der Liquidatoren und Abschluß der Liquidation


- ein Konkursverfahren, Vergleichsverfahren oder ähnliches Verfahren über das Vermögen der Gesellschaft


- die Unterlagen der Rechnungslegung gemäß Richtlinien 78/660/EWG, 83/349/EWG und 84 /253/EWG


- die Aufhebung der Zweigniederlassung


- auf Geschäftsbriefen und Bestellscheinen der Zweigniederlassung das Register, bei dem die Akte für die Zweigniederlassung angelegt worden ist und die Nummer der Eintragung in diesem Register




iQ: siehe dazu § 13 HGB






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