Bündnis für Theater | November 2003 |
Kongress | Berlin |
Auftraggeber/Partner: | Kulturstiftung
der Länder, Bundespräsidialamt |
Aufgabenbereich: | Unterstützung bei Konzeption, Organisation und Durchführung |
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Pressestimmen
Berliner Zeitung, Kultur, 17. November 2003:
Mit der Endzeitstimmung geht es zu Ende
Was das "Bündnis für Theater" der Gesellschaft sagt
Man muss Christina Weiss nicht unbedingt
in ihrer Meinung folgen, die Zukunft der Theater und Opern werde auf der Bühne
entschieden. Wie viele der Politiker und auch der Wähler, die über die
öffentliche Finanzierung der Kultur bestimmen, nehmen letztlich wahr, was
auf den Bühnen geschieht? Gleichwohl findet im Inneren der Theater gegenwärtig
etwas statt, über die spezifisch künstlerische Arbeit hinaus, das ohne
Zweifel die Zukunft dieser Institution beeinflussen wird, ein Diskussions- und
Vermittlungsprozess, der über seinen engeren Sachkreis hinaus der neu angesprungenen
gesellschaftlichen Reformdebatte modellhaft vorangeht.
Die Staatsministerin
für Kultur sprach am Freitag als Gast der Konferenz "Bündnis für
Theater", zu der der Bundespräsident ins Berliner Kronprinzenpalais
eingeladen hatte. An die 400 Theaterleute, Intendanten, Gewerkschafter, Kulturdezernenten,
Publizisten, Politiker aller Ebenen waren gekommen - das wohl repräsentativste
nationale Forum der Debatte um die Zukunft der Kultur. Die Konferenz ist Teil
einer längerfristig angelegten Initiative Johannes Raus, sie bündelte
die vorangegangene Debatte, suchte den Stand der Diskussion zu bestimmen, neue
Fragen zu formulieren; Thesen zu verabschieden war nicht ihr Ziel.
Man
könnte das "Bündnis für Theater" als eine natürliche
Reaktion einer in Not geratenen Institution betrachten: Wer im Kulturbetrieb arbeitet,
versucht, ihn zu erhalten, das ist eben so. Dagegen stellte der Bundespräsident
gleich zur Eröffnung die gesellschaftliche Perspektive des Bündnisses
heraus. Gegen die sparpolitische Leitdebatte behauptete Rau das, was er konservativ
den "Eigenwert der Kultur", die "andere Erfahrung" nannte:
Die um sich greifende Verwertermentalität trockne die Gesellschaft geistig
aus, Kosten und Nutzen dürften nicht zu Maßstäben menschlicher
Existenz werden. Die PISA-Debatte, die vom Bereich der schulischen Bildung ausgegangen
ist, müsse, so Rau, in eine Debatte "um die Kultur in unserem Land"
weitergeführt werden.
Ähnlich offensiv machte Christina Weiss
die Sache der Theater zur Sache der Gesellschaft. Gegen die drohende Tendenz zur
bloßen Unterhaltung, gegen die Gefahr, das Land könnte "innen
hohl" werden, forderte Weiss, die Kultur mit ihrem "nicht profitorientierten
Erkenntnisinteresse" müsse selbstbewusst in die Gesellschaft wirken.
In den Institutionen der Kultur werde eine Reflexion geleistet, die Individuelles
und Kollektives ins Verhältnis setze. Da werde etwas erarbeitet, das den
anstehenden gesellschaftlichen Reformen den Weg weisen könnte.
Das
ist nun in der Tat der Punkt, an dem die Institutionen der Kultur stehen. Die
"Endzeitstimmung", gegen die Weiss beschwörend anredete und die
in vielen Medien im Sinn einer populistischen Zwangsauflösung alles Kulturellen
erzeugt worden ist, scheint das Denken nicht länger zu bannen. Beharrlich
versuchen die Kulturleute mit Entscheidungsträgern der Politik eine Bewegung
zu organisieren. Wie schon vor zwei Wochen die erstmals zusammengetretene Deutsche
Orchesterkonferenz, suchte auch das Bündnis für Theater am Freitag zwischen
der öffentlichen Ressourcenknappheit und der Sinnproduktion der Bühnen,
zwischen den Arbeitnehmerrechten und den Ansprüchen eines zur Effizienz genötigten
Produktionsprozesses zu vermitteln.
Vier Themenbereiche bestimmten die
Konferenz. Es ging um das Theater und den Wandel seines Publikums: Das, was man
für das Bildungsbürgertum hält, trägt die Theater immer weniger,
andere Publika müssen mit neuen Mitteln angesprochen werden. Eine große
Mehrheit (mit Ausnahme des deutschen Städtetages allerdings) sprach sich
für die Verankerung der Kultur als Pflichtaufgabe der Städte und Gemeinden
aus. Sparzwänge der öffentlichen Hand würden dann nicht zwangsläufig
zu Lasten der "freiwilligen" Aufgabe Kultur umgesetzt, wie jetzt etwa
in Berlin, das seinen Haushalt auf Kosten der Kultur "verfassungskonform"
zu gestalten droht. Immer im Verhältnis zu den öffentlichen Geldgebern
wurde überdies die Forderung nach weiterer Autonomie der Theaterbetriebe,
etwa in GmbHs und Stiftungen, erhoben.
Und schließlich wurde die
Anpassung an die Ausgabenpolitik der öffentlichen Hände auch wieder
auf dem klassischen Feld der Tarifverträge diskutiert. Im Augenblick betreibt
die Gesellschaft durch ihre Politik die Senkung der Gehälter der Angestellten
der Kunst. Umgekehrt wird die Arbeit am Theater für den Einzelnen gesellschaftlicher
in dem Maß, in dem ihm durch den Arbeitsvertrag mehr Flexibilität abgefordert
wird. War in den Zeiten komfortabler Kulturfinanzierung das Privileg das höchste
Interesse des Arbeitnehmers (namentlich die Orchestermusiker hatten sich hier
durchzusetzen verstanden), so tritt nun das gemeinsame Arbeitsziel in den Vordergrund.
Dass dieses Ziel von den Teilnehmern der Theaterkonferenz so übereinstimmend
wie selbstverständlich als "Kunst" bezeichnet wurde, macht den
Vermittlungsprozess dieser Institution kritisch interessant für die gesamtgesellschaftliche
Reform- und Spardebatte. Denn mit dem alten Wort wird auch eine alte Ordnung heraufbeschworen,
in der sich die Einzelinteressen für ein gemeinsam geteiltes, allen nützliches
größeres Ganzes vermitteln ließen.
KLAUS GEORG KOCH
Berliner Zeitung, Feuilleton, 15. November 2003:
Immer diese Angsthasigkeit vor Reformen
Kongress zum "Bündnis für Theater" in Berlin
Wenn ich mir was wünschen
könnte, dann wäre es die Verankerung von Kultur als Pflichtaufgabe auf
allen staatlichen Ebenen." Das sagte Bundespräsident Johannes Rau am
Freitag auf dem von ihm initiierten Kongress "Bündnis für Theater"
in Berlin. Das ist ein schöner Wunsch, den würde sofort jeder Kulturarbeiter
unterschreiben. Allerdings hatte der Präsident neben der Kulturstaatsministerin
Christina Weiss, Intendanten und Gewerkschaftern auch Kongressteilnehmer geladen,
die aus ihren Etats die Kultur finanzieren, darunter Bürgermeister aus der
ganzen Republik. Sie hatten erwartungsgemäß eine andere Haltung als
die Vertreter der Kultur. Der Bürgermeister aus Celle etwa äußerte
sich klar gegen jede neue Verpflichtung. Er legte dar, dass seine Kommune in den
letzten Jahren die Ausgaben für ihre Pflichtaufgaben um die Hälfte hätte
reduzieren müssen, während bei den Theaterausgaben deutlich weniger
gekürzt worden sei. Der Leipziger Intendant Wolfgang Engel berichtete für
die andere Seite, dass sein Theater heute dasselbe leiste wie vor zehn Jahren,
allerdings mit einem Drittel weniger Personal. Damit sei die Grenze erreicht,
mehr sparen könne er nicht, ohne die Theaterstrukturen zu verändern.
Mit solchen Einzelheiten hat sich der Bundespräsident in seiner staatstragenden
Rede nicht befasst, solche Dinge passen auch nicht auf eine Wunschliste.
Für die Kulturstaatsministerin ist die Frage der Theaterstrukturen indessen
ein Thema von hoher Priorität, jede Theaterschließung droht weitere
nach sich zu ziehen. Deswegen hielt sie auf diesem Kongress erneut ein Plädoyer
für mehr Eigenverantwortung der Theater, die sich ohne die Veränderung
der Strukturen nicht herstellen lasse. Überall, auch im Kunstbetrieb herrsche
diese "Angsthasigkeit vor Reformen". Es gehe aber künftig um klare
Budget-Verabredungen, gleichberechtigte künstlerisch-wirtschaftliche Doppelspitzen
an den Häusern und geprüfte Wirtschaftspläne. Sie rief die deutschen
Theater dazu auf, sich nicht gegeneinander auszuspielen, sondern gute Modelle
voneinander abzugucken. WIEBKE HOLLERSEN
Berliner Morgenpost, 15. November 2003:
Kultur ist mehr als nur ein Sahnehäubchen
Gestern tagte in Berlin das "Bündnis für Theater"
"Eine volle Kirche schließt man nicht", hat einmal der damalige Chef des Hamburger Thalia-Theaters, Jürgen Flimm, gesagt, und damit zum einen das Selbstverständnis manches Intendanten in Frage gestellt und gleichzeitig eine Umorientierung in der deutschen Theaterlandschaft postuliert. Der Stein der Weisen ist freilich längst nicht gefunden, die desolate Situation der öffentlichen Haushalte zwingt zu neuen Ideen und Konzepten, und so initiierte im vergangenen Jahr Bundespräsident Johannes Rau das "Bündnis für Theater", einen Gesprächskreis, der nach zukunftsorientierten Wegen für eine funktionierende deutsche Theaterlandschaft suchen soll. Gestern hat das "Bündnis für Theater" in Berlin getagt.Der Bundespräsident warnte in seiner Rede vor einer "um sich greifenden Kulturfeindlichkeit" in Deutschland. Kultur müsse eine Pflichtaufgabe für den Staat sein und dürfe nicht nur zu den freiwilligen Leistungen gehören, sagte Rau zur Eröffnung des Kongresses, an dem auch Kulturstaatsministerin Christina Weiss (parteilos) und namhafte Vertreter der deutschen Theaterlandschaft teilnahmen. "Die Finanzierung von Theater und Oper ist eine öffentliche Aufgabe, und das muss so bleiben, Theater muss sein!", betonte das Staatsoberhaupt in seiner Rede. Weiter sagte der Bundespräsident: "Nur wenn die Kultur und die für sie Verantwortlichen auf einer Stufe mit anderen wichtigen Aufgaben stehen, rücken sie da hin, wo sie hingehören, in die erste Reihe". Kultur sei "nicht die Sahne auf dem Kuchen, sondern die Hefe im Teig". Wer das nicht verstehe, "bekommt am Ende die falschen Backwaren".Gleichzeitig rief Rau die Theater zu mehr Mut und Ideenreichtum auf, um der Finanzkrise der öffentlichen Haushalte effektiv zu begegnen. Dazu gehöre auch die Frage, warum im Sommer alle Bühnen gleichzeitig Urlaub machten und damit Touristen ignorierten. Auch über Spitzengehälter und Spitzengagen müsse gesprochen werden.Tarifverträge müssten modernisiert werden, um das Überleben der Theaterbetriebe mit sichern zu helfen. "Theater ist schon lange keine Insel der Seligen mehr." Sie müssten auch neue Zuschauerkreise vor allem unter jungen Menschen gewinnen und Schüler und Lehrer zu ihren "natürlichen Verbündeten" machen. "Musik und Theater gehören in die Schulen wie Mathematik und Physik."Kulturstaatsministerin Christina Weiss nutzte die von der Kulturstiftung der Länder organisierte Tagung, um ihre Positionen noch einmal deutlich zu machen, und rief dazu auf, den Reformstau und die "verkrusteten Strukturen" an den deutschen Bühnen aufzulösen. Der Oberbürgermeister von Celle, Martin Biermann (CDU), wies darauf hin, dass die Kommunen in den vergangenen Jahren die Ausgaben für ihre Pflichtaufgaben um die Hälfte hätten reduzieren müssen, was bei den Theatern in diesem Umfang nicht geschehen sei. "Die Kommunen haben die Kultur bisher nicht überproportional vernachlässigt."Der Leipziger Intendant Wolfgang Engel berichtete, sein Theater leiste noch genauso viel wie vor zehn Jahren, und zwar mit einem Drittel weniger Belegschaft. Nunmehr sei allerdings die Schmerzgrenze erreicht, nach der es "nichts mehr zu strukturieren, sondern nur noch zu amputieren gibt". Jetzt werde in Deutschland mit Kunst und Kultur "zunehmend rüde umgegangen". BM/dpa
Neues Deutschland, 17. November 2003:
Wer hört zu?
Rau: "Kulturfeindlichkeit"
Spricht der Bundespräsident über ein Problem, bedeutet das höchsten Alarm, aber zugleich ist das Thema nun exakt dort angelangt, wo am wenigsten Lösungen möglich sind. Präsidiale Tragik: Luftgeisthoheit statt praktischer Macht. Am Wochenende sprach Rau auf dem Kongress "Bündnis für Theater", warnte vor "um sich greifender Verwerter-Mentalität und Kulturfeindlichkeit". Das sagt ein deutsches Staatsoberhaupt über sein Land, Anfang des 21. Jahrhunderts! Man muss das Wort wiederholen: Kulturfeindlichkeit. Der eine mag dabei ans Theater denken, ein anderer an Entwortungs-Strategien im Rundfunk, der dritte an die weitere Vernächtlichung von Kulturmagazinen im Fernsehen. Kulturlos zu sein und sich dabei kein Quäntchen zu genieren - die neue Talentprobe für Politiker und Medien-Reformer? Weil's auf dem Kongress konkret um Bühnen ging: Auf den verzweifelten geistigen Zustand der Gesellschaft reagiert auch das Theater verzweifelt, vielfach mit Verstörung des Publikums. Das wehrt sich, bleibt fern, auch, weil Subjektivismus sich eitel feiert - Verwerter-Mentalität steckt an. Hinzu kommt ein Tarifsystem, das die Kunstproduktion starr unter den öffentlichen Dienst zwingt. So kriegen alle die Krise, wenn sie Kultur hören. Es sei denn, der Bundespräsident spricht. Denn wer hört dem zu? HANS-DIETER SCHÜTT
Berliner Zeitung, Tagebuch, 15. November 2003:
Theater, Wasser und Mehl
Der Bundespräsident Johannes Rau
hielt am Freitag eine Rede vor dem "versammelten Sachverstand" von Theaterleuten,
anlässlich eines Kongresses der Kulturstiftung der Länder zum Thema:
"Bündnis für Theater". Diese Rede spielt den Grundgedanken,
dass das Theater in der Gesellschaft einen Konsens brauche, bis ins Kleinste durch.
Ja, auch den jungen Eltern, die sich keinen Babysitter leisten können, solle
der Theatergenuss ermöglicht werden. Das Theater könne es sich nicht
leisten, "auch nur eine mögliche Zuschauergruppe nicht anzusprechen".
Und zwar ausdrücklich jene, die es sich nicht leisten könnten ins Theater
zu gehen, denen "die Welt der Spielpläne fremd ist", denen "unser
klassisches Repertoire" wegen ihrer kulturellen Herkunft fremd sei und jene
jungen Leute, die lieber bei den neuen Medien blieben, wenn das Theater ihnen
keine Angebote mache. Zusammenfassend: "Das Theater kann nur dann wirklich
,selig machen, wenn es sich aus der Mitte der Gesellschaft heraus definiert."
Es soll für jeden etwas dabei sein. In Zukunft müsste also
auch der per Lebensmittelkarte versorgte minderjährige Asylbewerber aus Indien
von den Marketing-Abteilungen der Theater in den Verteiler genommen werden. Und
damit ihm der Spielplan nicht fremd vorkomme, biete man einmal monatlich eine
Yakshagana-Matinee an.
Dem Bundespräsidenten wäre es nach
eigenem Bekunden lieber, wenn er bei den Politikern nicht nur ein wenig mehr Respekt,
sondern auch Zuneigung einfordern könne. Damit wären dann aber auch
alle Abseitigkeiten integriert in das große Kuschelhaus Theater. Jeder ist
bedient, und die Herren Regierenden nicken den Herren Regisseuren in freundlicher
Zuneigung zu.
Der Bundespräsident bemühte eine Metapher aus
dem - auch in Kreisen calvinistischer Theaterfeinde - unverdächtigen Bereich
des Brotbäckerhandwerks, um uns seine antielitäre Ansicht schmackhaft
zu machen: "Kultur ist nicht die Sahne auf dem Kuchen, sondern die Hefe im
Teig. Wer das nicht versteht, der bekommt am Ende die falschen Backwaren."
ULRICH SEIDLER
Thüringer Allgemeine, 15. November 2003:
Durch diese hohle Gasse
Der Bundespräsident gab den Ton vor, die Theaterleute stimmten fast unisono ein: Kultur muss eine staatliche Pflichtaufgabe werden. Dies ist das wichtigste Signal, das der Kongress "Bündnis für Theater " gestern von Berlin aus ins Land sendete.
Der Ort war nicht schlecht gewählt: Das alte Kronprinzenpalais in der Straße Unter den Linden verbindet klassische Bausubstanz mit dem auch schon verwelkten Charme einer real existierenden Nüchternheit. Und in der deutschen Theaterlandschaft sieht es nicht viel anders aus.
Etwa vierhundert Theaterschaffende, Politiker und Journalisten schlugen gestern dort ihr Lager auf, um die Auswirkungen des ernsten Lebens auf die heitere Kunst zu debattieren. Bündnis für Theater: Wir brauchen einen neuen Konsens, so hieß die Veranstaltung, abgehalten im Rahmen einer gleichnamigen Initiative von Bundespräsident Johannes Rau.
Der Kongress tanzte nicht um die Urkräfte des Theaters herum, Sinn und Sinnlichkeit der Branche spielten höchstens am Rande eine Rolle. Vielmehr marschierte er unverdrossen hinein in die weithin gefürchtete Materie der Existenzsicherung. Und bei allem, was sich diesbezüglich von den öffentlichen Entscheidungsträgern fordern lässt, wurde sehr schnell klar: Um uns selber müssen wir uns vor allem selber kümmern. Und ums Publikum auch.
Die Bühnen, so der Bundespräsident, sollten es sich nicht leisten, auch nur eine Zuschauergruppe nicht anzusprechen. Die Fachleute waren sich einig, dass Stadttheater deshalb noch lange keine Gemischtwarenläden werden müssten; eine eigene Handschrift sei erlaubt. Aber: Es ist keine Schande, Vielfalt abzubilden, hieß die gemeinsame These.Aus dem von Johannes Rau zu Beginn formulierten Wunsch, Kultur als Pflichtaufgabe auf allen staatlichen Ebenen zu verankern, schöpfte der Kongress indes den Mut, eben dies als Aufgabe nach draußen zu tragen. Bundestagsvizepräsidentin Antje Vollmer, die überall dort ist, wo Theaterfragen verhandelt werden, mahnte an, dazu entsprechende Kulturräume zu schaffen, um die Kommunen nicht alleine zu lassen. Sachsens Vorbild macht Schule...Und das Vorbild Weimar? Erwartungsgemäß landete die Diskussion immer wieder bei Stephan Märkis Reformversuch am Deutschen Nationaltheater. Nicht, weil darüber allerorten helle Begeisterung zu erkennen wäre. Aber das so genannte Weimarer Modell ist offenbar weit und breit die griffigste Formel, wenn von Planungssicherheit und Eigenverantwortung am Theater die Rede geht.
Auch Meiningens Intendant Res Bosshart und der Geschäftsführer des Landestheaters Eisenach, Hans Jürgen Firnkorn werden es als Kongressteilnehmer zur Kenntnis genommen haben. Kulturstaatsministerin Christina Weiss ermutigte dazu, mit den Städten Budgetverabredungen zu treffen und eine entsprechende Planungssicherheit immer wieder einzuforden, für jeweils vier bis fünf Jahre. Genau das ist in Weimar momentan Realität.
Märkis Kollegen zweifeln jedoch weiterhin, ob das Bestand haben kann. Sein Vorgänger Günther Beelitz, heute Intendant in Heidelberg, prophezeite in den Fluren, die Fusion mit Erfurt werde spätestens 2008 kommen. Und Wolfgang Engel, Chef des Leipziger Schauspiels, warum er seine Mitarbeiter von der allgemeinen Tarifentwicklung ausschließen solle. Weil sie es von der Wirklichkeit ohnehin werden, gab Märki zurück.
Mit Geduld verteidigte der DNT-Intendant seinen Weg beharrlich; er stieß zumindest nicht auf taube Ohren. Im Gegenteil. Bei aller Kritik lud Stuttgarts Opernintendant Klaus Zehelein als Präsident des Deutschen Bühnenvereins Märki ein, in der beim Bundespräsidenten angesiedelten Theater-AG mitzuarbeiten. Märki war coram publico bereit dazu. Dass er aber einen Königsweg anzubieten habe, wies er weit von sich.Dabei gab es doch just gestern aus Weimar auch eine Reaktion auf die Frage von Johannes Rau, warum im Sommer alle Sprechtheater, Opern und Orchester gleichzeitig Urlaub machen müssen. Im Weimarer Rathaus präsentierten Stadt und DNT gemeinsam das Schiller-Projekt "Wilhelm Tell", das im Juli und August nächsten Jahres Touristen an den Vierwaldstätter See locken soll. 33 Vorstellungen mit täglich 2500 Zuschauern stehen im Plan, Günther Uecker baut die Bühne, Stephan Märki inszeniert.
Mit dem Pfeil den Apfel zu treffen, wird indes wohl einfacher werden, als die Theaterlandschaft vor dem Ausbluten zu retten. Der Erfolg des Bündnisses für Theater braucht jenen Willen zu Gemeinsamkeit, der gerade Theatermachern oft schwer fällt.
Durch diese hohle Gasse muss er kommen. MICHAEL HELBING
Hamburger Abendblatt, Kultur/Medien, 15. November 2003:
Rau: Der Staat muss Theater bezahlen
Berlin - Bundespräsident Johannes Rau hat vor einer "um sich greifenden Kulturfeindlichkeit" in Deutschland gewarnt. Kultur müsse eine Pflichtaufgabe für den Staat sein und dürfe nicht nur zu den freiwilligen Leistungen gehören, sagte Rau am Freitag in Berlin bei der Eröffnung eines Kongresses "Bündnis für Theater", das er vor einiger Zeit initiiert hatte. "Die Finanzierung von Theater und Oper ist eine öffentliche Aufgabe und das muss so bleiben." Rau forderte von den Theatern mehr Mut und Ideenreichtum, um der Finanzkrise zu begegnen. Dazu gehöre auch die Frage, warum im Sommer alle Bühnen gleichzeitig Urlaub machten und damit Touristen ignorierten. Auch über Spitzengehälter und Spitzengagen müsse gesprochen werden. Kulturstaatsministerin Christina Weiss rief dazu auf, den Reformstau und die "verkrusteten Strukturen" an den deutschen Bühnen aufzulösen. dpa
Ostsee-Zeitung, 15. November 2003:
Rau will Kultur als Pflichtaufgabe
Berlin (dpa) Bundespräsident Johannes Rau hat vor einer "um sich greifenden Kulturfeindlichkeit" in Deutschland gewarnt. Kultur müsse eine Pflichtaufgabe für den Staat sein und dürfe nicht nur zu den freiwilligen Leistungen gehören, sagte Rau gestern in Berlin bei der Eröffnung eines Kongresses "Bündnis für Theater", das er vor einiger Zeit initiiert hatte. "Die Finanzierung von Theater und Oper ist eine öffentliche Aufgabe und das muss so bleiben, Theater muss sein!", betonte das Staatsoberhaupt. Gleichzeitig rief Rau die Theater zu mehr Mut und Ideenreichtum auf, um der Finanzkrise der öffentlichen Haushalte zu begegnen. Er sprach u.a. Sommerbespielung und Spitzengagen an.
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