Kriminal-Tango in der Taverne:
Dunkle Gestalten, rote Laterne…
Abend für Abend immer das Gleiche,
denn dieser Tango  –  geht nie vorbei.

Kurt Feltz (zur Musik von Piero Trombotta)


sowie umgekehrt das Recht der Objektivität
der Handlung, wie es genannt werden kann,
ist,     sich vom Subjekt als Denkendem
als gewußt und gewollt zu behaupten.

Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1820 u.ö.)



Der für diese Seiten gewählte Titel will zunächst, und zwar in bestimmtem Sinne, auf die besondere Bedeutung von Kriminalität und Kriminalrecht in Reichweite geistes- und sozialwissenschaftlicher Bemühung aufmerksam machen. Hier bricht in der Tat etwas auf: das Ver-brechen als eine Differenz zwischen Menschen (Täter und Opfer, in ihrer generellen Teilhabe an – immerhin – rechtlich geordneten Verhältnissen), die so offenbar nicht mehr bloß auf sich beruhen kann; und wir stoßen an eben dieser Stelle, schon mit der „Schuldfrage“, auf hartnäckig sich behauptende „Reste“ jener (einem „gesunden Menschenverstand“ widerstreitenden) „Metaphysik“, die „eigentlich“ in modernen, oder gar „postmodernen“ Zeit doch schon lange erledigt sein sollte.

Zugleich macht sich von hierher auch die (über „die Spannung“ hinaus, welche sodann „Entspannung“ bietet) anhaltende Faszination des Publikums für Kriminalgeschichten begreiflich: Der „Fall“ erfordert eine Reorganisation, in welcher (von Rechts wegen „aufklärend“ und ahndend wie auch weiter in seiner „Verarbeitung“ durch Akteure, Betroffene und Umstehende) die Ordnung einer Welt ihre Grundlinien neu auszieht: also zeigen muß und darf, was an ihr ist, und was eben nicht. Genugtuung über erwiesene Gerechtigkeit, Befremden wie Vertrautheit im Scheitern stellen sich ein, und es ergibt sich – womöglich in der Mitwisserschaft an guter Erzählung – auch die Erneuerung des eigenen Arrangements.

Kriminal-Tango: das stehe hier noch für einiges mehr; Assoziationen seien bis auf weiteres jedem und jeder selbst überlassen. Soviel aber noch: Eine „theoretische“ Befassung mit Kriminalität (so wie diese auf’s Ganze unleugbar Teil unseres Alltags, alltäglichen Zusammenlebens ist) hat durchaus nicht bloß zufällig ebenso spielerischen Charakter wie jenes Erzählen und auch manche Tat. Dies liegt vielmehr in der Natur solcher, ihren eigenen Schluß machenden Theoriebildung: obzwar sie doch wohl Rücksicht nehmen soll auf die von ihr zu bearbeitenden Interessen, das so thematische Leid von Menschen zumal; und allemal auch, wenn sie’s möchte. Die gedankliche Durcharbeitung führt eben durch Reflexion zur Konstruktion, die so zuvörderst sich selbst genügen muß.

Dort sei also juristische Kunst am Platze, ebenso eine gewisse (notorische) Weltentrücktheit des Juristen wie dem Rechtssuchenden und Rechtsunterworfenen – notfalls auch gegen das so anfechtbare Ressentiment und vor-Urteil – sein Maß an Rechtssicherheit ausmachend. Man spricht insofern übrigens auch von „Dogmatik“, nicht geradezu als Angelegenheit des Glaubens, aber doch je aktuell unbestreitbarer, im Letzten auch verfassungsrechtlich abgesicherter Gültigkeit. In ihrer Bearbeitung fehlt es so allerdings weithin an Gegenstandskenntnis; und doch läßt sich (anders als namentlich der „Reform“-Gesetzgeber anzunehmen scheint) die Sache des Rechts demgegenüber bei aller Kritik so wenig auf partikuläre Faktenkenntnis wie auf das bloß (warum auch immer) Wünschenswerte stützen.

Weitere Aufklärung dürfte dann davon abhängen, inwiefern im so gesteckten Rahmen eben auch das aktuell nicht zur Verfügung Stehende, nicht Änderbare immer noch, und um so mehr, auf den Menschen, seine in Gesellschaft und Gemeinschaft mit anderen sich ergebende Situation und Interessen beziehbar bleibt. Der dem Lied-Chorus zur Seite gestellte Halbsatz dient bereits einer auf den gesamten Kreis der auch hier angesprochenen Thematik ausgreifenden
Arbeit des Autors auch dieser Zeilen in solchem Sinne als Motto. Recht der Objektivität heißt so überhaupt: Das Objektive, etwa auch im Sinne wirtschaftlicher Determination, kann immer nur und auch tatsächlich mit seiner Rückführbarkeit auf Subjekte auf ebensolche Anspruch machen, damit aber doch keineswegs – gleichviel in welcher Überhöhung – seinerseits gegen die Menschen „subjektiv“ verfaßt sein.

Unmittelbar der „Zurechnungslehre“ G. W. Fr. Hegels entnommen, mag dieser in sich widerspruchs- und also selbst anspruchsvolle Begriff dann ein Verständnis der Rede vom „objektivem Geist“ andeuten, das (statt bloß gleichgültig Formationen nebeneinander zu stellen) nach den beiden Seiten hin offen ist: sozusagen rückwärts in entschiedener Ausarbeitung gerade des „enzyklopädisch“-abschließenden Anspruchs der dialektischen Philosophie Hegels, wie allerdings dann auch (n.b.: stets nur im Gegenzug!) vorwärts: hin zu seiner soziologischen, psychologischen, kulturwissenschaftlichen Auflösung; so aber durchaus nicht etwa in Ablösung kraft einer die hier sich ergebende „konstruktivistische“ Wende als Aufforderung zu „frei“ verantwortlichem Handeln mißdeutenden ethno-logischen Offensive.

Wie aber auch immer: Die gegebenen, ja tatsächlich als solche auch herrschenden Verhältnisse lassen sich weder überspringen noch umfassend rechtfertigen noch aber auch gleich neu erfinden. So ist auch im einzelnen keineswegs „jeder seines Glückes Schmied“, und dennoch wird ihm gebenenfalls das eigene Fehl-Verhalten zur Schuld angerechnet: statt daß er sonst als geradezu krank, dumm oder bloß schädlich abgetan würde. Angesichts dessen verbietet sich jeder Hochmut des „Anständigen“. Als schlichtweg „normal“ kann das Verbrechen selbst damit hingegen ebensowenig gut gelten, wenn anders das akute Erleiden von Gewalt überhaupt einen Unterschied machen soll; dem Täter allerdings muß die offizielle Erledigung seiner Tat durchaus Zumutung bleiben dürfen.

Ohnehin erreicht natürlich nicht „die Norm“ umstandslos das Leben; und insofern erscheint als hybrischer Zug spezifisch „rechtsphilosophischer“ Bemühung, es dennoch in diesbezüglicher Absicht in ihren Griff zu nehmen zu suchen. Hiergegen behalten noch stets Leid so schlecht wie Freude und Gelingen gut ihr Recht. Denken und „Nachdenken“ sind notwendiges Übel, das zur Freiheit nicht anders als immer und gerade auch in Selbstkritik vorzudringen vermag. Eben deshalb aber handelt es sich um keine Frage des Beliebens, vielmehr eine mit der menschlichen Existenz in Gesellschaft unabdingbar – um „ewige Wiederkehr“ abzuwenden – gestellte Aufgabe, an deren Erfüllung zu arbeiten bleibt, wo immer jeweils die Sache mit ihrem Zwange sich geltend macht.

Daß aber ebendies in ganz eklatanter Weise am Delinquenten geschieht, macht seine Verteidigung mit allen rechtlich gegebenen, und von Rechts wegen herbeizuschaffenden Mitteln allemal erforderlich, ja notwendig. Nicht seine Wahrnehmung – und möglichste Entlastung – bloß als „Opfer der Verhältnisse“ soll damit angezielt sein, aber entschieden Wahrung und Behauptung seiner Subjektivität, wo er nicht zuletzt auch sich selbst, aus mehr oder auch weniger nachvollziehbaren Gründen, zum Objekt (nämlich: der eigenen Tat) gemacht hat. Moral, anders als Hypermoral, hat dann durchaus ihren Platz; nur eben nicht jene selbstgerechte Vereinnahmung eines allemal in gesellschaftlichen „Problemfeldern“ sich ereignenden Daseins.

In diesem Sinne ist nun schließlich gerade die „Rechtsphilosophie“ G. W. Fr. Hegels noch immer vorbildlich: Auch in ihrem eigenen Anspruch weit entfernt davon, als eine „normative“ Mitte (oder gar, im Gegenteil, bloße „Akkomodation“ an die zuzeiten und überhaupt je vorfindliche Situation) zu fungieren, hält sie noch die anspruchsvollste Veranlagung auf ideelle Einheit in der Schuld gebrochener Verhältnisse. Im folgenden findet sich dementsprechend die erste Verzweigung insgesamt in der nämlichen Perspektive bearbeiteter wissenschaftlichen Themen und Disziplinen, deren Verbindung sich hier noch immer von jener Befassung „mit Hegel“ her bestimmt zu sehen vermag, ohne damit aber irgendwie als umfassende „Anwendung“ seiner „Lehre“ auf disparaten „Gebieten“ gelten zu wollen.

Der Arbeit mit ihr verdankt sich allerdings eben nachhaltig das zur Kritik ausgebildete Interesse an systemischen Zusammenhängen und den Weisen der sie konstituierenden, in ihrem Bestand weiter fortschreibenden und so zugleich (gegen Unmittelbarkeit und Willkür) besserer Einsicht offenhaltenden Verkehrungen. Der damit – in diesem, höchst eingeschränkten, Sinne dann auch „philosophisch“ – erhebbare Anspruch möchte so auch in der Tat deutlich über eine (etwa in der soziologischen Systemtheorie durchaus, immer schon ihrerseits kritisch gegen bloßes „Sein“ wie „Sollen“, ertragreich bearbeitete) funktionale Analyse hinausweisen: Sich mit ihr in den Realismus gesellschaftlicher Beobachtung teilend, hält er doch das Scheitern und die Not als unangemessen, als skandalon fest.

Nur so, in (anstelle eines bloß „kritischen Realismus'“) dermaßen zur Sache kommender Kritik, kann übrigens auch wiederum eine „praktische“ Nutzanwendung über die Beobachtung immanenter Stimmigkeit hinaus zu gewinnender Einsichten in den Blick genommen werden. Es gehören schließlich Alternativen, bevor sie als Gegenstände freier Wahl erscheinen, gleich grundlegend in den Bezug von Anspruch und Wirklichkeit gestellt: nicht allein im Sinne ihrer Interessengebundenheit, sondern überhaupt als Relativierung von „Zielvorgaben“ hin auf den allemal unbefriedigenden, wo nicht geradezu mangelhaften – und einstweilen, mit wie und wie sehr auch immer interessiertem Zugriff, auch nur in durchaus begrenzter Reichweite zu bessernden – Stand und Zustand von Welt.


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