100 Jahre "Alte Schule" Freudenstein 07.09.2008

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Melissa musste noch Kohlen holen

bevor sie zur Schule ging. Deshalb hatte sie nicht ganz saubere Hände und musste in die Ecke stehen. So streng ging es zu  im „Unterricht wie vor 100 Jahren“ beim  Schuljubiläum, welches der Verein „Kunst und Kultur im Dorf“ am letzten Sonntag bei und in der „Alten Schule“ in Freudenstein veranstaltete.  Denn 100 Jahre ist es her, seit die Gemeinde den Bau ihres Schulhauses mit einem zweiten Schulsaal und einer weiteren Lehrerwohnung vollendete.

Den reizenden Schlusspunkt des Programms setzte dabei Frau Ziegler mit ihren Schülern, deren geordneter Einzug ins Klassenzimmer schon deutlich machte, welche Rolle die Disziplin ehemals spielte. Die Mädchen waren in langen Kleidern, hatten Zöpfe mit Schleifchen und natürlich Schürzen. Die Buben, sauber gescheitelt und ebenfalls in bester Schulkleidung zeigten sich von ihrer ruhigsten Seite.

Ein Unterricht vor 100 Jahren begann mit der Begrüßung, die Kinder wünschten dem „Fräulein Lehrerin“ eine guten Morgen. Dann kam das Gebet und ein Lied. Und vor der Hausaufgabenkontrolle war die Prüfung der sauberen Hände dran. Da half keine Erklärung oder Entschuldigung. „Hände waschen“ und „in die Ecke stehen“  -  die unvermeidliche Folge nicht ganz blanker Finger.

Frau Ziegler als Lehrerin ließ im ehemaligen Schulsaal der „Alten Schule“ in Freudenstein den vielen Zuschauern deutlich werden, welch zentrale Rolle die Einhaltung der Verhaltensregeln damals spielten. Trotzdem spürte man stets, dass die Strenge mit Liebe zu den Kindern und mit Achtung vor deren Persönlichkeit verbunden war. Das ist es wohl, was die pädagogische Qualität des Lehrers ausmachte. Die Kinder waren auch alle mit Eifer und Freude dabei, sagten Gelerntes auf, lasen vor und „memorierten“, wie das früher hieß. Die Schulstunde und ihre Akteure erhielten auch den größten Applaus dieses Tages. Sie waren einfach reizend.

 Frau Pfarrerin Wimmer leitete den Jubiläumstag ein mit einem Gottesdienst, begleitet von einer Blechbläsergruppe des Musikvereins Freudenstein, und regte gleich  zu Beginn mit einem Zitat aus „Sprüche“, Kap. 16 zum Nachdenken an: „Weisheit erwerben ist besser als Gold und Einsicht erwerben edler als Silber“. Ulrike Egler und Jutta Mößner erinnerten an Ereignisse anno 1908, dem Jahr der Vollendung des Schulhauses. Die erste drahtlose Nachrichtenübermittlung, das Zeppelinunglück in Echterdingen, der Marktauftritt des Maggi-Brühwürfels, aber auch das in Bayern für Pfarrer erlassene Verbot, liberale Veranstaltungen zu besuchen, waren u.a. Schlagzeilen jener Zeit. In ihrer Predigt vertiefte die Pfarrerin die Gedanken über den oft allzu schnellen Wandel, dem manchmal die älteren Menschen schwer zu folgen vermögen. „Wo ist das Gerüst, welches unserem Leben den verlässlichen Halt gibt? Was ist es, das unser Herz stark macht? Wo bleibt das Beständige in unserem Leben?“ – Fragen, die Menschen von heute bedrängen und auf die der christliche Glaube seit 2000 Jahren die verlässliche Antwort ist, über allen Wandel hinweg.

 Waltraud Piechatzek, die Vorsitzende des Vereins „Kunst und Kultur“ eröffnete das Schuljubiläum mit einem Gedicht von Regine Merkle, in dem sie ihre Lehrerin mit Blumen begrüßt. Bürgermeister Hopp, Ortsvorsteher Steinhilper, Frau Süss als Leiterin des Schulamtes beim Landratsamt, die Rektorin der GHS am Ort, Gemeinde- und Ortschaftsräte wurden besonders willkommen geheißen. Herzlich begrüßt wurde auch Günther Knoch mit Frau. Er war lange Jahre Lehrer in der Volksschule Hohenklingen und Rektor der dann neuen GHS.

„Von diesem Gebäude wird oft mit großem Stolz und Respekt geredet, denn viele Menschen verbinden nachhaltige Erinnerungen und Erlebnisse mit ihm, gingen hier zur Schule oder haben darin gearbeitet“, berichtete Frau Piechatzek. An einer Fotowand in einem der Schulräume hatte der Verein viele Bilder und Dokumente ausgestellt und den ganzen Tag waren Besucher dabei, Gesichter und Jahreszahlen zu sortieren, Erinnerungen auszutauschen. Frau Piechatzek wusste manche Begebenheit zu berichten und erinnerte insbesondere an die Jahre, als die Schule zweckentfremdet war und der Produktion bei verschiedenen Firmen diente. Vor allem viele Freudenstein-Hohenklingener Frauen hatten hier über Jahre Arbeitsplätze. Besonders dramatisch war der Brand im alten Teil des Gebäudes kurz vor Weihnachten 1961. Es war so kalt, dass die Löschwasserschläuche einfroren.

Nach einer für das Haus unrühmlichen Zeit als Lagerstätte übernahm im Jahr 2000 der Verein „Kunst und Kultur“ einen Schulsaal und renovierte gründlich. Seither ist das Gebäude wieder ein Treffpunkt für ein interessiertes Publikum aus Nah und Fern.

 Bürgermeister Hopp sprach dem Verein seine Anerkennung aus für die Beiträge, die zu einer lebendigen Kultur des Ortes geleistet werden. Er betonte die Bedeutung einer Schule, wo es um mehr gehe als nur um ein Gebäude. „Es sind die Menschen, die Schüler und die Lehrer, welche dem Haus seinen bleibenden Wert geben“, sagte der Bürgermeister. Auch Ortsvorsteher Steinhilper brachte seine Freude darüber zum Ausdruck, dass die „Alte Schule“ wieder ein Ort interessanter kultureller Arbeit ist.

 Einen Streifzug durch die Ortsgeschichte und insbesondere das Geschehen um den Neubau eines Schulhauses unternahm Guido Henle vom Verein „KuK“. Von schwierigen Zeiten im Dorf wurde berichtet. Die große Schülerzahl ließ die bestehende einklassige Volksschule gegenüber vom Pfarrhaus aus allen Nähten platzen. Eine Vergrößerung scheiterte letztlich an den Gegebenheiten und so musste, in 2 Bauabschnitten zwischen 1888 und 1908, die nach Fertigstellung zweiklassige  Volksschule gebaut werden, die über 50 Jahre unverändert als Schule Bestand hatte.

 Eine Lanze für die Hauptschule als Nachfolgerin der früheren Volksschule brach Rektor i.R. Roland Suedes, der in einem lebendigen Vortrag die heutige Situation in den Hauptschulen darstellte. Das Lernen ist dort eher handlungsorientiert und bietet, entgegen der heute oft gehörten Meinung, große Chancen für die spätere Entwicklung. Nicht nur, dass auch gute Hauptschüler wieder Berufschancen in vielen Betrieben haben, insbesondere die beruflichen weiterführenden Schulen eröffnen nach einem Hauptschulabschluss viele Fortbildungs- und Aufstiegswege. Nichts ist verbaut, wenn der Schulweg zuerst über die Hauptschule führt. Eindringlich stellte Roland Suedes dar, um wie viel problematischer es doch ist, Kinder in einer für ihre Fähigkeiten ungeeigneten Schule ständig zu überfordern, als ihnen Freude am Lernen zu ermöglichen, eine langsamere Entwicklung zuzulassen und die späteren Fortbildungswege zu nutzen.

 Der Verein „Kunst und Kultur“ dankt den Sponsoren, welche die Herausgabe einer CD mit Liedern nach Gedichten von Regine Merkle, vertont von Volker Hähnle, ermöglicht haben. Wir danken dem Chörle für den musikalischen Betrag an diesem Jubiläumstag.

Zu danken ist auch dem Winzerverein, der das große Zelt zur Verfügung stellte und mit einer „starken Truppe“ auf- und abbaute, den Anwohnern für ihr Verständnis wegen der unvermeidlichen Einschränkungen, allen Kuchenbäckerinnen und nicht zuletzt denen, die Fotos und Dokumente aus ihrer Schulzeit zur Verfügung stellten, insbesondere dabei Frau Margarethe Hähnle für die Ausstellungsstücke und allen Helferinnen und Helfern.