wortAuf [08] -- Kein Sex, keine Drogen, aber Rock'n'Roll

Eigentlich haben sie bereits um die Jahreswende herum geheiratet, Jan und Sabina. In den USA. Bei den Verwandten von Sabina, klassisch mit schwarzen Anzug, Krawatte, Limo, Priester. Während sich unsereins die Eingeweide im winterlichen Deutschland abgefroren hat, möchte man gar nicht wissen was die beiden im sonnigen Kalifornien getrieben haben. Nachwuchs kommt Anfang Oktober. Oktober minus neuneinhalb Monate, make your math...
Da die deutsche Mischpoke recht wenig von den exessziven Sahnetorten-Gelage auf dem anderen Kontinent hatte, gab es Anfang Mai noch eine nachgeholte Hochzeitsparty in Köln. Zwar nichts so ganz offizielles, aber wer Jan kennt, und wer von ihm eine Einladungskarte bekommt auf der steht: 1/ "festliche Kleidung erwünscht", 2/ "Geschenkelisten liegen bei Habitat aus", der weiß daß schweinischen Witze ein Wochenende lang zuhause bleiben müssen.
Das mit dem festlichen Anzug war kein Problem, da ich noch meine Sachen von der Trauerfeier im November hatte. Aber die Geschenkeliste... Habitat hat sich dann schlimmer angehört als es war. Ich befürchtete irgendwelche superteuren Designer-Objekte kaufen zu müssen. Ich Depp, hatte dann noch lange gewartet. Als ich dann am Dienstag vor der Party in den Laden ging, fürchtete ich nicht mehr die riesengroße Auswahl zu haben an eher preiswerteren Geschichten zu haben.
Ich hatte Recht. Ich hatte nur noch die Wahl zwischen drei Geschenke. Der Rest war bereits verkauft, oder in Hamburg nicht vorrätig. Aber ich hatte auch Unrecht, die Preise hielten sich Adrenalinspiegel-freundlichen Bereichen. Eine Keramikschale, und ein Keramik-Toast-Ständer.
So ein Toast-Ständer ist genau das: ein Toast-Ständer. Es sieht aus wie ein CD-Ständer, nur das keine CDs senkrecht reingestellt werden, sondern warme, möglicherweise sogar crosse Toastbrot-Scheiben.
Das Wochenende lag sehr ungünstig, da ich wegen eines noch zu schreibenden Artikel sehr unter Zeitdruck stand. Auf der anderen Seite waren auf der Party ein Redakteur (Jan himself), und der Chefredakteur. Wo und wie liesse sich besser ein Zeitaufschub erflehen als in legerer Partystimmung? "Guten Abend, Herr Redakteur, oh welch' bezaubernde Gattin? Darf ich Ihnen devot meinen Platz am Tisch anbieten? Ich würde mich freuen wenn ich höchstselbst Ihnen Speis' und Getränke an den Tisch servieren dürfte... Ihr Rektum sieht ja heute wieder bezaubernd aus! Hätten Sie was dagegen wenn ich es mal kurz..."
Als Nicht-Autofahrer erschnorrte ich mir auch eine Mitfahrgelegenheit bei Freund "ElvisKoyak". Auch er war eingeladen, quasi als Geschenk auf zwei Beinen (seine Freundin Jenny dürfte beim Lesen dieser Formulierung eben vor Lachen vom Stuhl gefallen sein). Als "The Crooner" auf der Einladung präsentiert, sollte er dort mit einem ihm noch unbekannten Keyboarder 4-5 Lieder singen. ElvisKoyak hat eine Vergangenheit als Gitarist und Sänger einer Metalband, pflegt aber auch zuhause seine musikalischen Wurzeln, z.B. am heimischen Keyboard. Hat "just for fun" auch schon privat 1-2 CDs mit seiner Musik aufgenommen.
Samstag mittags fuhren wir los. Ich ahnte grössere Probleme mit der musikalischen Untermalung während der Fahrt, aber es wurde ein echter Männerkompromiss gefunden. Zu Beginn wurden nach zwei Abba-Stücken (Zugeständnis an Jenny, die in der ersten Hälfte fuhr), Elvis, Frank Sinatra und Dean Martin-Stücke gespielt. Die brauchte der Crooner zum üben und Texte einprägen. Am Nachmittag wurde Fußball gehört, es war ja schließlich letzter Spieltag. Für die die sich nicht mehr erinnern: Letzter Spieltag, Dortmund mit einem Punkt Vorsprung vor Leverkusen, die wiederum einen Punkt Vorsprung auf Bayern hatten. Zum Glück verliessen wir kurz vor vier den Empfangsbereich des unglückseligen NDR mit dem Idioten von Moderator namens Uwe Bahn (ist auch, in einer Funktion, oh welch' Objektivität nicht nur Radio-Sportmoderator, sondern auch Fernseh-Sportmoderator und HSV-Stadionsprecher), und tauchten in die Empfangswellen von WDR 2 ein, dort wo der Fußball zuhause ist.
Die Dramaturgie des Spieltages sollte uns begleiten. Wir fuhren gerade an Dortmund vorbei, als Bremen der Führungstreffer gelang, und Leverkusen metaphorisch an Dortmund vorbeifuhr und sich an die Tabellenspitze setzte. Als Running Gag schaltete sich in der Konferenzreportage immer Stuttgart dazwischen "Tor in Stuttgart, Toooor in Stuttgart", wo der Reporter wohl glaubte dass er die wichtigste Partie des Tages kommentierte, aber das 4:3 des VfBs gegen 'Lautern ging wohl weltweit allen Leuten dermassen am Arsch vorbei...
Wir fuhren weiter die A1 runter, an Dortmund vorbei, am bergigen Wupertal, wo uns der einzige etwas kleinere Stau erwartete. Dann bogen wir an irgendeinem Leverkusener Autobahnkreuz von der A1 auf die A4 ab. In dem Moment erzielte Dortmund das 2:1, und genauso wie Dortmund Leverkusen hinter sich ließ, liessen wir Bayer hinter uns. Just in dem Moment sah Jenny vier erleuchtete Flutlichmasten. Wir fuhren tatsächlich gerade an der BayArena vorbei.
Wir überquerten den Rhein, Stuttgart meldete ein letztes Mal irgendein belangloses Tor, wir fuhren von der Autobahn ab und Dortmund wurde gerade zum Meister gekürt. Das Kulturzentrum "Kunstsalon" war irgendwo im Süden Kölns, aber recht leicht zu finden. Es fing an zu regnen, nichts mehr von den zwanzig Grad in Hamburg zu spüren. Wir parkten 50m weiter, gingen zum Kunstsalon. Shit, zu früh, noch niemand da. Zum Glück war zwischen zwei Gebäuden im Hinterhof ein Zeltdach gepannt, das uns trocken hielt.
Crooner vorher
ElvisKoyak
Nach zehn Minuten kamen auch die ersten Leute von Kulturzentrum und liessen uns in den Festraum in den zweiten Stock rauf.
Noch leerer Saal
Der noch leere Festraum
Dann kam Fred Sinalco, der Keyboarder und die Proben fingen an. Jan schneite rein, und bekam so bereits einiges vom Programm mit, was er eigentlich nicht sollte. Seufz. Die Probe klappte erstaunlich gut, dafür das Elvis und Fred davor nur einmal miteinander telefoniert hatten. Beide sanken nach jedem Stück auf die Knie und beteten sich gegenseitig an...
Fred Sinalco an den Keyboards
Fred Sinalco an den Keyboards
Ich komme von der Grafik. ich weiß wie ich ein weißes Blatt Papier zu handlen habe, ich weiß wie ich zeichne. Musik ist für mich Terra Incognita. Wenn ich etwas höre, kann ich es nicht nachspielen. Wenn ich Sounds produzieren soll, komme ich allenfalls nach dem Trial'n'error-Prinzip voran, aber es fehlt mir an jeglichen Koordinaten in der Musikwelt. Wenn ich zeichne, dann habe ich Layout, Bildkomposition, Fluchtpunkte, Dunkel-/Helligkeitsbalance und andere Dinge im Kopf, von denen ich weiß wie ich sie einsetzen muss, um Effekte zu erreichen. Musik: nichts.
Crooner-Probe
Fred Sinalco und der Crooner üben noch
Mir wurde das bei den Proben wieder schmerzhaft bewusst. Und ich war völlig fasziniert, wie z.B. der Fred aus einem Grundgerüst an Beats und Harmonien ihm unbekannte Stücke nachspielen konnte. Terra Incognita für mich.
ElvisKoyak hat verdammt gut gesungen. Und so wie er mir manchmal zu Füßen wegen einiger Layouts liegt, so ziehe ich meinen Hut vor seiner Gesangsleistung. Mir wurde erstmals bewusst dass es da noch einen zweiten Punkt gibt, der mir höllisch viel Respekt abverlangt. Okay, er kann singen, ich kann zeichnen. Bis dahin ist es unentschieden. Nur: wenn ich mich verzeichne, kann ich es wegradieren. Und beim Zeichnen radiere ich verdammt viel! Wenn er hingegen den Ton rauslässt, ist er draussen. Unwideruflich draussen, in die freie Welt entlassen, wo ihn jedermann hören kann. Kein Radiergummi, kein Netz, keinen doppelten Boden, keine Korrekturmöglichkeit. Unvorstellbar für mich. Sowas hasse ich. Sowas habe ich von frühester Kindheit an gehasst.
Ich habe es gehasst beim Blockflötenspielen in der ersten Reihe zu stehen (sehr schnell verlagerte ich mich auf das "Playback spielen": lass die anderen blasen, bewege du nur die Finger...). Ich habe es gehasst als ich in der dritten Klasse beim Theaterstück "Hänsel und Gretel" in der Hütte saß und irgendeine Rolle gespielt habe. Und meinen Text nicht ungestört aufsagen konnte, weil die Eltern im Publikum immer reingeschrien haben "Lauter". Ich habe es von meiner Kindheit an gehasst. Das Gruppenerlebnis Theater hatte was, nur bitte nichts für mich was mit Lampenfieber zu tun hat. Nie, nie nie. Derartig psychotisch veranlagt, zolle ich umso höheren Respekt an die die sich trauenund Luft durch die mit einer bestimmten Kraft angespannten Stimmbändern zu pressen.
Eine kleine Meinungsverschiedenheit gab es dann bei der Probe. ElvisKoyak sang gerade "Please release", als ich breitgrinsend ellenbogen-stupsenderweise Jan darauf aufmerksam macht, wie ultrapassend dieses Lied für eine Hochzeitsparty wäre: "Please relase me, let me go". Ich fand es witzig. Jan nicht. Nach einigen verbalem Hin- und Her, wurde das Lied dann (leider) gestrichen.
Ägyptisches Food
Das vom Buffet aufgesammelte Essen
Inzwischen kam auch Sabina mit dem Essen, mehrere arabische Speisen (Kichererbsen-Püree, Falaffel usw...) und bald ging es dann los. Es kamen ca. 50 Leute. Am Eingang, nachdem man sich seines Mantels entledigte, wurde man per Polaroid fotographiert, und das Photo dann in einem Buch reingeklebt, in das man sich dann mit einer Bemerkung aus der Sparte "verzweifelt nach Pointe gesucht" eintrug. Die Geschenke wurden auf einem Tisch entladen. Toll, Herr Pahl hatte als einziger sein Geschenk in dem weissen Packpapier von Habitat gelassen. Sehr feinfühlig, Herr Pahl, sehr feinfühlig.
Habitat in Action
Die Habitat-Filiale in Köln
Eine Party zu machen ist schwer. Die Gastgeber müssen sie wie von unsichtbarer Hand leiten. Der Gast an und für sich, möchte ganz profan zum Buffet rennen, sich vollfressen, Kaltgetränke in sich hineinkippen und rechtzeitig zum Sportstudio und Spätspielfilm wieder zuhause sein.
Der Gastgeber wiederum möchte Geschenke abgreifen, Beweismaterial für nachfolgende Generationen produzieren (Fotos) und schließlich eine gute Note für die Party bekommen. Ähnlich wie einst bei "Spiel ohne Grenze" steht die Länge einer Party im direkten Zusammenhang mit der Güte: Wie lange gelingt es die qua Natur gen heimatliche oder fremder Wohnung strebenden Gäste aufzuhalten? Wie bringt man eine halbe Hundertschaft hungriger Mäuler dazu das Essen mit dem Besteck vom Buffet zu nehmen, nicht mit den Händen? Wie bringt man die Gäste dazu dass sie sich miteinander unterhalten? Atemlos sieht man die Gastgeber von Gruppe zu Gruppe rasen, immer wieder einen vereinsamten Gast an die Hand nehmend und in eine Gruppe parken: "Kennt ihr euch schon?", "Habt ihr euch schon...".
Sowas sind die Party-Basics. Party für Fortgeschrittene heisst: Showbühne.
Es ging ans Essen. Wasserwerfer und Betäubungsgewehre waren bereit, das Büffet wurde eröffnet. Momente die an die Sportdisziplin "Gehen" erinnern. Jeder würde am liebsten schreiend loslaufen, aber keiner möchte sich die Blöße geben. Daher zieht eine Prozession von auffällig unauffälligen Menschen zügig zum Buffet. Durch geschicktes Plazieren des Geschirrs auf der rechten Seite wird auch gleich eine Richtung vorgegeben (statt das zwei Gästeströme in der Mitte des Buffets zusammenprallen, nicht aneinandervorbei kommen und sich gegenseitig Saucen auf Ärmel und Krawatte schmieren).
Henna und Gerriet
Henna und Gerriet. Hamburg rules.
Es war eine Abordnung aus Hamburg gekommen, u.a. Henna und Gerriet als DJs. Nach dem Essen hielt Henna eine Rede. Eine Rede die bestes hamburgisches Entertainment war. Humor der von hinten kommt, Pointen die gestottert und gestolpert erscheinen, aber zielbewusst gesetzt sind. Hamburger sind das fleischgewordene Understatement. Um witzig zu sein, brauchts keine lila Perücken. Tocotronic, fettes Brot, Henna, Hamburg. Need to say more?
Jan und Sabina
Jan und Sabina lauschen der Rede von Henna
Sinn der Rede, neben Verbreitung hamburgischen Kulturgutes, war die Überreichung eines Gemäldes eines St.Pauli-Originals. Karlo Kannibalo bekam fuffzig Mark (oder Euro) und ein Photo in die Hand gedrückt. Aus Sperrmüllreste bastelte er eine Leinwand und einen Rahmen, und verewigte Jan und Sabina auf Öl.
Jan, Sabina und das Gemälde
Das Gemälde, links, angeschnitten, Eva
Wir kommen noch dadrauf zu sprechen
Dann war "SHOWTIMEEEEEE". Fred Sinalco und ElvisKoyak räumten quasi die Bühne ab, ElvisKoyak dabei mit einem Organ wie ein Tier.
Crooner in Action
Der Crooner hat sie bereits erweicht: Frauen nehmen eine leicht laszive Stellung ein.
Ein weiterer, unangekündigter Showblock war die Breakdance-Einlage von Vladimir Etoticz und seinem Electric Pimp, die derartig begeisterte, dass die Zuschauer einen engen Kreis um die beiden schloß, was wiederum sämtliche Menschen unterhalb 1m80 Körpergrösse, mich eingeschlossen, von diesem Entertainment-Ereignis ausschloß.
Crooner in ActionCrooner in Action
Der ePimp und der Etoticz.
Dann gab es die Musik und man quatschte sich so durch die Grüppchen durch, die die nicht-tanzenden Männer entlang der Tanzfläche abgaben. Auch Jörg war da, samt Freundin Xenia (siehe auch Geburtstag im Juni 2001). Für Gespächsstoff war dank relativ übereinstimmender Interesse auf dem Gebiet Comics, Videospiele und Gesellschaft gesorgt. Zudem war auch die Freundin Gesprächstoff genug, da, wie Sabina, schwanger. Doppelt schwanger, vulgo: Zwillinge im Bauch. Jörg war zudem auch mein Schlafstätten-Geber. Es hatte da einige Kommunikationsschwierigkeiten gegeben, da er auf einen Anruf von mir wartete, ich widerum hatte die durch Jan übermittelte Nachricht so verstanden, das ich mich nur dann melden sollte, wenn ich bereits am Samstag Nachmittag Sachen da lassen wollte oder so... Nun ja, er meinte, es würde nichts machen, würde schon klappen... Der aufmerksame Leser wird an dieser Stelle feststellen das ich versuche einen Spannungsbogen aufzubauen, also, diese Stelle merken, wir werden auch darauf nochmal zu sprechen kommen...
GoGo-Boy
Apropos Spannungsbogen. Mein Spannungsbogen an diesem Abend hieß Eva. Kam auch aus Hamburg, kannte ich aber bis dato nicht (weil wohl via Sabina kommend). Nett aussehend, nettes Gespräch gehabt. Eva war freie Journalistin gewesen (Nachrichtenredakteurin bei einer grossen Tageszeitung) und hat nun einen Job in der Presseabteilung einer Stiftung bekommen. Sie klagte über die unglaublich niedrigen Zeilen bzw. Wortpreise die die Tageszeitung gezahlt hat. Worauf ich dann nebenbei fallenließ wieviel man als Freier für Fachzeitschriften verdient, was man als Seitenpreis bekommt. Das hat sie dann auch nicht für möglich gehalten...
Eva war soweit also recht reizend, und ich war den restlichen Abend fast ausschließlich damit beschäftigt auszuloten ob ich bei Eva Interesse auslöste. Ergebnis der Analyse, auf Basis der Zahl der Blickkontakte die wir hatten: Nein.
Da gab es irgendwie kein Feld zum beackern. Da war nix. Nee, wirklich nichts. Also ließ ich die Sache auf sich beruhen. Da war leider nichts zu machen. Nicht, daß es mich gekümmert hätte. Wirklich nicht. Im Ernst. Echt jetzt. Habe mir eigentlich keine Gedanken drüber gemacht. Also fast keine. Weil da war ja auch nichts. Warum hätte da auch was sein sollen. Hätte sein können, war aber nicht. Was mich aber auch nicht weiter irritiert hat. Nicht wirklich. Okay, vielleicht ein ganz klein bißchen. Aber nur sooo viel. Ansonsten hat mich Eva kalt gelassen. Habe quasi keinen Gedanken an sie verschwendet.
Mit der fortgeschrittenen Abendstunde rückte auch ein Problem in den Vordergrund dass sich Müdigkeit nannte. Jörg hatte sich mit der Bemerkung verabschiedet dass er seine Haustürschlüssel an Duffy gegeben hätte, der ebenfalls bei ihm pennen würde. Er, Jörg, würde bei seiner Freundin schlafen.
Auch ElvisKoyak hatte ein artverwandtes Problem. Seine Schlafstätte hieß Fred Sinalco. Und genauso wie Duffy, bewies auch Fred Steherqualitäten auf der Party. Ich versuchte es also mit der direkten Methode, ging auf Duffy zu: "Jörg hat mir gesagt, du hättest die Schlüssel. Ich bin müde, ich würde bald gehen wollen, kannst du mir die Schlüssel geben?" Aus irgendeinem Grund war ich mir sicher dass ich die Schlüssel bekommen würde. Duffy: "Ja, klar, aber du kannst noch eine halbe Stunde warten, dann werden wir auch gehen und wir können zusammen fahren".
Dieser Satz war wie eine Ohrfeige für mich. Denn ich wusste in der Zehntelsekunde in der der Satz ausgesprochen wurde, dass es eine rhetorische Antwort war, dass keiner in einer halben Stunde gehen würde, nicht ich, nicht er, keiner. Getreu dem Motto: "mitgehangen, mitgefangen". Mir wurde klar: Ich würde noch lange, verdammt lange auf der Party bleiben müssen.
Dem geneigten Leser mag noch ein weiteres Detail im Satz ebensowenig entgangen sein, wie mir: "wir". Er sagte "wir". Wer denn noch? Wie es sich herausstellte: zwei weitere Personen: Kascha und Dieter. Kascha, Dieter, Duffy, ich. Wir waren zu viert. Mir wurde wieder bewusst, dass Jörg vorhin davon gesprochen hatte: "es wird eng werden, aber es wird schon gehen".
Nach dem Motto "Geteiltes Leid, halbes Leid" hingen ich und ElvisKoyak in den Seilen und warteten auf unsere "Bettgenossen". Dann, es war kurz nach halb eins, kam Duffy auf mich zu. Er wäre jetzt so weit. Er sagte den anderen Bescheid, zog seine Jacke an, zückte sein Handy um ein Taxi zu rufen. Ich grinste ElvisKoyak hemmungslos an, flötete süßlich irgendwas von wegen "Gute Nacht!". Doch dann das unglaubliche: DJ Gerriet legte Stevie Wonders "Supersticious" auf, Duffy stöhnte "Warum müssen die DJs die besten Stücke immer als letztes auflegen!", stopfte das Handy in die Jacke, rieß sich die Jacke vom Leib, sprang auf die Tanzfläche und schwofte ab. Mein Grinsen gefror während mir ganz warm im Mantel wurde.
Kascha und Soulman Duffy
Es war dann gegen zwei als zumindest Leidensgenosse ElvisKoyak erlöst wurde und er mit Freundin und Fred gemeinsam gen Bonn zum kuschelig weichen Bett fuhr.
Bei mir wurde es drei, als das Personal vom Kulturzentrum quasi den Stecker zog und den DJ noch ein letztes Stück spielen ließ. Duffy rief per Handy ein Taxi. "Taxi kommt in 15 Minuten". Wir gingen runter. Es war beschissen kalt, und es war beschissen naß, weil beschissen regnerisch. Wir warteten an der Strassen. Wir waren nicht die einzigen. Vor uns wartete noch ein anderer, der ebenfalls sagte erhätte ein Taxi bestellt. Taxi kam. Nur das nicht wir darin einstiegen, sondern mit offenen Mund zusahen, wie der andere Typ darin einstieg und wegfuhr. Wir vier sahen dem Treiben recht entgeistert zu. Ehe Duffy reagieren konnte und dem Typen aufs Maul schlagen konnte (irgendwie sah er aus, als würde er bei solchen Gelegenheiten Leuten aufs Maul hauen), war das Taxi weg. Es kam auch irgendwie keines mehr. Nach zehn weiteren Minuten bestellte Duffy nochmal ein Taxi. "Kommt in sieben Minuten". Nach einer Viertelstunde kamm dann ein Taxi. Wir vier quetschten uns patschnaß rein.
Der Fahrer fuhr zügig, aber nicht brutal. Man muss wissen, dass es in Köln anscheinend viele Unterführungen gibt, und daher die ganze Fahrt eine permanente Berg- und Talfahrt war. Kascha meinte während der Fahrt grantig zum Fahrer "Sie fahren aber sehr sportiv. Muss das so sein?" -- "Ich fahre ganz normal. Ist Ihnen schlecht?" -- "Ja." Super. Rechts von mir die Tür. Links von mir Kascha die mit Übelkeit kämpfte. Jeder Drehbuchautor würde sie jetzt in meinen Schoß kotzen lassen. Lieber Gott, lass das Taxi ankommen, und zwar schnell.
Sie kotzte nicht. Wir kamen bei Jörg an, der direkt vor dem Eigelstein-Tor in Köln wohnt. Tür auf. Treppe rauf. Absatz. Links rum, Treppe rauf. Wohnung. Aufschliessen. Problem. Remember Spannungsbogen?
Zwei "Schlafzimmer" in der Wohnung. Das Wohnzimmer: Schlafmatraze und Schlafsack für Kascha. Das Schlafzimmer mit Bett für Dieter, mit Schlafmatraze und Decke für Duffy und für Kai, das..., der... äh..., die, äh... der Fußboden und äh... das...
Okay, der Fußboden, kein Problem. Ich kann gut auf harten Böden schlafen (kein Witz). Zumal sich auch noch eine Isomatte finden ließ. Kopfkissen: auch kein Problem. Da konnte ich meine Tasche für verwenden. Aber Decke... Keine Decke. Nirgends.
So schlief ich dann um kurz vor vier: auf einer ein Zentimeter dicken Isomatte, mein Haupt auf meine kleine Tasche gelegt, und als Decke meinen halbnassen Mantel für die Beine, und Hemd für den Oberkörper benützt.
Ich habe schlecht geschlafen. Wirklich. Es war kalt. Die Tasche als Kopfkissen war nicht das Wahre. ich habe mich hin- und hergewälzt. Ich weiß nicht ob ich wirklich geschlafen habe. Ich bin wohl wirklich kurz eingenickt. Irgendwann habe ich es aber dann aufgegeben, bin aufgestanden und total durchgefroren in die Küche gelatscht. In die sehr kleine Küche, was von Vorteil war. Ich habe die Heizung voll aufgezogen und mir einen Tee gemacht. Langsam wurde mir warm. Es war bereits hell draussen. Keine Ahnung wie spät. Jetzt galt es noch die Langeweile zu bekämpfen, denn bis zehn Uhr gab es schlichtweg nichts zu tun. Und das einzig lesbare in der Küche waren zwei Ausgaben von "Ox" einem Punkmagazin.
Ox erwies sich aber als überraschend "nahrhafter" Lesestoff. Die erste Ausgabe hat mich immerhin satte zwei Stunden auf Trab gehalten. Von draussen hörte ich Glockenläuten. Es musste nun acht Uhr sein. Dieter ist zwischenzeitlich aufgewacht, und hat sich auf die Socken gemacht, um per Zug nach Berlin zurückzufahren. Ox zwo war dran, der vierte Tee wurde hineingeschüttet, langsam hatte ich wieder normale Körpertemperatur und eine Soziologie der aktuellen Punkmusik im Kopf.
Nein, nein, um da nix in den falschen Hals zu bekommen. Natürlich hat mich die Nacht mäßig begeistert, aber kein Problem "nobody was harmed" wie man im angelsächsischen Raum sagt. Ich bin auf niemanden sauer, im Gegenteil, im Nachinein hat man was Amüsantes zu erzählen. Weswegen ich Jan und Jörg bis dato nichts erzählt habe.
Treppenhaus von Jörg
Treppenhaus, sonntagmorgens, in Olivgrün.
Als ich dann mit dem zwoten Ox-Magazin durch war, schätzte ich die Zeit so auf Neun, Halbzehn ein, also konnte ich anfangen mich vom Acker zu machen. Tasse gewaschen, leise die Sachen zusammengepackt, und dann die Wohnung verlassen, in ein tristes, olivgrünes, 60er-Jahre-Treppenhaus hinein. Draussen war das Wetter genauso beschissen wie vor einigen Stunden: Nieselregen, grau und kalt. Ich ging langsam, ganz langsam zum Hauptbahnhof, um mir Lesestoff zu besorgen. Ich hatte Zeit. Bei Jan und Sabina würde es so gegen Zehn wieder losgehen, da Jan noch zum Kunstsalon fahren musste, um Sachen zu packen.
Blick auf Dom
Ich empfinde Köln als sehr graue Stadt, umso stärker wenn es nieselt. Allerdings waren zu dieser unchristlichen Zeit bereits viele Bäckereien und Türken offen. Viele Kölner gingen mit Trainingsanzug, Schmerbauch und Kötern Gassi. Hauptbahnhof, 1-2 Magazine gekauft, dann Richtung Westen zu Jan gegangen, zuerst über die Domplatte. Viele Leute. Weniger die Schmerbauchtypen. Mehr Touristen. Aber es bleibt alles Grau, nieselig. Weiter gen Westen. Die Gebäude an denen ich entlang gehe sind tristen Bauten aus den Sechszigern, Siebzigern, an zu engen Bürgersteigen aber dafür breiten, frischen Asphaltstreifen für die Autos. Viele Bürobauten, viele "zu vermieten"-Schilder.
Eine halbe Stunde später bei Jan in der Bismarckstraße aufgeschlagen. Jan war mit dem Auto schon weg, Sabina hat mich empfangen, und Eva (die bei Jan und Sabina übernachtete) war unter der Dusche. Ich half Sabina dabei den Brunch vorzubereiten. Als Eva mit dem Duschen fertig war, ging Irek ins Bad, während Eva woanders ihr Haar föhnte. Insofern bemerkenswert weil Irek mit dem Duschen und Morgentoilette weniger Zeit verbrachte, als Eva mit dem Föhnen ihres Haares!? Und man glaube mir, die Frisur von Eva ist eher simplerer Natur...
Irgendwann kam Jan an, ich und Irek halfen Jan beim Schleppen der Sachen aus dem Auto vier Stockwerke hoch in die Wohnung. Brunch war fertig, und wir konnten zu fünft schon mal anfangen, bevor die anderen Gäste kamen. Sogar der Toastständer kam zu seinem ersten Einsatz, wiewohl er auch innerhalb des Brautpaares nicht ganz unumstritten war. Aber Jan setzte sich durch, der Ständer kam auf den Tisch.
Es wurde gebruncht, die Wohnung füllte sich mit Gästen, es fand das rituelle Abledern von Jan mit "Tony Hawks 2" auf der Dreamcast statt (ich selbst verlor bei "Graphitti" mit ca. 3 zu 30 Tags, ElvisKoyak und Irek holten immerhin ca. 7-8 Felder, Duffy schaffte auch nicht mehr als 3 Felder zu behalten).
Crooner privat
Der Crooner, offensichtlich ausgeschlafen (Arsch!) und in Freizeitkleidung.
Gegen 14/15h brachen ich, Jenny und ElvisKoyak dann auf. Jenny und/oder ElvisKoyak hatten die Irsinnsidee vor der Heimfahrt noch einen Abstecher zum Kölner Dom zu machen.
Crooner und Jeanny
Crooners Freundin Jeanny, ähhh, Jenny.
Dom
Dom, aussen
Der Kölner Dom ist definitiv eine recht eindrucksvolle Geschichte. Wenn ich es richtig mitbekommen habe, wurde er in mehreren Etappen gebaut, aber nichtsdestotrotz grösstenteils quasi von Hand. Angesichts der immensen Ausmaße des Doms eine unglaubliche Geschichte. Und alles übersäht mit unzähligen Verziehrungen. Jenny hatte nicht nur die Idee in den Dom zu gehen, sondern auch den Dom zu besteigen: 510 handgezählte Stufen. Die allermeisten in einer ungefähr 1m20 breiten Wendeltreppe.
Dom, innen
Dann, gegen vier Uhr ging es gen Hamburg. Die Kölner Verkehrsbeschilderung bereiteten ElvisKoyak als Fahrer ebenso einige Kopfschmerzen, wie auch die Meinungsverschiedenheiten zwischen mir und Jenny wie man doch noch auf die Autobahn kommt. Nach ca. 50m Autobahnfahrt gerieten wir auch in den ersten richtig fetten Stau (der, ganz nebenbei, hätte vermieden werden können, wenn man auf mich gehört hätte und entgegen der Beschilderung im Kölner Norden direkt auf die A4 gefahren wäre...).
Sehr bald aber wurde Fahrt aufgenommen. Irgendwo hinter Osnabrück hielten wir an einer Autobahnraststätte. Kein Wunder dass man sich nach McDonalds sehnt. 7Euro50 für einen Teller Spaghetti Bolognese abzuzocken, grenzt an Beutelschneiderei.
Sonnenuntergang
Kaum kamen wir nahe Hamburg, riß die Wolkendecke auf, und endlich, nach 36 Stunden wieder gutes Wetter. ElvisKoyak oder Jenny unkte, das würde pünktlich mit dem Eintritt des Elbtunnels ein Ende haben. Ich war Skepsis, aber es stimmte. Mit einem wunderschönen Sonnenuntergang rein in den Tunnel, mit Nieselregen raus aus den Tunnel...
Skyline Hafen
Home, sweet home. Der Vorteil einer Skyline mit Erkennungswert: man bekommt schon Kilometer vorher Heimatgefühle.