Der Peter Pan der zeitgenössischen Kunst
Interview mit dem Künstler Tobais Rehberger


von Marko Schacher

Tobias Rehberger gehört zweifellos zu den Künstlern aus der Region Stuttgart, die den internationalen Durchbruch geschafft haben. Dieses Jahr hat der gebürtige Esslinger, der seit vier Jahren an der Frankfurter Städelschule unterrichtet, den renommierten Karl-Ströher-Preis der Stadt Frankfurt erhalten und ist mit einer interaktiven Lampen-Installation im internationalen Pavillon auf der Biennale in Venedig vertreten. Vom 18.10.03 bis zum 11.1.04 sind unter dem Titel "bitte danke" in der Galerie der Stadt Stuttgart Arbeiten Rehbergers aus der Sammlung der LBBW zu sehen. Marko Schacher hat den 37-jährigen Workoholic zu ausgewählten Aspekten seiner Arbeit befragt.

Herr Rehberger, Sie fertigen oft für Banken oder Firmen exklusive Auftragsarbeiten. Sind solche Werke, die der breiten Öffentlichkeit meist nicht zugänglich sind, für Sie ein notwendiges Übel oder wirklicher Herzenswunsch?

Ich halte Kunstwerke in einer Bank für genauso notwendig wie in einem Kindergarten, einer Wohnung oder einem Museum; da gibt es für mich keine Hierarchie. Entweder es macht Sinn, eine Arbeit für einen bestimmten Ort zu machen oder nicht. Ein Museum ist für mich ein funktionales und seiner Definition verhaftetes Gebäude - genauso wie eine Bank oder eine Küche.

Wie erklären Sie sich die Beliebtheit, die Ihre Arbeiten insbesondere bei den Kunstbeauftragten von großen Banken haben?

Ich bin kein Künstler, der darauf besteht, meine weißen Wände zu haben. Ich habe zum Beispiel keine Probleme damit, unter der Treppe, die in den Heizungskeller führt, eine Installation zu machen. Solche abstrusen Situationen sind für mich eher spannend als abträglich.

Wie beurteilen Sie Ihre Arbeiten, die sich in der Sammlung der Stuttgarter LBBW befinden?

Diese Sammlung umfasst einen relativ großen Zeitraum und deckt fast alle Bereiche ab. Eine Privatsammlung, die aus gekauften Arbeiten besteht, die keine Auftragsarbeiten sind, kann man schwerlich besser machen. Die Sammlung ist überraschend zielgerichtet und konzentriert. Lutz Casper, der Kunstbeauftragte der LBBW, hat sie mit sehr viel Herzblut zusammengestellt.

 

 

 

 

 

 

Som-Tam-Po, 2003

Die neueste Arbeit der Sammlung ist die Auto-Skulptur "Som-Tam-Po", die das Mercedes Versuchsfahrzeug C111 imitiert. Was heißt dieser Titel übersetzt?

"Som-Tam-Po" ist ein Papaya-Salat mit zerstoßenem Krebs. Alle meine bisherigen Autoskulpturen tragen Titel aus der thailändischen Küche, weil sie alle in Thailand hergestellt wurden. C111 ist der legendäre Sportwagen aus den 70er Jahren, der aus mysteriösen Gründen leider nie gebaut wurde. Da ich den C111 hauptsächlich von Kartenspielen aus meiner Kindheit kenne, haben wir über das Internet alte Quartett-Kartenspiele gekauft und die jeweiligen Karten mit dem C111 als Vorlagen nach Thailand geschickt.

Licht bzw. Lampen scheinen in Ihrer Arbeit eine immer wichtigere Rolle zu spielen. Gab es dafür ein ausschlaggebendes Erlebnis?

Eigentlich nicht. Es geht mir weniger um das Licht selbst, als um die Übertragung eines physischen Phänomens, wofür das Licht ein Beispiel ist. In Athen arbeite ich gerade an einer Installation, in der Regen übertragen wird. Wenn es in Dublin regnet, soll es automatisch auch in Athen regnen - und zwar unter einer Brücke.

 

 

 

 

 

 

 

No Need To Fight About The Channel, 1996

Viele Ihrer Installationen, die eigentlich benutzbar sind, dürfen während einer Ausstellung nicht benutzt werden. Ist das nicht ein unerlaubter Eingriff in Ihre Arbeit?

Ich seh das nicht so. Mit dem Verkauf der Arbeit übergebe ich auch die Verantwortung in andere Hände. So ein Verbot der Benutzung ist im Werk selbst durchaus angelegt. Als ich das erste Mal in einer Galerie eine benutzbare Skulptur aufgestellt habe, ging der Streit schon los. Natürlich hieß es gleich "JA, aber wenn die dreckig wird, dann kauft die doch keiner mehr". So naiv, dass ich glaube, ich sage "Das ist zum Hinhocken" und jeder setzt sich tatsächlich hin, bin ich nicht. Es geht eher um das Problem des Draufsetzen als um das Draufsetzen selbst.

Welche Rolle spielt der Zufall in Ihrem Werk?

Wenn man den Zufall als "unkontrollierten Moment" definiert, spielt er eine sehr große Rolle für mich. Ich involviere oft Leute in den künstlerischen Prozess der Arbeit, die Dinge unabhängig von mir entscheiden. So habe ich zum Beispiel einen Schreiner Regale entwerfen lassen, die ich dann geschreinert habe. Das widerspricht natürlich der allgemeinen Erwartung, dass der Künstler die totale Kontrolle über sein Werk hat und jede Einzelheit seiner Arbeit genau geplant und durchdacht hat. Oft entstehen auch Arbeiten, über die der Besitzer keine wirkliche Kontrolle hat. In Barcelona habe ich zum Beispiel mal einen dunkeln Raum mit nur einer Lampe ausgestattet, die nur anging, wenn ich in meinem Atelier das Licht angeschaltet habe. Insofern geht es eher um Kontrollverlust, also die Abgabe oder das Entreißen von Kontrolle als um Zufall.

Eine Journalistin hat Sie einmal als "Peter Pan unter den zeitgenössischen Künstlern" bezeichnet? Spielt das Kindliche bzw. Kindische in Ihrem Werk eine Rolle?

Das Kindische besteht vielleicht darin, dass ich alle Schritte ständig in Frage stelle - wie ein Kind, das immer nach dem "Warum?" fragt. Insofern habe ich vielleicht schon etwas Peter Pan-Mäßiges, etwas Flatterhaftes.

Viele Ihrer Arbeiten thematisieren nationale Kulturgüter und verwischen oft die Grenzen, z.Bsp. indem eine japanische Tee-Zeremonie von einem Deutschen im Schwarzwald zelebriert wird. Welche Rolle spielt Ihre eigene Nationalität für Ihr Werk?

Nationalität ist etwas künstlich Gesetztes. Mich interessieren viel mehr kulturelle Definitionen und hierbei insbesondere lokale Unterschiede. Die Bayern sind zu den Berlinern viel unterschiedlicher als zum Beispiel die Deutschen gegenüber den Franzosen. Ich würde eher sagen "Ich bin Schwabe" als "Ich bin Deutscher".

 

 

 

 

 

 

 

One, 1992

Welche Rolle spielt die schwäbische Herkunft für Ihre Kunst?

Wo genau der "schwäbische Punkt" in meiner Arbeit ist, kann ich nicht sagen; ich möchte ihn jedenfalls nicht dezidiert zum Ausdruck bringen. Genauso spielt sicher eine Rolle, dass ich ein halber Österreicher bin. Das gleicht sich irgendwie aus.

Beobachten Sie nach wie vor die Stuttgarter Kunstszene?

Nicht mehr als die Kunstszene in Düsseldorf, Berlin oder Hamburg. Ich habe eigentlich erst Kontakt mit Künstlern, Galeristen und Sammlern aus Stuttgart bekommen, als ich dort schon nicht mehr gelebt habe. In meiner Jugend habe ich so vor mich hingekünstelt, habe aber leider nie mitbekommen, dass es in Stuttgart Mitte der 80er ja gute Galerien, gute Ausstellungen und gute Künstler gab - zum Beispiel die Galerie Hetzler und eine Kippenberger-Ausstellung. Im Moment habe ich keinen engen Kontakt zu Stuttgartern, aber zu einigen, die in Stuttgart studiert haben, dort aber nicht mehr wohnen. Meine Eltern und alte Freunde leben noch in Esslingen. An Weihnachten, Ostern und zu den Geburtstagen bin ich natürlich da.

Die Galeristen Bernd Hammelehle und Sven Oliver Ahrens, die letztes Jahr nach Köln gezogen sind, hatten Sie im Programm…

Mit Bernd Hammelehle bin ich befreundet seit ich 18 bin. Das ist eigentlich der früheste und der einzig gebliebene Kontakt mit einem gleichgesinnten Stuttgarter.

Sie haben 1999 den "Internationalen Preis des Landes Baden-Württemberg" bekommen, 2001 - als bisher jüngster Preisträger - den Dix-Preis der Stadt Gera und dieses Jahr den Karl Ströher-Preis der Stadt Frankfurt. Bedeuten Ihnen diese Preise etwas?

Nun, wie soll ich das jetzt öffentlich sagen? Traurig ist man natürlich nicht drüber. Es ist aber auch nicht so, dass man sich deswegen besonders toll vorkommt. Wenn man sich selbst gegenüber etwas kritisch ist, gibt es nach wie vor genug zu tun, auch wenn man noch so viele Preise bekommt.



Links:

Abschiedsinterview mit Rehbergers Galeristen Hammelehle/Ahrens:
http://www.medienkultur-stuttgart.de/thema02/2archiv/news7/mks7hammelehleahrens.htm

Interview von Jan Winkelmann mit Tobias Rehberger aus dem Jahr 2001:
http://www.jnwnklmnn.de/rehberg.htm


Auszüge aus diesem Interview erschienen in den "Stuttgarter Nachrichten" vom 16.10.03 und werden in der November-Ausgabe 03 von "Sonnendeck - Stuttgarter Kunstnotizen" erscheinen

Portait-Foto: Marko Schacher, Werk-Abb.: LBBW


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