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* Rezension – Koran für Kinder und Erwachsene

21. November. 2008


Koran für Kinder und Erwachsene

Seit seinem Erscheinen sorgte das Buch „Koran für Kinder und Erwachsene“ für Diskussionen. Es ist eigentlich ein mutiger Versuch, den Koran in dieser Form zu veröffentlichen. Dafür müsste ja sowieso ein Verlag herhalten, der nicht wie die islamischen Verlage in Deutschland um Existenz kämpft. Der renommierte Verlag C.H. Beck steckte jahrelange Erfahrungen deutscher Buchdruckkunst darin und Verzierungen geben dem Buch auch einen orientalischen Flair. Es fällt aber auf, dass die Verzierungen dem turkomanischen Still des 18. Jahrhunderts ähneln. Die Motiven wurden aber in der muslimischen Buchzierkunst in dieser Form nicht gebraucht; Blumenmotive stehen hier alle einzeln im Gegensatz zu islamischen Ornamenten und Blumenmuster, die miteinander verbunden werden, symbolisch für die Umma der Muslime und der Natur, die miteinander in harmonischem Zusammenhang und Einklang stehen.

Das Buch ist mit sehr abwechslungsreichen Bildern aus der osmanischen und persischen Miniaturarbeiten auch mit vermeintlichen Abbildungen des Gesandten Mohammed(s) und anderen Gesandten, Engeln etc. illustriert. Hierin wurde aus muslimischen Kreisen viel Kritik geübt. Wieso aber dies eine Hysterie und Empörung auslöst, ist nicht verständlich.

Die Autorinnen haben sich entschieden, Verse gleichen Inhalts unter jeweiligen Überschriften zu sammeln und somit einen Gesamtüberblick zu geben, was nicht neu ist und in der islamischen Welt bei den themenbezogenen Koranexegesen gerne praktiziert wird. Das eignet sich bei den wissenschaftlichen Untersuchungen oder schulischem Einsatz sehr gut, für die praktische Lektüre des Korans weniger. Denn die fast unübersichtliche Zerstreuung der Themen im Koran dient dazu, dass man einfach irgend eine Seite aufschlagen kann und sofort ein Sammelsurium des islamischen Glaubens und der koranischen Botschaft vergegenwärtigen kann.

Die Auswahl der Themen und Verse verleihen dem Buch nicht wie mehrmals in verschiedenen Artikeln und Rezensionen vorgeworfen den Titel „Koran-light“, weil da die Themen über Krieg und Strafen außen vor gelassen wurden. Diese den islamischen Staat betreffenden Themen haben für in Deutschland lebenden Muslime sowieso keine Aktualität und sind nicht relevant, und sie brauchen wegen ihrer schon vorhandenen unverhältnismäßigen Popularität nicht noch mal besprochen werden. So „light“ ist die Auswahl allerdings auch nicht, es wird ohne weiteres stellen wiedergegeben, in denen die Hölle als die Brutstätte der Ungerechten erwähnt wird.

Was das Buch eigentlich diskutabel macht und wenig bis gar nicht in Rezensionen und Interviews mit den Autorinnen besprochen worden ist, ist der Anspruch, die Verse kindgerecht übersetzt zu haben. Anspruch deswegen, weil das Buch „Koran für Kinder und Erwachsene“ heißt. Hier ist wohl wieder die unnötige Vorsicht der Autorinnen oder wegen der Absatzsorge des Verlages am Werke, das Buch nicht „Koran für Kinder“ zu nennen. Dies wäre für die deutschsprachige Welt ein Novum; in den islamischen Kreisen, die sich mit Erziehung und Bildung aus islamischer Sicht befassen, wäre dies ohne Problem möglich. Es gibt sogar z. B. in türkischer Sprache Koranexegese für Kinder. Der Zusatz „Erwachsene“ bringt den Leser auf die daraus resultierende Frage „Nicht für Jugendliche?“ Wird es demnächst auch eine Koran für Jugendliche geben? Ist die Sprache wirklich kindgerecht und dennoch auch für Erwachsene geeignet, sodass die beiden Zielgruppen aus dem Buch Antworten auf ihre Fragen finden können?

Der Verlag, so hört man, bestand auch auf das arabische Original der Koranverse. So wurden jeweiligen Verse auch in Arabisch abgedruckt. Das Original erweist sich eigentlich für so eine Übersetzung für überflüssig und irritierend; Ist das Original für die praktische Lektüre vorgesehen, so ist es nicht korrekt genug abgedruckt. Eine Gruppe von Versen werden hintereinander ohne eine Trennung der Verse aufgereiht. Dazu fehlen auch sozusagen die Satzzeichen, die die verschiedenen Lese-Möglichkeiten eines Satzes/Verses wiedergeben. Theoretisch könnte man in diesem Original anfangen zu lesen und man wüsste nicht, wo der Vers endet, wo man halten soll, darf oder kann, sodass die Bedeutung des jeweiligen Verses nicht entstellt wird. Einige Schönlesezeichen des so genannten Tadschwids wurden berücksichtigt andere wiederum nicht. Das macht das arabische Original unleserlich. Und bei einigen Seiten wurde eine nicht perfekte Computerschrift benutzt und bei anderen wiederum war ein Kalligraph am Werke, der im Buch erwähnt dessen Name aber nicht verraten wird. Man suggeriert, dass es um eventuell einen nicht muslimischen Kalligraf(ein arabischer Christ?) handelt und der Verlag dies womöglich als einen weiteren Punkt der Kritik nicht preis geben will.

Auf die Art der Übersetzung zurückgreifend muss man die Schwierigkeiten einer Koran-Übersetzung erwähnen, der die Autorinnen bei weitem gebührend nachkommen. Der freien Übersetzung zum besseren Verständnis wurde aber nicht durchgehend treu geblieben. Unnötig wurden sehr viele Stellen wortwörtlich übersetzt, obwohl man an solchen Stellen eher eine inhaltliche Übersetzung erwartet.

Verbesserungsvorschläge

Optimierungspotenzial haben einige Stellen, die wie im folgenden aufgeführt werden. Manche Stellen erweisen sich als unlogisch und spärlich für die Leser, die sich ein Bild über Islam und Botschaft des Koran schaffen möchten. Andere aber geben für ein Missverständnis der koranischen Botschaft Möglichkeiten, die bei einer neuen Auflage unbedingt verbessert werden müssten.

Seite 9 Übersetzung des Verses 20:14

Interessant und unterschiedlich wurde derselbe Vers an zwei anderen Stellen des Buches übersetzt. Es geht um die Übersetzung des Verses 20:14. Ein berühmter Vers der in Lautschrift auf Arabisch so lautet: „…wa-‚aqimi as-salâta li-dhikrî“

Übersetzung auf der Seite 9 lautet: „und bete im Gedanken an mich.“

Übersetzung auf der Seite 137 lautet aber: „…und denke an mich, wenn du betest.“

Beide Übersetzungen sind, wenn man sich den arabischen Satzbau vor die Augen führt, nicht gelungen.

wa-‚aqimi: und verrichte / as-salâta: das Gebet / li: um..zu; für/ Dhikrî: mein Gedenken

Die bessere Übersetzung wäre dann: „…und verrichte das Gebet um an mich zu denken/meiner zu gedenken.“

„Bete im Gedanken“ suggeriert als ob es um ein freiwilliges mentales Gebet sich handelt, ohne äußere Form. Gewiss es gibt auch solche Gebete der Kontemplation, hier sind diese aber nicht gemeint.

Seite 17 Übersetzung des Verses 55:4

Das Wort „bayân“ im Vers 55:4 „allamahu l-bayân“ wurde mit „und er lehrte ihn das Begreifen“ übersetzt. „bayân“ ist viel mehr „sich mittels der Intelligenz äußern“ (s. Lisanu l-arab, Stichwort b-y-n)und reden. Geht es um Begreifen, Verstehen o.ä. bevorzugt der Koran wie im 2:9 und 2:12 andere Wörter.

Seite 21

Bei den 99 schönen Namen Allahs wird auch erwähnt, dass mittels der Rosenkranz die 99 Namen Allahs erwähnt wird. Der Rosenkranz wird aber für diese Art der Litanei nicht benutzt. Nach Pflichtgebeten wird er gebraucht, um jeweils 33 mal Subhanallah, Al-hamdulillah und Allahu Akbar zu sagen. Einige Sufi-Meister geben ihren Novizen Litanei-Aufgaben, z.B. 1000 Mal am Tag das Glaubensbekenntnis zu wiederholen, die durch diesen Rosenkranz/Tesbih als Zähler erledigt werden.

Seite 15 Übersetzung des Verses 24:35

„wa-yadribu llahu al-amthal“ wird „Allah schenkt den Menschen Gleichnisse“ übersetzt. Richtige und schlichte Übersetzung wäre: „Allah gibt Beispiele.“

Seite 13 Übersetzung des Verses 13:33

„Zuyyina lilladhina kafarû makrahum“ Übersetzung: „Die Ungläubigen genießen ihren Unglauben.“ Wo es eigentlich zu übersetzen wäre: „Den Ungläubigen ist ihr Treiben schön gemacht“.

Seite 64

Nach den Ausführungen auf dieser Seite über Propheten wird erläutert, dass nur vier Propheten namentlich im Koran erwähnt werden, die die Offenbarung in Form eines Buches bekamen. Nach koranischen Angaben aber wird auch dem Propheten Abraham Blätter gegeben.(Siehe 87: 19)

Seite 71 Übersetzung des Verses 4:136

Die Autorinnen sind sich nicht so ganz sicher ob das Verb „anzala“ „hinab geschickt“ oder „herab geschickt“ heißt. Nach einigen Hin-und-her entscheiden sie sich für „herab geschickt“, was auch die die richtige Übersetzung ist.

Seite 71 Übersetzung des Verses 63: 1

Wir lesen auf der Seite 71 die Übersetzung eines Verses und versuchen den Sinn des Verses zu erschließen: „Wenn die Heuchler zu dir kommen und sagen: ‚wir bezeugen, dass du der Gesandte Gottes bist‘, dann weiß Gott, dass du sein Gesandter bist. Gott selbst bezeugt aber, dass die Heuchler Lügner sind!“ (Koran, 63: 1)

Wie soll man diesen Vers verstehen? Heuchler kommen zum Gesandten und sagen, dass er der Gesandte sei und Gott weiß dann daraufhin, dass Mohammed der Gesandte ist? Ein fataler Übersetzungsfehler liegt hier vor. Im Arabisch Grundkurs zwei oder drei lernt man den Unterschied zwischen den Partikeln wa- und fa- . Hier wurde ein Zustandssatz „wa-llahu ya´lamu“ als Kausalsatz übersetzt und dadurch kam es zu diesem unverständlichem Satz. Richtig übersetzt hieße der Satz: „Wenn die Heuchler zu dir kommen und sagen: „wir bezeugen, dass du der Gesandte Gottes bist“, wobei Allah wohl weiß, dass du sein Gesandter bist…“ Also kein Kausalsatz, denn Allah braucht selbst keine Informationen über irgend einen Zustand von irgendwelchen Menschen o. ä. Informtionen, er ist selbst derjenige, der direkt über alles in Vergangenheit und Zukunft Bescheid weiß und Kenntnisse verfügt.

Eine ähnlich weitere falsche Übersetzung auf der selben Seite ergibt sich die Übersetzung des Verses 25:58, letzter Satz. Im Original heißt es: „wa-kafâ bihî bi-dhunûbi ´ibadihî khabîrâ.“ Das könnte man so ungefähr übersetzen: „Er kennt die Sünden seiner Diener zur Genüge“ oder „Er weiß über die Sünden seiner Diener genug Bescheid“, was im Deutschen einen Spielraum lässt aber dennoch keinen theologischen Problemen den Weg bereitet. Aber eine Übersetzung wie es hier zu lesen ist, „Seine Erfahrungen genügen in Bezug auf die Sünden seiner Diener.“ wirft mehrere Fragen auf. Erfahrungen sind dem Menschen bzw. Geschöpfen eigen und die werden im Laufe des Lebens gesammelt und können nicht göttlich sein. Gott wird mit der Zeit nicht an Erfahrungen reicher, denn er verfügt über alle Informationen, die je möglich und erdenklich sind. Sein Wissen erschließt nicht im Laufe der Zeit neue Bereiche des Seins. Er ist der Erschaffer des Seins. Sein Wissen entsteht nicht durch Erforschen des Vorhandenen. Das Seiende und Vorhandene entspringt seinem Wissen. Mehrere Koranverse belegen sein grenzenloses, Zeit und Raum unabhängiges Wissen. Daher ist es schlicht und einfach nicht richtig, von Erfahrungen Gottes zu reden. Hier steckt viel Optimierungspotenzial.

Seite 77 Übersetzung des Verses 18:110

Eine weitere Stelle, die Übersetzung des Verses „la yuschrik bi-íbâdati rabbihî ahadâ“ (Koran, 18:110) erweist sich als unzutreffend. Es wurde übersetzt: „(der Mensch) soll, wenn er Gott anbetet, an niemand anderen Glauben“ was das Verständnis des Verses erschwert. Die Übersetzung wäre aber wie folgt viel einfacher und besser: „(der Mensch) soll bei seinem Gottesdienst niemand anderen mit anbeten“

Seite 83 Der letzte Aufenthaltsort?

Der Begriff „dâr ul-âkhira“ oder nur „Âkhira“ hat als terminus technicus im religiösen Vokabular jedes Muslims einen festen Platz und bedeutet schlich „das Jenseits“. Hier wird es aber wörtlich als „Der letzte Aufenthaltsort“ übersetzt, was für Verwirrung bei muslimischen Lesern sorgen könnte.

Seite 106 – Abrahams Zweifel an Existenz Gottes?

In den Erläuterungen über Ibrahim auf der Seite 106 wird gesagt, dass Ibrahim im Zweifel war über die Existenz Gottes. Im Verse 2: 260 bittet Ibrahim Allah, ihm zu zeigen, „wie er Tote lebendig macht“. Daraufhin sagt Allah. „ Glaubst du nicht?“ „Doch aber damit mein Herz Ruhe findet.“ ist die Antwort Abrahams. Ginge es um die Existenz Gottes, so wie es im Buch dargestellt wird, wäre die Stelle in sich widersprüchlich, denn wie soll Abraham mit jemandem im Gespräch sein und dennoch über die Existenz seines Gesprächspartners nicht sicher sein. Gerade Ibrahim ist nicht über die Existenz Gottes unsicher, er ist lediglich über die nicht so einfach zu realisierende Auferstehung durch klare Beweise zu beruhigen.

Seite 132 – Yusufs vorzügliche Eigenschaften nicht vollständig!

Es werden beispielhafte Eigenschaften Yusufs aufgezählt wie Besonnenheit, Gerechtigkeitssinn und Gottvertrauen. Allerdings wurde es wohl vergessen, dass es derjenige Yusuf war, der seine Sexualität über sich selbst nicht Herr werden ließ und die angesehene und attraktive Frau, die ihn begehrte von sich wies. Yusuf ist auch vorbildlich was Scham und Abstinenz von unerlaubter Sexualität betrifft.

Seite 189 Übersetzung des Verses 22:77

Das Wort „tuflihûn“, das einer der eigentlichen Zentralbegriffe der islamischen Heilslehre ist und ein Erfolg im Sinne des Heils im Jenseits bedeutet, wurde ohne weitere Erklärung einfach „damit es euch gut geht“ übersetzt, was man auch in anderen deutschsprachigen Übersetzungen feststellen kann. Wo es einem gut geht, wieso?

Auf weitere Verbesserungsvorschläge könnte man verzichten, indem diese als Freiraum eines sinngemäßen Übersetzungsversuches betrachtet werden könnten. Eine Übersetzung des Korans setzt eine intensive Beschäftigung mit dem Text in einer Expertengruppe voraus, wo mehrere Personen aus verschiedenen Perspektiven den Text unter die Lupe nehmen und damit schwer zugängliche Stellen zu deuten versuchen, und das Ganze setzt einen guten Willen im Dienste der Menschheit voraus.

Was unerlaubt ist und was als vermeintlicher Verbot im Laufe der Jahre entstanden sind, sind neu zu überlegen und man sollte in der Wissenschaft den Heu vom Stroh trennen. Wissen mit guten Willen und Intelligenz fusioniert wird uns auch hier unseren Weg erleuchten. In diesem Rahmen ist ohne weiteres ein Kinderkoran zu denken. Gute Ansätze übernimmt man von jedem, solange diese Ansätze im Dienste Allahs gestellt werden kann. Vielleicht ebnet dieser Versuch einen Weg zu einer Koranexegese für Kinder. Diese Aufgaben sollten aber die muslimischen Verlage und Verbände brüskieren.

Der Koran für Kinder und Erwachsene (Gebundene Ausgabe)
von Lamya Kaddor (Herausgeber, Übersetzer), Rabeya Müller (Herausgeber, Übersetzer), Karl Schlamminger (Illustrator)

Gebundene Ausgabe: 234 Seiten

Verlag: Beck; Auflage: 1. Aufl. (März 2008)

Sprache: Deutsch

ISBN-10: 3406572227

ISBN-13: 978-3406572227

Größe und/oder Gewicht: 24,2 x 15,2 x 2 cm

Preis: 19,90 €

One Comment leave one →
  1. 10. Dezember. 2008 4:52 pm

    Vielen Dank, ich finde diese Rezension sehr hilfreich.

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