Happy Birthday, Heroin!

Eine Laudatio, reproduziert am 26. Juni 1998 auf der Party zum 100. Jahrestag der Registrierung von Heroin als Markenzeichen

Eine Geburtstagsfeier zum 100. Geburtstag von Heroin ist eine merkwürdige Angelegenheit, denn sie ist die Feier eines großen Mangels. Sie hat kein feierndes Subjekt: Die, die Heroin auf der Szene nehmen, haben selten Zeit und Muße, entspannt ihre Droge per Party zu würdigen, wenn sie nicht ohnehin finden, daß es wenig zu feiern gibt; die GebraucherInnen, die Zeit und Muße hätten, weil sie ein streßfreieres Leben führen, scheuen meist das öffentliche Bekenntnis zum Konsum und freuen sich, daß keine Verelendung sie bisher dazu zwang; und die, die sich vom radical chic einer Heroinparty angezogen fühlen, lieben in der Mehrzahl, so wagen wir zu prophezeien, eher den Chic als den Stoff. Die AdressatInnen fehlen ebenso, zumal die am einfachsten zu bestimmenden jene sind, die nicht dabei sein sollen: die Drogenkrieger aller Couleur mit ihrem machtvollen Gerede vom Heroingebrauch, der krank, kriminell und therapie- bzw. strafwürdig sein soll, werden – so ist zu hoffen – einmal darüber stolpern, daß andere von der Feier des Heroins, vom Genuß am Opiatrausch künden. Das aber heißt, daß auch der Zustand, der hier inszeniert wird, nicht existiert: ein Zustand, unter dem es kein Verbrechen bedeutet, das Schöne am Heroinrausch zu würdigen und vom Leid, das dieser unter herrschenden Bedingungen zeugen kann, zu schweigen; ein Zustand also, in der nicht jede Rede über Heroin redlicherweise die Form der politischen Forderung annehmen muß. Eine solche Rede, eine nicht fordernde, sondern ehrende, eine Laudatio also, gilt, ein letztes Problem, darüberhinaus einer Substanz, der nur von ihren GegnerInnen zugestanden wird, eigenständige Leistungen vollbringen zu können – wie krank und abhängig machen , und diese gelten ihnen keinesfalls als ehrungswürdig. Worüber also reden – und für wen – wenn alles fehlt: ein Subjekt, dessen AdressatInnen, ein ihm gemäßes Setting und dessen Gegenstand?

Andere DrogenuserInnen kennen dieses Problem nicht. Von KifferInnen wissen wir eher, daß sie ihre Klappe nicht halten können, wenn es um die Würdigung ihrer Lieblingssubstanz geht. Ihren Genuß öffentlich zu inszenieren, haben sie reichhaltig Material, von den doofen T-Shirts, die nicht mehr nur in Amsterdam verkauft werden, bis zum bedeutungsschwangeren Lesen von Klassikern des Rausches, Baudelaire wie Klaus Mann. Inzwischen ist aus dieser Feier der Kiffenden selbst sogar eine sich auf Hanfparaden manifestierende Bewegung geworden, die politisch – als gute StaatsbürgerInnen – und ökonomisch – als KonsumentInnen und Schaffer von Arbeitsplätzen – um gesellschaftliche Anerkennung buhlt. Von LSD- und Ecstasy-KonsumentInnen kennen wir die begeisterte, manchmal an HandelsvertreterInnen erinnernde Werbung, doch auch mal einen Trip zu werfen, bei dem Wunder was passiere, das natürlich sich wortreich ausschmücken läßt. Parties lassen sich in Musik und dazugehöriger Optik prächtig für die jeweiligen GebraucherInnen gestalten. Auch von KokserInnen gibt es öffentliche Bilder, wie diese ihren Genuß inszenieren, und wenn diese Bilder auch nicht immer wohlwollend sind, so wird den UserInnen dieser Droge doch eines zugestanden: daß sie nämlich wissen, was ihnen die Wirkung bringt, ob Selbstvertrauen oder Potenz; und zumindest kann, wer einen Prominenten sucht, der den Drogenkonsum durch sein Zeugnis adelt, auch beim Kokain fündig werden – bei Sherlock Holmes, bei Freud oder bei Eckhart Witzigmann. Durch die Illegalität von Drogen, die auch die Werbung für den Konsum unter Strafe stellt, ist es also nicht hinreichend zu erklären, warum das alles beim Heroin fehlt – warum es für OpiatkonsumentInnen keine Spezialshops und keine Hoch- oder Trivialliteratur, keine Parties und keine Rituale gibt, die den Heroinrausch präsentabel und damit repräsentierbar machen, warum, mit anderen Worten, niemand weiß, welche Musik, welcher Tanz und welche umwälzenden Rauscherlebnisse zum Heroin passen, wie man sich also auf einer Heroinparty eigentlich zu verhalten hat. Dieser Umstand wird umso rätselhafter, wenn man in Betracht zieht, daß auch aus der Zeit, als Morphium und Heroin nicht nur legal, sondern auch angesehen waren, keine Präsentationsformen des Rausches überliefert sind. Von den Pariser Morphiumkränzchen aus dem 19. Jahrhundert ist nur bekannt, daß die Damen goldenes oder silbernes Spritzbesteck verwandten, nicht aber, worüber man sich zu einem guten Schuß unterhielt: Tauschte man sich über Morphiumsorten aus wie über Teesorten, faßte man den Flash in Worte oder beachtete man ihn nicht, während über die Nichtanwesenden geklatscht wurde? Ebensowenig wissen wir, warum die Bohème der Goldenen 20er Jahre Opiate schätzte, denn sie hinterließ keine Elogen auf sie.

Die Wirkung von Heroin, der Genuß, den es bietet, ist ein schwarzes Loch. Nicht, daß irgendjemand scheitern würde beim Versuch, den Heroinrausch zu veräußern, ihn anderen zu präsentieren und damit mit ihnen auch zu teilen; dazu kommt es gar nicht erst. Es scheint sich etwas zwischen den Rausch und dessen Mitteilung zu legen, das eine oder einen gar nicht erst auf die Idee kommen läßt, sich überhaupt mitteilen zu wollen. Fast könnten sich Unbedarfte fragen, ob sich beim Heroingebrauch tatsächlich irgendeine genußvolle Wirkung einstellt, und bloß – mal abgesehen vom Eigenversuch – die Reflexion darauf, was Menschen für diesen namenlosen Genuß auf sich zu nehmen bereit sind, wie sie strahlen können, wenn er sich dann einstellt, und in welch schlechte Gesellschaft man sich mit der Unterstellung begeben müßte, daß kein Genuß vorläge – in die der Pathologisierer nämlich, die im Gebrauch nur ein Symptom sehen können –, nur diese vermittelnden Gedanken also vermögen vom Gegenteil zu überzeugen. Bloß negativ huscht der Heroingenuß ins Bewußtsein.

Das heißt natürlich nicht, daß es keine Präsentation des Heroingebrauchs gibt – im Gegenteil. Um das schwarze Loch des Genusses herum wuchern die Bilder, Selbst- wie Fremdzuschreibungen. Gerade weil sich angemessene Worte für den Rausch anscheinend nicht finden lassen, fällt jedes Wort auf fruchtbaren Boden, aus dem die Phantasien über das ominöse Objekt der Begierde sprechen. Jeder reale Heroinrausch wird enttäuschen angesichts dessen, was Drogenkrieger über ihn versprechen, um die Gefahr der sofortigen Abhängigkeit zu illustrieren – bizarre Welten, die unserer in nichts gleichen und in denen jede Erinnerung an erfahrenes Leid getilgt ist. Aber auch die, die es gut meinen, behaupten in aufreizender Nonchalance in einem Satz, Shore (Heroin) lasse Wärme durch den Körper fließen, und im nächsten, Heroin lasse seine UserInnen sich cool fühlen.1 Nur in der faustischen Hexenmagie wird aus dem Verschiedenen das Gleiche und aus Gegensätzen das Eine; in die Kommunikation übertragen bedeutet es nicht mehr, als daß es egal ist, was so über den Rausch sich sagen läßt. So geschieht es, daß diese Gleichgültigkeit dem Wesentlichen gegenüber Platz schafft für ein Interesse, es je nach Gusto zu beschwatzen oder zu verschweigen, in jedem Fall aber an seiner Statt etwas zu setzen, was an sich nur sinnvoll zu benennen wäre in der Form, wie es in das Rauscherleben eingeht, so aber selbst zum Einzigen wird, über das zu reden ist: die Bedingungen der Berauschung, die Rahmenbedingungen des Konsums. Die Geschichte der kulturellen Repräsentanz des Heroins ist die Geschichte der Bilder, was aus dem oder der HeroingebraucherIn wird.

Krankheit, Elend und Tod, jene Folgen, die kontinuierlicher Heroingebrauch, vermittelt durch die gesellschaftlichen Bedingungen des Verbots und der Stigmatisierung, mit sich bringen kann, werden dem Heroin als dessen unvermittelte, ihm eigentliche Wirkung untergeschoben. Nicht bloß die Junkie-Pornos á la Christiane F. leben davon, unter dem Deckmantel der Warnung sich am Siechtum der unschuldig schuldig gewordenen Minderjährigen zu ergötzen, weidlich der Faszination an Mädchen Raum zu geben, die statt des patriarchalen Schutzes den Weg wählten, ihren Körper an Freier und Spritze zu verschwenden und dabei, so will es die Welt, vor die Hunde zu gehen. Ebenso als Selbstinszenierung lebt das Junken von seiner scheinbar immanenten Nähe zur Selbstzerstörung. Erinnern wir uns an Velvet Undergrounds Heroin-Lied: "I have made a very big decision – I’m gonna try to nullify my life", und später: "Heroin: it’s my wife and it’s my life – heroin will be the death of me". Davon zieht das Lied sein Pathos und der Held seine paradoxe Identität, während das Gefühl, "just like Jesus’ son" zu sein, bloßes Durchgangsstadium bleibt. In der Frontstellung gegen Hippiemusik und -kultur mit ihrem emphatischen Wir-Bezug, der statt des alten "Du & Ich" des Rock’n’Roll besungen wurde, rekonstruieren Velvet Underground ein Ich, das sich überhaupt nur darin zu erkennen gibt, das es sich verwirft: Jede Strophe beginnt mit dem langgezogenen "I" in den ersten beiden Zeilen, das in der letzten Strophe durchs doppelte "heroin" an der nämlichen Stelle ersetzt wird. Drogeninduzierte Auflösung des Ichs hieß bei den Hippies Entgrenzung, Veräußerung und Verschmelzung mit allem und jedem auf LSD und Meskalin; Lou Reeds Heroin läßt das Ich sich in sich zurücknehmen, bis es auf einen nicht mehr wahrnehmbaren Punkt beschränkt ist, an dem nur noch das Ich von sich selbst weiß, während um ihn herum alle ihre "busy sounds" ungestört produzieren können. Dazu passend kommt auch die begleitende Musik nie richtig in Fahrt, und immer, wenn sie nach vorne loszugehen scheint, fällt sie wieder in sich zusammen, produziert minimalistisches Geschrammel ohne äußerlich nachvollziehbare innere Form und endet ebenso irgendwann ohne ausmachbare innere Notwendigkeit – einen Schlußakkord beispielsweise.

Velvet Undergrounds Heroin – das Lied wie die Substanz – braucht für seine einfache Message ein hochkompliziertes Bedeutungsgeflecht, das diese trägt. In Lou Reeds Schuß, dem "rushing on the run", schießen die körperliche Unempfindlichkeit, die Heroin schafft, und die Abhängigkeit, die es nach vielen Schüssen schaffen kann, ebenso zusammen wie der hochgradig gesellschaftliche Fakt, daß diese Abhängigkeit das sich um sich sorgende Subjekt ganz in Beschlag nehmen kann. Der Herointod, den sie besingen, trägt immer zwei Gesichter, die überblendet werden zu einem: der Tod, den eine Überdosis oder ein Leben auf der Szene herausfordert, und der symbolische Tod, den ein Subjekt erleidet, das seiner Nicht-Umwelt, die eh nicht zuhören würde, rätselhafterweise auch nichts mitzuteilen weiß. Velvet Underground nutzen hier gerade den verstörenden Fakt, daß die Heroinwirkung, wenn beschrieben, selten mehr Worte an sich heranläßt als die allerabstraktesten, nämlich gut, schön und geil. Daß mehr die Welt der Zeichen und Bilder nicht hergibt, daß das berauschte Subjekt also seines sprachlichen Zugangs zu seinem Zustand und damit auch seiner Vermittlung zur Welt beraubt ist, macht den Gesang vom nahenden Tod so verstörend unplakativ: Auch wer von Schwarzmarktfolgen und staatlicher Repression relativ unbehelligt bleibt, erheischt einen Blick auf den drohenden Exitus, nicht den physischen, sondern den symbolischen: "And thank God I’m as good as dead."

Natürlich ist das Auftauchen des Todes im Heroinrausch wiederum alles andere als natürlich. In die Formel des Diacetylmorphins ist er ebensowenig eingeschrieben wie in postiv wahrnehmbare Nahtoderfahrungen, Tunnel mit weißem Licht etc., wie sie auf Trip angeblich manchmal erlebt werden. Nur als Negativ ist er präsent, als Reim, den man sich auf den Mangel an Bildern, das beschriebene schwarze Loch, machen kann. Als solcher muß er nicht erschreckend sein – vielmehr gehört es in dieser Form zu ihm, daß es dem Subjekt nicht gelingt, ihn mit einer eindeutigen subjektiven Empfindung zu belehnen, auf daß alles seine emotionale Ordnung habe. Zum Subjekt kommt er als Fremder, dem es sich hingeben kann, der sich ihm aber entzieht, wenn es sich ihm gegenüber subjektiv verhalten will, wie es das gelernt hat. Warum aber dem Verhältnis des Subjekts zu seinem Heroinrausch das Verhältnis zum Tod auf diese Art innewohnt, ist allerdings eine alles andere als esoterische oder theologische Fragestellung; denn es ist eine spezifisch bestimmbare menschliche Praxis, die dem Highsein die Worte und eindeutigen Gefühle verweigert, und eine spezifische, gesellschaftlich vermittelte Erfahrung des Todes, die diesen als geschichtlich junges Urbild dieser spezifischen Unfähigkeit, eine Erfahrung zu subjektivieren, einsetzt. Um diese Konstellation zu ermitteln, bietet es sich an, eine andere Bohème zu betrachten, deren RepräsentantInnen Heroin, so ist es überliefert, genossen, ohne doch je ein Wort darüber verloren zu haben: den deutschen Expressionismus.

Auffällig bei allen diesem zugerechneten DichterInnen war der Bezug zum Tod in ihren Gedichten – nicht bloß in der Form, wie es zu erwarten wäre, nämlich anklagend: als Negation des Menschlichen, zumal noch durch Menschenhand massenhaft produziert, erfahren in Verdun und anderen sogenannten Materialschlachten. Aber eben auch wie bei Georg Trakl, dem Lebensmüden, der 1914 wahrscheinlich an einer Überdosis verschied: Er stellte dem Schrecken – "wenn schwarz der Tau tropft von den kahlen Weiden" – die Erlösung gegenüber – "und Engel treten leise aus den blauen / Augen der Liebenden, die sanfter leiden"; denn der Tod muß schön sein, wenn er nur das schreckliche Leben zu beenden vermag, egal, was er sonst noch bringt. Else Lasker-Schüler schließlich besang den Tod, ganz und gar metaphorisiert, als das Schöne, das weit mehr war nur als die Traklsche abstrakte Negation des Schreckens: "Oh ich wollte, daß ich wunschlos schlief, / Wüßt ich einen Strom, wie mein Leben so tief, / Flösse mit seinen Wassern", heißt es im Gedicht mit dem Titel Styx, der Höllenfluß. Ihr Sehnen verwandelte den Tod freilich zu einem ganz und gar Irrealen, ihr Paradies gleicht keinem der großen Religionen, sondern der Vereinigung mit dem Geliebten. Liebe und Tod sind nicht nur im zitierten Gedicht beliebig gegeneinander austauschbare Synonyme. "Dein sündiger Mund ist meine Totengruft", oder "Ich knüpfe mich an dein Leben, / Bis daß es ganz darin zerrann"; so könnte man endlos zitieren.

Den Tod als Anderwelt, voller Glanz und Geheimnisse, kennen wir bereits aus der Romantik, zumal der opiumrauchenden englischen. Doch den Tod nicht als anderes Reich, sondern als Zustand, in dem das Leiden aufgehoben ist und Ruhe herrscht, die "Harmonien aus der Nachtlandferne [wallen]", wie es Lasker-Schüler im Sterbelied schrieb, erschuf erst der Expressionismus.

Else Lasker-Schüler, der einzig bekannt gewordenen Frau des deutschen Expressionismus, war es vorbehalten, solcherart Tod am ergreifendsten zu beschreiben. Auch wenn der Tod von außen kam, ist er eingerichtet worden mit dem, was schon war; mit dem, wovon kein Begriff, wohl aber eine Ahnung existierte. Lasker-Schülers Tod war eine Liebe, die sie im Leben nie fand (in dem ihre Lover eher daran zehrten), war Ruhe, tiefer Frieden, gelungene Synthese. Sie führte zuende, was die männlichen Dichter nur andeuteten, das Einssein mit dem Anderen (Trakls sanfter leidende Liebende), und obwohl sie den Tod dafür noch benötigt, verfremdet sie das Fremde zur greifbaren Nähe des Bekannten und überwindet darin das Heldenpathos, an dem die Gedichte und die sie dichtenden expressionistischen Subjekte laborieren. Fast schon ist sie aufgehoben.

Fast. Denn die Welt war nicht so, daß man in ihr hätte glücklich werden können, und sie ist es bekanntlich noch nicht. Daher ist vom Glück nur zu sprechen im Konjunktiv, am Rande des Kitsches und der simplen Lüge, und wo Absturz droht, kann keine Ruhe sein. Lasker-Schüler gelingt es dennoch, weil sie zwar auf den Urgrund der Glücksvorstellung, aufs Geschlecht, zurückgreift, es aber im Nirgendland, das sie "Tod" statt "Phantasi’n" nennt, ansiedelt, und so ihm nicht nur die Wahrheit gewährt, die es weder in der Wirklichkeit noch in der positiven Fiktion erhielte, indem sie es wappnet gegen das "Mißtrauen gegen die Lust aus der Ahnung heraus, jene sei keine in dieser Welt"#2. Sie macht es vor allem erst kommunizierbar, sprechbar. Denn eine Sprache, die den "Liebesakt" nicht nur dort zu beschreiben oder besingen mag, wo er eben "Akt" ist, Werben, Locken, Vollzug, sondern auch da, wo gelöste Spannung, selige Inaktion ist, im Zerflossensein, Nichtichsein, die dem Aktigen und Orgastischen folgt, gibt es nicht; dichterische Hymnen, wenn es sie denn gibt, sind keine von Bekanntheit. Nichtbegriffliches ist dort, wo etwas nicht begriffen ist: nämlich, daß hier Glück sein könnte. "Der Satz omne animal post coitum triste ist von der bürgerlichen Menschenverachtung ersonnen: Nirgends mehr als an dieser Stelle unterscheidet sich das Humane von der kreatürlichen Trauer. Nicht auf den Rausch, auf die gesellschaftlich approbierte Liebe folgt der Ekel: Sie ist, nach Ibsens Worten, klebrig." (Adorno)

Keinem ihrer männlichen Kollegen war der Mangel im geschlechtlichen Begehren so bewußt wie Else Lasker-Schüler; keinem war auch das Bild so bewußt, das sie zeichnete von dem, was an den Platz des einfachen Mangels hätte treten können: die Ruhe des Willens. Die Erlösung, im Bild zum Greifen nah und in der Praxis stets versagt, schrieb sie statt dem Leben dem Tod ein. Vielleicht hatte sie aber wenigstens einen Verbündeten: vielleicht nahm sie nicht nur Heroin, wie es verbürgt ist, vielleicht bildete sie auch ihr Sehnen, ein bißchen wenigstens, auch seiner Rauschgestalt nach. Schließlich nimmt Heroin Zugriff nicht auf die Wahrnehmung, schafft keine neue Vermittlung von Außen- und Innenwelt, sondern setzt an auf der evolutionär niedrigsten Stufe des Selbstbewußtseins, am unmittelbaren Behagen. Unter der Wirkung anderer Drogen mag man was erleben; unter Heroin aber freut man sich, wie ein Benutzer es beschrieb, zunächst einmal einige Zigaretten abbrennen zu lassen, ohne an ihnen zu ziehen. Wer will, kann das stumpfsinnig finden. Wer will, kann aber auch bei Adorno nachlesen: "Vielleicht wird die wahre Gesellschaft der Entfaltung überdrüssig und läßt aus Freiheit Möglichkeiten ungenützt, anstatt unter irrem Zwang auf fremde Sterne einzustürmen."3# Im Heroinrausch ist zumindest für ein paar Stunden ein Anklang von Frieden zu spüren: Kein Sinn ist mehr geschärft für drohende Gefahr, während Außen und Innen nicht über eine verwirrte Wahrnehmung, sondern über eine nicht klar wahrnehmbare, angetäubte Peripherie verschwimmen (Heroin ist schließlich ein potentes Schmerzmittel). Der Zustand eines oder einer Heroinberauschten kommt dem am nächsten, der sein könnte, wenn nach dem orgiastischen Verlangen Sanftheit den Körper durchströmt, der Blick zwar schweift, aber nichts sehen will; wenn die Leiber, sei’s der eigene, sei’s der fremde, gewußt werden, ohne sich derer versichern zu müssen. Daß man hier nicht sagen kann, ob es warm oder kalt sich anfühlt, mag an eben jener mangelnden Trennschärfe liegen; es ist eins (egal in welchem Wortsinne). Und nicht bloß die Worte fehlen: Überhaupt die Erinnerung an den Heroinrausch zu bewahren ist hochgradig problematisch. Wer nach dessen Abklingen versucht, ihn durch so etwas wie ein Körpergedächtnis (welches die Erfahrung einer XTC-Euphorie beispielsweise als Abglanz zu speichern vermag) wieder zu aktivieren, wird die Erfahrung machen müssen, daß auf Heroin keine Erfahrung gemacht wurde. Das opiatinduzierte Selbstgefühl hinterläßt so wenig Spuren wie früheres Wohlbefinden bei einem oder einer akut Depressiven; es bleibt dem Subjekt irreduzibel fremd, und erst der nächste Heroinrausch kickt wieder wie ein alter Bekannter, mit dem ein "stimmt, so war’s" einhergeht. (Das aber relativiert die eh immer zur Hypostase des autonomen Subjekts neigende drogenpolitische Binsenweisheit, daß eine jede Drogenwirkung subjektiv vermittelt sei: Hier scheint etwas auf, das in jedem Heroinrausch das Subjekt immer gleich ereilt, während das Subjekt selbst mit seinen beschränkten Mitteln es ständig verfehlt, was die Abstraktion vom individuellen Erleben methodisch in diesen Ausführungen rechtfertigen mag.)

Jacques Lacan soll in seinem Spätwerk Encore, müde der Apologetik des Mangels, ein dem ständig drängenden Begehren konträres Prinzip entdeckt haben, das er (entwickelt an der Betrachtung verzückter mittelalterlicher Heiliger) an der Position des Weiblichen ansiedelte: das Genießen#.4 Wer genießt, ist eingenommen von einer "jaculation", die das Subjekt vollständig in Beschlag nimmt, von einer Ejakulation also, die ohne das Präfix "E" auskommt: Sie bleibt vollständig inwendig, setzt keine Zeichen in der Welt. Insofern sind die Genießenden vollständig inkompatibel mit dem Wissen – wer genießt, kann sich diesen Zustand nicht vergegenwärtigen, als Wissen bewußt machen, also sich zu sich selbst als Objekt des Wissens ins Verhältnis setzen. Das Subjekt-Objekt-Verhältnis, konstitutiv für die Ordnung des Wissens, ist selbst in Frage gestellt. Und das können die wissen, die wissen können, daß wer genießt: die Anderen. Und die sehen einen Angriff.

Denn der Junkie, der nichts zu sagen weiß, provoziert nicht bloß irgendeine intersubjektive Ordnung, kränkt nicht bloß irgendeinen Narzißmus; es ist ja nicht so, als würden bürgerliche Subjekte nicht auch gut damit leben können, mit dem einen oder der anderen auch mal keine Rede auszutauschen. Doch symptomatisch fehlt in den Reden über den Junkie nie sein schlechtes Aussehen, nie die Schilderung der Entzugsqualen, der erschreckte Blick des Ertappten, doch ständig die Beschreibung über die halbgeschlossenen Augen dessen, der sich gerade den Schuß, den Snief oder die Folie gegeben hat. Die verzückte HeroingebraucherIn mag niemand wahrnehmen, und die vollständige innere Ruhe, die Schönheit, die diese ausstrahlt, wird nur perhorresziert, als äußere Willenslosigkeit verhandelt: für die Droge alles zu machen. Gerade hierin ließe sich vielleicht der Schlüssel zum Verkennen erblicken: Wer "für den Kick, für den Augenblick" (Tic Tac Toe) sein Geld heranschafft, nur um es wieder und wieder "dem Dealer mit dem Lächeln im Gesicht" (nochmal Tic Tac Toe) zu geben, der oder die verzichtet ja nicht bloß darauf, Zeichen zu setzen und im Tausch der Reden zu veräußern. Verzichtet wird auf die Logik der Zeichen selbst, die immer auf ein anderes verweisen, auf die Logik der Objekte der Begierde, die, einmal als solche subjektiv konstituiert, dem Subjekt konstitutiv die Erfüllung verweigern, deren Versprechen es ihnen erst beigelegt hat, und es zum nächsten Objekt treiben. Mit anderen Worten: Verzichtet wird auf die Warenlogik insofern, als eine Ware immer den Stempel trägt, austauschbar zu sein - für seinen Anteil allgemeinen Äquivalents hätte das Subjekt auch jeden anderen Träger von Wert bekommen können; und hätte es das nicht auch besser tun sollen? So sehr die Ware Ausschließlichkeit erheischt – die Entscheidung für sie ist eine gegen alle anderen –, so sehr verweist sie gerade darin auf die Gesamtheit der einzelnen Bestandteile kapitalistischen Reichtums. Was objektiv notwendig ist in der Produktion der Waren, ihre Beliebigkeit und Austauschbarkeit als bloßes Durchgangsstadium der Wertverwertung, ist psychisch in der Qual der Wahl, im Begehren, internalisiert. Bloß der Junkie scheint von der Qual des Wählens und Verweisens befreit: Er soll seinen idealen Gebrauchswert gefunden haben, gegen den jeder Tauschwert belanglos wird (vulgo: für den der Junkie bereit ist, jeden Preis zu zahlen). Die bürgerliche Welt zahlt es ihm, der sich dem Äquivalententausch zu entziehen scheint, weil es zum Heroin für ihn kein Äquivalent geben soll, heim, indem sie ihm dafür die Rechnung präsentiert: ständig auf den Tausch Ware gegen Geld zurückgeworfen zu sein unter den brutalsten denkbaren Marktbedingungen, denen des Schwarzmarkts, wo keine freien und gleichen Subjekte verkehren können.

Eine kulturindustrielle Rede über den Junkie, der selbst nicht mitreden kann, kann es so schon deswegen nicht geben, weil die Rede über ihn seine Teilhabe ausschließt: Welcher Junkie, so weiß der Marktforscher, würde ein Heroin-T-Shirt kaufen, wenn er für das gleiche Geld auch Heroin bekäme? Wenn Kulturindustrie alles mit Ähnlichkeit schlägt, dem Heroin aber für die GebraucherIn nichts ähnlich sein kann, weil seine Wirkung immer fremd bleibt, dann kann sie nur für die Anderen den Blick auf die UserInnen inszenieren, in denen symptomatischerweise wiederum, selbst in wohlwollend-voyeuristischen Präsentationen wie Pulp Fiction oder Trainspotting, das Genießen der Beteiligten fehlt.

Diese Inszenierungen produzieren psychischen Mehrwert (für die Anderen) nicht zuletzt dadurch, daß einer traumatischen Erfahrung Pseudoplausibilität verliehen wird. Denn, wie beschrieben, ist nicht bloß die Rede der Kulturindustrie an der Stelle des Heroinrausches leer, sondern auch die künstlerische. Mit dem Genießen, dem das Wissen und damit die Wörter fehlen, ist es wie mit dem Objekt, das zu nahe kam, um noch Objekt zu bleiben; ist es wie mit der nachorgiastischen Ruhe, die den Willen durchkreuzt und damit das Subjekt seiner Subjektivität beraubt: mit ihm ist nicht zu Rande zu kommen. Es fordert unerbittlich, etwas aufzugeben, das aufzugeben zu denken unmöglich ist. Es fordert den Preis, die Welt (und darin eingeschlossen sich selbst) nicht mehr zu verstehen. So, wie die Welt konstituiert ist, ist Genießen allemal traumatisch – auch eine Lehre Lacans –, und ist es so auch für die Ausgeschlossenen: Es präsentiert ihnen wiederum den Verzicht, den sie leisten mußten, um Subjekt zu sein. Auch das kann einem die Sprache verschlagen, wenn man noch nicht ganz abgebrüht ist. Das Gerede von der Killerdroge Heroin aber löst dem Subjekt wieder die Zunge. Nun weiß es, was dem Heroingenuß den Schrecken verleiht – Abhängigkeit, Verelendung und selbstzerstörerische Impulse, die therapeutisch aufzufangen sind. Erklärungen aus der Erfahrung mit HeroingebraucherInnen werden gefunden, um nicht wortlos davorzustehen, daß der Heroinrausch am Prinzip der Erklärbarkeit selbst kratzt, an die Fähigkeit, Erfahrungen symbolisch zu grundieren. Um an den Anfang zu erinnern, waren es bloß Velvet Underground, die dieser Herausforderung standgehalten und das Ende der Symbolisierbarkeit selbst besungen haben.

Das aber wäre die Voraussetzung, um das leere, pseudoplausible Gerede über die Gefahr (des Heroins) und die Schönheit (der Alternativen: Sport, drogenfreies Tanzen, mit der Arbeiterklasse Revolution machen) samt ihrer entsprechenden Praxis zu verwerfen. Denn dieses Gerede, das über beider Verbundenheit schweigt, ohne es zu merken, steht dem Glück selbst im Weg, indem es es als leidloses - ohne das Leiden an dem Leiden der Anderen wie an dem eigenen der Subjektivität - in die Welt setzt, wo es hoffnungslos zergehen muß, nicht ohne die Subjekte in frenetische Jagd nach ihm zu versetzen im verfassungsmäßig geregelten pursuit of happiness. Hier zu intervenieren aber ist keine Frage der Sprache, die sich bloß aufs Nichts und damit auf nichts berufen könnte, sondern eine der Praxis, an deren Ende sich Individuen vielleicht verwundert die Augen darüber reiben mögen, daß sie formulieren können, daß Glück im Bauplan der Welt doch vorgesehen ist, zumindest dann, wenn dieser Bauplan kommunistisch ist und den Menschen die Welt zum Genuß freigibt wie einst Gott den mittelalterlichen MystikerInnen – ohne sie freilich dafür in Kloster oder andere Zwangsjacken zu stecken. Weil man aber so etwas kaum sagen mag, ohne rot zu werden vor soviel Schwärmerei, steht der Theoretiker wieder am Anfang der Lobrede übers Heroin: beim Wissen, daß es keinen Ort gibt, von dem aus sie zu führen wäre. Was er entdeckt hat, ist ein Mangel; nun kann er sich wieder seinem Geschäfte zuwenden, nämlich die repressive Drogenpolitik auf ihren kapitalen Begriff zu bringen – mit der befriedigenden Erkenntnis, daß es nicht an ihm liegt, wenn er darin unbefriedigt bleibt.

Lars Quadfasel

 

1 Zu finden in: Palette e.V., Warum wir für die Legalisierung von Heroin sind, Eigenverlag, Hamburg o.J.; aber auch die konsumierenden AutorInnen sind sich uneins. Benn spricht von "olympischer Kühle", Janet Clark von "warmer Milch in den Adern". Wenn sie denn überhaupt mal sprechen, und sei’s noch so knapp, dann ohne Verbindlichkeit: Der Widerspruch fiel niemandem auf.

2 Adorno, Minima Moralia, FfM 1951, S. 230

3 Adorno, a.a.O., S. 207

4 Frank und frei: Hier beziehe ich mich nur auf Sekundärliteratur von Slavoj Zizek (Enjoy your symptom!) und Malcolm Bowie (Lacan). Aber die paßt aufs vorliegende Problem vorzüglich.

Alle Zitate expressionistischer Gedichte aus:
Kurt Pinthus (Hg.), Menschheitsdämmerung, Neuauflage Hamburg 1959
sowie:
Else Lasker-Schüler, Gedichte 1902 - 1943, München 1986.

Inhaltlich verwandt wurde:
Diedrich Diederichsen, Coole Kinder können wieder warten, taz, ca. Februar 1997
Dieser Artikel ist die leicht gekürzte Version eines Vortrags. Die vollständige Version kann bestellt werden bei: Junge Linke, Borriesstr. 28, 30519 Hannover