Man verzeihe mir das überhaus schlechte Wortspiel in der Überschrift …
Jetzt zum Thema. Im Moment bin ich hin und weg von Walter Wink und seinem Buch „Verwandlung der Mächte – eine Theologie der Gewaltfreiheit“. Ich fühle mich auch geradezu ertappt und überführt, dass auch ich in großen Teilen eine zentrale Fragestellung der Theologie nicht bis zum Ende verstanden hatte. Es geht um die Frage des Sinns und der Legitimation von Gewalt als Lösung. Und ja, auch ich hielt es bisher mit Bonhoeffer und Co. dass es manchmal (egal jetzt warum und wann und wie und wo genau) im Äußersten angebracht sein könnte, zu Gewalt als letzten Mittel bla bla bla… Aber genau damit entlarve ich meinen eigenen „Glauben an den Mythos der erlösenden Gewalt“ – eine Formulierung, die mich seit Wochen begleitet. Hat man einmal Wink’s Brille aufgesetzt, ist man gleichzeitig geplättet und beschämt, wie sehr diese Überzeugung vom persönlichen Alltag bis hin zum politischen Weltgeschehen fast alles durchdringt. Wie oft erwischt man sich dabei, dass man sich am liebsten durch einen Akt der Gewalt (auch verbal, taktisch, strukturell oder sogar nur im Gedankenspiel) vermeintliche Erlösung verschaffen will. Und wie deutlich kann man in der Weltpolitik diesen Glauben erkennen.
Das für mich Erstaunlichste beim Lesen bis jetzt war aber die neue Deutung des Kreuzigungsgeschehens. Bisher wurde mir das Kreuz als ein notwendiger Gewaltakt Gottes gedeutet, da seine Gerechtigkeit dieses Opfer verlangen würde (S. 82:)
Der Gott, den Jesus als nicht länger rachsüchtig, sondern als bedingungslos liebend offenbart hat, der einer Genugtuung durch blut nicht bedarf, dieser Gott der Barmherzigkeit wurde von der Kirche in einen zornigen Gott verwandelt […] Der gewaltfreie Gott wird zu einem Gott beispielloser Gewalttätigkeit […] Gegen solch ein Gottesbild ist das Aufbegehren des Atheismus ein wahrhaft religiöser Akt
Schon immer hat sich so vieles in mir dagegen gesträubt, dass DAS der Grund für dieses Gemetzel sein sollte – weil Gott es so will!?! Wink hat genau hier eine Deutung parat, die dieses Dilemma für mich auf wunderbare Weise auflöst. Jesus hat soz. die Spirale der Gewalt am Kreuz zerbrochen, indem er gerade nicht mit Gewalt oder Rache geantwortet hatte. Er bezeugt z.B. bei seiner Verhaftung sogar noch, dass ihm durchaus die Option der erlösenden Gewalt offen stünde (Matt. 26: Da sprach Jesus zu ihm; Stecke dein Schwert an seinen Ort! denn wer das Schwert nimmt, der soll durchs Schwert umkommen. (1. Mose 9.6) 53 Oder meinst du, daß ich nicht könnte meinen Vater bitten, daß er mir zuschickte mehr denn zwölf Legionen Engel?)
Aber er setzt sie eben NICHT ein – DAS ist das Kreuz – es ist die Entlarvung eines Mythos, eine Zurschaustellung einer Religion der Gewalt in all ihren Konsequenzen. Also komplett die Antithese zur Kreuzestheologie des Sühneopfers. Wer an den Mythos der erlösenden Gewalt glaubt (im Sinne von ihr vertraut), der opfert auch einen Unschuldigen, wenn es einem scheinbar lauterem Ziel dient. Aber es ist und bleibt ein Dogma einer Gewaltreligion. Jesus hätte durch die Anwendung von Macht und Gewalt nur bezeugen können, dass er noch mächtiger und gewalttätiger sein kann, als das bisherige System – aber eben nicht anders bzw. besser. Daher gab es für ihn keinen anderen Weg als durch den konsequenten Gewaltverzicht am eigenen Leib das System der herrschenden Gewalt zu entlarven und dessen hässliche Fratze zu offenbaren.
Und es spielt keine Rolle, ob ich nun einer Denomination oder Religion angehöre oder vermeintlicher Atheist bin … des Mythos der erlösenden Gewalt kennt hier keine Grenzen, der Mythos lebt in unserem Weltbild und unseren Überzeugungen.