Das Unbehagen in der Kultur

In Freuds 1930 veröffentlichtem Aufsatz Das Unbehagen in der Kultur finden sich einige bemerkenswerte Fußnoten. Die wohl originellste und kurioseste darunter, befasst sich mit dem Drang des Urmenschen das Feuer auszuurinieren. Die infantile Lust, das Feuer mit dem Urinstrahl zu löschen, sieht Freud als „Genuss der männlichen Potenz im homosexuellen Wettkampf.” Seine Annahme ist selbst höchst projektiv, so geht er etwa davon aus, dass die züngelnden Flammen des Feuers phallisch aufgefasst wurden.

Illustrieren soll die Fußnote aber eigentlich das Verhältnis von Triebverzicht und Kulturentwicklung. Die Kultur erfüllt bei Freud zwei zentrale Funktionen: Den Schutz der Menschen vor der Natur und die soziale Regelung des menschlichen Lebens untereinander. Im Bezug auf das Feuer verdichtet sich dieses Verhältnis von Kulturleistung und Triebverzicht. Wer auf die Befriedigung verzichtet, das Feuer zu löschen, darf es nach Hause tragen und sich an seinen wärmenden Vorzügen erfreuen. Am Anfang der Naturbeherrschung steht also schon die Selbstbeherrschung, der damit verbundene Verzicht.

Freud legt immer wieder Gegenwärtiges in die frühe Vergangenheit – ein Vorwurf, den viele materialistische Psychoanalytiker*innen zurecht gegen ihn erhoben. Auch an der hier beschriebenen Stelle deutet er eine sehr eigenwillige Patriarchats-Erklärung an, die der Vollständigkeit halber Erwähnung finden soll. „[…]als hätte man das Weib zur Hüterin des auf dem häuslichen Herd gefangengehaltenen Feuers bestellt, weil ihr anatomischer Bau es ihr verbietet, einer solchen Lustversuchung [dem Ausurinieren des Feuers] nachzugeben.”

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