Stieg Larsson: Verblendung

Stieg Larsson: Verblendung. – 5. Aufl. – München: Heyne, 2007. – 687 S.

Mikael Blomkvist, bislang angesehener Wirtschaftsjournalist Mitte 40 und Mitherausgeber der kleinen, aber renommierten Zeitschrift „Millennium“, wird wegen Rufmord zu einer hohen Geldstrafe und drei Monaten Gefängnis verurteilt – er ist einer Intrige des 200-Milliarden-Kronen-schweren Industriellen Wennerstroem zum Opfer gefallen. Blomkvist zieht sich zurück und läßt sich widerwillig von Henrik Vanger, einem betagten Familienpatriarchen einer alten Industriellendynastie, engagieren, um dessen Nichte Harriet zu suchen, die vor 43 Jahren unter ungeklärten Umständen spurlos verschwand. Vanger ködert den Journalisten mit Informationen über Wennerstroem, so daß Blomkvist sich auf den Deal einläßt: Ein Jahr lang soll er auf der kleinen Insel Hedeby, dem Familiensitz der Vangers, recherchieren, der Lohn wird unabhängig vom Resultat ausgezahlt. Tief dringt Blomkvist nun in die Familienstruktur ein, teilweise gegen massiven Widerstand der Beteiligten, und versucht, den Ablauf des Tages, an dem Harriet verschwand, genau zu rekonstruieren: Wie konnte sie unbemerkt verschwinden von einer Insel, die an dem Tag von der Außenwelt abgeschottet war, was wußte Harriet, das vielleicht einem ihrer Verwandten gefährlich werden konnte? Warum sträuben diese sich nun, konstruktiv mit Blomkvist zusammenzuarbeiten? Das Leben sei kein Agatha-Christie-Roman, sagt Blomkvist einmal, und so kommt es, daß er Geheimnisse zu Tage fördert, deren Grauenhaftigkeit jeder Beschreibung spottet, und die ihn selbst in Lebensgefahr bringen …
Parallel wird die Geschichte Lisbeth Salanders erzählt, eine eigentümliche junge Frau Mitte 20: Dürr, mit vielen Tattoos und Piercings bestückt, macht sie eher den Eindruck eines verstörten drogensüchtigen Teenagers als den einer kompetenten Mitarbeiterin einer Sicherheitsagentur, bei der sie sich als Freie durchgesetzt hat. Und ein bißchen gestört ist sie wohl auch: Asperger-Syndrom, denkt Blomkvist einmal, das ist eine leichte Form von Autismus. Ihre Fähigkeiten sind phänomenal: Vermutlich ist sie die beste Hackerin Schwedens, sie hat ein fotografisches Gedächtnis, ihr Unrechtsbewußtsein allerdings ist, was die eigenen ‚kleinen‘ Vergehen anbelangt, recht schwach ausgeprägt. Und trotz ihres Hilflosigkeit ausstrahlenden Aussehens weiß sie sich auch in schwierigen Situationen zu helfen, wie der Umgang mit ihrem staatlich bestellten und, wie sich herausstellt, sadistischen Betreuer zeigt.
Da Blomkvist in der Endphase seiner Recherche Hilfe braucht, wird Salander zu seiner Assistentin – und rettet ihm das Leben.

Trotz seiner fast 700 Seiten ist dies ein empfehlenswerter Roman. Ich gebe zu, ich war etwas skeptisch, denn ich finde, das häufig anzutreffende Attribut „schwedisch“ für Kriminalromane ist an sich noch kein Qualitätsmerkmal, wie uns die Werbung weismachen will. Die Recherchen in den Familienangelegenheiten nehmen breiten Raum ein, werden aber (fast) nie langweilig, denn die Personen sind glaubhaft konstruiert. Die ‚Helden‘ Blomkvist und Salander sind oft voller Selbstzweifel, das ist gut, das macht sie trotz aller besonderer Fähigkeiten lebensnah und nachvollziehbar. Die Kritik an der schwedischen Wirtschaft ist eigentlich eine Anklage eines ungebremsten kapitalistischen Verhaltens, das sich bar jeder Moral weltweit durchzusetzen versucht, ein Umstand, dem jedenfalls in Schweden, so Larsson, die Wirtschaftspresse zu wenig entgegen setzt. Laut Klappentext ist dies der erste Teil einer Trilogie des leider viel zu früh verstorbenen Stieg Larsson.
Ich freu mich schon auf den nächsten Teil.

7 Gedanken zu “Stieg Larsson: Verblendung

  1. Henny Hidden November 11, 2007 / 23:44

    Hallo tatortkrimi,
    mir hat das Buch ebenfalls sehr gut gefallen. Vielleicht hast Du Interesse, auf meinem Blog die Rezension darüber zu lesen. Mich hat vor allem die geniale Konstruktion des Falles angesprochen.
    Herzliche Grüße
    Henny Hidden

  2. tatortkrimi November 12, 2007 / 00:10

    Hallo Henny Hidden,
    danke für den Hinweis – wir sind ja fast auf einer Linie: Widerspruch ist gut, Zuspruch aber noch besser 😉
    Dein Einverständnis vorausgesetzt verlinke ich Dich sofort in meinem Blogroll.

    Viele Grüße
    Tatort: Krimi

  3. Henny Hidden November 13, 2007 / 13:51

    Hallo Tartort:Krimi ,
    vielen Dank. Bin gespannt auf die nächsten Bücher, die du rezensierst.
    Herzliche Grüße
    Krimilady

  4. flattersatz April 8, 2008 / 21:04

    …liegt in meiner kiste und wartet darauf, gelesen zu werden…. bin gespannt!

  5. SilkeS. August 12, 2008 / 16:58

    Hallo !

    Ich habe Deinen Blog gerade erst entdeckt, und finde es super, daß Du nur Krimis liest.
    Deine Besprechungen gefallen mir, sie sind aussagekräftig, kritisch ohne zu spoilern.
    Gerade dieses Buch habe ich auch gerade gelesen und kann Dir zustimmen.
    Schwedische Krimi, erinnern ja meist eher an Melancholie, dieser hier aber nicht.
    Er wirkt glaubwürdig, wenn ich auch das Ganze um die Wennerström-Affäire etwas heftig fand und nicht wirklich ganz mitkam.
    Spannend war das Buch auf jeden Fall, anders als alles sonstigen schwedischen Krimis und ich werde mir Teil 2 und 3 auch noch besorgen und lesen.

    Ich war so fre Deinen Blog bei mir zu verlinken,…

    Gruß SilkeS.

  6. tatortkrimi August 13, 2008 / 19:03

    Hallo Silke,
    die Besprechung von Teil drei steht leider immer noch aus, mal sehen, vielleicht schaffe ich es noch vorm Urlaub.
    Schön, daß Dir mein Blog gefällt, ich habe Dich auch in meine Linkliste aufgenommen und werde demnächst mal bei Dir stöbern.

    Viele Grüße

  7. Julian Persub August 2, 2009 / 12:01

    Bin mal gespannt, was dem nächsten dazu einfällt – ich bin klar dafür.

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