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„Improvisation
∞“ oder Die Landschaft als Allegro
Zu Ute Litzkows farbigen Arbeiten auf Papier
von Vera Herzog, Kunsthistorikerin
Jazzstücke sind für den unaufmerksamen Hörer
chaotische Anhäufungen von Tönen. Mit flüchtigem Blick
betrachtet, erscheinen die farbigen Arbeiten der Berliner Künstlerin
Ute Litzkow wie Flickenteppiche aus Klecksen und Flächen. Doch mit
aufmerksamen Ohr und beim intensiven Betrachten erkennt man jeweils den
vorgegebenen Rahmen: Im Jazz sind es Melodien, Tonleitern und Rhythmen,
die die Läufe einzelner Instrumente zusammenhalten. Bei Ute Litzkow
sind es Motive aus der Landschaftsmalerei, mit denen sie die Explosionen
aus Farben und Texturen bannt.
Der Ausgangspunkt wird im Titel jedes Stücks benannt: „nach
Hokusai“ ist hier die häufigste Ansage. Einzelne Blätter
aus den berühmten Holzschnittserien “36 Ansichten des Berges
Fuji”, „Eine Reise zu den Wasserfällen in allen Provinzen“,
„Ozeane der Weisheit“ von Katsushika Hokusai (1760-1849) überträgt
die Künstlerin ins hier und jetzt. Ihre Analyse gilt zunächst
der Gesamtkomposition dieser kontemplativen Werke. Sie erforscht das dem
Motiv zu Grunde liegende bildnerische Konzept, um es anschließend
für ihr neues Bild zu verstärken oder zu konterkarieren. Hokusais
Landschaften bilden dabei Grundtonart und Urmelodie, deren Formen und
Motive zitiert werden, gesampelt und transponiert.
Der bewegte Lebenslauf des japanischen Zeichners, seine Suche nach der
bildnerischen Perfektion in seinen Werken, sprachen Ute Litzkow zu einem
Zeitpunkt an, an dem sie sich der Farbe zuwandte. Bereits im Prozess des
Betrachtens und Übertragens der hokusaischen Naturansicht beginnt
die farbliche und kompositorische Fassung vor dem inneren Auge der Künstlerin
zu reifen. Das Vorgehen ist assoziativ: Es entstehen neue Verbindungen
zwischen den Bildteilen, Farben werden anders gesetzt. Gleichzeitig fließen
Formen ineinander, das Grundgerüst bedarf zum Teil weiterer, motivischer
Ergänzung. Dies sind dann Versatzstücke aus den Arbeiten von
Claude Lorrain und Giovanni Antonio Canaletto, ideale Landschaft und ideale
Vedute. Das Ergebnis eines Schaffensprozesses, ein fertiges Blatt, ist
somit eine Improvisation über ein Thema, die wiederum auch variiert
werden kann. So findet man das gleiche Grundmotiv in anderer farblicher
Fassung: Eine Variationen der Improvisation.
Parallel zu diesem prozesshaften Gestaltungsverfahren verändert Ute
Litzkow das entstehende Bild emotional. Sie projiziert Stimmungen, bringt
Wünsche, Vorstellungen, etwa die Idee, ein zeitgenössisches
Paradies zu schaffen, in die künstlerische Arbeit ein. Es gibt kein
Genre, das geeigneter wäre, diese Innerlichkeit darzustellen, als
die Landschaft. Denn hier trifft sich das Äußere der Welt mit
dem Inneren des Menschen, die Landschaft hat kathartische Wirkung. Seit
dem Zeitalter der Empfindsamkeit und ihrem optimistischen Glaube an die
Wirkung der Natur, das Gute im Menschen anzuregen, ist die Landschaft
emotional besetzt; und mit ihr auch ihr Abbild – das Landschaftsbild.
Das 21. Jahrhundert entortet ersehnte Landschaften zunehmend: eine Skipiste
in der Wüste, ein Tropenparadies in Norddeutschland, mit Klimatechnik
und Containerarchitektur werden Paradieslandschaften raumentzogen simuliert.
Die heutigen Paradiese sind mediengeneriert: Sandstrand, Palme, türkisfarbenes
Meer – Südsee, Karibik – zweidimensional, ohne Hitze
und Luftfeuchtigkeit, eingeatmet am heimischen Sofa mit kontinentaler
Frischluft. Sie sind künstlich, so künstlich, wie die Litzkowsche
Farbgebung.
Der Bildgrund ist mit holografischen Folien gefüllt, Flächen
mit Gelroller, Fineliner, mit Neon- und Metallicmarkern gestaltet. Hokusais
Holzschnittmotiv erfährt mit den Materialien aus Bastel- und Schreibwarenläden
ein Update, wird konfrontiert mit der kindlich-naiven Oberflächlichkeit
der heutigen globalisierten Konsumwelt. Selbst dort, wo sich Ute Litzkow
traditioneller Techniken bedient - Aquarellfarben, Tuschen und Buntstiften
-, bekommen die Arbeiten durch gegenstandsunabhängige, collagierte
Farben die Signalwirkung einer Leuchtreklame.
Der Kontrast zwischen Litzkows Farbe und Hokusais Motiv ist intendiert.
Kraftvolle urbane Ausrufezeichen überlagern die natürliche Stimmung.
Die Farblichkeit löst die Künstlerin vom Gegenstand. Das Bild
wird als Farbklang erlebbar. Sein Ausdruck erscheint gegenüber dem
Vorbild gesteigert, sein Ton verstärkt, das Tempo verschärft.
Ute Litzkows Landschaften sind Allegri.
Bei all dem ist die Beschäftigung mit dem bildhaften Ausdruck nicht
allein formalästhetisch zu verstehen. Gemälde alter Meister
zu kopieren war lange Teil der akademischen Künstlerausbildung. Der
angehende Maler sollte seinen Blick dabei schärfen, den Duktus, die
Gesamtkomposition, das Licht studieren und über die Nachschöpfung
für sein eigenes Oeuvre lernen. Sich teilweise in die Rolle des Schülers
zu begeben war eine Motivation Ute Litzkows bei der Beschäftigung
mit Hokusai. Doch ihre Studien zielen darüber hinaus auf ein neues,
eigenes Werk. Sie erforscht nicht nur das Werk, sondern auch den Prozess
der Bildwerdung, den Zusammenhang zwischen der Persönlichkeit des
Künstlers, seinen Interessen, seiner emotionalen Entwicklung und
dem daraus resultierenden Möglichkeitsraum an Bildern. Ute Litzkow
hinterfragt ihre eigene Rolle im Schaffensprozess, mal analytisch, mal
emotional tastend. Jedes Stück vereint etwas Objektives und etwas
Subjektives, einen kompositorischen Rahmen und den Atem, der ihm Leben
einhaucht.
Bereits in ihrem ersten großen Werkkomplex, der aus einer Reihe
von schwarzen Tuschearbeiten und farbigen Zeichnungen besteht, untersuchte
Ute Litzkow die Linie als Ausdrucksmedium. Aus fließenden Kurven,
schraffierten oder gepunkteten Flächen entstanden abstrakte, aber
organische Formen, die sich wie Nebel über das Weiß des Blattes
legen. Im Stil des „automatischen Schreibens“ praktizierte
Ute Litzkow das „automatische Zeichnen“, um sich die in ihrem
Unbewussten abgespeicherte Bildwelt zu vergegenwärtigen und sie zu
ordnen. Die neuen Bilder erweitern nun das Spektrum künstlerischer
Möglichkeiten erheblich. Die entstehenden Landschaften sind eine
Synthese der Bilderflut des 21. Jahrhunderts, in der historische mit gegenwärtigen
Bildern verschmelzen, sich Hoch- und Alltagskultur verbinden.
Indem Ute Litzkow improvisiert, indem sie ihre Bilder als Serie zusammenfasst
und trotzdem als einzelne Werke versteht, betont sie für jedes Stück
und für ihre gesamte künstlerische Arbeit das Werden, nicht
das Sein. Diese Prozesshaftigkeit, die jedes Bild der Werkgruppe prägt,
spiegelt gleichzeitig Ute Litzkows Selbstauffassung als Künstlerin.
Sie ist als Teil der Gesellschaft selbst suchend, selbst betrachtend,
selbst Konsumentin. Sie ist auf dem Weg und nie am Ziel. Nur so kann sie
kollektive Wünsche in Bilder fassen. Ihr Werk ist eine Annäherung.
Ihre Blätter sind eine von vielen Antworten, Schritte auf dem Weg
zur unerreichbaren Vervollkommnung. Aus diesem Standpunkt heraus schafft
Ute Litzkow Bilder positiver Zustände. Denn das gelobte Land und
das dauerhafte Glück sind nur im Bild erreichbar.
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