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Christliche Bewertungs-Website Schäfchen beißt Hirte

"Auch Gott braucht Feedback": Auf Hirtenbarometer.de können Gläubige Pfarrer, Kardinäle und Päpste bewerten. Von "ehrpusseligen Klerikern" ist da die Rede, von einem Bischof, der sich benimmt "wie ein Schulbub". Die evangelische Kirche begrüßt die Website, die katholische Konkurrenz ist empört.
Von Ariane Stürmer
Screenshot von Hirtenbarometer.de: "Bewerte die Arbeit deiner Hirten"

Screenshot von Hirtenbarometer.de: "Bewerte die Arbeit deiner Hirten"

Hamburg - Kardinal Joachim Meisner ist "sicher nicht von Intelligenz geküsst", Papst Benedikt ist ein Mann "mit Ecken und Kanten" und die Glaubwürdigkeit von Landesbischof Friedrich zumindest zweifelhaft. Es sind die Meinungen von Christen, die auf Hirtenbarometer.de  über die Leistung ihrer Geistlichen abgestimmt und sie bewertet haben. Das Motto der Seite: "Auch Gott braucht Feedback."

Nach Staubsaugern, Hotels und Lehrern können Internetnutzer jetzt auch Geistliche online mit Noten bewerten und ihre Kritik in Worte fassen. Fabian Ringwald, 31, evangelisch, Informatiker, hat die Website zusammen mit drei Karlsruher Kommilitonen entwickelt.

Grundlage sei ihre Überzeugung, dass auch "pastorale Arbeit ihre Qualität haben sollte", so Ringwald. Dazu müssten sich Gläubige und Geistliche offen und kritisch über Probleme austauschen. Genau das sei aber bisher nicht möglich. Denn viele Gläubige würden ihre Pfarrer aus Angst oder Respekt nicht ansprechen, wenn sie etwas an deren Arbeit zu kritisieren hätten.

"Viele Menschen trauen sich offenbar nicht, ihr Feedback persönlich auszusprechen, obwohl das unter erwachsenen Christen eigentlich selbstverständlich sein sollte", sagt der evangelische Landesbischof Johannes Friedrich. "Wenn das Internet helfen kann, diese Scheu abzubauen, ist das prima." Pfarrer müssten sich der Kritik genauso stellen wie andere Berufsgruppen.

Doch nicht alle sind so positiv eingestellt wie Friedrich. Das neue Portal polarisiert, die Meinungen gehen auseinander: Während die Katholische Kirche von einer "kalten Abrechnung" mit den Klerikern spricht, begrüßt die Evangelische Kirche die Website trotz einiger Zweifel als zeitgemäßen Beitrag.

"Sicher nicht von Intelligenz geküsst"

Auch Christian Fischer vom evangelischen Pfarrerverband sagt, die Kritik könne zu "einer offenen und konstruktiven Beziehung zwischen Pfarrer und Gemeinde" beitragen. Und der Sprecher der Evangelischen Kirche Deutschlands, Reinhard Mawick, ist überzeugt, dass die Kirche auf Feedback angewiesen ist. Die anonyme und damit "risikolose Kritik" auf Hirtenbarometer.de könne "eine Möglichkeit sein, wirklich das zu sagen, was man denkt".

Von dieser Möglichkeit machen einige Gläubige bereits Gebrauch und bewerten die Arbeit der Geistlichen in den Kategorien Gottesdienst, Glaubwürdigkeit, Am Puls der Zeit, Jugendarbeit und Seniorenarbeit. Eins ist die schlechteste, sechs die beste Note. Zudem kommentieren die Nutzer detailliert, was sie von den einzelnen Pfarrern, Kardinälen und Bischöfen halten - allerdings ist längst nicht jeder Geistliche in Deutschland bei Hirtenbarometer.de verzeichnet.

So können die Gläubigen zwar die Arbeit des verstorbenen Papstes Johannes Paul II. bewerten, manch lebender Bischof hat indes noch kein eigenes Profil. Kardinal Meisner ist etwa schon benotet, seine Arbeit wird kommentiert. Inwieweit aber der Satz, er sei "sicher nicht von Intelligenz geküsst" als konstruktive Kritik dienen kann, ist fraglich.

Dabei wollen Ringwald und seine Kollegen mit ihrer Website eigentlich einen "ersten Schritt zum Dialog" ermöglichen. Dieser könnte entstehen, wenn die Geistlichen ihren Kritikern mit einem Gegenkommentar antworten würden. Dass Meisner sich nach einer solchen Äußerung auf einen Austausch einlässt, ist unwahrscheinlich, und so bleibt die Dialogidee der Hirtenbarometer-Entwickler vorerst noch Wunschdenken. Zumindest von Seiten der katholischen Kirche dürfte sich daran auch so bald nichts ändern.

"Auf unterstem Niveau in die pädophile Ecke gestellt"

Auf der evangelischen Seite gibt es dagegen durchaus auch hohe Würdenträger, die das Angebot zum Dialog über den Umweg der Anonymität im Internet nutzen würden. Landesbischof Friedrich etwa kann sich vorstellen, auf Kritik zu antworten, solange diese "nicht ehrverletzend" ist und er die Zeit dafür habe. Er hält es für fatal, wenn die Website "zu anonymen Beleidigungen führen würde". Auch EKD-Sprecher Mawick mahnt, Hirtenbarometer.de dürfe nicht "in eine Einbahnstraße führen".

Damit die Seite nicht zu einer Plattform für Beschimpfungen enttäuschter Gläubiger verkommt, haben die Entwickler laut Ringwald Wortfilter eingebaut. Rund 100.000-mal wurde die Seite bisher angeklickt, nur zehnmal schlug das Warnsystem an. Im Notfall greifen Ringwald und seine Kollegen ein. Das war der Fall, als ein katholischer Pfarrer "auf unterstem Niveau und mit drastischer Wortwahl in die pädophile Ecke" gestellt wurde, sagt Ringwald. Einen beleidigenden Beitrag löschten die Entwickler nach dem Hinweis eines anderen Nutzers. Dazu sind sie rechtlich verpflichtet.

Die Bewertung von Geistlichen ist nicht neu. Die EKD leistet sich beispielsweise das "Zentrum für Qualitätsentwicklung im Gottesdienst" mit Sitz im Michaeliskloster Hildesheim. Zentrumschef Folkert Fendler schreibt in einer Broschüre über die Arbeit der Einrichtung, unter Kollegen sei es "nahezu ein Tabu, sich auf Gottesdienste anzusprechen". Um die Qualität der Predigten zu sichern, gebe seine Institution Feedback-Bögen aus, die Gottesdienstbesucher in ganz Deutschland ausfüllen können. Die Gläubigen bleiben dabei anonym.

Auch im Internet ist der Dialog bereits möglich: Längst sind Pfarrer auf Facebook und bei Twitter aktiv, Kardinal Meisner beantwortet seit Pfingstsonntag Fragen der Gläubigen via direktzumkardinal.de. Vorbild dafür war die Website von Bundeskanzlerin Angela Merkel. In vielen Gemeinden gibt es zudem einen persönlichen Austausch in sogenannten Predigtnachgesprächen.

"Als würde man anonym Gülle über jemanden schütten"

Während die meisten evangelischen Einrichtungen Hirtenbarometer.de offenbar als Ergänzung zu diesem Feedback-System wahrnehmen, lehnt ein Großteil katholischer Stellen die Seite ab.

Im Erzbistum München und Freising bezeichnet sie Sprecher Bernhard Kellner als eine "methodisch unterirdische" Seite, deren Kategorien von einer "im besten Fall herzerweichenden Naivität" seien. Pfarrer, die rund um die Uhr im Einsatz seien, verdienten ein differenzierteres Feedback. Hirtenbarometer.de sei "eine kalte Abrechnung, als würde man anonym Gülle über jemanden schütten". Zu einer solchen Seite werde sich der Erzbischof von München und Freising, Kardinal Reinhard Marx, nicht äußern.

Ähnlich reagieren auch andere Bistümer, deren Bischöfe bereits auf der Website bewertet wurden: Im Erzbistum Köln nimmt man das Hirtenbarometer zwar zur Kenntnis, will sich aber wie die Bistümer Essen, Rottenburg-Stuttgart und Würzburg nicht weiter dazu äußern. Das Bistum Regensburg nimmt "generell nicht zu Diffamierungen" Stellung, erklärt man dort. Diffamierend sind demnach Kommentare zu Bischof Gerhard Ludwig Müller wie: "Der Mann ist ein kritischer Geist, an dem man sich reiben kann" und hat "ein Benehmen wie ein Schulbub".

Fabian Ringwald und seine Kollegen dürften sich über die unterschiedlichen Meinungen zum Hirtenbarometer freuen. Denn: "Wir brauchten eine Idee, die polarisiert."