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Bahramis Rache: "Für die Verwundungen Vergeltung ..."

Foto: mvg Verlag

Vergeltung für Säureattentat "Bin ich denn kein Mensch?"

Ein verschmähter Verehrer wurde Amene Bahrami zum Verhängnis: Der Mann spritzte ihr Säure ins Gesicht - seitdem ist sie blind und entstellt. Vor Gericht erwirkte die junge Iranerin, dass sie sich rächen und ihren Peiniger blenden darf. Wird Bahrami das grausige Urteil vollstrecken?

Hamburg - Viele Male hat sich Amene Bahrami vorgestellt, wie sie sich an Madschid rächen wird. In ihren unruhigen, prophetischen Träumen, aber auch tagsüber, hellwach in ihrem kleinen Zimmer in Barcelona. Dort, wo durch den Türspalt der Zigarettenrauch kriecht, der ihr früher in den Augen brannte. Heute sind da nur noch leere Höhlen, die eine gefüllt mit einem blau-grauen Glasauge, die andere für immer verschlossen.

Er würde angeschnallt vor ihr liegen. Betäubt, weil es eine "zivilisierte", gerichtlich gebilligte Form von Vergeltung wäre. Sie würde die Lider auseinanderziehen und mit einer Pipette fünf Tropfen der vernichtenden Säure hineinträufeln. Würde dem "bösartigen Zischen und Gurgeln in seiner Augenhöhle" lauschen und - bestenfalls - Genugtuung empfinden.

Die Vision, die Bahrami in ihrem Buch "Auge um Auge" beschreibt, könnte Wirklichkeit werden.

Rückblick: An einem Dienstag im November 2004 gießt Madschid Mowahedi vorsichtig Schwefelsäure in eine rote Karaffe. Der Student der Elektrotechnik ist verliebt, in eine Kommilitonin, die lebenslustige und gutaussehende Amene. Doch das Mädchen erhört ihn nicht. Zwei Jahre lang hat er sie nach allen Regeln der Kunst gestalkt - ihr aufgelauert, sie am Telefon terrorisiert und bedroht. Jetzt ist er des Drohens müde. Im Ressalat-Park von Teheran lauert Mowahedi der jungen Frau auf. Sieben Stunden lang wartet er geduldig mit dem Fläschchen in der Hand, dann sieht er sie kommen und schüttet ihr den ätzenden Inhalt mitten ins Gesicht. Aus sicherer Entfernung beobachtete er dann den Todeskampf seines Opfers.

"Niemals werde ich sein höhnisches Lachen vergessen", erinnert sich Amene Bahrami an den Moment, in dem ihr Gesicht und innere Organe verbrannten, die Sekunde, die ihr das Augenlicht nahm. "Dieses Lachen war unbeschreiblich, es wird mir die Kraft geben, das Urteil zu vollstrecken", sagte sie SPIEGEL ONLINE.

Für den Schuldspruch vor einem Teheraner Gericht hat Bahrami lange gekämpft. Wegen versuchten Mordes war Mowahedi angeklagt - vor Gericht zeigte er sich der Autorin zufolge renitent und ohne Reue. "Warum hacken eigentlich alle auf mir herum?", soll er weinerlich gefragt haben. Nicht er habe ihr Gesicht zerstört, "das war sie selbst". Amene schlug jede Form des in Iran üblichen Blutgeldes als Entschädigung aus und drängte darauf, Gleiches mit Gleichem vergelten zu dürfen, wie es nach dem islamischen Strafrecht möglich ist.

Laut Gericht handelte Mowahedi vorsätzlich. Daher kann er für das Qisas-Delikt der Körperverletzung nach dem Talionsprinzip bestraft werden - das heißt, das Opfer hat das Recht, dem Angeklagten das Augenlicht zu nehmen. Genau dies gestanden die Richter Bahrami zu.

"Die Frau ist halb so viel wert wie ein Mann"

Nun mag der eine oder andere Genugtuung angesichts einer so drakonischen Strafe empfinden. Sie offenbart aber nichts weiter als die archaischen Prinzipien eines Strafrechts, das seine Wurzeln zum Teil in vorislamischer Zeit hat. So gelten in Iran Mädchen bereits mit neun Jahren als strafmündig, Jungen erst mit 15 Jahren.

Frauen werden bei einigen Delikten gar nicht vor Gericht als Zeugen gehört, bei anderen zählt ihre Aussage nur halb.

Die Ungleichheit von Mann und Frau ist nicht nur in der Gesellschaft fest verankert, das Gesetz fördert sie auch. Das musste auch Bahrami erfahren: In einem ersten Urteil verfügten die Richter eine zwölfjährige Haftstrafe für Mohawedi und dass sie sich rächen dürfe. Allerdings gestattete man ihr lediglich, ein Auge des Attentäters mit Säure zu verätzen. Die Begründung: "Nach iranischem Recht und laut dem heiligen Buch des Koran ist eine Frau halb so viel wert wie ein Mann. Folglich zählen zwei Augen einer Frau so viel wie ein Auge eines Mannes." Sollte sie den Wunsch verspüren, auch das zweite Auge zu zerstören, müsse sie umgerechnet 14.000 Euro dafür berappen, so der Richter. Laut Bahrami "ein unglaublicher Affront".

Der Fall war brisant, auch weil die Behörden befürchteten, dass er dem Regime zu schlechter Publicity verhelfen werde. Nicht nur zahlreiche Menschenrechtsaktivisten und Exil-Iraner, auch der mächtige Chef der iranischen Justiz, Ayatollah Mahmoud Hashemi Shahroudi, baten Bahrami, auf den grausigen Akt der Vergeltung zu verzichten. Doch sie blieb hart und erreichte ihr Ziel: Die Richter gestatteten Bahrami, Mohawedi beidseitig zu blenden - weil ihre schweren Gesichts- und Handverletzungen gegen das zweite Auge "aufgerechnet" wurden. Die Vollstreckung des Urteils steht noch aus.

"Wie ein Monster siehst du aus"

"Wer nun gegen euch gewalttätig handelt, gegen den handelt in gleichem Maße gewalttätig, wie er gegen euch gewalttätig war", heißt es in Sure 2, 194, im Koran. "Leben um Leben, Auge um Auge, die Nase für die Nase, das Ohr für das Ohr und Zahn um Zahn; und für die Verwundungen Vergeltung", in Sure 5, 45.

"Es geht mir nicht um Vergeltung, es geht um Abschreckung", sagt Bahrami, die selbst tief gläubig ist. Jeden Tag würden in Iran Frauen eingesperrt, vergewaltigt und mit dem Tode bedroht, ihre eigenen Männer behandelten sie wie Dreck. "Leute wie Madschid Mowahedi sollen wissen, dass sie so etwas nie tun dürfen, dass es Frauen wie mich gibt und dass wir nicht wenige sind." Eindringlich fordert sie ihre Geschlechtsgenossinnen auf, nicht klein beizugeben. "Wenn sie nicht kämpfen, werden sie enden wie ich."

"Iranische Frauen sind sehr mutig", sagt Bahrami. Ob sie auch solidarisch seien? "Viele nicht", so die traurige Antwort. So zeigten selbst wohlwollende Freundinnen und Bekannte nach dem Säureanschlag wenig Verständnis für die Ausnahmesituation der Gequälten. Warum sie den Mann denn nicht geheiratet habe, fragten einige, andere rieten selbst nach dem Attentat noch dazu, um des lieben Friedens willen die Ehe mit dem Täter einzugehen. Selbst die ältere Schwester gebärdete sich der Autorin zufolge außergewöhnlich grob: "Mama und Papa wollen dich nicht, so wie du aussiehst, hässlich, verunstaltet", soll Shirin gesagt haben. "Wie ein Monster siehst du aus."

"Wenn Gott nicht gewesen wäre, hätten Menschen wie Shirin mich zerstört", meint Bahrami im Rückblick auf die Zeit, in der sie mit der Schwester in Barcelona lebte, wo sie mehrfach operiert wurde. "Sie liebt sich selbst nicht und akzeptiert sich nicht - eine Frau muss sich aber zuerst selbst respektieren, bevor die Männer es tun."

"Abschreckung funktioniert nicht"

"Emotional bin ich ganz auf der Seite von Frau Bahrami", sagt Mina Ahadi, Vorsitzende des Zentralrats der Ex-Muslime und Menschenrechtsaktivistin, SPIEGEL ONLINE. "Aber ich bin absolut gegen die Vollstreckung des Urteils." Das "Auge um Auge"-Prinzip sei unmenschlich, eine Vergeltungsaktion würde die Spirale der Gewalt nur weiter drehen.

Längst wisse man, dass das Prinzip der Abschreckung nicht funktioniere. Die Androhung der Todesstrafe zeige wenig Wirkung. Selbst die von der iranischen Führung verfügten öffentlichen Exekutionen von Mördern hätten die Zahl der Gewalttaten nicht sinken lassen. "Der einzige Unterschied ist, dass die Kinder auf der Straße jetzt Hinrichtung spielen", so Ahadi. "Es ist unvorstellbar, dass man jemanden eigenhändig blendet. Frau Bahrami sollte das lassen."

"Bin ich denn kein Mensch?", fragt Bahrami aufgebracht. "Ich bin es leid, dass in dieser Welt die Täter geschützt werden, alle, die selbst die Menschenrechte mit Füßen treten." Ob sie keine Angst habe, dass sie im alles entscheidenden Moment die Wut und der Mut verließen? Dass ihre Hand lahm wird, sie eine bleierne Müdigkeit überkommt, wie es so oft passiert, wenn etwas jahrelang geplant, durchdacht und phantasiert wurde und plötzlich real werden soll. "Das wird sich zeigen, wenn der Moment da ist. Alles andere ist derzeit Spekulation", sagt Bahrami brüsk. Sie werde an Mowahedis hässliches Lachen denken und daran, wie lange sie unerträgliche Schmerzen gelitten habe. "Dann kann ich es tun."

Tatsächlich hat Bahrami Angst, in letzter Sekunde zu versagen. Auch, weil sie sich in der gesellschaftlichen Verantwortung sieht, es längst nicht mehr um eine Privatfehde oder den Schrei nach Gerechtigkeit geht. Im Buch beschreibt sie, wie der geliebte Großvater sie kurz vor seinem Tod bittet, dem Täter zu verzeihen. "Es gibt Dinge, die ein Mensch nicht tun darf, auch wenn er dazu in der Lage ist", mahnt der Alte. "Wenn ich bald sterbe, möchte ich in dem Wissen gehen, dass meine Enkelin ein großes Herz hat." Bahramis Antwort: "Opa, ich habe schon lange kein Herz mehr."