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Suche nach Ehec-Erreger Labortest bringt noch keinen Beweis für Sprossen-Verdacht

Die Quelle für den gefährlichen Ehec-Keim ist noch immer nicht gefunden: Die ersten 23 Proben aus dem verdächtigen Betrieb im Kreis Uelzen sind frei von Ehec, das gab das niedersächsische Verbraucherministerium bekannt. Trotzdem haben viele Einzelhändler den Verkauf von Sprossen eingestellt.

Hannover - Bei den verdächtigen Gemüsesprossen eines Gartenbaubetriebs in Niedersachsen konnte zunächst kein Ehec nachgewiesen werden. Insgesamt hatten die Fahnder auf dem Betrieb nach Angaben des niedersächsischen Verbraucherministeriums 40 Proben entnommen: Unter anderem aus dem Wasser, von Arbeitstischen und aus der Lüftungsanlage. Die mögliche Ausbreitung des gefährlichen Keims auf dem Hof ist auf vielerlei Arten denkbar - doch nur im Falle einer positiven Probe ließen sich derartige Theorien bestätigen.

"Aufgrund der bisherigen Erfahrungen bei der Untersuchung eines Teiles der Proben (insbesondere der Saaten) gehen wir davon aus, dass intensive analytische Anstrengungen unternommen werden müssen, um den vermuteten Erreger zweifelsfrei nachweisen zu können", hieß es aus dem Ministerium. Die Suche gestalte sich schwierig, weil seit dem Ausbruch der Epidemie schon mehrere Wochen vergangen seien, sagte Gert Hahne, Sprecher des Verbraucherministeriums.

Der kleine Hof in Bienenbüttel war schon zuvor ins Visier der Ermittler geraten, auch damals wurde der Ehec-Keim mit Labortests jedoch nicht bestätigt. Dabei handelte es sich um insgesamt acht Sprossenproben, die das Hamburger Institut für Hygiene und Umwelt bereits bei den ersten Schwerpunktuntersuchungen zum Ehec-Ausbruch analysiert hatte. Fünf der Proben stammten aus dem inzwischen gesperrten Betrieb im niedersächsischen Bienenbüttel, teilte die Hamburger Gesundheitsbehörde mit.

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Ehec-Verdacht: Ausnahmezustand in Bienenbüttel

Foto: Christian Charisius/ dpa

Vor allem aufgrund von Lieferwegen war der Gärtnerhof als Quelle für die Ehec-Epidemie mit bundesweit bisher mehr als 20 Toten in Frage gekommen. Am Sonntag hatte das niedersächsische Verbraucherministerium erklärt, dass der Biohof als "sehr heiße Spur" identifiziert worden sei. Dabei berief sich das Ministerium bei seinem Ehec-Verdacht gegen den Hof auf eine Indizienkette. Diese wurde vom niedersächsischen Landesamt für Verbraucherschutz (LAVES) ausgearbeitet:

  • So erkrankte beim Erzeugerbetrieb nach Darstellung des Ministeriums eine Mitarbeiterin an Ehec. Eine weitere Mitarbeiterin litt unter Durchfall, hier konnte der Keim aber nicht nachgewiesen werden.
  • Über einen Zwischenhändler wurden Sprossen des Hofs an ein Golfhotel im Kreis Lüneburg geliefert. Hier erkrankten 11 von 30 Mitgliedern einer schwedischen Reisegruppe sowie ein Däne.
  • In einem Restaurant in Lübeck infizierten sich 17 Gäste. Das Restaurant hatte ebenfalls Sprossen von dem Hof bezogen.
  • Ein Zwischenhändler lieferte die Sprossen an ein Gasthaus im niedersächsischen Kreis Rotenburg, wo vier Gäste erkrankten.
  • Außerdem wurden Sprossen über einen beziehungsweise zwei Zwischenhändler an drei Kantinen und ein Bochumer Hotel geliefert, wo sich überall Gäste mit Ehec infizierten. Die Standorte der Kantinen und die Anzahl der Erkrankten nannte das niedersächsische Ministerium nicht. Nach Angaben des hessischen Verbraucherministeriums hatten Kantinen in Darmstadt und Frankfurt am Main, in denen sich zahlreiche Menschen mit dem Keim ansteckten, Sprossen aus Niedersachsen erhalten.
  • Daneben sollen nach Angaben des Ministeriums weitere 37 Kunden überprüft werden, die im Zeitraum zwischen dem 19. April und dem 3. Juni Sprossen von dem Biohof kauften. Die Sprossen wurden einzeln oder in Mischungen über Reformhäuser, Wochenmärkte sowie direkt vermarktet.

Inzwischen haben viele Einzelhändler den Verkauf von Sprossengemüse wegen des Verdachts eingestellt. Deutschlands zweitgrößter Lebensmittelhändler Rewe berichtete am Montag, er habe alle Sprossen aus dem Verkauf genommen. Dies gelte nicht nur für die Rewe-Supermärkte, sondern auch für die Discountkette Penny, für Karstadt-Feinkost, die Temma-Biomärkte und die toom-Verbrauchermärkte.

Auch die SB-Marktkette Real verkauft zurzeit keine Sprossen mehr. Das Gemüse sei, ebenso wie vorgeschnittene Salate bereits in der vergangenen Woche aus dem Sortiment genommen worden. Sowohl Rewe als auch Real betonten, sie hätten diese Vorsichtsmaßnahmen ergriffen, obwohl ihre Sprossen nicht von dem in Verdacht geratenen Biohof stammten.

Auch die Stuhlproben der Mitarbeiter im Lübecker Restaurant "Kartoffelkeller" sind inzwischen auf Ehec getestet worden - Ergebnis ebenfalls negativ. Alle elf Mitarbeiter, die direkten Kontakt mit dem Lebensmittel hätten, seien ohne positiven Befund, sagte der Inhaber Joachim Berger am Montag. Die Untersuchung eines Labors in Lübeck habe ergeben, dass keiner der Mitarbeiter mit dem Darmkeim infiziert sei.

Abgelaufene Sprossen-Packung ebenfalls im Visier der Ehec-Fahnder

Nachdem am Sonntag bekanntgeworden war, das Sprossen möglicherweise eine Ursache der Ehec-Erkrankungen sein könnten, wurden nach Angaben von Berger alle Sprossenvorräte in dem Restaurant versiegelt oder vernichtet. Das Gesundheitsamt Lübeck nahm außerdem eine Lebensmittelprobe. Über einen Möllner Zwischenhändler hatte das Lokal auch Sprossen des verdächtigen Biohofs in Niedersachsen bezogen.

Auch ein an Ehec-erkrankter Hamburger hatte seine Sprossen vom verdächtigen Biohof gekauft. Anfang Mai war der 42-Jährige an dem gefährlichen Darmkeim erkrankt und in einem Krankenhaus in Lüneburg behandelt worden. Inzwischen ist der Mann nach Angaben der Leiterin der Lebensmittelüberwachung des Bezirks Eimsbüttel, Marianne Pfeil-Warnke, wieder gesund. Auf die Sprossenmeldungen reagierte der Hamburger aber sofort: Am Montagmorgen gab er im Bezirksamt Eimsbüttel eine mehrere Wochen alte Packung Sprossen ab. Dieser hatte der ehemalige Ehec-Patient in seinem Kühlschrank gefunden - untersucht wird sie nun vom Institut für Hygiene und Umwelt.

Die 100-Gramm-Packung der Mischung "Milde Sprossen" stamme aus dem Gartenbaubetrieb in Bienenbüttel, sagte Pfeil-Warnke. Demnach trägt sie das Ablaufdatum 23. April. Sollte die Packung Keime enthalten, seien diese auch heute noch nachweisbar, so die Bezirksleiterin. Das Institut für Hygiene und Umwelt rechnet aber frühestens am Dienstag mit den Ergebnissen.

Etwas positivere Nachrichten vermelden die Gesundheitsbehörden: Die Zahl der Ehec-infizierten Menschen in Schleswig-Holstein ist in den vergangenen Tagen langsamer gestiegen als zuvor. Das Gesundheitsministerium in Kiel meldete bis zum Sonntagabend 554 bestätigte Ehec-Infektionen, 37 mehr als am Donnerstag. Von den 554 Ehec-Infizierten sind 162 Menschen am hämolytisch-urämischen Syndrom (Hus) erkrankt, was eine Zunahme von neun Fällen bedeutet.

Lage entspannt sich leicht

Das Universitätsklinikum Schleswig-Holstein (UKSH) sieht Anzeichen für eine Entspannung der Lage. Seit dem Beginn der Ehec-Welle vor knapp drei Wochen seien an diesem Wochenende am UKSH erstmals mehr Patienten in stabilem Zustand nach Hause entlassen worden als neue Patienten mit Ehec- oder Ehec-Verdacht aufgenommen wurden, sagte ein Klinik-Sprecher in Kiel.

Am Universitätsklinikum in Hamburg-Eppendorf (UKE) entspannt sich die Lage ebenfalls etwas: Offenbar bessert sich der Gesundheitszustand vieler schwer erkrankter Ehec-Patienten: "Wir beobachten bei vielen unserer Patienten eine zunehmende Stabilisierung der Laborparameter und der Nierenfunktion", erklärte der Nierenspezialist Rolf Stahl am Montag.

Der Neurologe Christian Gerloff berichtete, auch die neurologischen Symptome seien insgesamt rückläufig. "Wir sind froh über diese Entwicklung und hoffen, dass sich dieser positive Trend auch in den nächsten Tagen bestätigt", sagte UKE-Chef Jörg Debatin.

cib/dpa/dapd