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Klaus Denart: Die Reisen des Mr. Globetrotter

Foto: Klaus Denart

Globetrotter-Gründer Klaus Denart "Angst ist ein Freund des Menschen"

Globetrotter-Gründer Klaus Denart hat ein Buch über seine Zeit als Abenteurer geschrieben. Im Gespräch mit manager magazin erzählt er, warum Mitarbeiter auch mal zwei oder drei Jahre Urlaub brauchen, von welchen Reisen er heute träumt und warum er glaubt, dass Manager zu viel verdienen.

Grande - Klaus Denart lehnt sich an den Holzzaun und schaut in die Weite des norddeutschen Tieflands. Ein brauner Araberhengst kommt lässig angetrabt, hängt den Kopf über den Zaun und guckt auch. Da stehen sie, der Mann und das Pferd, in genügsamem Einverständnis, und betrachten die Landschaft. Die Sonne scheint. Vögel zwitschern. Es ist erfreulich wenig los hier.

Wenn man Klaus Denarts jüngst erschienenes Buch über seine Zeit als Abenteurer liest, erwartet man eher einen Getriebenen als diesen entspannten Mann mit brauner Lederjacke, eisgrauem Lincoln-Bart und bedächtiger Redeweise. Als junger Mann hat Denart das Abenteuer in allen Facetten gesucht: Er hat in einem selbstgezimmerten Boot die Stromschnellen des Blauen Nils überwunden, hat Wüsten und Dschungel durchquert, Bürgerkriegsgebiete bereist, Berge bestiegen, und als verheirateter Mann reiste er mit Frau und zwei kleinen Kindern drei Jahre lang durch 32 Länder Afrikas. Das Unternehmen Globetrotter  Ausrüstung, das Denart 1979 zusammen mit Peter Lechhart gründete, ist mittlerweile der größte Outdoor-Ausstatter Europas.

Aus dem operativen Geschäft hat sich Denart vor einigen Jahren zurückgezogen. Jetzt ist er Ende 60 und züchtet Araberpferde. Die stehen das ganze Jahr über draußen, etliche laufen erfolgreich bei Distanzrennen mit. 17 Pferde hat Denart auf seinem Hof, aber ein Geschäft macht er nicht damit, sagt er, die Tiere seien ein reines Hobby. Verkaufen mag er keines mehr, seit eines vom neuen Besitzer eingeschläfert wurde, weil es nach einem Gelenkschaden nicht mehr bei Rennen starten konnte und nur noch als Freizeitreitpferd getaugt hätte. Als Wegwerfartikel mag Denart seine Pferde aber nicht behandelt haben.

mm: Herr Denart, vor 30 Jahren haben Sie den Nil in einem selbstgebauten Boot befahren, Sie haben Wüsten durchquert und Dschungel erforscht. Wo gibt es heute noch Abenteuer?

Denart: Wenn man sich weit genug abseits der großen Touristenrouten bewegt, wird man immer noch sehr gute Reiseziele finden. Die tibetanische Hochebene etwa. Die liegt im Schnitt 4500 Meter hoch. Wenn man da höhenkrank wird, kann man nicht entweichen. Vor ein paar Jahren haben zwei Bayern, die wir als "Globetrotter des Jahres" ausgezeichnet haben, dort 1000 Kilometer zurückgelegt. Das war ein echtes Abenteuer. Ein Physiker hat in Spitzbergen im Eis überwintert, um nach den Ursprüngen des Lebens zu suchen. Auch das war ein gigantisches Projekt. Die großen Abenteuer unserer Zeit hängen oft mit Wissenschaft zusammen.

mm: Muss eine Reise gefährlich sein, um interessant zu sein?

Denart: Nein. Aber wenn man jung ist, sucht man größere Herausforderungen. Man will sich beweisen. Dem einen genügt es, wenn er einen Kleingarten hat und seine Blumen züchtet. Andere brauchen einfach mehr. Letztlich aber ist die Triebfeder bei allen Menschen gleich: Der Mensch genügt sich selbst nicht. Diese Eigenschaft teilt er mit allen Lebewesen - sogar Mikroben arbeiten daran, sich zu optimieren. Wir stehen erst ganz am Anfang unserer Evolution. Wir existieren als Hominiden seit mehr als drei Millionen Jahren, aber seine wahre Bestimmung, die hat der Mensch noch nicht entdeckt.

"Die anderen hatten zu viel Spaß am Reisen"

mm: Und wo soll die liegen?

Denart: Jedenfalls nicht im Anhäufen von Geld und Macht. Klar möchte man gut leben. Aber wenn ein Fußballspieler vier Millionen verdient, fragt er sich, warum sein Vereinskamerad fünf Millionen hat, und fühlt sich daneben schon minderwertig. Auf diese Weise vergleichen sich auch Topmanager und Investmentbanker. Was die verdienen, ist in keiner Weise gerechtfertigt. Dieses Machtstreben ist ein tierisches Verhalten, allerdings in pervertierter Menschlichkeit. Wir befinden uns immer noch auf der ersten Evolutionsstufe der Gattung Mensch. Das sollten wir eines Tages überwinden.

mm: Sie sprechen über Herausforderungen. Das Wort Angst kommt nicht vor.

Denart: Angst ist ein Freund des Menschen. Auf dem Blauen Nil etwa haben wir sehr viele und gefährliche Stromschnellen gehabt. Einige Male erschienen sie uns unüberwindlich. Natürlich hat man da Angst. Dann haben wir das Boot aus dem Wasser geholt, darüber geschlafen und immer eine Lösung gefunden. Einmal haben wir das Boot alleine in die Stromschnellen geschickt, mit dem Risiko, dass es verloren geht. Es ging aber gut durch. Einmal hatten wir abends Angst, mit unserem nicht besonders manövrierfähigen Sarg über einen kleinen Wasserfall zu fahren. Wir haben dort übernachtet, und am nächsten Morgen sah es machbar aus. Wir haben uns ins Boot gesetzt und sind gut durchgekommen. Es ist ein großer Reiz auf Reisen, mit der Angst zu spielen und Probleme zu lösen. Man muss ständig Ängste überwinden. Nur Panik ist der Feind des Menschen, weil sie lähmt.

mm: Ließen sich solche Erfahrungen übertragen auf Ihr unternehmerisches Tun?

Denart: Das sind völlig unterschiedliche Lebensbereiche.

mm: Vom Blauen Nil haben Sie nichts für Ihr Unternehmertum lernen können?

Denart: Was man lernt, ist Teamfähigkeit. Die ist sehr wichtig im Geschäftsleben. Und es ist wichtig, neue Betrachtungsweisen kennenzulernen und mit völlig anderen Lebensentwürfen konfrontiert zu werden. Für Manager kann es etwa interessant sein, sich mal mit Junkies zusammenzusetzen. Auch abenteuerliche Kletter- und Wildwassertouren können Führungskräfte zusammenschweißen. Der Chef der Deutschen Bank, Josef Ackermann, hat mal in einem Filminterview gesagt, er müsse immer noch zu seinem Portemonnaie greifen, wenn er einen Bettler sehe. Der Autor des Films hat dann zu Recht angemerkt, dass Herr Ackermann aber gar keine Bettler sehen kann, weil er in der Tiefgarage in seinen Dienstwagen steigt und dann an denen vorbeifährt.

mm: Anfang der 1980er Jahre schossen die Trekkingausstatter wie Pilze aus dem Boden. Allzu viele gibt es nicht mehr. Was hat Globetrotter zu einem so erfolgreichen Unternehmen gemacht?

Denart: Die anderen hatten zu viel Spaß am Reisen und zu wenig Spaß am Geschäftsleben. Da hatten wir mehr Ehrgeiz. Ausgangspunkt für Globetrotter war ein Bericht im Spiegel: "Ein Sarg schwimmt auf dem Blauen Nil", das war Ende 1978. Es ging um diese seltsamen Abenteurertypen, die Globetrotter, und dann kam ein Absatz: Für diese Klientel gibt es zwei Spezialgeschäfte, eines in München und eines in Aachen. Ich habe da sofort Potential gesehen. Ich bin zu meinem Freund Rüdiger Nehberg gegangen und habe ihm die Geschäftsidee vorgestellt. Aber er wollte nicht. Er sagte: Ich habe meine Konditoreien, das Team ist eingespielt, und ich kann regelmäßig reisen, frag doch mal den Bergführer Peter Lechhart.

Und der war begeistert. Wir hatten von vornherein den Ehrgeiz, Leute adäquat auszurüsten. Wir haben Schlafsäcke für über 1000 Euro. Die braucht aber nicht jeder, und das sagen wir den Leuten auch, die sie nicht brauchen. Ein Jahr nach der Gründung haben wir die Vorausexpedition für die deutsche Antarktis-Station ausgerüstet, später die Wissenschaftler und die "Polarstern". Das war der Adelsschlag.

"Zeugnisse haben uns nie viel bedeutet"

mm: Es ist ja ein weiter Weg von dem ersten Globetrotter-Laden in Hamburg, zu dessen Eröffnung Überlebenskünstler Rüdiger Nehberg ein Mehlwürmer-Menü servierte, zu dem Unternehmen heute, das in Berlin ein Kinderland für verwöhnte Großstadtfamilien gebaut hat.

Denart: Wir verkaufen zu 80 Prozent an Leute, die die Sachen in der Freizeit nutzen. Wenn jemand jeden Tag mit seinem Hund spazieren geht, braucht er auch da vernünftige Outdoor-Kleidung. Da ist eine Goretex-Jacke nicht verkehrt. Und heute tragen die Leute halt ein Daypack statt einer Aktentasche ins Büro. Das ist doch auch viel besser für den Rücken. Und unsere Kleidung für die kleinen Abenteurer ist von der Funktion bestimmt, nicht von modischem Schnickschnack.

mm: Wie haben Sie beim Aufbau Ihres Unternehmens Mitarbeiter ausgewählt?

Denart: Unsere ersten Mitarbeiter haben wir im Kundenkreis rekrutiert. Zeugnisse haben uns nie viel bedeutet. Wir haben immer aus dem Gefühl heraus agiert. Häufig haben Studenten bei uns gejobbt und sind dann geblieben. Manchmal bewerben sich aber Leute bei uns, die mich misstrauisch machen: Da ist jemand gestandener Chemiker, Ende Dreißig, und will plötzlich Kundenberater bei Globetrotter werden. Das ist dann wohl eher ein etwas kurz gedachter Traum.

Mitarbeiter müssen die Möglichkeit haben, sich in der Firma zu entfalten. Ich habe mal beim Medizin- und Sicherheitstechnikunternehmen Dräger vor Führungskräften einen Vortrag gehalten. Der Personalchef fragte, wie wir sie rekrutieren. Ich sagte, das seien alles Eigengewächse. Da soll es nachher turbulent zugegangen sein, weil Dräger da gerade die Direktive herausgegeben hatte, dass Führungskräfte von außen kommen sollten. Ich finde es besser, wenn man die Leute bei sich in der Firma großzieht. Unser Filialleiter in München war unser allererster Lehrling. Der kannte sich noch gar nicht mit dem Berufsleben aus. Der hat sich seine tolle Karriere wirklich verdient. Und dafür gibt es bei uns viele Beispiele.

mm: Wie präsent mussten Sie als Chef sein?

Denart: Die Zeit der monatelangen Reisen war mit der Unternehmensgründung vorbei. Als ich die Firma gründete, wollte ich sie eigentlich nebenbei führen. Ich war damals freier Journalist. Aber ich merkte schnell, dass das nicht ging. Von dort an wurden die Reisen kürzer und weniger. Ich bin 1982 acht Wochen durch die Urwälder in Mittelamerika gewandert. Das war während der letzten 32 Jahre die längste Abwesenheit. Und heute bin ich zwar im Unternehmen nicht mehr operativ tätig, aber ich hätte nicht die Ruhe, acht Wochen meinen Hof zu verlassen. Spätestens nach vier Wochen vermisse ich meine Tiere.

mm: Und Ihre Mitarbeiter? Wie lange dürfen die weg?

Denart: Ein Kollege ist vor drei Wochen auf Reisen gegangen. Der will mit seiner Freundin per Fahrrad die Welt umrunden. Wir wissen nicht, ob er in einem Jahr wiederkommt, in zwei Jahren oder in dreien. Aber wenn er wiederkommt, hat er bei uns auf jeden Fall wieder einen guten, festen Posten. Viele Mitarbeiter machen solche Reisen. Die Firma profitiert davon, wenn Leute ihren Traum ausleben. Globetrotter ist da sehr flexibel. Das ist ja unser Werbespruch: Lebe deinen Traum. Heute sind die 60-jährigen zwar fitter als die vor 20 oder 30 Jahren. Aber die Träume mit 20 sind andere als mit 60. Die kann man nicht ewig aufschieben.

mm: Und wovon träumen Sie heute?

Denart: Als nächste Reise? Ich würde gerne in der Mongolei eine Reittour machen, vier Wochen vielleicht. Die Mongolen haben zu Pferde 7000 Kilometer von Wien entfernt ein Weltreich aufgebaut, als Nomadenvolk. Deren Kuriere haben alle 30 Kilometer die Pferde gewechselt und so 300 Kilometer am Tag zurückgelegt. Das fasziniert mich.

Aber ich bin so viel gereist, ich muss nicht mehr ganz verrückte Sachen machen. Ich muss nicht mehr in Bürgerkriegsgebiete fahren. Ich genieße die Natur. Ich habe hier Schmetterlinge fotografiert. Mich mit der Natur unmittelbar um mich herum zu beschäftigen, das gibt mir sehr viel. Wir haben hier Wallhecken angelegt, sogenannte Knicks. Das Kleingetier ist zahlreicher geworden dadurch.

Wenn ich heute noch einmal ganz neu anfangen würde, würde ich Biologie studieren. Und diesen Beruf mit Abenteuern verbinden, so wie Diane Fossey das mit ihrer Gorillaforschung in Ruanda gemacht hat. Ich könnte mir auch heute keine klassische Angestelltenkarriere vorstellen. Die Leute sind so sicherheitsorientiert. Wer erst einmal studiert hat, steigt auf eine Leiter. Die meisten sind dann nicht mehr bereit, von der Leiter wieder herunterzusteigen, etwas anderes zu machen und es später noch mal zu versuchen.

Dass ich auf Reisen gehen konnte, lag daran, dass ich in einem mitteleuropäischen demokratischen Land groß wurde. Ich träumte von Freiheit und Ungebundenheit. Aber Freiheit bedeutet für jeden etwas anderes. Man müsste so viele Abhängigkeiten überwinden, um wirklich frei zu sein. Im Alter versucht man sich auf anderen Gebieten.

Ich will für mich der Frage nachgehen, welche Bestimmung der Mensch in der Welt hat. Es muss noch sehr viel passieren, bis wir eine menschliche Gesellschaft, meinetwegen auch eine wahre christliche Gesellschaft realisiert haben werden. Im Moment stehen wir vor einer Barriere. Die ganzen Ismen haben nicht funktioniert, die Religionen versagen auch; die Demokratie funktioniert einigermaßen, ist aber vom Ideal noch sehr weit entfernt. Vielleicht können wir uns irgendwann wirklich zu einer Wissensgesellschaft entwickeln, in der die Wahrheit das Ideal ist, und zu einer Art von kollektiver Intelligenz finden.

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