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Langhans trifft auf Burschenschaft: "Mir kommen die schräg vor"

Foto: SPIEGEL ONLINE

Langhans bei Burschenschaft Rechts wie links

In Bielefeld versucht der Altkommunarde Rainer Langhans, eine erzkonservative Burschenschaft zu bekehren. Marschrichtung: Habt euch alle ganz doll lieb! Protokoll eines merkwürdigen Abends.

Es geht gegen neun, da wird es zwischen Deutschlandfahne und Burschenschaftswappen für einen Moment dann doch etwas ungemütlich. "Ich frage Sie ganz konkret", stößt ein Herr in den Sechzigern schneidig hervor, "wovon leben Sie und was machen Sie beruflich?" Besonders höflich klingt er nicht.

Doch Rainer Langhans, ganz in weißes Leinen gehüllt, lächelt gütig. Mit jesusmäßig sanfter Stimme haucht er in den düsteren Saal, den schwarzen Anzügen und Lackschuhen entgegen: "Einem älteren Menschen wie Ihnen sage ich dann immer: nichts. Ich mache nichts. Denn was ich tue, verstehen Sie nicht."

Einen Moment lang ist es sehr still, dann setzt Langhans erklärend hinzu: "Ich lebe jedenfalls nicht von Sozialhilfe." Raunen, Gelächter, Aufatmen.

Rainer Langhans, Altkommunarde und Posterboy der 68er, ist zu Gast bei der erzkonservativen Bielefelder Burschenschaft Normannia-Nibelungen (Credo: "Gott, Ehre, Freiheit, Vaterland"). Ein kleiner, dünner Mann mit weißen Locken und Nickelbrille, der die Aura alles verzeihender Güte und grundsätzlichen Verständnisses wie eine Monstranz vor sich herträgt. Man könnte auch sagen: Langhans wirkt unglaublich naiv für seine 70 Jahre.

Dschungelcamp statt politischer Diskussion

Die Antifa, sagt Rainer Langhans, habe ihn vor diesem Auftritt gewarnt, er habe viel Post bekommen. Er werte die Vereinigung doch nur auf, habe es geheißen, und die Männer hätten doch schließlich Kontakte zur rechten Szene. "Böse Menschen" seien das, "Faschisten". Die Burschenschafter weisen solche Vorwürfe weit von sich. Langhans lächelt milde. "Mir kommen die eigentlich nur ziemlich schräg vor", sagt er kurz vor der Debatte.

Rechts, links, gut, böse, das ist Langhans alles so was von egal, ihm geht es um Höheres: Geist, Liebe, Kommunikation, die heilige Dreifaltigkeit, über die er am Mittwochabend reden möchte, seinetwegen auch über die 68er, die Verbindungstypen sollen ihn einfach fragen, er werde antworten. "Ich rede mit jedem, ich habe keine Berührungsängste", sagt Langhans.

Doch wer erwartet hatte, zwischen den Mitgliedern einer Burschenschaft, die vor vielen Jahren auch den Links-Rechtsextremen Horst Mahler als Gastredner empfangen hatte, und dem obersten Hippie des Landes müsse sich zwangsläufig eine politische Diskussion entfachen, sieht sich getäuscht. "Wie gestellt ist die Serie 'Dschungelcamp'?", lautet die erste Frage des Abends. Und die zweite: "Warum haben Sie da mitgemacht?"

Rainer Langhans holt Luft, legt priesterlich die Hände ineinander, das ist jetzt sein Terrain: Kommunikation, Liebe, Geist, Dschungelcamp, RTL, "Bild", das Internet - alles hat mit allem zu tun, jeder mit jedem, senden, empfangen, teilen, mitteilen. Langhans' Lehrstunde beginnt.

Erst einmal: Das Private ist politisch, ganz klar. Außerdem: Alles muss ins Netz, wirklich alles, jeder soll alles über jeden wissen, böse Menschen werden öffentlich an den Pranger gestellt und sich deshalb bessern, denn Böses gedeiht nur im Verborgenen. Liebe sei die höchste Stufe der Kommunikation und jeder Mensch wolle doch mehr lieben, glücklich sein und sich zu einem spirituellen Wesen entwickeln. Und das "Dschungelcamp", ja, das sei eben solch ein "soziales Bootcamp" gewesen, in dem sich die Teilnehmer durch die Bespiegelung von Millionen Zuschauern hätten korrigieren können.

Langhans blickt in zweifelnde Gesichter.

Ein Burschenschafter sagt, das "Dschungelcamp" sei doch in Wahrheit ein Format zur "Befriedung und Verblödung der geknechteten Massen", mit dem viel Geld verdient werde. Langhans schüttelt den Kopf: "Das sehe ich nicht so."

"So für lau nach Australien, das ist schon in Ordnung!"

Ein Burschenschafter merkt an, wenn alles im Internet stehe, also auch dass er in den Urlaub fahre, räume in der Zeit möglicherweise jemand sein Haus aus. Ja, und dann? Langhans schaut jetzt ziemlich müde und auch ein bisschen traurig. Man müsse vielleicht einmal grundsätzlich darüber reden, was man unter Kommunikation verstehe, sagt er. "Das wäre wohl das Beste."

Der Linoleumboden, die weißen Wände, das endlose Geschwafel, der Abend zieht sich und fühlt sich an wie ein Hauptseminar in Medienwissenschaften, doch die Zuhörer bemühen sich nach Kräften. Einer sagt: "Ich kann das gut verstehen, Herr Langhans. Ich wäre auch in den Dschungel gegangen, so für lau nach Australien, das ist schon in Ordnung!"

Rainer Langhans wagt sich jetzt weiter vor: Die Menschen sollten alles teilen, Privatbesitz dürfe es nicht mehr geben. Er erntet kaum Widerspruch.

Ein sehr betrunkener, sehr lauter Student mit einem Krug Bier in der Rechten versucht noch zu sagen, dass er sich eine Gesellschaftsordnung ohne Privateigentum nicht vorstellen könne. Ein Burschenschafter bemüht Thomas von Aquin, ein anderer wird pragmatisch: "Wenn einer ein Haus baut, dann ist das doch sein Haus, oder? Ich meine …"

Doch Langhans lächelt überlegen und antwortet gütig: "Kapitalismus, Besitzscheiß, damit sind wir doch auch nicht glücklich geworden. Wir sind geistige Wesen, alle miteinander verbunden, wir müssen endlich unsere Spiritualität entdecken."

200 Euro bekommt Langhans für seinen Auftritt bei den Normannen-Nibelungen, eine "Anerkennungsgebühr", wie er sagt. Außerdem haben die Burschenschafter noch zwei Geschenke für ihren prominenten Gast: Eine DVD zum Thema "Terrorismus" und einen dünnen Bildband. Titel: "Bielefeld '66 bis '67. Wildes Leben, Demos und Reformen."

Wildes Leben in Bielefeld? Rainer Langhans lächelt. Zum ersten Mal wirkt es gequält.