Neues vom MiRO-Kinderheim

Alle Neuigkeiten rund um das Kinderheim-Projekt von Dr. Vera Fleig und Nadine Weigel finden Sie auf der Homepage des MiRO-Waisenhauses: http://www.help-for-miro.de/news/

Wiedersehensfreude: Dr. Vera Fleig haelt den Waisenjungen James auf dem Arm, der sich von seiner Rachitis sichtlich erholt hat.

Wiedersehensfreude: Dr. Vera Fleig haelt den Waisenjungen James auf dem Arm, der sich von seiner Rachitis sichtlich erholt hat.

Blut, Schweiß und Verzweiflung? Hakuna matata!

 

Seit wenigen Tagen sind wir wieder in Kenia. Einer unserer ersten Wege fuehrte uns – wieder einmal – ins Krankenhaus. Hier der Bericht dazu:

Der beißende Geruch von Urin und Exkrementen sticht in die Nase. Mir wird kurz schwindlig. Fast hätte ich den Mann umgerannt, der mit blutdurchtränktem Hemd vor mir steht. Er hat eine klaffende Wunde am Kopf, Blut rinnt ihm die Wange herab. Auf dem heißen Steinfußboden vor dem Untersuchungsgebäude des Coast General Hospitals sitzen dutzende in grellbunte Tücher gehüllte Frauen. Sie beobachten die Szenerie aufmerksam: Zwei weiße Frauen mit einem schwarzen Kind an der Hand, die beinahe einen schwer verletzten Mann umrennen – ein eher seltener Anblick in einem öffentlichen Krankenhaus in Kenia.

 

Isaac brach sich im Januar den Arm. Jetzt musste der Gips ab - also mussten wir wieder einmal das "Abenteuer Krankenhaus" auf uns nehmen.

Isaac brach sich im Januar den Arm. Jetzt musste der Gips ab - also mussten wir wieder einmal das "Abenteuer Krankenhaus" auf uns nehmen.

Im Februar hatte ein kleiner Sturz große Folgen für Isaac: Der vierjährige Waisenjunge fiel aus dem Bett und brach sich den Unterarm. “In Deutschland hätte man die Fraktur einfach mit Kirschnerdrähten fixiert”, stellt meine Freundin, die deutsche Ärztin Dr. Vera Fleig, fest. Doch in Kenia wird noch gegipst. Nachdem es Josephine Mutysia, der Heimleiterin des Mighty Redeemer Waisenhauses (Miro) in der Unfallnacht gelungen war, Gips zu organisieren – wofür sie in vier Krankenhäusern nachfragen musste – hat man Isaacs Ärmchen von oben bis unten eingegipst. Heute, sechs Wochen später, ist vom Gips nicht mehr viel übrig. In dreckigen Fetzen hängen die Reste an Isaacs Arm herab.

Wir müssen als erstes in den Gipsraum des Coast General Hospitals. In der Mitte des hüfthoch mit weißen Gipsklecksen besprenkelten Zimmers bahnt sich eine Lache aus einer undefinierbaren Flüssigkeit ihren Weg. Auf einer Pritsche sitzt der Arzt. Er lächelt, seine in der Luft baumelnden Beine wippen fröhlich im Takt des an der Decke rotierenden Ventilators. “Sie müssen erstmal ein neues Roentgenbild schießen”, erklärt er uns lachend  und winkt uns wieder hinaus. Oje, das wird nicht lustig, schießt es mir durch den Kopf, als wir den Warteraum der Roentgenabteilung betreten. Überall sitzen Menschen an. (Zum Thema Ansitzen siehe auch „Ansitzen“). Manche warten anscheinend schon länger. Kreuz und quer liegen Menschen auf dem Boden – tief schlafend. “Das kann täuschen”, sagt Josephine, die sich nur zu gut an ihren letzten Besuch im Coast General erinnert. Damals war eine junge Frau, die neben ihr wartete und scheinbar nur friedlich schlief, gestorben. Sitzend. In einer Warteschlange im Krankenhaus.

Obwohl sich in den vergangenen Jahren viel getan hat, ist das kenianische Gesundheitssystem noch immer in einem desolaten Zustand. Laut Gesundheitsministerium kümmerten sich im Jahr 2006 ein Arzt und 49 Pfleger um rund 100.000 Patienten. Im Vergleich: Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfiehlt das Verhältnis von einer medizinischen Fachkraft zu 5.000 Patienten. In Kenia fehlen – nach offiziellen Schätzungen – dem Gesundheitssektor derzeit rund 12.000 Fachkräfte. Aufgrund der schlechten Bezahlung und der widrigen Arbeitsbedingungen will kaum noch ein Mediziner in einem der staatlichen Krankenhäuser arbeiten. Viele zieht es in die privaten Krankenhäuser oder in kirchlich getragene Institutionen. Mich wundert das nicht.

Im Coast General herrscht lethargischer Hochbetrieb. Plötzlich kommt Bewegung in die träge Masse wartender Menschen. Zwei Männer bahnen sich ihren Weg durch die auseinanderweichende Menge. In ihren braun-weiß-gestreiften Hemden und Hosen sehen sie aus wie die Daltons aus den Lucky-Luke-Heften – und es sind tatsächlich Sträflinge. Die Männer sind mit Handschellen aneinander gekettet und werden von zwei mit Maschinenpistolen bewaffneten Polizisten bewacht. Im Wartesaal lähmen 36 Grad Celsius die Geschäftigkeit. Der Gestank aus Blut, Schweiß und Verzweiflung raubt einem den Atem. Isaac ist ganz tapfer. Mit großen Augen beobachtet er seine Umgebung. Die Wartenden sind freundlich. Nachdem sie uns durch unserer  selbst entworfenen “help-for-miro”-T-Shirts als freiwillige Helfer identifiziert haben, nicken uns die Menschen fröhlich lächelnd zu. Ihre Aufmerksamkeit widmet sich nun eh zwei Dingen: Einem Mann, dessen untere Gesichtshälfte von einem Fußballgroßen Tumor entstellt wird – und einer wild schluchzenden Frau. Ihre Schwester ist gerade gestorben. Reihum geben ihr die Wartenden etwas Geld, damit sie die Beerdigung finanzieren kann. Direkt vor dem Coast General Hospital werden an einer Straßenecke selbstgezimmerte Särge verkauft.

Vom Gips befreit - und nach einem Krankenhausmarathon ziemlich fertig: Isaac schlaeft erschoepft auf Veras Schoss.

Vom Gips befreit - und nach dem Krankenhausmarathon ziemlich fertig: Isaac schlaeft erschoepft auf Veras Schoss.

“It”s ok”, befindet nach einer nur fuenfstuendigen Tour durchs Krankenhaus der Arzt auf der Pritsche. Er hat sich Isaacs Roentgenbild noch einmal angesehen und schneidet ihm nun mit einem Rasiermesser den Gips vom Arm. Zwar ist der Knochen ganz offensichtlich schief zusammengewachsen, aber das mache nichts. “Hakuna matata”, sagt der Arzt. „Kein Problem.“

Waisenhaus hat eine eigene Homepage

Einen Monat sind wir nun zurück in Deutschland. Wir haben die Zeit genutzt, um eine eigene Homepage für das MiRO-Waisenhaus in Kiembeni zu erstellen. Einfach mal draufschauen: http://www.help-for-miro.de

Hier sehen Sie das Video von unserem letzten Besuch im MiRO-Waisenhaus:

Aus dem Müll in ein besseres Leben

Im letzten Teil der Berichterstattung aus Kenia geht es um das „Shining Or­phans“-Waisenhaus des Kirchhainer Ehepaares Claus und Mareike Müller.

Hausmutter Cynthia Cheboi füttert Baby Stefan.

Hausmutter Cynthia Cheboi füttert Baby Stefan.


Kashani. Gierig nuckelt der kleine Stefan an seinem Fläschchen. Das kenianische Baby mit dem deutschen Namen ist sechs Wochen alt. Der Kleine wurde auf einer Müllkippe gefunden – eingewickelt in Plastiktüten. Nur wenige Tage nach seiner Geburt wurde er weggeworfen
wie ein Stück Müll. Jetzt geht es ihm gut. Er trägt einen blauen Strampler, seine kleinen Füße stecken in hellblauen Strümpfchen. In seinem Bettchen baumelt ein kleines Mobile. Stefan lebt nach seiner Rettung nun im „Shining Orphans“-Waisenhaus von Claus und Mareike Müller in Kashani, nahe Mombasa. Das Kirchhainer Ehepaar begann dort im Jahr 2007 mit dem Bau eines Waisenhauses. Dank zahlreicher Spenden aus dem Landkreis Marburg-Biedenkopf ist das Haus nun fertig. Seit Juli leben 16 bedürftige Kinder in dem großen, schönen Gebäude auf dem Hügel.
In dem weitläufigen Garten hinter dem imposanten Haus ist die dunkelrote, fruchtbare Erde aufgegraben. Grüne Früchte hängen an den Ästen eines Papaja-Baumes. Viele Obst- und
Gemüsesorten werden hier angebaut. Noch macht dies der Gärtner, doch irgendwann sollen auch die Kinder lernen, wie man die Natur nutzt, um sich selbst zu versorgen.
Ein weißer Babystrampler an der Wäscheleine flattert im Wind. Das „Shining Orphans”- Waisenhaus liegt auf einem Hügel und entkommt somit der drückenden Schwüle Mombasas. Die 16 Kinder haben sehr viel Platz, um sich auszuleben. Sie rennen über die Wiese vor dem großen Haus, spielen Fußball oder toben ausgelassen herum.

Ein Babystrampler flattert im Wind

Ein Babystrampler flattert im Wind


Eigentlich sollten es 20 Kinder sein, diese Anzahl braucht es, damit ein Heim in Kenia registriert wird. Doch einige Kinder wurden in den vergangenen Wochen wieder vom Jugendamt abgeholt. „Manche der Kinder wurden ausgesetzt, und manchmal findet die Polizei eben doch noch Angehörige”, erklärt Justin Wambua, der derzeit vor Ort das Kinderheim für das Kirchhainer Ehepaar leitet. Wird ein Kind in den Straßen Mombasas gefunden, sucht das Jugendamt erst einmal nach Angehörigen. Findet die Behörde keine Verwandten mehr, kann nach einem halben Jahr vom Waisenhaus ein sogenanntes Committal beantragt werden. Wird dies vom Jugendgericht genehmigt, verbleibt das Kind bis zu seinem 18. Lebensjahr im Waisenhaus.
Im „Shining Orphans”-Kinderheim des Ehepaars Müller werden die 16 Kinder von drei Hausmüttern betreut. Bernadette Nthenya ist rund um die Uhr da. Mit einem breiten Lächeln bedeutet sie den Kindern, sich in einer Reihe aufzustellen: Es ist Essenszeit, und vorher ist Händewaschen angesagt.

Hausmutter Bernadette legt Wert auf gesundes Essen.

Hausmutter Bernadette legt Wert auf gesundes Essen.


Laut dem Kinderhilfswerk Unicef ist jedes fünfte Kind in Kenia unterernährt. Doch vor Hunger brauchen die Kinder im Müllerschen Waisenhaus keine Angst mehr haben. Sie werden gut versorgt, alle sind wohlgenährt. An diesem Tag gibt es zum Mittagessen Reis und Süßkartoffeln, zum Nachtisch gibt es Mangos. „Wir achten sehr auf eine gesunde Ernährung”, betont Bernadette und gibt auch den Jüngeren ein Stück der Vitamin-C-reichen Frucht.
Die Kinder, die alt genug sind, gehen in die Schule. Den Jüngeren bringt Hausmutter Bernadette englische Grundkenntnisse bei. Überall im großen, hellen Aufenthaltsraum hängen Plakate mit Zahlen und Buchstaben.
Auch der kleine Stefan soll irgendwann einmal in eine Schule gehen. Bildung soll ihm die Chance auf ein besseres Leben geben. Eine Chance, die dem kleinen Baby vom Müll ohne das Engagement des Kirchhainer Ehepaares wohl verwehrt geblieben wäre.

Nüsse mögen die Kinder besonders gern.

Nüsse mögen die Kinder besonders gern.


Mehr Infos sowie die Spendenkonten für das Projekt der Müllers finden Sie im Internet unter: http://www.shiningorphans.com

Endlich den Himmel sehen

Sie wissen nicht, was über ihren Köpfen geschieht. Nur das entfernte Dröhnen einer Boeing lässt die Kinder erahnen, dass da etwas in hunderten Metern Entfernung über sie hinwegfliegt. „Flugzeug, Flugzeug“ rufen die Kleinen aufgeregt. Doch das Flugzeug am Himmel sehen – das können sie nicht. Eine Bauruine über dem Vorplatz ihrer Unterkunft versperrt den 16 Kindern des „Mighty Redeemer“-Waisenhauses in Kiembeni den Blick in das strahlende Blau des kenianischen Himmels.

Sie sehen keinen Himmel. Eine Bauruine über dem Vorplatz des Waisenhauses versperrt den Kindern den Blick nach oben.

Sie sehen keinen Himmel. Eine Bauruine über dem Vorplatz des Waisenhauses versperrt den Kindern den Blick nach oben.

Bald wird sich dies jedoch ändern. Bald können James, Caleb und Co. den Dreck des Vorplatzes, der beim Spielen ihre Haut reizt, hinter sich lassen. Sie können auch das Plumpsklo hinter sich lassen. Und die Mädchen können die Jungs hinter sich lassen, denn im neuen Haus werden Anna, Sarah und Cathrin in einem eigenen Zimmer schlafen. „Es gibt einen Schlafraum für die Mädchen, einen für die Jungen und einen Raum für die Babys, in dem auch die Hausmutter schläft“, erklärt meine Freundin, die deutsche Ärztin Dr. Vera Fleig. Gemeinsam mit Josephine Mutisya, der Leiterin des „Mighty Reedemer“-Waisenhauses, haben wir ein Haus gefunden, in das die Kindern bald umziehen werden.

Völlig erschöpft sitzt Vera auf der Veranda des neuen Hauses. Bald sollen die Kinder in die bessere Unterkunft umziehen.

Völlig erschöpft sitzt Vera auf der Veranda des neuen Hauses. Bald sollen die Kinder in die bessere Unterkunft umziehen.


Zumindest hoffen wir das. „Hakuna Matata“ ist das erste, was ein Kenia-Urlauber in der Landessprache Swahili lernt. Es bedeutet „kein Problem“. Allerdings ist bei diesem Ausspruch Vorsicht geboten, wie uns wieder einmal klar wird. Denn „Hakuna Matata“ hat auch der Besitzer des neuen Hauses gesagt, als er versprach, sofort das Tor zu reparieren, die Mauer höher zu ziehen und ein Sonnendach anzubringen. Doch bisher ist nichts geschehen. Was also „Hakuna Matata“ angeht, macht uns Kenia ziemlich fertig. In Deutschland sagen einem die Handwerker wenigstens, dass es ewig dauert, bis sie anrücken können.

Josephine jedoch ist zuversichtlich: „Es wird schon alles gut werden“, sagt die Heimleiterin. Eine Küche, drei Bäder und ein Hauptraum gehören genauso zum neuen Haus wie auch ein großer Vorplatz zum Spielen und ein kleiner Garten, in dem bereits zwei Bananenstauden wachsen. „Dieses Haus ist eine echte Verbesserung“, meint Sebastian Krog, ein freiwilliger Helfer aus Dänemark. Er findet es „krass“, dass wir die 170 Euro Monatsmiete für das Haus übernehmen und darauf vertrauen, dass sich genügend Spender für das Projekt finden. Schließlich brauchen wir rund 500 Euro monatlich, um die Kinder einigermaßen zu versorgen. Aber Sebastian lässt sich vom deutschen Enthusiasmus anstecken. Er legt mit uns zusammen: Für knapp 250 Euro schaffen wir vier neue Doppelstockbetten an, weil die alten Metallbetten praktisch unbenutzbar sind.

Ein neues Bett im neuen Haus: Die Mädchen werden bald ihr eigenes Schlafzimmer bekommen.

Ein neues Bett im neuen Haus: Die Mädchen werden bald ihr eigenes Schlafzimmer bekommen.

Während im neuen Haus die Vorbereitungen für den Umzug auf Hochtouren laufen, machen die Kinder im alten Haus eine aufregende Erfahrung: Zähneputzen. Die Zahnklinik Marburg sponserte Kinderzahnbürsten und Zahnpasta. „Eine tolle Sache“, freut sich Vera. Zahnbürsten können viele Menschen in Kenia einfach nicht bezahlen. Jeder zweite Kenianer lebt unter der Armutsgrenze. Ein durchschnittlicher Kenianer muss von einem Euro am Tag leben – Zahnbürsten sind allerdings teurer als in Europa. Auch Josephine hätte es sich kaum leisten können, pro Kind drei Euro für eine Zahnbürste auszugeben. Karies und Zahnfleischentzündungen sind dann die Folge.

Ein neues Erlebnis: beim Zähneputzen hatten die Kinder riesigen Spaß.

Ein neues Erlebnis: beim Zähneputzen hatten die Kinder riesigen Spaß.


„Mami, Mami, schau mal!“, rufen die Kinder ganz aufgeregt, als sie Veras Anweisungen zum korrekten Zähneputzen folgen. Jedes der Kinder will „seiner Mami“ zeigen, wie toll sauber ihre Zähne nun sind. Josephine überprüft lachend das Ergebnis und beschriftet die Zahnbürsten mit den Namen ihrer kleinen, stolzen Besitzer. Selbst für die Kinder, die erst seit kurzem im Heim leben, ist Josephine zu einer Art Ersatzmutter geworden. Die 40-Jährige hat einen Zugang zu den traumatisierten Kindern gefunden, die in ihrem jungen Leben bereits viel durchmachen mussten. Einige verloren ihre Eltern, einige wurden in den Straßen Mombasas ausgesetzt oder auf Müllkippen geworfen, einige wurden missbraucht und misshandelt, einige haben gehungert.

Lucy Hall schnippelt Bohnen. Die Engländerin arbeitete sechs Wochen als Freiwillige im Waisenhaus in Kiembeni und kann sich nur schwer von den Kindern trennen.

Lucy Hall schnippelt Bohnen. Die Engländerin arbeitete sechs Wochen als Freiwillige im Waisenhaus in Kiembeni und kann sich nur schwer von den Kindern trennen.

„Josephine gibt ihnen die Stabilität, die sie brauchen“, sagt Lucy Hall. Die 18-jährige Engländerin half sechs Wochen lang freiwillig im Waisenhaus mit. „Es ist ein tolles Heim, das finanzielle Unterstützung braucht und auch verdient“, findet Lucy. Der Abschied von den Kindern fällt ihr schwer, sie kämpft mit den Tränen. Doch Lucy freut sich auch über die kleinen Erfolge. „Leah geht es viel besser als zu Beginn meines Aufenthaltes“, sagt die Engländerin. Das anderthalbjährige Mädchen war extrem unterernährt, als es von der Polizei auf einem Markt gefunden wurde. Josephines Versuche, das Kind aufzupäppeln scheiterten an Leahs chronischer Lungenkrankheit. Sie aß, nahm aber kaum zu.

Nur 6,2 Kilogramm brachte die anderthalbjährige Leah auf die Waage. Dank Antibiotika-Therapie geht es ihr besser.

Nur 6,2 Kilogramm brachte die anderthalbjährige Leah auf die Waage. Dank Antibiotika-Therapie geht es ihr besser.


Laut Unicef sind in Afrika vor allem unterernährte Kinder von Infektionskrankheiten betroffen. Jedes achte Kind in Kenia stirbt vor seinem fünften Lebensjahr. Vor gut einer Woche waren wir mit Leah im Krankenhaus. Sie war apathisch, bekam schlecht Luft, ihre Lungen rasselten hörbar. Heute geht es ihr sichtlich besser. Sie spielt mit ihrer Zahnbürste und lacht. „Die Antibiotika-Therapie zeigt mittlerweile anscheinend Wirkung, die Lungenentzündung klingt ab“, stellt Ärztin Vera erfreut fest und beobachtet, wie sich Leah zum ersten Mal aus eigener Kraft an einem Stuhl hochzieht.Wir alle hoffen, dass sich ihr Gesundheitszustand weiter verbessert. Wir hoffen, dass sie vielleicht sogar bald durch den Garten des neuen Waisenhauses in Kiembeni toben kann – und dabei in das strahlende Blau des kenianischen Himmels schaut.

Leah geht es besser. Die Lungenentzündung ist abgeklungen. Sie lacht, als Vera sie kitzelt.

Leah geht es besser. Die Lungenentzündung ist abgeklungen. Sie lacht, als Vera sie kitzelt.

Hier nochmal die Daten des DRK-Sonderkontos für die Waisenkinder in Kiembeni:

Kontonummer: 11009212
Sparkasse Marburg-Biedenkopf
BLZ: 533 500 00
Verwendungszweck: Waisenhaus Kiembeni, Kenia

Kleine Schritte in ein besseres Leben

James hat bei jedem Schritt Spass, denn noch vor wenigen Monaten konnte er nicht laufen, weil seine Knochen aufgrund von Vitamin D- und C-Mangel wie aus Gummi waren.

James hat bei jedem Schritt Spass, denn noch vor wenigen Monaten konnte er nicht laufen, weil seine Knochen aufgrund von Vitamin D- und Calciummangel wie aus Gummi waren.

Stolz setzt er einen Fuß vor den anderen. Macht einen Schritt, dann einen nächsten, erhöht das Tempo und läuft schließlich laut lachend hinaus in die Sonne. James läuft als sei es das Selbstverständlichste der Welt. Doch in seinem Fall ist es das nicht. Im Februar konnte James noch nicht laufen. Er konnte nicht stehen und nur schlecht sitzen – obwohl er schon fast drei Jahre alt war. James lag tagein tagaus unter dem Tisch in dem kleinen Waisenhaus in Kiembeni. Seine Wange ruhte dabei stets auf dem Steinfußboden.

Noch im Februar konnte James nur auf dem Bauch liegen, weil seine Knochen nicht stark genug waren. Dank der Hilfe der OP-Leser geht es ihm nun besser.

Noch im Februar konnte James nur auf dem Bauch liegen, weil seine Knochen nicht stark genug waren. Dank der Hilfe der OP-Leser geht es ihm nun besser.

James kann nicht nur laufen, er kehrt sogar schon. Lachend haelt der Kleine einen Besen in der Hand.

James kann nicht nur laufen, er kehrt sogar schon. Lachend haelt der Kleine einen Besen in der Hand.


Im “Mighty-Redeemer“-Waisenhaus in Kiembeni gab es keinen Strom, kein fließendes Wasser. Die Kinder hatten kaum zu Essen – und trotzdem bekam Hausmutter Josephine Mutisya immer mehr Kinder vom Jugendamt gebracht. Viele von ihnen waren krank, alle schwer traumatisiert. Das Jugendamt brachte zum Beispiel drei Geschwister nach Kiembeni, die auf der Strasse lebten und misshandelt und missbraucht wurden. Der kleine Zacharias wurde auf einer Müllkippe aufgefunden. Wie James litt auch Zacharias an Rachitis, einer durch Calcium- und Vitamin D-Mangel verursachten Knochenkrankheit. Es war kein Geld für Milch vorhanden, deshalb waren die Knochen der beiden Jungen noch im Februar wie aus Gummi. Heute sind ihre Knochen stark, und James und Zacharias laufen um die Wette.

“Ich bin positiv überrascht, wie schnell sich ihr Zustand verbessert hat”, sagt meine Freundin, die Ärztin Dr. Vera Fleig. Seit März war Heimleiterin Josephine in der Lage, die Waisenkinder gesund zu ernähren – dank der finanziellen Unterstützung aus dem Landkreis Marburg-Biedenkopf. Denn nach unserem ersten Aufenthalt in Kiembeni beschlossen wir, den Kindern zu helfen. Auch einige OP-Leser wandten sich an uns, weil sie die Waisen unterstützen wollten. Das DRK Marburg eröffnete schließlich ein Sonderkonto zugunsten der Waisenkinder in Kiembeni.

Das schmeckt: Mit den Haenden essen die Kinder ihr Ugali - Maisbrei - und Spinat.

Das schmeckt: Mit den Haenden essen die Kinder ihr Ugali - Maisbrei - und Spinat.

Mittagessen: Nacheinander holen sich die Kinder ihre kleinen bunten Plastikstühle, die übereinander gestapelt in der Ecke stehen. Die Älteren wie die zehnjährige Anna und der gleichaltrige Bob helfen dabei den Kleinen, die Stühle und Tische im Hauptraum aufzustellen. Dann geht Anna mit einem Bottich voll Wasser von Tisch zu Tisch, damit sich ihre kleinen Brüder und Schwestern die Hände waschen können. “Chakula nzuri (Leckeres Essen)”, ruft Hausmutter Anna Emoit grinsend und balanciert dabei ein mit Tellern beladenes Tablett. Aus der Küche lugt ein dunkelblonder Schopf hervor. Sebastian Krog, ein freiwilliger Helfer aus Dänemark, lernt dort gerade von Josephine, wie man das traditionelle Brot “Chapati” zubereitet. Die beiden kneten den Teig mit den Händen. Der 20-jährige Sebastian ist einer von zehn Freiwilligen aus der ganzen Welt, die in diesem Jahr jeweils für mehrere Wochen im Waisenhaus mitgeholfen haben. “Die Kinder sind total lieb, aber so zu leben ist für jemanden aus der westlich zivilisierten Welt echt krass”, findet der Däne und wischt sich mit einem Ärmel den Schweiß von der Stirn.

Sebastian Krog streicht den Brotteig ein. Der Daene hilft auf freiwilliger Basis einige Wochen im Waisenhaus mit.

Sebastian Krog streicht den Brotteig ein. Der Daene hilft auf freiwilliger Basis einige Wochen im Waisenhaus in Kiembeni mit.

Es ist drückend heiß in Kiembeni. Deshalb macht auch Lehrerin Beatrice Portia, die seit einigen Monaten täglich ins Heim kommt, heute draußen Unterricht. “A is for Apple, B is for Ball”, rufen die Kinder im Chor – und selbst der dreijährige Paul macht mit, bis es ihm und dem gleichaltrigen Emmanuel doch zu langweilig wird – und die beiden lauthals lachend zurück ins Haus rennen. Drinnen an der Wand hängen viele bunte Plakate. Darauf sind Früchte und Alltagsgegenstände mit ihrer englischen Bezeichnung gemalt.

Emmanuel hat keine Lust auf Schule: Waehrend die anderen Kinder mit der Lehrerin unter der Waescheleine auf dem Vorplatz sitzen, laechelt der Dreijaehrige in die Kamera.

Emmanuel hat keine Lust auf Schule: Waehrend die anderen Kinder mit der Lehrerin unter der Waescheleine auf dem Vorplatz sitzen, laechelt der Dreijaehrige in die Kamera.

Gerne würde Josephine alle Kinder in eine richtige Schule schicken – doch für Schulbildung fehlt ihr momentan noch das Geld. Lediglich Anna und Bob gehen in eine Schule. Drei weitere Kinder sollen nun bald in die erste Klasse eingeschult werden. Bis dafür Sponsoren gefunden sind, werden die Kinder täglich zu Hause unterrichtet. Wir sind überrascht, wie viele Lieder die Kinder auswendig können. Noch im Februar war es ziemlich still im Waisenhaus in Kiembeni. Nun singen die Kleinen auf Swahili, Englisch und sogar Französisch. Sarah ist die eifrigste Sängerin. Bei jeder Gelegenheit stimmt die Sechsjährige ein Lied an – und die anderen Kinder singen und tanzen, klatschen und hüpfen begeistert mit.

Singen mit Mami: Wir sind ueberrascht, wie viele Lieder die Kinder kennen. Da mus auch Heimleiterin Josephine Mutisya trotz Hitze natuerlich mittanzen.

Singen mit Mami: Wir sind ueberrascht, wie viele Lieder die Kinder kennen. Da mus auch Heimleiterin Josephine Mutisya trotz Hitze natuerlich mittanzen.


Seit Februar hat sich im Waisenhaus in Kiembeni viel verbessert. “Josephine hat sich an die Tipps gehalten, die wir ihr gegeben haben. Es gibt einen Ernährungsplan und einen strukturierten Tagesablauf.”, freut sich Vera. Die Kinder, die schon länger in Josephines Obhut leben, sind wohlgenährt. Josephine und ihre mittlerweile 16 Schützlinge sind Mitte des Jahres aus dem alten Haus ausgezogen. Die neue Unterkunft ist zwar etwas besser – sie ist groesser, es gibt Strom und Wasser, doch noch immer sind die Lebensbedingungen von “gut” weit entfernt. 13 Kinder teilen sich ein kleines Zimmer zum Schlafen, lediglich die drei Babys schlafen mit der Hausmutter in einem anderen Raum. Die Toilettenspülung funktioniert nicht, es gibt keine Dusche – die Kinder werden draußen im gleichen Bottich gebadet, den Hausmutter Anna Emoit zum Wäschewaschen benutzt.
Hausmutter Anna waescht in einem Bottich die Waesche der Kinder. Abends badet sie darin die Kinder selbst, weil es keine Dusche im Haus gibt.

Hausmutter Anna waescht in einem Bottich die Waesche der Kinder. Abends badet sie darin die Kinder selbst, weil es keine Dusche im Haus gibt.

Das Haus gleicht einer Bauruine. Eine marode Treppe ohne Geländer führt hinauf zu einem Stockwerk, dessen Bau einfach abgebrochen wurde. Die Kinder spielen draußen in einer Mischung aus Sand und Dreck. Selbst ich bekomme nach einer Weile juckenden Ausschlag an den Füßen, weil ich mit den Kindern barfuss auf dem Platz herumtobe. “Ich weiß, dass es nicht gut für die Haut ist, aber sie müssen doch auch mal raus”, entschuldigt sich die 40-jährige Heimleiterin und cremt Isaaks wunde Hände ein, der besonders gern im Dreck spielt.

Auch James spielt gern draussen. Doch die einzige Moeglichkeit dazu gibt es auf dem Vorplatz und der ist eine dreckige Baustelle. Der Sand reizt die Haut und loest Allergien aus.

Auch James spielt gern draussen. Doch die einzige Moeglichkeit dazu gibt es auf dem Vorplatz und der ist eine dreckige Baustelle. Der Sand reizt die Haut.


Uns ist schnell klar, dass die Kinder hier nicht bleiben können. Es ist zu gefährlich, zu klein und ungesund. “Die Kinder müssen hier raus” – da sind Vera und ich uns einig. Also machen wir uns kurzerhand auf die Suche nach einem neuen Haus, damit die Waisenkinder eine Chance auf ein besseres Leben bekommen.

“Dem Kind geht es nicht gut”

Protokoll eines afrikanischen Krankenhaus-Besuches – Teil 2

11.52 Uhr: Unser Taxi holpert mit einem Platten um die Ecke – und auf einen Stapel mit dutzenden Autoreifen zu. Drei Männer beziehen mit bloßen Händen eine Felge mit einem Reifen. Drei andere “Mechaniker” eilen uns zur Hilfe und debattieren darüber, was nun mit unserem platten Reifen passieren soll. Hakuna Matata – kein Problem – auf einem Holzkarren wird eine mannshohe Druckluftflasche herangeschafft, die unseren Reifen sogleich wieder fahrtüchtig macht.

12.20 Uhr: Ohne weitere Zwischenfälle kommen wir mit der anderthalbjährigen Leah, die stoßweise, mit einem hörbaren Rasseln in der Lunge atmet, im Mewa-Hospital an. An der Anmeldung empfängt man uns mit skeptischen Blicken. Wir sagen unser Sprüchlein wieder auf: “Nein, das ist nicht unser eigenes Kind. Das Mädchen wurde ausgesetzt, hat keine Eltern mehr und lebt in einem Kinderheim”. Wieder wird der Name des Kindes per Hand in ein dickes Notizbuch eingetragen, dann bekommen wir einen Zettel in die Hand gedrückt.

12.23 Uhr: Mit dem Zettel müssen wir bezahlen. 1,50 Euro kostet es, damit man sich im Privatkrankenhaus in die Warteschlange setzen darf. Ventilatoren an der Decke verteilen die schwüle Luft. Leah hustet stark.

12.45 Uhr: Wir warten.

13 Uhr: Wir warten.

13.30 Uhr: Wir warten immer noch.

14 Uhr: “Leah”, ertönt es plötzlich im hinteren Eck. Wir folgen einer Krankenschwester, nennen wir sie Krankenschwester Nr. 1, in ein Zimmer, in dem eine völlig in schwarz gehüllte Frau sitzt. Durch einen kleinen Schlitz blicken uns freundliche Augen an. Eine Krankenschwester, nennen wir sie Krankenschwester Nr. 2, misst der Muslima den Blutdruck. Ich lege Leah in eine Metallwaage – nur 6,2 Kilo wiegt das unterernährte Mädchen. “Dem Kind geht es nicht gut”, schlussfolgert Krankenschwester Nr. 2 ganz richtig. Krankenschwester Nr. 1 steckt Leah ein Quecksilber-Fieberthermometer unter ihr dünnes Ärmchen. Ergebnis: Fieber hat das Mädchen nicht.

14. 15 Uhr: Wir warten wieder.

14.20 Uhr: Wir füttern Leah, die mit großen Augen apathisch das Geschehen um sie herum verfolgt. Es ist brüllend heiß, allen im Wartezimmer läuft der Schweiß.

14.35 Uhr: Ui, das ging flott: Krankenschwester Nr. 3 ruft uns in ein Untersuchungszimmer, in dem eine Ärztin Zeitung liest. Vera erläutert ihr die Krankengeschichte, wird aber jäh unterbrochen, als vom gegenüberliegenden Minarett das melodische Rufen eines Muezzins erklingt. Scheinbar ist die Ärztin daran gewöhnt, denn nun legt sie die Zeitung weg und hört mit einem Stethoskop Leahs Lunge ab. “Hmm… hört sich nicht gut an”, sagt sie und schaut das Mädchen lange Zeit an. Dann weist sie uns daraufhin, dass es “dem Kind nicht gut geht“. Bevor sie uns rausschickt, gibt sie uns drei Zettel. Einen für die Blutuntersuchung, einen für die Röntgenuntersuchung und eine – welch Überraschung – Rechnung für die nun folgenden Untersuchungen.

14.40 Uhr: Im Kassenhäuschen neben der Anmeldung zahlen wir 55 Euro. Anschließend warten wir wieder.

15 Uhr: Wir wickeln Leah und tupfen ihr den Schweiß von der Stirn.

15.30 Uhr: Die vorbeischlurfende Krankenschwester Nr. 4 nimmt uns mit in ein kleines Zimmer, um Leah Blut abzunehmen. Sie sagt: “Dem Kind geht es nicht gut”. Sie schaut sich die Arme des Mädchens an und verschwindet für lange Zeit im Nebenraum. Nach gut 15 Minuten kehrt sie zurück und teilt uns mit, dass sie kein Blut abnehmen kann und ihre Kollegin, die dazu in der Lage ist, jetzt beschäftigt sei. Als Vera anbietet, dass sie als Ärztin doch auch selbst Leah Blut abnehmen könne – und zwar an der gut sichtbaren Armvene, wird sie barsch darauf hingewiesen, dass dies ein Privatkrankenhaus sei und hier genug “gut ausgebildetes Personal” zur Verfügung stehe.

15.50 Uhr: Wir warten.

16.10 Uhr: Krankenschwester Nr.2 nimmt unseren zweiten Zettel, auf dem ausführlich eine Blutprobe angeordnet wurde. Sie bringt uns zu einem Arzt, der bei Leah in der Leiste Blut abnimmt. Sie schreit.

16.20 Uhr: Krankenschwester Nr. 1 nimmt uns mit in einen Raum voller unidentifizierbare Gerätschaften aus Metall. An einem Tisch bereitet eine Frau in einem weißen Kittel Stuhlproben auf. Neben ihr macht eine Schwester Pause und isst eine Banane. Krankenschwester Nr. 3 schaut Leah an, sagt “dem Kind geht es nicht gut ”und piekst Leah für den Tuberkulosetest in den Unterarm. Sie weint.

16. 40 Uhr: Wir laufen über den Hof zur Röntgen -Untersuchung und warten anschließend.

16.50 Uhr: Krankenschwester Nr. 4 führt uns in den Röntgensaal, der für afrikanische Verhältnisse sehr gut ausgestattet ist. “Dem Kind geht es nicht gut”, erklärt sie noch einmal. Leah, die apathisch schaut und stoßweise atmet, bleibt regungslos liegen, als das Metallgerät ein Bild von ihrer Lunge schießt.

17.10 Uhr: Wir warten und füttern Leah.

17.20 Uhr: Krankenschwester Nr. 5, es ist die Oberschwester, schlurft an uns vorüber, stoppt und erklärt, dass es “dem Kind nicht gut geht”. Ich bin kurz davor, aufzuspringen und ganz laut: “Echt? Das ist ja unglaublich, ich dachte, sie wäre kerngesund” zu schreien, kann mich aber gerade noch so zurückhalten.

17.40 Uhr: Krankenschwester Nr.2 führt uns in einen Untersuchungsraum, in dem schon ein Junge wartet. Doch, das ist angeblich der Arzt. Der Mensch, der mir da gegenüber sitzt, kann unmöglich älter als 15 Jahre alt sein, schießt es mir durch den Kopf. Doch der Junge hat als Zeichen seiner medizinischen Volljährigkeit ein Stethoskop um den Hals baumeln. “Dem Kind geht es nicht gut”, erklärt er – und ich spiele mit dem Gedanken, ihm für diese bahnbrechende Erkenntnis einen Orden zu überreichen. Er schickt uns zu einem Ernährungsberater.

17.50 Uhr: Wir warten.

18 Uhr: Krankenschwester Nr.7 führt uns zum Ernährungsberater. Der schaut sich Leah an, kramt ein Lineal hervor, mit dem er Leahs Oberarm vermisst. Umständlich wickelt er ein Messband um Leahs dünnes Ärmchen und stellt fest: “Dem Kind geht es nicht gut.” Ich bin kurz davor zu heulen. Wie jedes einzelne Mal bei der Feststellung, dass es “dem Kind nicht gut geht“, erklären wir, dass sie erst seit kurzem im Kinderheim wohnt, vorher auf einem Markt halb verhungert gefunden wurde, seither aber sehr gut isst, jedoch aufgrund ihrer anscheinend chronischen Lungenerkrankung kein Gewicht zulegt. Der Ernährungsberater hört sich unserer Geschichte an und sagt dann: “Das Kind ist unterernährt.” Er persönlich empfehle in diesem Fall folgendes: Man nehme Haferflocken, Bananen, Oel, Zucker und ein rohes Ei – mische das Ganze und füttere das unterernährte Kind damit alle 3 Stunden. Wir bedanken uns für den Tipp, bei 36 Grad im Schatten einem kranken Kind ein rohes Ei zu füttern – und verabschieden uns.

18.20 Uhr: Wir warten, schwitzen und füttern Leah, die stoßweise atmet und apathisch schaut.

18.40 Uhr: Krankenschwester Nr.8 sagt uns Bescheid, dass die Blutprobe von Leah irgendwie verloren ging. Nun müsse man ihr noch einmal in die Leiste stechen.

18.50 Uhr: Krankenschwester Nr. 5 führt uns zu einem anderen Arzt. Der wirft einen Blick auf Leah und sagt… na, was wohl… dass es “dem Kind nicht gut geht”. Er schlägt vor, zur Behandlung der Lungenentzündung Antibiotika zu geben. Nachdem Vera ihm erklärt, dass Leah ja bereits erfolglos eine Antibiotika- Therapie im öffentlichen Krankenhaus erhalten hat und es daher sinnvoll wäre das Medikament zu wechseln, sieht er uns lange Zeit schweigend an. Dann geht er hinüber in die Apotheke und fragt, ob es dort die benötigten Antibiotika gebe. Er kommt mit guten Nachrichten zurück: Beide Mittel sind noch vorhanden.

19 Uhr: Bevor wir die Medikamente mitnehmen können, müssen wir ans Kassenhäueschen. Zahlen. Wir sind nassgeschwitzt, total kaputt – und Leah geht es nicht gut.

Wir rutschen vorwärts

Protokoll eines afrikanischen Krankenhaus-Besuchs – Teil 1:

Hand auf Hand ins Krankenhaus.

Hand auf Hand ins Krankenhaus.


9 Uhr:
Hier ist Warten angesagt. In der Bamburi Klinik herrscht Hochbetrieb. In dem Gebäude, das optisch eher einer Markthalle gleicht, tummeln sich dutzende Menschen. Wir haben die beiden Waisenkinder aus Kiembeni Caleb (3 Jahre) und Leah (1,5Jahre) dabei. Sie sollen auf HIV getestet werden.

9.30 Uhr: Eine nette Dame zeigt uns, wo wir uns “Ansitzen” sollen. In afrikanischen Krankenhäusern stellt man sich nicht an – man sitzt. Also setzen auch wir uns ans Ende einer Schlange aus Frauen, die mit Babys auf den Armen auf einer langen Holzbank hocken. Wir sind an 17. Stelle dran.

9.31 Uhr: Meine Begleiterin, die deutsche Ärztin Frau Dr. Vera Fleig, verbietet mir, Fotos zu machen – in solch einer Klinik gehöre sich das nicht.

9.40 Uhr: Während man in Deutschland einen Arztbesuch meist lediglich frisch geduscht absolviert, macht man sich in Afrika zudem noch sehr, sehr schick. Diese Tradition steht im krassen Kontrast zur extremen und meist auch ziemlich dreckigen Realität Afrikas. Durch die nicht vorhandene Tür des Krankenhauses weht der Gestank von verbranntem Müll. Das dicke Kind zu unserer Rechten trägt ein Kleidchen aus bordeauxfarbenen Satin mit einer beigefarbenen Rose aus Tüll am Kragen. Die Temperatur im Markthallen-Krankenhaus beträgt gut 36 Grad. Auch das Satin-Tüll-Kind schwitzt.

Ein kleiner Blick ausm Taxi auf der Fahrt in die Klinik.

Blick aus dem Taxi auf der Fahrt in die Klinik.

10 Uhr: Es geht zügig voran. Wir rutschen vorwärts. Am Kopfende der langen Bank sitzen zwei Frauen an einem Tisch. Vor ihnen steht eine Kühlbox und eine rostige Waage. Immer wenn sie ein Mutter-Kind-Paar erreicht, rutscht der ganze Tross – wir inklusive – ein paar Zentimeter vorwärts. Das Baby zwei Plätze neben uns, ist erst vor wenigen Stunden geboren, es hat auf dem Kopf noch etwas von der Plazenta kleben. Seine Mutter hatte das Baby mit einem großen Tuch auf den Rücken gebunden und war mit ihm durch die halbe Stadt gelaufen, um es hier untersuchen zu lassen. Eine der Damen am ersehnten Ende der Schlange nimmt eine Spritze aus der Kühlbox.

10.10 Uhr: Auf der parallel uns gegenüberstehenden Bank bemerkt eine der Mütter zu spät, dass es zu spät ist: Ein großer Strahl Urin ihres nicht richtig gewickelten Säuglings ergießt sich über die Bank und tröpfelt auf den Boden. Das Satin-Tüll-Kind heult. Wir rutschen weiter.

10.20 Uhr: Wir sind bei den Kühlbox-Damen angekommen. Lachend informieren sie uns darüber, dass wir auf der falschen Bank entlanggerutscht sind. Sie schicken uns ans Ende der Halle zu einer anderen Bank. Wieder sind wir die Letzten.

10.30 Uhr: An der Wand vor dem HIV-Test-Zimmer hängt ein vergilbtes Aufklärungsposter. Es zeigt einen Mann und eine Frau, die in einem überdimensionalen Kondom stehen.

10.45 Uhr: Das ging schnell – wir sind schon dran. In dem winzigen HIV-Test-Zimmer sitzt eine junge Frau, die mit ihrem Handy spielt. “Sind das Ihre Kinder?”, fragt sie uns, ohne von ihrem Handy aufzublicken. Es wird an diesem Tag nicht das letzte Mal sein, dass uns diese Frage gestellt wird. In ein mindestens 500 Seiten starkes Notizbuch trägt die Handy-Frau die beiden Vornamen unserer Waisenkinder ein, die ja keinen Nachnamen haben. Stattdessen heißen Caleb und Leah nun mit Nachnamen “Redeemer, weil sie aus dem “Mighty Redeemer”-Waisenhaus in Kiembeni kommen. Das Geburtsdatum unserer Kinder kennen wir nicht, was in Afrika aber ganz normal ist. Hat man als kenianischer Staatsbürger genug Kleingeld, kann man sich einen Personalausweis abholen. Bei dieser Gelegenheit kann man sich gleich ein Geburtsdatum mit aussuchen.

10.50 Uhr: Die Handy-Frau streift sich Latexhandschuhe über und kramt zwei HIV-Tests hervor. Mit einer kleinen Nadel piekst sie Leah in den Mittelfinger, die sofort anfängt zu weinen. Das Blut träufelt die Frau auf den Teststreifen. Caleb weint nicht, als er gepiekst wird. Er schläft.

11.00 Uhr: Die Frau schaut wieder auf ihr Handy und murmelt “fertig”. Sie teilt uns mit, dass beide Kinder “negativ” sind und entlässt uns zurück in die sich weiter füllende “Markthalle”. Ich bin enttäuscht. Ich hätte mir den Moment, in dem verkündet wird, dass die beiden Kinder gesund sind, irgendwie ein bisschen feierlicher vorgestellt.

Ziemlich unspektakulaer: Diese beiden Streifen zeigen, dass die Kinder nicht mit dem HI-Virus infiziert sind.

Ziemlich unspektakulär: Diese beiden Streifen zeigen, dass die Kinder nicht mit dem HI-Virus infiziert sind.

11.20 Uhr: Von wegen gesund. Wir haben beschlossen, Leah in ein anderes Krankenhaus zu bringen. Die Lungen des anderthalb Jahre alte Mädchens rasseln hörbar. Sie hustet. Leah lebt seit 3 Monaten im Waisenhaus in Kiembeni. Die Polizei fand das völlig unterernährte Mädchen auf der Straße. Das Jugendamt brachte Leah ins Waisenhaus in Kiembeni. Sie war in einem öffentlichen Krankenhaus in Behandlung – ohne nennenswerte Erfolge. Sie isst sprichwörtlich wie ein Scheunendrescher, nimmt aber nicht zu. Mit anderthalb Jahren wiegt sie lediglich sechs Kilo.
Also bringen wir Leah nun in ein Privatkrankenhaus.

11.30 Uhr: Unser Taxi springt nicht an. Wir müssen es anschieben. Doch ich komme nicht raus, meine Tür klemmt. Vera ist nicht mehr aufzuhalten und schiebt allein. Die Tatsache, dass sein Auto von einer deutschen Ärztin angeschoben wird, amüsiert unseren Taxifahrer köstlich. So sehr, dass er die Anekdote anschließend bei jeder Gelegenheit erzählen wird.

11.32 Uhr: Unser Taxi fährt. Vera sei Dank.
11.40 Uhr: Eine Frau, die einer anderen Frau am Straßenrand die Haare kämmt, winkt uns zu.
11.45 Uhr: Ein Mann, der einen mit Wasserkanistern vollbeladenen Karren zieht, winkt uns zu.
11.50 Uhr: Ein Mann, der Beutel mit Zuckerrohr am Straßenrand verkauft, klärt uns auf, warum uns so viele Menschen freundlich zuwinken: Unser Taxi hat einen Platten.

Fortsetzung folgt

Er isst, er lacht, er lebt

Als wir ihn das erste Mal sahen, lag er im Sterben. Jetzt lacht er. Strahlt von einem Ohr zum anderen. Ich hebe ihn hoch in die Luft und er gluckst vor Freude. Leicht fällt mir das Heben nicht, denn Baby Hezekiel ist ein wahrer Wonneproppen. Er hat feiste Bäckchen, ein wohlgenährtes Bäuchlein und ziemlich speckige Ärmchen. Nichts an diesem dicken Baby erinnert an die dramatischen Umstände, unter denen wir es vor rund acht Monaten auffanden. Im Februar wog das damals fast vier Monate alte Baby gerade einmal drei Kilo. Es hatte eingefallene Wangen, einen vor Hunger aufgeblähten Bauch und tief in dunklen Höhlen liegende Augen, die stumpf durch uns hindurchsahen.

Hezekiel hat sich praechtig entwickelt. Der Kleine ist so schwer, dass ich ihn kaum hochheben kann.

Rückblick: In unserem ersten Urlaub in Kenia vor acht Monaten besuchten meine Freundin Dr. Vera Fleig und ich ein kleines Waisenhaus in Kiembeni, einem Vorort von Mombasa. Vera, die in Deutschland als Ärztin arbeitet, fiel sofort der lebensbedrohliche Zustand des Babys auf. “Durchfall, Fieber und Mangelernährung waren damals der Grund für seine kritische Verfassung”, erklärt Vera. In einem Taxi brachten wir den Kleinen in ein Krankenhaus, wo ihm die Ärzte jedoch keine Überlebenschance gaben. Denn Hezekiel galt damals als HIV-positiv und war zudem an Tuberkulose (TBC) erkrankt.

Im Februar ging es Hezekiel sehr schlecht. Durchfall und Fieber haben den Kleinen so ausgezehrt, dass ihm die Aerzte keine Ueberlebenschance geben.

Neben Aids ist auch Tuberkulose in Afrika eine häufige Todesursache. Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation zufolge sind in Kenia im Jahr 2008 von 100 000 Einwohnern 180 an der durch Mycobakterien verursachten Infektion neu erkrankt. In Deutschland waren es nur 5 Neuinfektionen pro 100 000 Einwohner. Weltweit erkranken knapp neun Millionen Menschen pro Jahr an Tuberkulose, etwa 1,6 Millionen sterben pro Jahr – häufig aufgrund unzureichender Behandlungsmöglichkeiten, da die Therapie teure Antibiotika erfordert und langwierig ist. TBC ist vor allem in Afrika, Asien und Osteuropa aufgrund der schlechteren hygienischen Bedingungen und der Mangelernährung auf dem Vormarsch . “Die Krankheit kommt vor allem zum Ausbruch bei Menschen, deren Immunsystem geschwächt ist: So bricht TBC sehr häufig bei aidskranken Menschen aus”, erklärt Dr. Vera Fleig. Es gibt verschiedene Formen der TBC, meist ist die Lunge befallen. Allen Formen gemein ist eine durch die Infektion verursachte Schwächung des Körpers, verbunden mit einer starken Gewichtsabnahme. Aus diesem Grund ist TBC auch unter dem früher sehr gebräuchlichen Begriff “Schwindsucht” bekannt.

Vera haelt Hezekiel im Arm.

Vera haelt Hezekiel im Arm.

Baby Hezekiel hatte Glück: Durch eine sechsmonatige Antiobotika-Therapie wurde der Junge geheilt. Mittlerweile stellte sich zudem heraus, dass sein HIV-Test negativ ist. “Und nun schau ihn dir an, wie gut es ihm geht”, jubelt unsere Taxifahrerin Mashy, die sich sehr über den Gesundheitszustand von Hezekiel freut. Mashy war es, die damals mit uns den Kleinen ins Krankenhaus brachte. Seither nennt sie Hezekiel nur noch “Survivor-Boy” – was soviel bedeutet wie “Junge, der überlebte“. Hezekiel heisst jetzt William. Er lebt noch immer im Tumaini-Waisenhaus, wohin ihn im Februar nach dem Krankenhausaufenthalt das Jugendamt Mombasa brachte. Denn in dem kleinen Waisenhaus in Kiembeni, wo wir Hezekiel aufgefunden hatten, konnte dieses schwerkranke Baby nicht bleiben, da dort die medizinische Versorgung nicht gewährleistet war.
Nun, acht Monate später, hat er sich prächtig entwickelt. William Hezekiel ist das jüngste Kind im Tumaini-Waisenhaus. Die anderen 39 Kinder im Alter von 1 bis 14 Jahren behandeln den kleinen Dicken wie etwas ganz Besonderes. Wenn sie das Baby erblicken, rufen sie ausgelassen “William, William”, nehmen ihn auf den Arm und kitzeln ihn, bis er lacht. “William Hezekiel hat jetzt viele Brüder und Schwestern, die ihn alle sehr lieben”, sagt Hausmutter Mary. Im Tumaini-Waisenhaus, das von Engländern und Deutschen finanziert wird, hat William Hezekiel nun die Chance auf ein richtiges Leben. Bislang nutzt der Kleine sie prima: Er isst, er lacht, er lebt.

Unsere Taxifahrerin Mashy kann ihre Freude ueber den guten Gesundheitszustand des "Survivor-Boy" nicht verbergen.

Packen für Fortgeschrittene

Der Countdown läuft. Morgen fliegen meine Freundin, Dr. Vera Fleig, und ich wieder nach Kenia. Der wichtigste Koffer ist schonmal gepackt – der Koffer mit der Kinderkleidung. Freunde, Bekannte und Verwandte haben uns mit dutzenden Stramplern, Hemdchen, Shirts, Hosen, Spielsachen und vielem mehr versorgt. Die Zahnklinik Marburg spendierte 200 Kinderzahnbürsten. Die Unterstützung ist enorm. Allerdings sieht das heimische Wohnzimmer aus, als habe ein Rosinenbomber seine Fracht verloren. Doch das ist gut! Das ist „Packen für Fortgeschrittene“. Eine Herausforderung, der wir uns gerne stellen. Schließlich möchten wir den Kindern in Mombasa so viel wie möglich mitbringen.
Natürlich werden wir auf dieser Seite in regelmäßigen Abständen über das Schicksal der Aids-Waisen berichten. Wir informieren darüber, wie es Joshua, James, Blessing und den anderen Kindern im Waisenhaus Kiembeni geht. Und natürlich werden wir das „Shining Orphans“-Waisenhaus von Claus und Mareike Müller in Kashani besuchen. Denn auch dort hat sich einiges getan. Mittlerweile leben 19 Kinder im Waisenhaus auf dem Hügel.