Kevelaerer Kapelle Hl. Johannes der Theologe, Eingang Amsterdamer Straße

Kevelaerer Kapelle 'Heiliger Apostel Johannes der Theologe', Eingang Amsterdamer Straße

Wenn man in Kevelaer den Kapellenplatz in nördlicher Richtung über die Amsterdamer Straße verlässt, trifft man auf der rechten Straßenseite bald auf eine kleine Kapelle, die durch eine vergoldete Halbkuppel über dem Eingang auf sich aufmerksam macht und in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert ist: die orthodoxe Johanneskapelle. Sie bildet den Schlusspunkt des großen Komplexes des Priesterhauses und gehört zur Wallfahrtspfarrei St. Marien, die diese Kapelle auch gebaut hat. Das ist der erste bemerkenswerte Aspekt: Dass eine katholische Pfarre eine orthodoxe Kapelle gebaut hat.

Prälat Richard Schulte Staade, Rektor der Wallfahrt, erzählt, dass er den Anstoß zum Bau dieser Kapelle Ende der 70er Jahre durch die Votivgabe (1) eines Griechen bekam. Dieser habe ihn nachdenklich gestimmt mit seiner Antwort auf die Frage, weswegen er, ein orthodoxer Christ, einem katholischen Wallfahrtsort etwas schenke. Er hatte nämlich gesagt, dass die Gabe nicht für die katholische Kirche, sondern für Maria bestimmt sei, und Maria sei für alle Christen da; deshalb würden doch auch viele Orthodoxe zum Gnadenbild der Muttergottes nach Kevelaer kommen.

Heimat für orthodoxe Christen schaffen

In der Folge hatte Schulte Staade dann bei Gottesdiensten darauf geachtet und festgestellt, dass tatsächlich eine Reihe von Gottesdienstbesuchern das Kreuzzeichen auf orthodoxe Art machte. Von da ab sei bei ihm der Wunsch gekeimt, den orthodoxen Christen in Kevelaer eine Heimstatt zu geben.

Das Gespräch mit dem griechischen Pilger hatte die Anregung zur Idee vom Bau einer Kapelle gegeben, die ihn von nun an nicht mehr losließ. Es kamen weitere Momente hinzu: Die Beteiligung von orthodoxen Geistlichen und Würdenträgern am Mariologischen Weltkongress, der 1987 in Kevelaer stattfand, und der politische Aufbruch im Osten Europas am Ende der 80er Jahre. Auch die Vorbereitung der 350-Jahr-Feier der Wallfahrt in Kevelaer 1992 gab einen Anstoß: Das Jubiläum sollte nicht nur rückwärts gewandt sein, sondern auch Impulse für die Zukunft bringen. Da konnte die Errichtung der orthodoxen Kapelle ein Zeichen in Richtung gelebter Ökumene sein.

Der Gedanke, den orthodoxen Christen in Kevelaer einen kirchlichen Raum zur Verfügung zu stellen, in dem sie ihre Gottesdienste feiern könnten, war die eine Seite; die andere war, ob die orthodoxen Kirchen diesen Raum auch annehmen würden. Die verschiedenen autokephalen, d.h. unabhängigen orthodoxen Nationalkirchen stehen nämlich eigenständig und gleichberechtigt nebeneinander und halten nach Möglichkeit ihre Gottesdienste in jeweils eigenen Kirchen ab. Der Bischof von Münster, Reinhard Lettmann, machte seine Einwilligung zum Bau der Kapelle deshalb davon abhängig, dass wenigstens drei Bischöfen verschiedener orthodoxer Kirchen die Zusage gäben, in der Kevelaerer Kapelle Gottesdienste zu feiern. Als Prälat Schulte Staade ihm schon bald die Zusage von vier Oberhirten bringen konnte, bekam er die Erlaubnis für den Bau der Kapelle.

Namensgebung und Baubeginn

Überlegungen waren auch notwendig, um für die Kapelle den passenden Namen zu finden. Sie sollte nämlich einen Namenspatron bekommen, der bei allen orthodoxen Kirchen, auch bei den altorientalischen, angesehen und zudem im Westen nicht fremd ist. Schließlich wurde als Patron der Apostel Johannes gewählt, der als Theologe in Ost und West anerkannt ist.

Als Grundstock für den Bau bot sich ein neugotischer Raum an der Amsterdamer Straße an, der 1882 als Tordurchfahrt zum Hof des Priesterhauses errichtet worden war und zuletzt als Wagenremise gedient hatte: Er gehörte einerseits noch zum Kapellenbereich, lag aber andererseits getrennt am Rande und betonte so eine Eigenständigkeit.

Im Spätsommer 1991 trat Schulte Staade an den Kevelaerer Architekten Dipl. Ing. Franz Tiemann heran, den Plan für eine orthodoxe Kapelle zu erstellen. Da dies völliges Neuland für Tiemann war, musste er sich erst in die Theorie und Praxis des Baus einer orthodoxen Kirche einarbeiten. Gespräche mit verschiedenen Fachleuten, z.B. einem Spezialisten der Benediktiner-Abtei Chevetogne in Belgien und dem Orientalisten Professor Wilhelm Nyssen in Köln, Studium von Fachliteratur und die Besichtigung von orthodoxen Kirchen in Düsseldorf und Bonn gehörten dazu. Im Oktober 1991 gab es die ersten Skizzen, im Frühjahr 1992 folgte der Bauantrag, der von der Stadt schnell genehmigt wurde. In wenigen Monaten wurde die Kapelle gebaut, so dass sie am 31.10.1992 als Schlusspunkt der Feiern zum Wallfahrtsjubiläum feierlich eingerichtet werden konnte.

Schwierige Planung

Die vorhandene Bausubstanz und die Grundstücksgrenzen hatten die Planung der Kapelle erschwert. Zum einen verlief die Durchfahrt, die als Langhaus der Kapelle genommen wurde, nicht rechtwinklig zur Amsterdamer Straße, so dass Querschiff und Altarraum, beides Neubauten, um ca. 12° versetzt sind; denn sie sollten parallel zur Amsterdamer Straße ausgerichtet sein. Zum andern ließ die Grundstücksgrenze den Ausbau des Querschiffs nur nach Süden zu.

Entstanden ist eine Kirche (2) mit einem relativ schmalen, 13,89 m langen Langhaus (Narthex), dessen erster Teil, durch zwei Stufen und ein Gittertor vom übrigen Gebäude getrennt, tagsüber zugänglich ist. Hier können Gläubige Kerzen (z.B. zum Totengedenken) entzünden. Im größeren Teil des Narthex halten sich die Gläubigen während des Gottesdienstes auf. Haupt- und Querschiff sind neu gebaut, im Querschiff ist der Platz für den Chor. Hinter der Ikonostase befindet sich der Chorraum, in dem der Gottesdienst zelebriert wird, mit einer großen Apsis als Abschluss.

Die Kreuzung zwischen Langhaus und Querhaus wird durch eine Kuppel mit einem Durchmesser von 460 cm überwölbt, eine freigespannte hölzerne Halbkugelkuppel, die die Kevelaerer Firma Heinz van Aaken gebaut hat. Darauf ist noch eine „Laterne“ gesetzt, ein Rundzylinder mit Zwiebelkuppel, aus der ein Christus Pantokrator auf den Kirchenraum blickt.

Architekt Tiemann ist des Lobes voll über die Handwerker, die den Bau ausgeführt haben, und weist dabei besonders auf den Spalier-Lattenputz in der Kuppel hin, eine nicht mehr gebräuchliche Technik, die von Norbert Küppers aus Uedem ausgeführt wurde, und auf die geschnittenen Fugen, die herzustellen der Kevelaerer Maurer Heinz Hendrix eigens wieder erlernt hat.

Feierliche Einweihung

Zur Einrichtungsfeier waren viele orthodoxe Würdenträger gekommen. Bischof Gabriel Saliby vertrat die griechisch-orthodoxe Kirche von Antiochien, Erzbischof Longin die russisch-orthodoxe Kirche, Bischof Konstantin die serbisch-orthodoxe Kirche, Metropolit Simeon die bulgarisch-orthodoxe Kirche, der Priester Shehata die koptisch-orthodoxe Kirche. Als Vertreter für die katholische Kirche waren u.a. der Kurienkardinal Agostino Casaroli, als Vertreter für den Bischof von Münster der damalige Dompropst Dr. Heinrich Mussinghoff und natürlich der Rektor der Wallfahrt, Prälat Richard Schulte Staade, erschienen. Musikalisch gestaltet wurde die Feier vom Kevelaerer Joan-Kukuzel-Chor unter der Leitung von Stefka Michel.

Dieser kleine Männerchor, der sich ganz der orthodoxen Kirchmusik widmet, war im Februar 1988 von der gebürtigen Bulgarin unter der Schirmherrschaft von Prälat Schulte Staade und dem russisch-orthodoxen Bischof Longin gegründet worden. Bis zur Einrichtung der Kapelle hatte der Chor in katholischen Kirchen während der Gottesdienste orthodoxe Gesänge vorgetragen, vereinzelt auch schon mit orthodoxen Priestern Vespern gesungen. Seit der Einrichtung der Johannes-Kapelle singt der Chor dort mit Geistlichen der verschiedenen orthodoxen Kirchen bei Vespern und Liturgien. Inzwischen hat er sich ein reichhaltiges Repertoire erarbeitet und wird für seinen einfühlsamen Klang sehr gelobt, dem man anmerkt, dass die Dirigentin in der orthodoxen Musik heimisch ist.

Außer in Kevelaer singt der Chor auch öfter bei Gottesdiensten von orthodoxen Gemeinden in Bocholt und Aachen, er sang aber u.a. auch beim Besuch des Patriarchen der Armenisch-Apostolischen Kirche Mesrob Mutafian beim Bischof von Aachen im Aachener Dom, beim Koptischen Bischof Damian im Mauritius-Kloster in Höxter und bei einem orthodoxen Verspergottesdienst im Christus-Pavillon auf der Expo in Hannover.

Die Feier des 10. Jahrestags

Am 20. Oktober 2002 wurde feierlich der 10. Jahrestag der Einrichtung der Kapelle begangen. Anwesend waren der rumänisch-orthodoxe Metropolit Dr. Serafim, Erzbischof Karekin von der armenisch-apostolischen Kirche, Bischof Evmenios vom ökumenischen Patriarchat in Konstantinopel, der koptische Bischof Damian, Archimandrit Josip von der russisch-orthodoxen Kirche und als Vertreter der katholischen Kirche der Bischof von Aachen, Dr. Heinrich Mussinghof.

Wer die Kapelle in der Zwischenzeit nicht besucht hatte, konnte sie kaum noch wiedererkennen, so sehr hat sie sich in der Zwischenzeit zu einem Kleinod unter den Kirchen Kevelaers entwickelt. Der gesamte obere Chorraum wurde inzwischen durch den in Köln lebenden russischen Künstler Wladimir Naumez mit prächtigen Mosaiken ausgeschmückt. Im Mittelpunkt, die ganze Apsis ausfüllend, befindet sich die 1995 entstandene monumentale Darstellung der Muttergottes „Platytera“ (Muttergottes des Zeichens), die den Betrachter sehr streng, aber sehr ausdrucksvoll ansieht. 1996 kam auf der linken Seite ein Geburt-Christi-Mosaik dazu, eine prachtvolle Arbeit in der Gestaltung und in der Ausführung der Szene. Auf der rechten Seite wurde das Mosaik 1997 durch die Darstellung der Taufe Christi ergänzt, die in Farbe und Form ein gelungenes Gegenstück zur Weihnachtsdarstellung ist. 1998 wurde das Mosaik vollendet durch ein Mandylion, ein von zwei Engeln gehaltenes Tuch mit dem Antlitz Christi und vier Medaillons mit der Darstellung von Kaiser Konstantin und Kaiserin Helena sowie den Slawenaposteln Kyrill und Method.

1999 wurde die Ausschmückung des Altarraums abgeschlossen mit der ausdrucksvollen Darstellung der „Kommunion der Apostel“, einer Fresco-Arbeit, die die Apsis unterhalb des Mosaiks ausfüllt. Auch sie wurde von dem russischen Künstler Naumez ausgeführt.

Zum 10-jährigen Jubiläum der Kapelle konnte die bis dahin provisorische durch eine richtige Ikonostase ersetzt werden (3). 32 Ikonen schmücken diese Bilderwand, in großartiger Weise gemalt von dem bulgarischen Ikonenmaler Stefko Aënski. Eine Ikonostase trennt in einer orthodoxen Kirche den Altarraum, in dem das Opfer gefeiert wird, von dem Raum der Kirche, wo sich die Gläubigen aufhalten. Der Aufbau einer Ikonostase und das Bilderprogramm der Ikonen folgen einem festgelegten Schema. In der Mitte der Ikonostase befindet sich die Königstür, die nur der Priester bei liturgischen Handlungen durchschreiten darf.

Auf der Königstür ist die Verkündigung an die Gottesmutter abgebildet, rechts und links daneben Christus als „Pantokrator“ (Allherrscher) und die Muttergottes als Wegweiserin („Hodegetria“), daneben Heilige, die gleichzeitig im Osten wie im Westen verehrt werden.
Über dieser sogenannten Königsreihe befindet sich die Festtagsreihe mit der Darstellung von 12 Kirchenfesten der orthodoxen Kirche, angefangen von Maria Verkündigung bis zur Entschlafung Mariens. Unter der Königsreihe sieht man Ikonen von Propheten und Evangelisten.

Mit der prachtvollen Ikonostase ist die Ausgestaltung der Johannes-Kapelle ein großes Stück weitergekommen. Der Kirchenraum ist inzwischen mit einer Vielzahl z.T. sehr kostbarer Ikonen aus dem ganzen Bereich der Orthodoxie geschmückt, ehrwürdig alten und neugeschaffenen, geschenkt von den einzelnen Kirchen und auch von Privatpersonen.

Zur Kapelle gehört eine Gemeinde, die so ungewöhnlich ist wie die Kapelle. Während die Orthodoxen normalerweise streng nach ihren Heimatkirchen getrennt sind und weite Wege in Kauf nehmen, um ein Gotteshaus ihrer Kirche zu besuchen, kommen in der Kevelaerer Kapelle die Mitglieder der unterschiedlichen Kirchen zusammen. Durch Ansprache von Frau Michel, die sich um die Gottesdienste in der Johanneskapelle kümmert, versammeln sich u.a. Serben und Russen, Bulgaren und Ukrainer, Rumänen und Griechen zu den Gottesdiensten der unterschiedlichen Geistlichen und betrachten alle die Kapelle als „ihr“ Gotteshaus. So ist hier nicht nur für orthodoxe Pilger, sondern auch für orthodoxe Christen in Kevelaer und Umgebung eine Heimstatt geschaffen worden, in der Ökumene gelebt wird.

Anmerkungen:

Ich danke Herrn Martin Willing aus Winnekendonk für die Bereitstellung von Material aus dem Archiv des „Kevelaerer Blattes“ und Herrn Dipl. Ing. Franz Tiemann für Unterlagen aus seinem Privatarchiv.
(1) Eine Votivgabe ist ein persönlicher Wertgegenstand, den man zur Unterstützung eines Anliegens oder aus Dankbarkeit dem Gnadenbild stiftet.
(2) Ich stütze mich im Folgenden stark auf: MICHEL, Stefka: Die Orthodoxe Johanneskapelle zu Kevelaer, Regensburg 1998 (Schnell, Kunstführer 2346)
(3) MICHEL, Stefka: Ort der Zwiesprache – Die Ikonostase der orthodoxen Johanneskapelle, Kevelaerer Blatt Nr. 51/52 v. 20.12.2002

Dieser Artikel wurde veröffentlicht im „Geldrischen Heimatkalender 2004“