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Propeller aus Mecklenburg: Wie die gigantischen Schiffsschrauben entstehen

Foto: manager magazin online

Ost-Weltmarktführer MMG Das Wunder von der Müritz

Der Schiffsschraubenhersteller Mecklenburger Metallguss schien dem Tode geweiht, als 1990 die DDR-Wirtschaft zusammenbrach. Doch dann übernahmen die Mitarbeiter die Regie. Zwei von ihnen führten das Unternehmen an die Weltspitze. Nun soll die Firma Propeller für 18.000-Container-Frachter bauen.

Waren an der Müritz - Es zischt und blubbert und dampft, Manfred Urban nähert sich dem gelb-roten Höllenbrei. Ein Arbeiter sticht gerade ein Thermometer hinein. "1200 Grad", ruft Urban, den Feuerschein in den Augen, während die Masse aus flüssigem Kupfer, Nickel und anderen Metallen neben ihm im Ofen wabert. "Diese Gießerei ist das Geheimnis unseres Erfolges."

Wenn Geschäftsführer Urban über den beinahe märchenhaften Wiederaufstieg seiner Firma, des Schiffsschraubenherstellers Mecklenburger Metallguss (MMG), spricht, ist er schnell bei der gigantischen Gießerei. Die Anlage schmilzt bis zu 200 Tonnen Metall gleichzeitig ein - daraus lassen sich die größten Schiffspropeller der Welt formen.

Das bisher gewaltigste Exemplar treibt die Emma Maersk mit ihren bis zu 13.000 Containern an und bringt 131 Tonnen auf die Waage. "160 Tonnen wären auch denkbar", sagt Urban, als wäre es eine Selbstverständlichkeit. Nicht die Koreaner, nicht die Chinesen, nicht die Japaner schaffen das. Stattdessen bestellen sie heute in Mecklenburg.

Nach der Wende mehrfach totgesagt, gelang, was kaum jemand für möglich gehalten hätte: Die Firma aus Waren dominiert mit ihren 230 Mitarbeitern und einem Umsatz von zuletzt 80 Millionen Euro heute den Weltmarkt. Bei 30 Prozent liegt der Anteil auf alle Propeller bezogen, bei den ganz großen sind es mehr als 50 Prozent.

Mehr als nur ein wirtschaftlicher Erfolg

Weil ständig welche von ihnen pünktlich zum Kunden müssen, ruft der sonst eher gemütliche Urban schon mal leicht nervös bei der Polizei an, wenn ein fremder Lastwagen bedrohlich nah am Firmentor parkt. Dutzende Schiffsschrauben stapeln sich auf dem zwischenzeitlich viel zu klein gewordenen Firmengelände. Auf jeweils vier Metallzylindern ruht eine graue Stahlträgerkonstruktion, auf der wiederum eines, mitunter zwei der meist mit sechs Flügeln versehenen Exemplare lagern.

Das messingfarbene Leuchten der Propeller inmitten einer von Industrie weitgehend verlassenen Gegend nehmen viele auch als ein Indiz dafür wahr, dass sich die Dinge 20 Jahre nach der deutschen Einheit vielleicht doch zum Guten wenden. Das Comeback des Traditionsbetriebs lässt manche aber auch wieder daran glauben, dass sich der eigene Einsatz bezahlt macht. Denn auch damit hat die Geschichte von MMG viel zu tun.

"Damals herrschte ein rechtsfreier Raum"

Wenn Urban nach Erklärungen für das Wunder von der Müritz sucht, redet er zwar als erstes von Hochleistungsöfen, Spezialcomputern und millimetergenau arbeitenden Schleifmaschinen. Doch all der Superlative von heute zum Trotz waren die entscheidenden Werkzeuge des Firmenerfolges womöglich andere: Die Bereitschaft zu rebellieren gehörte dazu, sowie der Mut, sich in ein Abenteuer mit völlig ungewissem Ausgang zu stürzen.

Und nicht zuletzt: Hammer und Meißel.

Diese packte Urban 1992 an einem Samstag in den Kofferraum seines roten, bereits 15 Jahre alten Skodas und setzte sich hinter das Steuer. Neben ihm seine Frau Gudrun, auf der Rückbank der Sohn, damals 14 und die Tochter, zehn. Das Reiseziel: Berlin. Auf die Reste von der Berliner Mauer hatte Urban es abgesehen - im Dienste seiner Firma.

Während der Wendezeit hatten er und sein heutiger Co-Geschäftsführer Jürgen Eberlein sich einer Gruppe von Mitarbeitern angeschlossen, die gegen die alte Betriebsleitung aufbegehrte. "Es war wie Neues Forum, nur eben im Betrieb", sagt Urban. "Es herrschte ja ein wenig rechtsfreier Raum damals. Uns war klar - wir nehmen das in die Hand. Wir wurden immer gebremst, und nun durften wir endlich einmal tun, was wir für richtig hielten."

Eberlein kümmerte sich um die internen Belange des Unternehmens. Urban fiel schnell die Rolle des ersten Vertriebs- und Marketingbeauftragten der Firma in die Hand - ein Betriebsbereich, den es in DDR schlicht nicht gegeben hatte. Aufträge kamen ja praktisch von allein.

"Den Widerstand spürten wir schon beim Pförtner"

Das alles hatte sich schlagartig geändert. Die Werften an der Ostsee mit ihren russischen Kunden brachen als Auftraggeber praktisch weg. Die Schiffbauer in Westdeutschland wollten von Brüdern aus dem Osten nichts wissen. "Da war nicht so viel mit Wiedervereinigung", erinnert sich Urban. "Den Widerstand spürten wir schon beim Pförtner."

Die Konsequenzen wurden den neuen Chefs bald immer klarer. Entweder wir gehen unter, oder wir entwickeln ein völlig neues Geschäftsmodell und suchen unsere Kunden dort, wo der Schiffbau boomt: in Südkorea, zum Beispiel bei Samsung und Hyundai. Also studierte Manfred Urban neben seinem Beruf BWL, lernte in der Volkshochschule Englisch - und wagte das vermeintlich Unmögliche. Mit ein paar Kollegen putzte er Klinken in Asien.

Es waren schließlich die eigenhändig herausgehauenen Mauerstücke, die das Eis brachen. "Ich habe damit versucht, an die gemeinsame Geschichte der Trennung anzuknüpfen. Das war gleich der erste Gesprächsstoff." Zwei, drei Besuche in Korea waren schließlich notwendig, bis das Vertrauen schließlich da war, bald schickte MMG den ersten Propeller gen Osten.

Zwei Propeller für das Containerschiff der nahen Zukunft

Derweil feilten die Warener weiter an ihrem Geschäftsmodell. "Mitte der 90er Jahre zeichnete sich ab, dass die Containerschiffe schnell immer größer werden. Es war dann unsere Idee, Propeller mit einem Gewicht von mehr als 100 Tonnen zu bauen", sagt Eberlein. Von einer "Nische" spricht Urban, doch diese wurde immer größer. Erst 8000, dann 10.000, schließlich 13.000 Container sollten die größten Frachter transportieren. Die Schrauben wuchsen mit.

Die Chancen in dieser Entwicklung erkannten Ende der 90er Jahre auch die Essener Industriellen Heinrich Grütering und François Hermann Ostwald. Deren Deutsche Gießerei- und Industrie-Holding (Dihag) übernahm die Mecklenburger 1999, nachdem MMG seit 1995 wieder unter den Fittichen des Staates war. Zuvor war die MMG-Mutter Bremer Vulkan in die Pleite geschlittert.

Inzwischen stehen die Zeichen wieder auf Wachstum. In der großen Schifffahrtskrise hatten die Reeder zahlreiche Bestellungen storniert. Viele wurden aufgeschoben. An diesen Aufträgen arbeiten sich auch die Mecklenburger derzeit ab.

Das Orderbuch füllt sich

Doch im Orderbuch finden sich inzwischen schon diverse Neueinträge, so gießen Urbans Leute die Propeller für 32 Containerschiffe der Evergreen-Linie. So richtig spannend wird es aber, wenn aus einer derzeit vorliegenden Anfrage ein echtes Geschäft wird.

Eine Reederei - der Name ist noch streng geheim - plant mindestens zehn Schiffe einer noch nie dagewesen Größenordnung von 18.000 Containern. Sie sollen über zwei Antriebsstränge verfügen und deshalb auch jeweils zwei Propeller haben.

MMG-Chef Urban sieht diese Entwicklung jedoch mit gemischten Gefühlen. Seine Ingenieure haben schon berechnet, dass die Schiffsschrauben jeweils gut 70 Tonnen wiegen müssten. In diesem Größenbereich hat das Unternehmen keine Alleinstellung mehr.

Doch der Geschäftsführer gibt sich zuversichtlich - auch weil viele seine Leute eines noch in der DDR gelernt hätten. "Wir haben gelernt, auch unter schwierigsten Bedingungen immer weiter vorwärts zu kommen."

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