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"Spanische Fliege" an der Volksbühne: Notgeil und sittenstreng

Foto: Jens Kalaene/ dpa

Volksbühnen-Spaß "Die Spanische Fliege" Feta der Klamotte

Schauspielernde Schafsköpfe treten Quark breit und reden Käse: Herbert Fritsch wurde gerade beim Theatertreffen als Regisseur der Stunde gefeiert. Jetzt hat er zum ersten Mal an der Berliner Volksbühne inszeniert - und präsentiert den hinreißenden Blödelabend "Die spanische Fliege".

Schon vorher stand fest, dass am Mittwochabend die lustigste Berliner Theaterpremiere seit langer, langer Zeit hingebrettert werden würde. Die einzigartig krächzende Schauspielerin Sophie Rois und der phänomenal zappelige Schauspieler Wolfram Koch sollten ein Ehepaar spielen! In einem fast hundert Jahre alten Schwank, dessen Verwechslungs- und Verwicklungsstory um notgeile Ehemänner, sittenstrenge Gattinnen und ein paar trottelig verliebte junge Leute praktisch eins zu eins erzählt werden sollte - garantiert ohne Diskurseinschübe und Besserwisserkommentare! Und dann hatte auch noch Herbert Fritsch inszeniert, der Mann, den gerade sehr viele Schauspielfachleute als Heilsbringer feiern, weil er dem deutschen Theater die Lust an Slapstick und Klamauk zurückgebracht hat! Was bitte sollte da noch schiefgehen?

Logisch, eben gerade nichts. Tatsächlich haben die Zuschauer dann ausdauernd gequietscht, gewiehert und gekichert in der Berliner Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz. Tatsächlich ist "Die spanische Fliege", das 1912 uraufgeführte Stück von Franz Arnold und Ernst Bach, ein Fest der hysterischen Blödelei, wie es in diesem Theaterhaus und in dieser Stadt seit Jahren nicht zu bestaunen war. Das "s" in "spanisch" schreiben sie auf dem Premieren-Banner der Volksbühne in Klammern, soll heißen: Hier seht ihr eine panische Sause, liebe Leute!

Das Bühnenbild, von Fritsch selber erdacht, ist ein riesiger fliegender Teppich, auf dem die Mitspieler ständig stolpern, auf einem eingebauten Trampolin in die Höhe schnellen und ächzend auf der Nase oder auf dem Popo landen. Sophie Rois trägt wie alle Frauen auf der Bühne eine hochgetürmte Marie-Antoinette-Perücke und schreit so kehlig, dass einem das Blut in den Adern gefriert. Wolfram Koch hat viel Rouge auf den Wangen und eine grau gescheitelte Haarmütze auf dem Schädel und torkelt wie Käpten Jack Sparrow im "Fluch der Karibik".

Der ganze Abend sieht aus wie ein Theaterpennäler-Streich, in dem die aschfahl wankenden (ihrerseits schon aus Stummfilmen wie "Nosferatu" geklauten) Figuren einer durchschnittlichen Bob-Wilson-Inszenierung plötzlich unter Starkstrom gesetzt werden. Denn nach Herbert Fritschs Formel ist der Theaterfortschritt volle Clownspower plus Elektrifizierung.

Als hätten sie eine rätselhafte Droge genommen

In der kleinen Welt des deutschsprachigen Theaters soll das Zuschauen nach dem Willen der Regisseure fast immer zuallererst Denkarbeit bedeuten, Spaß aber nur im Ausnahmefall bereiten, und dann mit allseits zur Schau gestelltem schlechten Gewissen. Frank Castorf machte es in den neunziger Jahren in der Berliner Volksbühne besser und brachte die Komik und den Diskurs in glorreicher Anarchie auf einen Nenner, damals war Fritsch einer seiner wichtigsten Schauspieler. Dann gingen dem Meister Castorf die Puste und der Spaß aus und Fritsch fing in der Provinz, in Schwerin zum Beispiel, in Bremen und Oberhausen, selber das Inszenieren an. Er lehrte seine Schauspieler, dem Klamauk-Affen bedenkenlos Zucker zu geben. "Fritsch versucht, andere narrative Wege zu trampeln", heißt es nun schwärmerisch in der Werbeprosa der Volksbühne. "Die Körper der Schauspieler, der Klang des Raums, die Grimasse, die sexuelle Entgleisung und die bürgerliche Vollverkrampfung interessieren Fritsch brennend!"

Genau so ist es. Zwei Stunden lang zeigt Fritsch in "Die spanische Fliege" auf der Bühne Menschen in Ekstase. Sie prügeln und sie knutschen sich, sie brüllen und sie hüpfen, sie greifen einander an die Geschlechtsteile und glotzen ins Parkett, als hätten sie eine rätselhafte Droge genommen. In der Tat gibt es ein Potenzmittel, das unter dem Begriff "Spanische Fliege" gehandelt wird, im Stück allerdings geht es um eine Tänzerin dieses Namens, die mit vielen Herren der besseren Gesellschaft einst sexuelle Beziehungen unterhielt - und weil der Held des Stücks, der Senffabrikant Klinke, glaubte, er habe einen Sohn mit der Tänzerin gezeugt, hat er viele Jahre lang heimlich Geld bezahlt an die ehemalige Geliebte, ebenso wie zahlreiche andere Männer seines Standes. Die Komödie von Bach und Arnold handelt naturgemäß davon, wie die Sache eines Tages mit viel Gedöns auffliegt.

Auf den Komödienbühnen wie denen am Berliner Kudamm ist das Stück ein Evergreen, anders als dort aber lässt Fritsch den Quark breittreten. Er animiert seine Schauspieler zu surrealistischem Slapstick und aberwitzigen Schüttelkrämpfen, er setzt, anders als in früheren Regiearbeiten, nicht allein auf ruchlose Beschleunigung, sondern auch auf Phasen der Zerdehnung. Manchmal wird das ein bisschen fade, wenn Schauspieler wie Hans Schenker und Werner Eng kunstvoll langsam Käse reden. Dann aber kommt das Fest der Blödelei wieder sehr nett auf Touren.

In Frank Castorfs zuletzt ziemlich traurigem Haus feiern die Mütter und Väter der Klamotte eine Party. Sie sehen dabei ziemlich schafsköpfig drein, man sieht ihnen an, dass sie ein bisschen aus der Übung sind. Aber wenn Sophie Rois und Wolfram Koch sich anflöten und sie ihn "Schnurzelchen" nennt und er sie "Goldblatt", wenn die Perücken wippen und die Fäuste fliegen, dann ist die Stimmung gleich wieder topp und auf dem Siedepunkt. Und "Die spanische Fliege" erweist sich als genau der Komödienbrüller mit Kunstbeilage, auf den sehr viele Berliner Theaterfreunde lange, entbehrungsreiche Jahre gewartet haben.