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"Hahaha": Guck mal, wer da lacht

Foto: Marijan Murat/ dpa

Psychologie Die Gefahren des Gute-Laune-Zwangs

Immer sollen wir lächeln, in allem das Gute sehen, optimistisch in die Zukunft schauen: Positives Denken droht zum Zwang zu werden. "Zeit Wissen"-Autorin Anna Gielas beschreibt, warum Wissenschaftler empfehlen, auch schlechte Gefühle zuzulassen.

Die Ratgeber zum positiven Denken stapeln sich in Inge Hufers Bücherregal. Ganz oben liegt Sorge dich nicht, lebe! von Dale Carnegie, gleich darunter Rhonda Byrnes The Secret - das Geheimnis. Zahlreiche Eselsohren säumen die Seiten. Doch Hufer macht eine wegwerfende Bewegung. "Von wegen denk positiv!", sagt die 61-Jährige mit den raspelkurzen Haaren und eingefallenen Wangen. "Danach war mir nun wirklich nicht zumute, als die Diagnose kam."

Anfang 2009 erfuhr Hufer, sie habe Lungenkrebs. Ein Teil des linken Lungenflügels wurde entfernt, eine Chemotherapie angesetzt. Was der Kölnerin aber nach eigener Aussage mehr Kraft abverlangte als die schmerzhaften Behandlungen, waren die zahlreichen Ermahnungen zum positiven Denken: "Ärzte, Krankenschwestern, Freunde - alle hielten mir pausenlos vor, ich solle optimistisch sein", sagt Hufer. Als sie vor einem ihrer Ärzte zusammenbrach, erklärte dieser, ihre Einstellung sei wenig hilfreich, und empfahl ihr die Lektüre von Carnegie. Der Erfolg des Buches ließ die Patientin damals aufhorchen. 2,8 Millionen Mal hat sich der Klassiker des positiven Denkens hierzulande verkauft, über 1000 Wochen war er auf den Bestsellerlisten zu finden. "Ich dachte, wenn so viele das Buch gekauft haben, muss es helfen können", erzählt Hufer.

Glück

Für Byrnes Buch und andere Ratgeber entschied sich Hufer aufgrund deren ehrgeiziger Versprechen. Sie seien eine Bedienungsanleitung für ein glückliches und erfülltes Leben - und für jedermann geeignet, hieß es in den Buchbeschreibungen. Als bedienungsfreundlich stellte sich das für Inge Hufer jedoch nicht heraus: Trotz Lektüre und Lächeln ging es ihr nicht besser. Im Gegenteil. "Je mehr ich mich dazu zwang, positiv zu denken, desto leerer fühlte ich mich", erinnert sie sich.

Die Sache ist kompliziert. Zwar dokumentieren wissenschaftliche Untersuchungen die körperlichen und psychischen Vorzüge einer optimistischen Lebenshaltung. Was jedoch die förderlichen Folgen des positiven Denkens ins Gegenteil verkehren kann, ist der Zwang, dem sich viele Menschen aussetzen. Wie Inge Hufer versuchen sie krampfhaft, alle negativen Emotionen und Gedanken aus ihrem Alltag zu verbannen und am Glück festzuhalten. Für einige von ihnen ist dies sogar riskant: "Der Zwang zum positiven Denken kann beispielsweise für Opfer von Traumata schädlich sein", warnt Scott Lilienfeld, Psychologie-Professor an der amerikanischen Emory-Universität in Atlanta. Es sei wichtig, individuelle Unterschiede zu respektieren: "Ein Patentrezept für alle gibt es nicht."

Auf Inge Hufer lastete der Druck zum positiven Denken schwer: Nach dem Gefühl der Leere setzten bei ihr Selbstzweifel ein. War sie vielleicht ein so grundlegend pessimistischer Mensch, dass der Versuch, optimistisch zu bleiben, nicht nur aussichtslos war, sondern gar negative Emotionen wachrief? "Fragen und Zweifel dieser Art ließen mir keine Ruhe", sagt Hufer. Erst das vor Kurzem veröffentlichte Buch der Amerikanerin Barbara Ehrenreich machte ihr Mut.

In den USA gehört Ehrenreich zu den bekanntesten Autorinnen des Landes. Ihre Essays erscheinen regelmäßig in Printmedien wie der New York Times, ihre Bücher auf Bestsellerlisten. Hufer stolperte über den provokanten Titel ihrer Neuveröffentlichung: "Smile Or Die - Wie die Ideologie des positiven Denkens die Welt verdummt". Binnen zwei Tagen hatte sie das Buch fertig gelesen und fühlte sich zum ersten Mal seit mehr als zwei Jahren verstanden.

"Das Mantra des positiven Denkens war nichts für mich"

Ehrenreichs Lektüre bewegte Hufer dazu, sich von dem erzwungenen Optimismus loszusagen. Doch die Ratgeber dürfen in ihrem Bücherregal bleiben: "Sie sind eine Art Mahnmal: Auf dass ich mir nicht mehr einreden lasse, wie ich zu denken und zu fühlen habe!", erklärt Hufer. Sie habe nicht nur die schwerste Krankheit ihres Lebens gemeistert, sondern auch den schlimmsten Druck ihres Umfelds aushalten müssen.

Ähnliche Erfahrungen wie Hufer hat auch Ehrenreich machen müssen, nachdem bei ihr Brustkrebs diagnostiziert wurde. Die Familie und der Freundeskreis rieten der Autorin, die Krankheit zu umarmen, anzunehmen und als Geschenk zu betrachten. "Aber das Mantra des positiven Denkens war nichts für mich", sagt Ehrenreich. Sie zürnte gegen den Krebs. In ihrem Buch schildert sie, wie sie in einem Betroffenenforum über ihre Wut schrieb: Warum musste die Krankheit ausgerechnet sie treffen? Was hatte sie falsch gemacht? Die natürlichen Gefühle von Zorn und Hilflosigkeit ernteten harsche Kritik der anderen. Eine kommentierte: "Barbara, du solltest zum Psychiater gehen, nein, rennen, dich auf positive Gedanken bringen lassen und deinen Negativismus nicht hier im Forum verbreiten!"

Seit dieser Erfahrung ist Ehrenreich der Meinung, dass ein zwanghaft positives Denken intolerant gegenüber den Sorgen und Ängsten der Mitmenschen machen kann. Diese Gefühlslosigkeit anderen gegenüber werde durch entsprechende Ratgeberliteratur bekräftigt. Bücher wie Psychovampire: Über den positiven Umgang mit Energieräubern zum Beispiel, bieten Tipps gegen missmutige Mitmenschen.

Das Konzept des positiven Denkens wird hierzulande nicht nur durch Bücher vermittelt. Die Deutschen geben jährlich rund neun Milliarden Euro für Motivationskurse, Persönlichkeitsseminare und Workshops aus, die ihnen den Optimismus näherbringen sollen. Schon fünf Jahre alten übergewichtigen Kindern möchte man mit dem Erlernen einer positiven Denkweise Gutes tun.

Zu der anhaltenden Popularität des positiven Denkens hat im Laufe der vergangenen Jahre die Positive Psychologie beigetragen. Die Forscher dieser Disziplin wollen dem Glück wissenschaftlich auf die Spur kommen, damit es jeder Mensch lernen und langfristig genießen kann. Dieses Ziel gab Martin Seligman vor, der Begründer der neuen Forschungsrichtung.

Mitte der neunziger Jahre strich der Professor an der University of Pennsylvania in Philadelphia Neurosen und Psychosen von seiner Forschungsagenda, weil ihn die Arbeit frustrierte: "Selbst wenn ich meinen Patienten geholfen hatte, hatte ich aus ihnen keine positiven Menschen gemacht", sagt er. Die Schuld sieht Seligman in den psychoanalytisch orientierten Therapien: "Sie fordern, dass wir uns dem Schlimmsten zuwenden, dem, was uns krank gemacht hat."

Die Positive Psychologie dagegen will eine Brücke zwischen dem Konzept des positiven Denkens und der Forschung schlagen - und stößt auf starkes Interesse, sogar Regierungen wenden sich Rat suchend an Seligman. Sie wollen erfahren, wie man Bürger langfristig positiver und glücklicher stimmen kann. "Positive Psychologie kann uns helfen, eine neue Art der Aufklärung zu fördern", erklärte allen Ernstes ein schottischer Regierungsvertreter Ende 2006. Weltweit verlassen sich auch Schulen und andere pädagogische Einrichtungen auf Seligmans Empfehlungen, etwa die Heidelberger Willy-Hellpach-Schule, an der Glück ein Unterrichtsfach ist.

In den USA genießt die Positive Psychologie auch an bekannten akademischen Einrichtungen große Beliebtheit, darunter an der Harvard-Universität. Im Jahr 2006 war die Vorlesung des Positiven Psychologen Tal Ben-Shahar mit rund 900 Studenten die bestbesuchte. Die Veranstaltung versprach, ihre Teilnehmer in sechs Stufen zum Glück zu führen.

Ein anhaltendes Lächeln ist nicht erstrebenswert

Den Nepalesen Rajeev Mehta hat sie nicht weitergebracht. Der damals 23-jährige Physikstudent wollte in dem Kurs lernen, positiver und offener auf Dinge zuzugehen. "Ich bin generell ein sehr ängstlicher Mensch", sagt Mehta. Wenn er sich bemühte, im Vorfeld seiner Prüfungen positiv zu denken, schnitt er meistens schlechter ab als sonst.

Gerade Menschen mit Ängsten hilft es, sich vorzustellen, was alles schiefgehen könnte. Nicht das positive Denken, sondern ein defensiver Pessimismus kann ihnen aus der Unsicherheit helfen. Das zeigen die Studien von Julie Norem. Die Psychologin am Wellesley College im amerikanischen Cambridge macht in ihren Versuchen seit Mitte der achtziger Jahre vor allem eine Beobachtung: Wenn Personen mit Ängsten potenzielle Patzer und Pannen vorher ins Visier nehmen, gewinnen sie die Kontrolle und bringen sogar bessere Leistungen. "Die Konfrontation möglicher Probleme wirkt stärkend und beruhigt sie", erklärt Norem.

Für Rajeev Mehta ist der defensive Pessimismus mittlerweile zur wertvollen Hilfestellung geworden. Vor Prüfungen oder Konferenzen, in denen er Präsentationen halten muss, denkt er an Worst-Case-Szenarien: Gedächtnis-Blackouts, Wissenslücken, Fehler, sprachliche Missgeschicke. Je ausführlicher Mehta sich den Gänsehautfaktoren widmet, desto sicherer fühlt er sich, wenn es so weit ist. Angst spürt er viel seltener.

Generell dienen negative Emotionen wie Furcht einem wichtigen Zweck: Sie sind unverzichtbar, weil sie dem Einzelnen mitteilen, wie es um ihn steht. "Welchen Nutzen hätte ein Kompass, dessen Nadel bewegungslos auf Norden verharrt?", fragt Daniel Gilbert, Psychologe an der Harvard University. Wie die Kompassnadel hin und her schwingen muss, um nützlich zu sein, soll auch der Mensch verschiedene emotionelle Stadien durchschreiten können. Nachts allein durch eine finstere Gegend zu spazieren und dabei Glücksgefühle zu empfinden sei weder wünschens- noch empfehlenswert, so der Wissenschaftler.

Auch ein anhaltendes Lächeln ist nicht erstrebenswert, obgleich die Ratgeberliteratur es befürwortet. Carnegie etwa schreibt ihm die "größten und wirksamsten Heilkräfte" zu. Und Hermann Karstein, Autor des Buches Positive Thinking for Positive Living, empfiehlt: "Lächle, lächle, lächle!" Doch ein erzwungenes Lächeln garantiert keine positiven Gefühle.

Das zeigen die Untersuchungen des Neuropsychologen Richard Davidson und seiner Kollegen Paul Ekman und Wallace Friesen. Die drei Forscher befassen sich seit über 20 Jahren mit dem Lachen und seinen emotionalen Ursachen. Sie haben den Bewegungen von mehr als 100 Gesichtsmuskeln bestimmte Emotionen zugeordnet. In mehreren Studien seit 1990 stellten sie fest, dass künstliches Lächeln mit Aktivitäten jener Gehirnregionen korreliert, die negative Gefühle erzeugen. Ekman konnte auch zeigen, dass ein erzwungenes, oberflächliches Lächeln bei Probanden, die an einer koronaren Herzkrankheit leiden, mit einer Ischämie einhergehen kann, einer Unterversorgung des Herzens mit Sauerstoff, die zum Herzinfarkt führen kann. Nicht jedes Lächeln ist also qualitativ wertvoll und positiv.

Laura Berentz kennt die Nebenwirkungen des aufgesetzten Lächelns aus erster Hand. Die 31-Jährige arbeitet seit sieben Jahren als Stewardess und bezeichnet sich als Berufslächlerin. Zwar hat sie kein Problem zu lächeln, wenn Passagiere beleidigend werden, aber die erzwungene Positivität forderte ihren Tribut: "Ich wurde zornig, und das anhaltende Lächeln intensivierte meine Wut", berichtet die Stewardess.

So gut der Rat zum Lächeln auch gemeint sein mag: Für Laura Berentz ist er nicht umsetzbar. Und das ist auch gut so. Denn wer nicht dauergrinst, sondern sich mit seinen unangenehmen Gefühlen auseinandersetzt, tut seiner Psyche etwas Gutes. Das zeigen Studien von James Pennebaker, einem Psychologen an der University of Texas in Austin. Die Konfrontation mit dem Negativen solle schriftlich geschehen, rät Pennebaker. Er nennt es "expressives Schreiben". In zahlreichen Experimenten hat er festgestellt, dass dieses Schreiben, wenn es regelmäßig geschieht, Menschen nicht nur bei der Bewältigung ihrer negativen Emotionen helfen, sondern auch ihr Wohlbefinden fördern kann - und zwar langfristig.

Berentz hat es ausprobiert. Sie begann damit, über mehrere Tage hinweg jeweils 15 Minuten lang jene Erlebnisse mit Fluggästen aufzuschreiben, die sie besonders frustriert oder aufgeregt hatten. Dabei stellte sie nicht nur die Situation dar, sondern hielt auch ihre Gefühle und Gedanken fest. "Ich habe mich im Anschluss erleichtert und gut gefühlt", sagt sie. Die Konfrontation unangenehmer Gefühle durch das expressive Schreiben ist für sie heute ein Mittel, um die negativen Momente ihres Berufs zu überwinden.

Dabei sind negative Emotionen nicht unbedingt schädlich. Die Psychologin Barbara Fredrickson macht auf die feinen Unterschiede aufmerksam: Einige seien nicht nur normal, sondern notwendig für ein erfülltes Leben. Beispielsweise die Trauer um eine geliebte Person. Sie hilft, den Verlust zu akzeptieren.

In Fredricksons Büro an der University of North Carolina im amerikanischen Chapel Hill steht ein Bild von ihr mit dem Dalai Lama. Sie strahlen einander an. Der buddhistische Mönch bat die Psychologin im Mai dieses Jahres, mit ihm die Ergebnisse ihrer Forschung zu teilen. Fredrickson berichtete ihm von ihrer Unterscheidung zwischen positivem Denken und positivem Fühlen. "Positives Denken kann bisweilen zu positiven Gefühlen führen, aber gewiss nicht immer", sagt die Psychologin. Sie vergleicht es mit dem Tragen eines T-Shirts, auf dem "Das Leben ist schön!" steht. Der Satz kann erfreuliche Gefühle wecken, garantiert aber eben keine anhaltende Freude.

Fredrickson betont die Vergänglichkeit positiver Gefühle und kritisiert den Versuch, sie zwanghaft fest halten zu wollen. Das sei auch gar nicht nötig, sagt die Wissenschaftlerin. Denn obgleich diese Emotionen vorübergehend seien, könnten sie als persönliche Ressourcen wirken. Tiefe Glücksmomente erzeugen Re serven von Energie und Durchhaltevermögen. "Auf diese Weise können positive Affekte uns belastbar machen und uns nachhaltig stärken." Ganz ohne Zwang und Druck.