Urheberrechtsreform oder Protektionismus?

Der Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über das Urheberrecht im digitalen Binnenmarkt (kurz EU-Urheberrechsreform) wird online wie offline kontrovers diskutiert. Die Fronten zwischen Befürwortern und Gegner sind verhärtet und eine sachliche Diskussion über den vorgelegten Reformvorschlag scheint derzeit weder gewollt noch möglich zu sein.

Schaut man sich die Argumente der Befürworter der Urheberrechtsreform an, wundert es mich persönlich nicht, dass viele Künstler und Kreative diesen Standpunkten zustimmen. Aber geht es den Kreativverbänden, die sich für die Reform aussprechen, wirklich um das Urheberrecht oder hat man Angst vor der Marktmacht großer US-amerikanischer Plattformen?

Ich bezweifle, dass die vorgelegte Urheberrechtsreform die Marktdominanz dieser großen Plattformen schwächen wird – eher das Gegenteil wird der Fall sein, da außer Unternehmen wie Facebook (Instagram, WhatsApp usw.) oder Alphabet Inc. (Google Search, YouTube usw.) deutlich kleinere kommerzielle Angebote nicht in der Lage sein werden, die rechtlichen Vorgaben dieser Richtlinie zu erfüllen. Die Urheberrechtsreform wird eher zu Kooperationen, Zusammenschlüssen und Übernahmen – einer Konsolidierung des Marktes – und damit einer Stärkung großer Plattformen im Internet führen.

Neben den großen Plattformen gibt es, falls die Urheberrechtsreform unverändert beschlossen und durchgesetzt wird, eine zweite Gruppe von Gewinnern: die Verlage und große Medienkonzerne, wie die Bertelsmann, Vivendi oder Lagardère. Diese Reform stärkt nicht die Urheberrechte sondern die Nutzungsrechte. Nicht der Urheber profitiert, sondern der Verlag oder das Medienhaus, dass die Nutzungsrechte erworben hat. Besonders deutlich wird dies in Artikel 12:

Die Mitgliedstaaten können festlegen, dass für den Fall, dass ein Urheber einem Verleger ein Recht übertragen oder diesem eine Lizenz erteilt hat, diese Übertragung oder Lizenzierung eine hinreichende Rechtsgrundlage für den Verleger darstellt, einen Anteil am Ausgleich für die Nutzungen des Werkes zu beanspruchen, die im Rahmen einer Ausnahme oder Beschränkung in Bezug auf das übertragene oder lizenzierte Recht erfolgt sind.

Dieser Artikel würde, zumindest in Deutschland, die Ausschüttung der Verwertungsgesellschaft an die Verlage wieder einführen, die der Bundesgerichtshof 2012 für rechtswidrig erklärt hat. Weitere Gründe, die aus Sicht des Berufsverband freier Journalistinnen und Journalisten (:Freischreiber) gegen die Urheberrechtsreform und insbesondere Artikel 12 sprechen, finden sich hier.

Der Grund für das politische Engagement vieler Kreativen, Künstler, Autoren und Musiker für diese Urheberrechtsreform scheint auch in der Ablehnung großer kommerzieller und insbesondere US-amerikanischer Plattformen und Netzwerke wie Facebook, YouTube und Amazon zu liegen. Aber hilft die Reform die eigentliche Ursache – das veränderte Konsumentenverhalten – zu ändern? Die Zeiten von VHS und linearen Fernsehen sind vorbei. Filme und Bücher sind inzwischen sofort und auf Abruf verfügbar. Man muss nicht mehr warten, bis ein Film im Kino war und ein deutscher TV-Sender die Senderechte erworben hat. Ähnlich sieht es auch bei der Veröffentlichung von Musik und Büchern aus.

Dass US-Plattformen wie Amazon, iTunes oder Netflix so erfolgreich sind, liegt auch darin, dass europäische Anbieter diesen Wandel verschlafen haben. Jetzt nach einem Schutz des europäischen Marktes vor den US-Wettbewerbern zu fordern zeigt nur, wie hilflos man hierzulande ist. Man hat damals die Digitalisierung der Medienbranche schlicht verschlafen und den Markt den US-Startups überlassen.

Ein weiterer Punkt ist, dass das Internet mit neuen Medienangebote wie Blogs, Podcasts, Videoportale und Streaming-Diensten das Veröffentlichen von Inhalten demokratisiert hat. Verleger, Plattenlabel oder Filmgesellschaften sind keine Torwächter mehr – jeder kann seine Texte, seine Musik, seine Talkshows oder Filme im Internet publizieren und dies, wie das Beispiel des Vloggers LeFloid zeigt, sehr erfolgreich. Die Folge ist, dass gerade junge Menschen aus der werberelevanten Zielgruppe nicht mehr das ZDF oder RTL einschalten sondern per Smartphone, Tablet oder PC sich die Sendungen auf Videoportalen wie YouTube anschauen.

Dieser Kulturkampf, gerade gegen YouTube, hat nichts mit Urheberrechten zu tun. Es geht hier um kommerzielle Interessen und um klassischen Protektionismus. Denn viele der Menschen, die auf YouTube oder Vimeo veröffentlichen sind Urheber im klassischen Sinn und eine Konkurrenz für das lineare TV-Angebot europäischer Medienkonzerne.

Diese Diskussion über das Urheberrecht zeigt nicht nur den Konflikt zwischen US-amerikanischen beziehungsweise globalen Medienkonzernen auf der einen und europäischen (insbesondere französischen und deutschen) Medienkonzernen auf der anderen Seite. Auch der Konflikt zwischen „alten“ und „neuen“ Medien und innerhalb der kreativen Szene wird deutlich: auf der einen Seite die klassischen künstlerischen und kreativen Berufe wie Schauspieler, Regisseure, Drehbuchautoren, Autoren, Journalisten etc. und auf der anderen Seite Blogger, Vlogger, Podcaster, die oft autodidaktisch ihre Kunst erlernt haben und erst durch das Internet, Plattformen wie YouTube und WordPress Reichweite erreichen – ohne Verlage, ohne Labels und ohne Künstleragenturen. Das Internet hat die “barriers of entry” gesenkt und somit die Karten neu gemischt.

Die Urheberrechtsreform, die die Rechte zur Nutzung urheberrechtlich geschützter Werke stärkt, scheint ein Versuch zu sein, das Rad der Zeit zurückzudrehen und die kommerzielle und rechtliche Macht der Verlage und Medienkonzerne – auch gegenüber den Urhebern – zu stärken. Es geht darum, wer die Verbreitung von Informationen, Kunst und Kultur kontrolliert und reglementiert. Ein freies Internet und unabhängige technische Plattformen wie Videoportale, Streaming-Dienste und Blogs stehen im Konflikt zu den kommerziellen Interessen großer privater Medienkonzerne. Dies zeigt sich insbesondere in den Artikeln 11, 12 und 13, die die Rechte der Urheber und Nutzer deutlich einschränken werden.

Diese Urheberrechtsreform wird das Internet, wie wir es kennen, verändern, die Rechte der Urheber einschränken. Aus diesem Grund gehen europaweit am 23. März die Menschen unter dem Motto Safe the Internet auf die Straße um für ein freies Internet zu demonstrieren.

Was die Appeasementpolitik gegenüber Nordkorea für Europa bedeutet

Nordkorea – ein Land weit, weit weg. Trotzdem könnte dieses Treffen zwischen Donald Trump und Kim Jong Un für Europa und die NATO ganz andere Folgen haben. Im Rahmen der Gespräche mit Nordkorea kündigte Trump an, dass die USA die gemeinsamen Militärmanöver mit Südkorea beendenden würde. Ein Zugeständnis an Nordkorea, welches diese Manöver als militärische Aggression betrachtet hat oder gibt es einen anderen – innenpolitischen – Grund für dieses Zugeständnis an Nordkorea?

Trump betrachtet Politik als ein wirtschaftliches Geschäft: Es gibt gute Deals bei denen die USA aus seiner Sicht profitiert und es gibt schlechte Deals: Deals, bei denen die USA zahlt ohne das es einen – für Trump – erkennbaren Mehrwert gibt. Die US-südkoreanischen Manöver sind ein solcher schlechter Deal. Trump hat bereits in der Vergangenheit angemerkt, dass die Kostenbeteiligung Südkoreas nicht hoch genug sei und die USA den Großteil der Kosten der militärischen Übung tragen muss.

Die de facto einseitige Aufkündigung gemeinsamer Manöver aus Kostengründen dürfte für die NATO ein Warnzeichen sein. Trump, der schon mehrfach kritisiert hat, dass die europäischen Bündnispartner nicht ihren finanziellen Verpflichtungen nachkommen, könnte dies als Anlass nehmen das militärische Engagement der USA in Europa zu reduzieren.

Appeasement gegenüber Autokraten und Diktatoren auf Kosten langjähriger Verbündeten? Dies scheint die aktuelle US-Außenpolitik zu sein und es wäre daher nicht verwunderlich wenn Trump – als Zeichen des Friedens – auch auf Putin zugehen und weitreichende Zugeständnisse machen würde: ein Ende der Sanktionen gegen Russland, ein Ende der NATO-Militärmanöver in Osteuropa.

Doch was bedeutet dies für die europäischen Verbündeten? Etwa, dass Trump die europäisch-amerikanischen Beziehungen aufkündigt und lieber auf den starken Mann im Osten setzt und die US-Wirtschaft im Gegenzug Zugang zum russischen Binnenmarkt erhält? Aus Sicht von Trump wäre dies „a good deal for the US“ und nur in diesen Dimensionen denkt der derzeitige Präsident der Vereinigten Staat.

Spaß mit Zahlen – Kommunalwahl in Kiel

Kiel hat gewählt und das einstmals rote Landeshauptdorf ist inzwischen ganz schön bunt. Nicht nur gesellschaftlich sondern auch politisch. In der Kieler Ratsversammlung sitzen neben SPD, CDU, Grünen, der FDP und dem SSW auch Die Linke, die AfD sowie die Piraten und die PARTEI.

Kiel2018_Wahlergebnis

Interessanter als das amtliche Endergebnis sind die Gewinne und Verluste in absoluten Zahlen. Welche Partei hat wie viele Wählerstimmen gewinnen und welche Partei hat die Wählerinnen und Wähler nicht überzeugen können. Diese Zahlen sehen doch etwas anders aus als es das Wahlergebnis vermuten lässt.

Kiel2018_GuV

Die Gewinner dieser Kommunalwahl sind eindeutig die Grünen, die Linke, die FDP und die PARTEI. Selbst die Sozialdemokraten konnten knapp 1.000 Wähler mehr überzeugen als vor fünf Jahren. Deutlich verloren haben die Piraten und die CDU. Interessant ist auch die Entwicklung der letzten 10 Jahre. Während die Kieler Sozialdemokraten eine relativ stabile Basis haben, hat die CDU in Kiel deutlich an Boden verloren. Sowohl die Linke als auch die FDP konnten sich in den letzten fünf Jahren erholen während die Grünen sich als dritte politische Kraft etablieren.

Kiel2010-2018

Mit neun Parteien in der Kieler Ratsversamnmlung werden die nächsten Jahre sicherlich spannend werden. Jetzt müssen Mehrheiten gefunden werden um die Stadtpolitik in den kommenden Jahren zu gestalten. Von der Schaffung von neuen Wohnraum, dem Kampf gegen Stickoxide und gegen drohende Fahrverbote für Diesel-PKWs bis hin zur StadtBahn existieren genügend Themen die die Ratsfrauen und Ratsherren beschäftigen werden.

Gedanken zum Ergebnis der Sondierungsgespräche

Nach der Lektüre der Ergebnisse der Sondierungsgespräche zwischen Union und SPD bin ich ratlos. In dem Papier wird eine Fortführung der Politik der großen Koalition beschrieben. In einigen Punkten konnte die SPD ihre Akzente setzen, in anderen Punkten ist klar und deutlich die Handschrift der Union zu erkennen. Was mir persönlich fehlt ist eine Zukunftsvision für Deutschland.

Bedenkt man das Wahlergebnis der SPD von 20,5 Prozent, so sind die vereinbarten Punkte zumindest ein Achtungserfolg für die SPD:

  • Rückkehr zur paritätischen Finanzierung in der GKV
  • Abschaffung des Kooperationsverbot
  • Grundrente nach 35 Beitragsjahren
  • Stärkung des BaföG
  • Förderung des Wohnungsbau
  • Bekämpfung der Kinderarmut

Dass die SPD nicht alle ihre Wahlversprechen umsetzen kann, sollte jedem von uns klar sein. Das Wahlergebnis gewährt der Partei auch wenig Spielraum um große Forderungen durchzusetzen. Die SPD ist nun einmal Juniorpartner und dies hat sich die Parteiführung mit ihrer Wahlkampfstrategie selbst zuzuschreiben.

Auf der anderen Seite ist das Ergebnis der Sondierungsgespräche im Einklag mit dem Aufsatz, „Sehnsucht nach Heimat“, den Sigmar Gabriel Mitte Dezember im Spiegel veröffentlichte. Wer glaubt, dass die SPD ihre politischen Positionen aufgegeben hat, dem empfehle ich den Beitrag von Gabriel nochmals zu lesen. Das Ergebnis der Sondierungsgespräch folgt mehr oder weniger den Vorgaben des ehemaligen Parteivorsitzenden.

Hier stellt sich mir jedoch eine ganz andere Frage: welche politische Rolle spielt Martin Schulz überhaupt? Mir scheint es eher so, dass die graue Eminenz Gabriel den Kurs der Partei vorgibt und Schulz als Galionsfigur Wind und Wellen (der Basis) ausgesetzt ist.

„Umwelt- und Klimaschutz waren uns manchmal wichtiger als der Erhalt unserer Industriearbeitsplätze, Datenschutz war wichtiger als innere Sicherheit“

Nun zu den Kritikpunkten – Datenschutz ist seit der Verabschiedung der EU Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO), die am 25. Mai in Kraft tritt, kein großes politisches Thema mehr. Auch scheint dies kein Thema zu sein auf das Gabriel setzt, der kritisiert, dass der Partei der Datenschutz wichtiger als die innere Sicherheit war. Nicht viel anders sieht es beim Umwelt- und Klimaschutz, der ebenfalls nicht zu den Kernthemen der SPD gehört. Gerade landespolitisch setzt sich die SPD, insbesondere in Brandenburg (und auch in Nordrhein-Westfalen), politisch für den Abbau der Braunkohle ein. Wer wirklich erwartet, dass sich die Sozialdemokraten für mehr Umwelt- und Klimaschutz, für Datenschutz und Bürgerrechte einsetzen, der ist politisch mehr als nur naiv.

Obwohl in diesem Papier die Handschrift der SPD klar erkennbar ist, sind viele Sozialdemokraten enttäuscht. Warum? Die Positionen des Parteivorstands zu Themen wie CETA, Vorratsdatenspeicherung, Braunkohle, zum Erhalt der Automobilindustrie sind lange bekannt und werden regelmäßig, sowohl intern wie auch extern, kritisiert. Falls sich die Delegierten des Sonderparteitags für die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen aussprechen sollten, ist eine Austrittswelle von enttäuschten Mitgliedern zu befürchten.

Doch was sind die Optionen? Sollte es zu Neuwahlen kommen glaube ich kaum, dass sich das Wahlergebnis großartig ändern wird. Es besteht sogar die Gefahr, dass die SPD unter 20 Prozent rutschen könnte. Eine Minderheitsregierung mit wechselnden Mehrheiten ist, für die Sozialdemokraten, ebenfalls ein politischer GAU. Erfolge werden dem politischen Geschick Merkels zugeschrieben, Misserfolge gehen zu Lasten der Opposition, die sich nicht einigen konnte und politisch das Land blockiert. Merkel wird dann, zu einem für die Union günstigen Zeitpunkt, die Vertrauensfrage verlieren und es kommt zu Neuwahlen. Wahlsieger ungewiss, aber ich würde eine Kiste Wein auf Schwarz-Grün setzen.

Und die SPD? Die wird sich, unabhängig von der Entscheidung pro oder kontra Koalitionsverhandlungen, erst einmal inhaltlich und personell neu aufstellen müssen. Der letzte politische Erfolg fand 1998 statt, als Schröder die Wahl gegen Kohl gewann und Rot-Grün die politische Verantwortung übernahm. Seitdem träumen die Sozialdemokraten von alter Größe und ignorieren dabei, dass sich Deutschland wirtschaftlich, politisch und auch gesellschaftlich weiterentwickelt hat. Das Zeitalter der Industrialisierung endete mit der Automatisierung der Industrie. Inzwischen reden wir von der Digitalen Revolution, nur die SPD lebt noch von ihrer Sehnsucht nach längst vergangenen Tagen. Antworten auf die aktuellen Herausforderungen haben die Sozialdemokraten – nicht nur in Deutschland – derzeit nicht.

Warum das Ergebnis der Sondierungsgespräche gut für Deutschland ist? Weil eine Mehrheit der Bürger und Wähler große Veränderungen scheut und lieber stabile und verlässliche Verhältnisse hat. Das Problem der SPD ist nicht die Große Koalition sondern die eigene Parteiführung, die es nicht schafft politische Erfolge den Bürgern zu vermitteln. Der letzte Wahlkampf war ein Fiasko. Der zögerliche und sehr späte Verzicht Gabriels auf die Kanzlerkandidatur hat ebenfalls nicht geholfen und auch seine innerparteilichen Querschüsse untergraben die Glaubwürdigkeit der Partei.

Warum die „Charta der Digitalen Grundrechte“ folgenlos bleibt

Eine Charta der Digitalen Grundrechte der Europäischen Union hört sich im ersten Moment gut an, doch je länger ich mich mit dieser Digitalcharta beschäftige, desto skeptischer werde ich.

Eine Gruppe von Journalisten, Professoren, Politikern und Aktivisten hat 14 Monate über der uns nun vorliegenden Charta gesessen und dabei einen germanozentrischen Entwurf präsentiert, der in erster Linie die deutsche Sicht der Dinge zementieren will. Was fehlt, ist der europäische Aspekt, denn was Themen wie Datenschutz, Transparenz etc. betrifft, gehen die Ansichten in Europa sehr weit auseinander.

Wer eine Diskussion über eine europäische Digitalcharta anstoßen will, der sucht erst das Gespräch mit seinesgleichen in den anderen europäischen Ländern und erarbeitet gemeinsam mit diesen einen Entwurf, der dann in allen 24 Amts- und Arbeitssprachen der Öffentlichkeit vorgestellt wird. Dem folgt eine öffentliche Debatte und danach zeigt es sich, wie eine solche „Charta der Digitalen Grundrechte der Europäischen Union“ aussehen könnte und ob eine solche überhaupt mehrheitsfähig ist. Als jemand, der das Ausarbeiten, die Ratifizierung und das Scheitern des Vertrag über eine Verfassung für Europa miterlebt hat, habe ich jedoch Zweifel, dass eine solche Digitalcharta – insbesondere wie wir uns diese vorstellen – verabschiedet wird.

Das ausgerechnet aus Deutschland, welches in Europa das Schlusslicht bei der Digitalisierung ist, der Vorschlag einer Charta der Digitalen Grundrechte kommt, ist ein Zeichen für die deutsche Überheblichkeit. Hier wurde einmal mehr das Pferd von hinten aufgezäumt.

Es ist schade, dass eine prinzipiell gute Idee in den Sand gesetzt wird. Eine solche Charta muss eine europäische Initiative sein, denn ein deutscher Alleingang hilft in Europa niemanden.

Autoritarismus ist keine Alternative (für Deutschland)

Egal ob Donald Trump, Recep Tayyip Erdogan oder Wladimir Putin – weltweit ist der Autoritarismus auf dem Vormarsch. Auch in Deutschland gibt seit ein paar Jahren eine Partei, die ein autoritäres System etablieren will.

Verschiedene Merkmale, die für autoritäre Regime typisch sind, treffen eindeutig auf die Alternative für Deutschland (AfD) zu:

  1. Bestimmte ethnische Gruppen (Migranten, Muslime) sollen von der politischen Partizipation ausgeschlossen werden und keine demokratischen Rechte besitzen.
  2. Oppositionelle, die diese Politik in Frage stellen und bekämpfen, sollen ebenfalls von der politischen Partizipation ausgeschlossen werden.
  3. Emotionale Legitimationsformen durch eine affektive Identifikation mit der Partei (AfD).
  4. Plebiszitäre Beteiligungsformen sollen dabei helfen, die Unterstützung des Volkes zu sichern.

Eine Partei mit solchen Merkmalen ist keine Alternative für Deutschland sondern Gift für unsere freiheitliche, liberale und demokratische Gesellschaft. Die AfD lehnt die multikulturelle Gesellschaft, Religions- und Pressefreiheit, sexuelle Selbstbestimmung und Emanzipation der Frau offen ab. Diese Partei träumt von einer Kulturrevolution, die die gesellschaftliche Entwicklung um Jahrzehnte zurückdreht.

Wähler sind mündige Bürger und wer die AfD wählt, der entscheidet sich bewusst für diese Partei und ihre politischen Ziele. Eine Partei, die ausschließlich eine Bevölkerungsgruppe unter Pauschalverdacht stellt und zum Sündenbock macht, stellt unseren Rechtsstaat und unsere Demokratie infrage.

Wer die AfD nicht ausgrenzen will, verkennt die politische Radikalität dieser Partei. Ich persönlich sehe daher keinerlei Grundlage für ein politisches oder gesellschaftliches Entgegenkommen. Die AfD lehnt Deutschland ab und ich – als Deutscher – lehne die AfD ab.

Böse USA, gutes Russland?

Derzeit ist es en vogue die Vereinigten Staaten von Amerika kritisch zu betrachten und das ehemalige Feindbild Russland zu hofieren. Wladimir Wladimirowitsch Putin: der starke Mann, unter dem Russland wieder auf dem Weg zur Weltmacht ist.

Russlands Kriege

Man kann politisch geteilter Meinung sein, was die Außenpolitik der USA betrifft aber die Außenpolitik Russlands ist keinen Deut besser. Während man die Intervention der westlichen Staaten im damaligen Jugoslawien, im Irak oder in Libyen verurteilt, werden Russlands militärische Interventionen geflissentlich übersehen:

  • 1. Tschetschenienkrieg (1994 bis 1996)
  • 2. Tschetschenienkrieg (1999 bis 2009)
  • Vorstoß nach Pristina (Juni 1999)
  • Dagestankrieg (August 1999 bis September 1999)
  • Kaukasuskrieg (August 2008)
  • Annexion der Krim (März 2014)
  • Militärische Intervention in der Ukraine (seit Februar 2014)
  • Militärische Intervention in Syrien (seit September 2015)

Die NATO-Osterweiterung

In Diskussionen wird oft die NATO-Osterweiterung als Affront gegen Russland betrachtet. Hierbei wird jedoch ignoriert, dass es sich um souveräne Staaten handelt, die der NATO beigetreten sind. Kann und darf man unabhängigen Staaten eine Mitgliedschaft in der NATO verweigern? Insbesondere wenn man bedenkt, welche Erfahrungen diese Länder mit Russland beziehungsweise der damaligen Sowjetunion gemacht haben? Dass diese Ängste nicht unbegründet sind, hat die russische Annexion der Krim beziehungsweise die Intervention in der Ukraine deutlich gezeigt.

Bündnisse mit Nationalisten

Politisch spielt Putin ein doppeltes Spiel indem er rechtsextreme Parteien wie die französische Front National mit Krediten finanziert. Auch die UK Independence Party, die den EU-Austritt Großbritanniens befürwortet, wird vom Kreml unterstützt. Selbst die AfD-Jugend sucht die Nähe zu Putin.

Der Kreml unterstützt Gruppierungen und Parteien, die sich sehr deutlich gegen die europäische Einheit und gegen die NATO aussprechen. Das angeblich so antifaschistische Russland unterstützt rechtspopulistische und -extreme Parteien, die unsere Werte wie Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit und Wahrung der Menschenrechte ablehnen. Es geht Putin darum unsere Demokratie von innen heraus zu schwächen.

Aus diesem Grund betrachte ich die Appeasement-Politik gegenüber Russland sehr kritisch. Putin ist kein lupenreiner Demokrat sondern ein waschechter Autokrat und dass nationalistische Parteien, wie die Alternative für Deutschland, die Front National oder Lega Nord die Nähe zu Putin suchen, dürfte niemanden überraschen.

Oder um Johann Wolfgang von Goethe zu zitieren:

Sage mir, mit wem du umgehst, so sage ich dir wer du bist!

Eine Monty-Pythonesque AfD-Fraktion

In Stuttgart zog die AfD mit 23 Abgeordneten in den Landtag, doch innerparteiliche Differenzen führten zur Spaltung der Fraktion.

Viele werden sich jetzt fragen, wie sich die neue Fraktion um Jörg Meuthen in Zukunft nennen wird – wird es neben der Fraktion der Alternative für Deutschland, frei nach Monty Python, eine Fraktion der Deutschländischen Alternativen geben?

Oder treten die Abtrünnigen AfDler in Zukunft als UAfD (Unabhängige Alternative für Deutschland) auf? Eine weitere Option wäre Wahre Alternative für Deutschland oder Provisorische Alternative für Deutschland.

Vermutlich ist die Alternative für Deutschland nur eine Politsatire von Martin Sonneborn und Jan Böhmermann und wir alle – insbesondere die Wähler – sind dem Projekt der beiden Satiriker gehörig auf dem Leim gegangen.

Nobody expects the Brexit

Tag drei nach dem britischen Referendum über den Verbleib bzw. Austritt aus der Europäischen Union und langsam festigt sich das Gefühl, dass dieses Referendum eine innenpolitische Farce ist.

Bezüglich dem Referendum herrschen einige Unklarheiten, denn es ist nicht bindend sondern hat für die Regierung nur einen empfehlenden Charakter. Auch ist derzeit unklar, ob Schottland ein Veto-Recht hat. Ebenso scheint die Regierung die Zustimmung des Unterhauses zu benötigen, bevor einen Austritt nach Artikel 50 des Vertrags über die Europäische Union beantragt werden kann.

Inzwischen existiert eine Petition, die ein zweites Referendum fordert. Die notwendige Hürde von 100.000 Petenten, damit sich das britische Parlament mit dem Anliegen befassen muss, wurde bereits genommen (die die Petition endet erst in 6 Monaten).

Ich befürchte, dass den Befürwortern des Brexit erst jetzt deutlich wird, welche innen- und außenpolitische Konsequenzen ein Austritt aus der EU für Großbritannien haben wird. Das vereinigte Königreich ist gespalten: Schottland und Nordirland haben sich zur EU bekannt und durch die Gesellschaft geht ein tiefer parteiübergreifender Riss zwischen Jung und Alt, Stadt- und Landbevölkerung, Proeuropäern und Nationalisten.

Außenpolitisch verliert Großbritannien durch einen EU-Austritt an Bedeutung. Für die USA wäre Downing Street nicht mehr bevorzugter Ansprech- und Bündnispartner und auch die Commenwealth-Staaten würden sich einen neuen Partner in Europa suchen. Sollten Schottland und/oder Nordirland aus dem Vereinigten Königreich austreten, würde London weiter an geopolitischer Bedeutung verlieren. Dann stellt sich auch die Frage, mit welcher Berechtigung das Königreich von England und Wales einen ständigen Sitz im Weltsicherheitsrat hat.

Wie geht es weiter? Weder das Europäische Parlament noch der Rat können Großbritannien zum Austritt zwingen und Boris Johnson hat bereits angekündigt, dass keine Eile besteht, die Austrittsverhandlungen nach Art. 50 EU zu beginnen. Johnson will das Referendum nutzen um für Großbritannien einen besseren Deal mit der EU auszuhandeln. Bedenkt man jedoch die Reaktionen in Brüssel, Paris, Berlin und anderen europäischen Hauptstädten, kann man davon ausgehen, dass Johnson sich verspekuliert hat. Verhandlungen wird es erst dann geben, wenn Großbritannien seinen Austritt erklärt. Doch was passiert, wenn London diesen Antrag nicht stellt?

Was passiert wenn der Brexit an Schottland oder am Votum des Unterhaus scheitert? Wird es dann Neuwahlen geben, welche Parteien werden diese gewinnen und welche Konsequenzen wird dies für Großbritannien, die EU und auch Schottland, Nordirland und Gibraltar haben?

David Cameron und Boris Johnson haben aus unterschiedlichen Gründen hoch gepokert. Die erste Spiel ging an Johnson aber wer den Pot gewinnt, das weiß derzeit noch niemand.

Die selbstverschuldete Milchkrise

Mit dem Fall der Milchquote fielen auch die Milchpreise. Diese Erfahrung müssen derzeit viele Milchbauern machen. Doch die „Milchkrise“ ist letztlich eine selbstverschuldete Krise.

In den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts führte die steigende Milchproduktion in der damaligen Europäischen Gemeinschaft zu „Milchseen“ und „Butterbergen“. Um den Milchmarkt zu regulieren, wurde die Milchquote eingeführt: Reduzierung der Milchmenge und somit stabile Preise für die Bauern.

Mit der Reform der EU-Agrarpolitik wurde zum 1. April 2015 die Milchquote abgeschafft. Die Bauern reagierten und investierten. Die Bauern gingen davon aus, dass ohne die Quote und Aufgrund der Nachfrage am Weltmarkt, ordentliche Gewinne und Profite möglich wären.

Überproduktion statt satte Profite

Es kam jedoch anders als viele Bauern dachten. Mit dem Ende der Quote stieg die Produktion, doch die Nachfrage blieb aus. Stattdessen sanken die Preise auf durchschnittlich 27,21 Cent pro Kg angelieferte Kuhmilch. Die Folge? Statt Profiten häuften sich die Schulden und viele Bauern stehen vor dem finanziellen Ruin. Die Milchbauern haben sich, beim Ausbau der Ställe beziehungsweise Produktionskapazitäten, verkalkuliert und sind inzwischen völlig überschuldet. 

Politisch stellt sich derzeit die Frage, ob der Steuerzahler für die Fehlspekulation der Bauern aufkommen soll oder ob diese selbstverschuldete Milchkrise genutzt wird um längst überfällige Strukturreformen durch- und umzusetzen.

Low-Input statt High-Input

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Um den Milchpreis zu stabilisieren hilft nur eine Drosselung der Produktion und dies lässt sich entweder durch die Einführung einer europaweiten Quote oder durch eine Umstellung von der Stall- auf die Weidewirtschaft realisieren.

Die Umstellung auf eine Low-Input Weidehaltung wäre eine kostengünstige und auch umweltschonende Alternative für die Milchbauern. Im Gegensatz zu einer Holstein-Friesian, die es auf bis zu 12.000 kg Milch pro Jahr bringt, sind Jersey oder ähnliche Rassen (ca. 6.000 kg Milch) für die Weidehaltung deutlich besser geeignet. Der Vorteil der Low-Input Weidewirtschaft ist, dass man auf Kraftfutter (importiertes Getreide und Soja) verzichten kann. Die Kosten pro kg Milch sinken und damit werden die Betriebe auch wieder wettbewerbsfähiger.

Zugegeben: die Milchproduktion sinkt. In Anbetracht der aktuellen Überproduktion wird die geringere Milchleistung kurzfristig durch geringere Kosten (insbesondere für Futtermittel) und mittelfristig durch höhere Milchpreise kompensiert. Nicht nur für die Landwirte, auch für die Verbraucher und letztlich für die Tiere ist ein Strukturwandel in der Milchwirtschaft dringend notwendig.