Der Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über das Urheberrecht im digitalen Binnenmarkt (kurz EU-Urheberrechsreform) wird online wie offline kontrovers diskutiert. Die Fronten zwischen Befürwortern und Gegner sind verhärtet und eine sachliche Diskussion über den vorgelegten Reformvorschlag scheint derzeit weder gewollt noch möglich zu sein.
Schaut man sich die Argumente der Befürworter der Urheberrechtsreform an, wundert es mich persönlich nicht, dass viele Künstler und Kreative diesen Standpunkten zustimmen. Aber geht es den Kreativverbänden, die sich für die Reform aussprechen, wirklich um das Urheberrecht oder hat man Angst vor der Marktmacht großer US-amerikanischer Plattformen?
Ich bezweifle, dass die vorgelegte Urheberrechtsreform die Marktdominanz dieser großen Plattformen schwächen wird – eher das Gegenteil wird der Fall sein, da außer Unternehmen wie Facebook (Instagram, WhatsApp usw.) oder Alphabet Inc. (Google Search, YouTube usw.) deutlich kleinere kommerzielle Angebote nicht in der Lage sein werden, die rechtlichen Vorgaben dieser Richtlinie zu erfüllen. Die Urheberrechtsreform wird eher zu Kooperationen, Zusammenschlüssen und Übernahmen – einer Konsolidierung des Marktes – und damit einer Stärkung großer Plattformen im Internet führen.
Neben den großen Plattformen gibt es, falls die Urheberrechtsreform unverändert beschlossen und durchgesetzt wird, eine zweite Gruppe von Gewinnern: die Verlage und große Medienkonzerne, wie die Bertelsmann, Vivendi oder Lagardère. Diese Reform stärkt nicht die Urheberrechte sondern die Nutzungsrechte. Nicht der Urheber profitiert, sondern der Verlag oder das Medienhaus, dass die Nutzungsrechte erworben hat. Besonders deutlich wird dies in Artikel 12:
Die Mitgliedstaaten können festlegen, dass für den Fall, dass ein Urheber einem Verleger ein Recht übertragen oder diesem eine Lizenz erteilt hat, diese Übertragung oder Lizenzierung eine hinreichende Rechtsgrundlage für den Verleger darstellt, einen Anteil am Ausgleich für die Nutzungen des Werkes zu beanspruchen, die im Rahmen einer Ausnahme oder Beschränkung in Bezug auf das übertragene oder lizenzierte Recht erfolgt sind.
Dieser Artikel würde, zumindest in Deutschland, die Ausschüttung der Verwertungsgesellschaft an die Verlage wieder einführen, die der Bundesgerichtshof 2012 für rechtswidrig erklärt hat. Weitere Gründe, die aus Sicht des Berufsverband freier Journalistinnen und Journalisten (:Freischreiber) gegen die Urheberrechtsreform und insbesondere Artikel 12 sprechen, finden sich hier.
Der Grund für das politische Engagement vieler Kreativen, Künstler, Autoren und Musiker für diese Urheberrechtsreform scheint auch in der Ablehnung großer kommerzieller und insbesondere US-amerikanischer Plattformen und Netzwerke wie Facebook, YouTube und Amazon zu liegen. Aber hilft die Reform die eigentliche Ursache – das veränderte Konsumentenverhalten – zu ändern? Die Zeiten von VHS und linearen Fernsehen sind vorbei. Filme und Bücher sind inzwischen sofort und auf Abruf verfügbar. Man muss nicht mehr warten, bis ein Film im Kino war und ein deutscher TV-Sender die Senderechte erworben hat. Ähnlich sieht es auch bei der Veröffentlichung von Musik und Büchern aus.
Dass US-Plattformen wie Amazon, iTunes oder Netflix so erfolgreich sind, liegt auch darin, dass europäische Anbieter diesen Wandel verschlafen haben. Jetzt nach einem Schutz des europäischen Marktes vor den US-Wettbewerbern zu fordern zeigt nur, wie hilflos man hierzulande ist. Man hat damals die Digitalisierung der Medienbranche schlicht verschlafen und den Markt den US-Startups überlassen.
Ein weiterer Punkt ist, dass das Internet mit neuen Medienangebote wie Blogs, Podcasts, Videoportale und Streaming-Diensten das Veröffentlichen von Inhalten demokratisiert hat. Verleger, Plattenlabel oder Filmgesellschaften sind keine Torwächter mehr – jeder kann seine Texte, seine Musik, seine Talkshows oder Filme im Internet publizieren und dies, wie das Beispiel des Vloggers LeFloid zeigt, sehr erfolgreich. Die Folge ist, dass gerade junge Menschen aus der werberelevanten Zielgruppe nicht mehr das ZDF oder RTL einschalten sondern per Smartphone, Tablet oder PC sich die Sendungen auf Videoportalen wie YouTube anschauen.
Dieser Kulturkampf, gerade gegen YouTube, hat nichts mit Urheberrechten zu tun. Es geht hier um kommerzielle Interessen und um klassischen Protektionismus. Denn viele der Menschen, die auf YouTube oder Vimeo veröffentlichen sind Urheber im klassischen Sinn und eine Konkurrenz für das lineare TV-Angebot europäischer Medienkonzerne.
Diese Diskussion über das Urheberrecht zeigt nicht nur den Konflikt zwischen US-amerikanischen beziehungsweise globalen Medienkonzernen auf der einen und europäischen (insbesondere französischen und deutschen) Medienkonzernen auf der anderen Seite. Auch der Konflikt zwischen „alten“ und „neuen“ Medien und innerhalb der kreativen Szene wird deutlich: auf der einen Seite die klassischen künstlerischen und kreativen Berufe wie Schauspieler, Regisseure, Drehbuchautoren, Autoren, Journalisten etc. und auf der anderen Seite Blogger, Vlogger, Podcaster, die oft autodidaktisch ihre Kunst erlernt haben und erst durch das Internet, Plattformen wie YouTube und WordPress Reichweite erreichen – ohne Verlage, ohne Labels und ohne Künstleragenturen. Das Internet hat die “barriers of entry” gesenkt und somit die Karten neu gemischt.
Die Urheberrechtsreform, die die Rechte zur Nutzung urheberrechtlich geschützter Werke stärkt, scheint ein Versuch zu sein, das Rad der Zeit zurückzudrehen und die kommerzielle und rechtliche Macht der Verlage und Medienkonzerne – auch gegenüber den Urhebern – zu stärken. Es geht darum, wer die Verbreitung von Informationen, Kunst und Kultur kontrolliert und reglementiert. Ein freies Internet und unabhängige technische Plattformen wie Videoportale, Streaming-Dienste und Blogs stehen im Konflikt zu den kommerziellen Interessen großer privater Medienkonzerne. Dies zeigt sich insbesondere in den Artikeln 11, 12 und 13, die die Rechte der Urheber und Nutzer deutlich einschränken werden.
Diese Urheberrechtsreform wird das Internet, wie wir es kennen, verändern, die Rechte der Urheber einschränken. Aus diesem Grund gehen europaweit am 23. März die Menschen unter dem Motto Safe the Internet auf die Straße um für ein freies Internet zu demonstrieren.