Sommertage in Südmähren

Wir fahren mit dem Rad durch den weitläufigen Landschaftspark rund um das Schloss Lednice. Durch saftig grüne Wiesen mit Jahrhunderte alten Bäumen. Am Wasser entlang, vorbei an Teichen, in den Wald hinein, von der Sonne in den Schatten. Es riecht nach feuchter Erde. Der Feld- wird zum Waldweg und immer schmäler. Wurzelwerk am Boden, Gatsch vom letzten Regen. Nach rechts, nach links, wohin der Weg uns führt. Nur nicht zum Minarett. Versuchen wir es morgen nochmal! Ich stelle mir vor, wie es hier früher war. Als diese Anlage noch Herrschaftssitz war und die Familie Liechtenstein mit Pferden durch den Park fuhr? Die Rückfahrt bei eintretender Dämmerung. Der falsche Weg, kilometerweit. Zum Glück sind wir vor der Dunkelheit in Lednice.

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Mit dem Rad von Lednice nach Valtice. Durch Wälder, Wiesen und Felder. Entlang der Teiche sehen wir Enten und Fische. Natur, die verzaubert. Hie und da eine Perle Architektur. Wir machen Halt und picknicken am „Rendezvous“, das leise an den Pariser Triumphbogen erinnert. Der Blick von der Wiese gen Himmel, durch die Baumwipfel zu den Wolken, lässt mich an Monet denken. Ich beobachte eine Wolke, die so schnell vor meinen Augen wächst als würde sie im nächsten Augenblick explodieren. Weiß, so weiß.
Dann plötzlich große, dicke Regentropfen. Schnell radeln wir weiter nach Valtice. Der Sonne entgegen. Spazieren über den Platz. Genießen Eiscafé á la Moravia: heißer Kaffee mit zwei Kugeln Vanilleeis und einem Schuss Kaffeelikör. Wieder diese Tropfen! Rund zehn Kilometer sind es bis Lednice. Wir treten in die Pedale und trotzen dem Regen. Knapp einem Kilometer vor dem Ziel steige ich vom Rad. Ein Patschen.
Abends nach dem Essen spazieren wir zum Schloss. Die Dämmerung ist fortgeschritten, doch noch beleuchtet die untergehende Sonne mit letzter Kraft die Wege durch den Park. Hinter dem Schloss liegt uns der Landschaftsgarten zu Füßen. Gibt den Blick auf den Teich frei. Und da steht es wieder, das Minarett, am oberen Ende des Wassers. Gehen wir hin! Fast ist es dunkel. Wir folgen einem der Wege, sehen Rehe in der Wiese stehen und eine Entenfamilie übers Wasser ziehen. Geräusche aus dem Dickicht. Fledermäuse flattern um uns herum. Und plötzlich ist es wieder weg, das Minarett.

 

 

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Cuenca – alte Stadt mit modernem Flair

Von der tropisch heißen Stadt Guayaquil, der größten & wohl gefährlichsten Stadt des Landes, fuhren wir am Samstag im Kleinbus nach Cuenca und durften dabei wieder einmal den Wandel der Klimazonen hautnah miterleben. Zu Beginn der Reise sahen wir noch ausgedehnte Bananenplantagen, doch dann erklomm unser Wagen in schier unendlich vielen Kurven immer größere Höhen. Nach rechts und links eröffnete sich uns der Blick in weitläufige Bergwelten, die sich wie Faltpapier ausdehnten. Da waren sie wieder, die bezaubernden Anden. Unsere Fahrt führte uns vorbei am < El Cajas > Nationalpark und durch das offene Fenster des Fahrers schlug uns der Wind, der als stürmisch bekannten Region, entgegen. 35 Kilometer später erreichen wir Cuenca, das sich im goldenen Glanz der Sonne badet.

Während des ersten Spaziergangs durch die Altstadt grüßt uns der koloniale Charme vergangener Tage an jeder Straßenecke. Kirchen, Kathedralen, Herrenhäuser prägen stolz das imposante Bild der Stadt und vermischen sich mit einfachen Gaststätten und Verkaufsständen zu einem bunten Mosaik. Busse und Autos drängen durch die engen Gassen, Menschen schwirren umher. Ein Blick vor die eigenen Füße tut gut, unerwartete Tiefen im Gehsteig werden sonst zur unangenehmen Überraschung.


Als wir abends die < Calle larga > entlanggehen, folgen wir dem Ruf bewegter Musik und sitzen kurz darauf mit wippenden Beinen in einem Straßencafe. Während uns der Gasstrahler (ja, die gibt’s auch hier) vor der kühlen Nacht bewahrt, springen die Cuencanas am Nebentisch von ihren Sesseln und tanzen zu den Rhythmen der mitreißenden Live-Musik. Wir sitzen bei Fruchtsaft und Bier und beobachten das Geschehen um uns herum. Auf der Straße neben dem Cafe trifft sich eine Gruppe Jugendlicher. Schick gestylt und bereit, die Nacht zum Tag zu machen.

Am Sonntag scheint es, als würde die ganze Stadt blau machen. Die Straßen sind leer und die Restaurants geschlossen. Um unseren Hunger zu stillen, müssen wir lange durch das Zentrum laufen. Am Montag schlendern wir erneut durch die Gegend, dieses Mal suchen meine hungrigen Augen jedoch keine Gasthäuser, sondern Kunsthandwerksläden. Bestickte Tücher, bemalte Keramik, Schmuck & Lederwaren, die berühmten Panamahüte und noch mehr. Die Indigenas und Künstler der Region verkaufen ihre Waren in kleinen Läden, auf Straßenmärkten und in eleganten Galerien. Als David einen Antiquitätenladen entdeckt, tritt er ein und taucht für die nächste Stunde in die Welt der alten Schätze ab. Mit Leidenschaft stöbert er sich durch die staubigen Regale, ich sehe mich in den Geschäften der Nachbarschaft um und kehre dazwischen immer wieder in den Laden zurück, um zwischen David und dem Besitzer zu übersetzen. Am Ende entscheidet David sich für eine kleine Figur aus Zinn. Um sie aus der Vitrine zu holen, muss Don Ernesto erst noch einwenig Gerümpel aus dem Weg räumen, doch dann wechselt das Objekt der Begierde den Besitzer. Wir bezahlen und verlassen grüßend den Laden, da ruft der Besitzer zweimal
< Senorita >. Ich drehe mich um und er winkt mich noch einmal zu sich hinein. Er kramt in einer seiner Laden und zieht eine CD hervor. „Das ist ecuadorianische Musik, die möchte ich Ihnen schenken“ Ich freue mich und nehme sein Geschenk mit einem Lachen an.

Am Dienstag wollten wir weiterreisen, heute ist Mittwoch und wir sind immer noch hier. Wir sind „krank und kränker in Cuenca“, sagt David, während sich sein Magen wieder krampfhaft zusammenzieht. Diese Erfahrung hätten wir zwar lieber nicht gemacht, aber wir hoffen das Beste für Morgen.

 

 

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BaBa .. Baños

Aventura. Begonnen hat das Abenteuer in Puyo, in Baños lief unser Puls immer noch auf Hochtouren. Das hatte weder mit den zurückgelegten Höhenmetern, noch mit der atemberaubenden Landschaft zu tun. Dieses mulmige Gefühl kam von der gähnenden Leere in unserer Reisekasse. Wir können mit Sicherheit sagen, alle Bankomaten von Puyo und Baños zu kennen, unsere Annäherungsversuche wurden jedoch mit purer Ablehnung bestraft. Irgendwas hatten wir falsch gemacht. Nur zu blöd, dass uns das ausgerechnet an einem Samstagnachmittag passierte. Mit 20 Dollar in der Tasche blühte uns ein karges Wochenende. In Quito wären wir nach 1x Essen gehen schon pleite gewesen. In Baños hatten wir zumindest eine Chance. Und diese nutzten wir. Mit leerem Magen wagten wir uns in die gut besuchte Markthalle. Um die unzähligen Essenstände saßen ganze (Groß)-Familien beim Mittagessen. Um die wenigen noch freien Plätze zu vergeben, schrieen die Verkäufer um die Wette. Nach zweimal umdrehen saßen David und ich auf zwei Hockern und warfen einen Blick auf die Karte. Mit Bildern. Unsere Augen prüften die Preise wie im Radar und schnell entschieden wir uns für Suppe um zwei Dollar, 2×2 macht 4 – das war drin! In Sekundenschnelle standen zwei Teller vor uns. Es dauerte ein paar Löffel bis mir klar wurde, was ich da soeben bestellt hatte: Kuttelflecksuppe. Ich aß die Suppe ohne Einlage.


Mit etwas mehr Kleingeld hätten wir vielleicht Schweizer Rösti oder italienische Pizza gegessen und wären dabei in bester Gesellschaft mit all den anderen Rucksacktouristen gewesen. So aber erlebten wir einen (kulinarischen) Ausschnitt der ecuadorianischen Realität und nahmen am Sonntag unsere drei Malzeiten in sehr einfachen Gaststätten zu uns. Wir aßen Huhn und Reis in verschiedenen Varianten. Der Schluck Hochprozentiges aus dem Flachmann war bestimmt keine schlechte Idee. Und trotzdem hatte unsere temporäre Mittellosigkeit eine Erkenntnis zum Gewinn. Wir sahen, hörten und rochen den Alltag in landestypischen Restaurants so, wie er für die überwiegende Mehrheit der ecuadorianischen Bevölkerung alltäglich ist. Nachdem wir montags unsere Taschen wieder gefüllt hatten, gönnten wir uns ein herzhaftes Frühstück in einem der vielen Backpacker-Lokale und gaben mit einmal soviel Geld aus, wie tags zuvor für drei Malzeiten. Baños hat eben zwei Seiten, wir haben sie beide gesehen.

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Das Tor zum Amazonas

Manuel pflückt ein paar Blätter von einem Baum, reißt sie in der Mitte durch und drückt sie uns in die Hand. „Na, wisst ihr, was das ist?“ Ich halte die Blätter an meine Nase und atme tief ein. Ein paar Augenblicke dauert es noch, dann rieche ich den Duft von Zimt. Ich bin erstaunt, nie zuvor hatte ich mich gefragt, woher der Zimt im Weihnachtspunsch kommt. Von der Rinde eines Baumes im Amazonas-Regenwald! Manuel führt uns durch den < Parque Etnobotánico Omare > und weiht uns Schritt für Schritt in die Geheimnisse des Waldes und seiner Völker – Shuar und Waorani – ein. Wir hören von Traditionen, Bräuchen und Begrüßungsritualen, bleiben vor unscheinbaren Pflanzen stehen, deren Blätter als Tees wahre Wunder wirken und erfahren wie die Indigenas aus dem Wald die Rohstoffe für ihr Kunsthandwerk finden – von Fasern der Palmenblätter für Taschen und Hängematten bis hin zu Baumsamen für Ketten und Ohrringe. Ein paar Schritte weiter hält Manuel die nächste Überraschung für uns bereit. „Wusstet ihr, dass es Palmen gibt, die sich im Laufe ihres Lebens einen Meter bewegen?“ Hm eigentlich nicht. Doch dann fällt unser Blick auf eine Palme mit ziemlich vielen Füßen. Ihre Füße sind Wurzeln, die äußeren sterben mit der Zeit ab und von innen kommen neue hinzu. Und dadurch bewegt sich die Palme tatsächlich weg vom Fleck. Doch nicht nur die Bäume und ihre saftig grünen Blätter stechen uns ins Auge. Wir sehen Käfer, die auf Blättern sitzen, Termiten, die eine Straße bauen, Affen, die von Ast zu Ast schwingen, Vögel, die zwitschern und Schmetterlinge, die an uns vorbei flattern. In vielen bunten Farben.

  

 

Im Orchideen Garten, einem Projekt zur Wiederaufforstung erklärt uns eine junge Frau, dass jedes Tier seine eigenen Pflanzen und Aufgaben hat. Wir marschieren durch den Wald und lassen uns von der vielfältigen Blütenpracht der gedeihenden und sich öffnenden Orchideen verzaubern. Über 350 Arten sind es an diesem Ort, Ende September werden viele von ihnen in voller Pracht erscheinen. Doch auch vor unserem Auge öffnet sich ein kleines Paradies an Farben, Formen und Mustern. Sie sind groß und üppig, klein und zart und manchmal so winzig, dass sie mit freiem Auge kaum mehr zu sehen sind.

 

 

Im < Hola Vida > Regenwald wandern wir tags darauf zu einem üppigen Wasserfall und stürzen uns ins kühle Wasser. Wir essen <Maito>, köstlichen Fisch in Bananenblättern und fahren im Kanu den Fluss stromabwärts, vorbei an den Bambushäusern einiger indigener Familien. David und ich sind in Puyo, der < Stadt des Zimts >, dem Tor zum Amazonas, nur 4 Stunden südwestlich von Quito, der Hauptstadt Ecuadors.

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Illas Ciés

Archipel im Atlantik

Monteagudo, Do Faro und San Martiño – diese drei unbewohnten Inseln vor der Küste Galiciens formen den Archipel der Illas Ciés. Mitten im Atlantik gelegen und doch zum Greifen nah, schmiegen sie sich an die Rías Baixas, die zerfurchte und fjordähnliche Küstenlandschaft  der nordwestlichsten Region Spaniens. Von der Hafen- und Industriestadt Vigo scheinen die Illas Ciés nur einen Katzen-sprung entfernt. Schon beim Gang an Board habe ich das Ziel vor Augen, doch auf der 40-minütigen Überfahrt bleibt Zeit für eine Überraschung. Bei strahlendem Sonnenschein nehme ich Platz auf Deck und genieße den leisen Wind, der um meine Ohren zieht. Doch die Ruhe täuscht. Als das Schiff bereits zwei Drittel des Weges hinter sich gelassen hat, verschwinden mit einem Mal die Sonnenstrahlen hinter einer Wolkendecke. Ein rauer Wind kommt auf und treibt die Wellen an, das kleine Schiff beginnt zu schaukeln und dann, von einer Sekunde auf die andere stürzt der Regen auf uns herab. Der Himmel bricht sein Schweigen. Minuten später ist der Regenguss wieder vorbei und das Boot legt friedlich am Hafen an. Ich steige aus und gehe an Land. Die Insel wirkt wie in grau getunkt, erst als mein Blick sich an die Umgebung gewöhnt, erkenne ich ihr wahres Gesicht. Vor meinen Augen entfaltet das Grün der Insel seine strahlende Kraft, die Blumen beginnen in weiß, gelb und lila zu leuchten, die grauen Felsen heben sich vom Himmel ab. Vor mir liegt eine weitläufige, sandige Bucht, ober mir grüne Hügel in steinernem Kleid.

Neugierig gehe ich los. Der Duft der Brise wechselt sich ab mit dem Geruch der Pinien, das Meer rauscht und die Gaviotas (span. für Möwen) singen ihr Lied dazu. Sie schnattern, quaken, kreischen und ziehen ihre Kreise hoch in der Luft. Immer wieder landen sie auf einem der Felsen, um einen Augenblick zu verweilen und stürzen sich dann kopfüber in die Tiefe. Ich gehe den Weg hinauf zum Faro (Leuchtturm), dem höchsten Punkt der Insel und genieße, oben angekommen, den Blick in alle Himmelsrichtungen. Ich schaue hinunter und in die Weite, studiere die Silhouette der Nachbarinsel und atme tief durch, bevor ich umdrehe und mich auf den Weg hinunter zu den Klippen mache. Je näher ich komme desto kräftiger höre ich, wie das Meer sich gegen die Felsen wirft, sehe wie das Wasser dabei wild aufschäumt, für einen Augenblick seine Farbe von dunkelblau auf Türkis wechselt und sich danach wieder langsam zurückzieht. Ich setze mich auf einen der Felsen und verweile. Die Gaviotas sind mir nun ganz nah.

Ihr graues Federnkleid wird dunkel an den Flügelspitzen, Kopf und Hals sind weiß, ihr Blick ist starr und konzentriert und den gelben Schnabel ziert ein roter Punkt. Und während ich die Möwen beobachte, huscht plötzlich ein grüner Salamander an mir vorbei und verschwindet in Sekundenschnelle wieder im Dickicht der Sträucher.

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Entdeckungsreise in die Nachbarschaft

Gerlinde und Ferdinand kommen jedes Jahr rund um Maria Himmelfahrt nach Unterretzbach zum „Treffen der Südmährer“ und bleiben dann für ein paar Tage im Haus meiner Eltern. Gerlinde wurde in Poppitz (heute Popice) – nur ein paar Kilometer von Unterretzbach entfernt – geboren und musste als kleines Mädchen nach Ende des Zweiten Weltkriegs mit ihrer Mutter und ihrer älteren Schwester fliehen. Die Südmährer  –  die deutschsprachige Bevölkerung im südöstlichen Teil des Sudetenlandes  – wurden damals vertrieben und mussten ihre Heimat für immer verlassen. Wenn Gerlinde und ihr Mann heute zum Gedenktreffen der Heimatvertriebenen kommen, nützen sie die Zeit, um an die Orte aus Gerlindes Kindheit zurückzukehren.  Nach Schattau (Šatov), dem Geburtsort ihrer Mutter, nach Poppitz –(Popice), dem Wohnort der Familie und in die Dörfer der Umgebung. Dieses Jahr begleite ich die beiden auf eine ihrer Fahrten „ume“ (hinüber) in die Nachbarorte hinter der Grenze. Für mich ist es eine Entdeckungsreise. Obwohl nur wenige Kilometer von meinem Heimatort entfernt kenne ich die Dörfer nur vom „Hörensagen“. Schattau, Popitz und Konitz liegen abseits der Straße nach Znaim (Znojmo) und nie zuvor bin ich an einer der Kreuzungen abgebogen. Ich hatte keinen Bezug zu diesen Dörfern, sogar die Namen Popice und Konice waren mir bis vor kurzem unbekannt. Von Schattau wusste ich lediglich, dass mein Großvater und meine Großtante als Kinder immer zu Fuß dorthin ins Kino gingen. Ich wusste auch, dass mein Großvater († 2004) vor und nach der Grenzöffnung  bei jeder Gelegenheit nach Tschechien fuhr, doch ich wusste nicht, warum es ihn immer wieder „hinüberzog“. Und dann erzählte mir meine Tante Herta, seine Schwester, dass ihr Vater 1900 in Konitz geboren wurde und 1909 mit seinen Eltern nach Unterretzbach kam. Meine Vorfahren waren also auch Südmährer. Nun wollte ich mehr erfahren und Tante Herta erzählte mir, was sie noch wusste. Etwa, dass das Haus meiner Eltern früher im Besitz der Familie Mahr war. Das Ehepaar Mahr stammte, wie meine Ururgroßeltern aus Konitz, und verkaufte dort um die Jahrhundertwende (1900) Ihren Besitz, um sich nur ein paar Kilometer weiter in Unterretzbach anzusiedeln.  Meinen Ururgroßeltern hatten sie geraten, es ihnen gleich zu tun. Warum weiß heute niemand mehr. Jedenfalls kam auch die Familie Koller nach Unterretzbach und da das Ehepaar Mahr kinderlos blieb, vererbten sie ihr Haus an meine Urgroßeltern, die es wiederum an meine Eltern weitergaben.

Als 1945 die Südmährer aus ihren Häusern vertrieben wurden und mit dem bisschen Hab und Gut, das sie mit Händen tragen konnten, fliehen mussten, suchten einige von ihnen für ein paar Tage Zuflucht bei meinen Urgroßeltern. Unter ihnen auch Gerlinde mit ihrer Schwester Rosemarie und ihrer Mutter Gisela.

Mit Gerlinde und Ferdinand besuchen mein Vater und ich nun die Orte aus dieser Vergangenheit. Wir fahren in Mitterretzbach über die Grenze  und biegen nach der Ortschaft Hnanice rechts nach Schattau ab. Dort machen wir zunächst Halt am Friedhof, wo Gerlinde ein Grab ihrer Vorfahren besucht. Das Grab ist intakt, zwei Platten mit Inschriften zieren den Grabstein und sogar das Bild des jungen Mannes, der wie Gerlinde erzählt nach einem Bad in der Thaya an einer Lungenentzündung gestorben war, ist noch da. Manchmal, so sagt sie, frage sie sich selbst, wie dieses Grab den Krieg und die Jahre des Kommunismus unbeschadet überstehen konnte. War es doch über so viele Jahre verlassen. Sie gießt noch einmal eine Kanne Wasser über die frisch gesetzten Pflanzen und dann machen wir uns auf den Weg zu „Herrn Christl“, der sich ein wenig um das Grab hier kümmert. Gerlinde klopft an der Tür und eine Frau öffnet. Sie erkennt Gerlinde sofort und beginnt überschwänglich zu gestikulieren. Sie spricht kein Deutsch, wir kein Tschechisch. Dann greift sie zum Telefon, um ihren Mann schnell herbeizuholen, der scheinbar ganz in der Nähe ist. Wir wollten keine Umstände machen, doch Frau Christl lässt sich nicht abhalten. Sie bittet uns in die Küche und tischt im Nu einen köstlichen Kuchen auf. Ihr Mann kommt nur ein paar Minuten später zur Tür herein und freut sich über den Besuch. Herr Christl ging als Kind in die deutsche Schule und hat die Sprache trotz Kommunismus und Eisernem Vorhang nicht verlernt. Er spricht mit uns in unserem Dialekt und es macht Freude ihm zuzuhören. Er und seine Frau sind ein Beispiel gelebter Gastfreundschaft. Zu sechst sitzen wir um den Tisch und obwohl ich die beiden nie zuvor gesehen habe, fühle ich mich auf Anhieb wohl. So wie mein Großvater, der auf seinen früheren Reisen über die Grenze fast immer Halt beim „Christl“ gemacht hat. Gerlinde erzählt mir später, dass mein Großvater immer ein kleines Geheimnis um diese Besuche gemacht habe. Wahrscheinlich haben die beiden schwarzgebrannten Schnaps ausgetauscht  vermuten wir und schmunzeln. Mein Vater erzählt mir daraufhin, dass Opa zur Zeit des Eisernen Vorhangs oft mit dem Traktor am Feldweg entlang des Stacheldrahtes fuhr und eine Flasche Wein hinüber warf und ein paar Tage später auf seiner Seite ein Flasche Bier als Dankeschön fand.

Frau Christl bringt ein Album voller Familienfotos und zeigt mir stolz ihre Kinder und Enkelkinder während sie mich immer wieder auffordert doch noch ein Stück Kuchen zu probieren. Beim Durchblättern der Bilder entdecke ich auch ein Foto, das meine Großeltern bei einer gemütlichen Tischrunde zeigt. Dann geht die Fahrt weiter nach Poppitz, wo Gerlinde mir das Haus zeigt, das einst ihrer Familie gehörte. Es steht seit Jahren verlassen und vom Grundstück nebenan kann man noch einen Blick auf den Hof werfen. Wie es sich wohl anfühlt, vor dem Haus seiner Kindheit zu stehen? Auch wenn es der Familie nicht mehr gelang das Haus zurückzukaufen, so scheint es wenigstens vor dem Verfall gerettet zu sein. Carl Anton Postl sei Dank. Postl war der Sohn südmährischer Weinbauern und  wurde Ende des 18. Jahrhunderts in Poppitz geboren. Seine Kindheit verbrachte er in genau diesem Haus. 1823 flüchtete er dann in die USA und wurde dort unter dem Pseudonym Charles Sealsfield als Schriftsteller bekannt. Nun soll in seinem Geburtshaus in Poppitz ein Museum zu seinen Ehren entstehen. Charles Sealsfield? Auch von ihm hatte ich nie zuvor etwas gehört. Und nun bin ich beeindruckt von den Geschichten, die mich plötzlich umgeben. Geschichten von Menschen wie du und ich. Menschen, deren Leben oft ungeahnte Wendungen erfuhr.


    

Mein Höhepunkt unseres Ausflugs in die Vergangenheit ist der Besuch des Konitzer Friedhofs. Aus Konitz stammte die Familie meines Urgroßvaters, die 1909 nach Unterretzbach zog. Familie Koller. Ich laufe die Gräber entlang und lese ihre Inschriften. Ich sehe neue Gräber mit tschechischen Namen auf der rechten Seite und entdecke links ein paar alte Grabsteine, in die deutsche Namen gemeißelt sind. Auf einem Grabstein stehen die Namen Josef und Katharina Koller. Gestorben 1908 und 1922. Könnten das meine Urururgroßeltern gewesen sein? Oder ein Bruder, Onkel oder Cousin meines Ururgroßvaters? Was wurde aus der Familie und den Verwandten meiner Ururgroßeltern, die in Poppitz geblieben waren? Und was aus ihren Nachfahren? Welche Geschichten verstecken sich hinter den Namen auf einem alten Grabstein?

Nur allzu gerne würde ich mehr darüber erfahren. Doch wen kann ich heute noch fragen? Vielleicht mache ich mich ja bald wieder auf die Spuren der Vergangenheit …

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Immer wieder auf ins Blaue

„Warum in die Ferne schweifen, wenn das Gute – und Schöne – liegt so nah?“ Unter diesem Motto standen unsere Pläne für den diesjährigen Sommerurlaub. Und dann kam doch wieder alles anders. Nur eines stand fest: Wir wollten weg und das so schnell wie möglich. Ein Blick auf unseren Energiehaushalt machte schnell klar: Erholung ist angesagt. Unsere Assoziation dazu: ein See in Kärnten. Tiefes Blau, kühles Nass und grüne Berge. Die Idee gefiel mir, sie rief Bilder aus meiner Kindheit in Erinnerung: Die ganze Familie am Klopeinersee. Während meine Eltern und Geschwister die Badesachen zusammenpacken, verstecke ich mich hinter einem Baum, um weiter in meinem Buch zu lesen, dass mich schon den ganzen Nachmittag über in seinen Bann gezogen hatte. Damals war ich zehn oder elf. Es war also an der Zeit, meinen Sommerurlaub wieder einmal in Österreich zu verbringen. Für Planung und Organisation von Ort und Unterkunft blieb jedoch wenig Zeit und das war gut so. Als am Vortag unserer Abreise die Gewitterwolken über Kärnten Halt machten, änderten wir unsere Pläne und fuhren wieder einmal auf ins Blaue. Freitagnachmittag ging’s los. Mit dem Auto Richtung Süden. Italien? Kroatien? Die erste Nacht verbringen wir in Triest. Es ist bereits dunkel als wir über eine Nebenstraße von oben in die Stadt fahren und den Weg hinunter ins Zentrum suchen. Der Blick über die Stadt verzaubert, doch die Straßen sind menschenleer. Nach kurzer Suche checken wir im mondänen Hotel Milano ein, mit drei Sternen aus besseren Zeiten. Schnell noch eine Pizza ums Eck und ab ins Bett. Nach einem typisch italienischen Frühstück spazieren wir am nächsten Morgen durch Triest. Verwinkelte Gässchen, eine weitläufige Marina und italienische Redensart. Am Nachmittag fahren wir weiter nach Kroatien. Mit im Gepäck, ein Reiseführer aus dem Jahr 1999. Von Triest Richtung Rijeka, schlagen wir bei Opatija den Weg zur Ostküste Istriens ein und setzen in Brestova auf die Insel Cres über. Soweit, so spontan. Auf der engen und kurvenreichen Inselstraße fahren wir weiter in den Süden, ohne eine einzige Kuna in der Tasche. Auf der zweitgrößten Insel Kroatiens wird es ja wohl den einen oder anderen Bankomaten geben. Um auf Nummer sicher zu gehen, machen wir Halt in der Inselhauptstadt Cres, drehen dort zwei Runden durch den Ort und füllen unsere Urlaubskasse. Weiter geht´s. David sitzt am Steuer, ich lese im Reiseführer und orientiere mich an der vier Zentimeter großen Landkarte. Die Beschreibung von Martinscica klingt idyllisch und trifft auch im Jahr 2011 noch erstaunlicherweise gut zu. Bei Einbruch der Dämmerung erreichen wir das kleine Dorf mit seinem charmanten Hafen. Ein paar Cafes und Gasthäuser säumen den Weg, ein Ankerplatz, eine Kirche und eine Straße den Hügel hinauf. Links und rechts stehen Häuser, manche tragen Schilder mit „Apartmani und Sobe“. Wir laufen von Haus zu Haus und klopfen an mehrere Türen. Die Menschen sind freundlich und geben gerne Auskunft. Nur Apartments haben sie keine mehr. Schließlich finden wir bei Maria und ihrem Mann noch ein Sobe für zwei Nächte. Wir beziehen unser Zimmer und gehen essen. Der Abend ist klar und ein wenig kühl. Am nächsten Morgen trinke ich meinen Kaffee mit Blick aufs Meer und flaniere die Küste entlang. An einem Bänkchen mache ich halt und lese eine Zeitung. Ich drehe mich mit dem Schatten und genieße die Stille. Freizeit, Auszeit, Müßiggang – meine Gedanken entschleunigen sich.

Die Sonne scheint, der Wind weht. Noch locken die Temperaturen nicht zum Sprung ins kühle Nass. Eine gute Gelegenheit für einen Ausflug. Wir fahren zurück nach Cres und besichtigen die Inselhauptstadt. Ein sehr schönes Städtchen in venezianischem Stil, verwinkelte Gässchen, versteckte Plätzchen und ein weitläufiger Platz am Wasser. Es ist Sonntag und die Menschen trudeln durch die Gegend. Neben Urlaubern sind auffällig viele Einheimische unterwegs. Bald wissen wir warum. Heute ist ein Fest-Tag. Auf einer Seite des Platzes haben die Inselbewohner ihre Tische aufgestellt und kochen darauf Fischeintopf. Bei ihrem Tun lassen sie sich gerne über die Schulter schauen, präsentieren ihre Ingredienzien, verraten manchmal sogar das Rezept und heben ab und zu den Deckel. Dann zieht der Duft der Meerestiere durch die Luft. Zehn verschiedene Gruppen arbeiten fleißig an ihrer Rezeptur und schnell wird klar, hier wird heute der beste Fischeintopf gekürt.

Die Spannung ist groß, doch noch ist Warten angesagt. Kurz nach 19 Uhr stehen die Menschen plötzlich Schlange. Jetzt werden die Bons verkauft, die man später gegen eine ordentliche Portion Eintopf tauschen kann. Um Punkt 19.30 Uhr fällt der Startschuss für das große Essen. David und ich verdrücken gemeinsam drei Portionen. Ein Genuss für unsere Gaumen. Der Eintopf schmeckt wunderbar, die dazu gereichte Polenta ebenso. Dann verstummt die Musik und die Leute stellen ihre Gespräche ein. Nun kommt die Siegerehrung. Wir verstehen kein Wort, doch als der strahlende Sieger die Glückwünsche für sich und seine Leute entgegen nimmt, klatschen wir begeistert mit.

Tags darauf herrscht wieder Aufbruchsstimmung. Wohin die Reise geht? Die Insel ist schmal und lang gestreckt und wir ziehen weiter Richtung Süden. Osor ist der letzte Ort im Südwesten von Cres, über eine Landbrücke erreichen wir die angrenzende Insel Losinj und schauen uns nach einer neuen Unterkunft um. Saftiges Grün, fruchtbares Land und wunderschöne Buchten. Auf der kleinen Insel Losinj leben doppelt so viele Menschen wie auf Cres und auch die Zahl der Sommergäste steigt hier auf ein Vielfaches. Wir machen wieder kehrt, fahren zurück nach Osor und biegen Richtung Punta Kriza im Südosten von Cres ab. Zwölf lange Kilometer fahren wir entlang eines schmalen, kurvenreichen Weges, der sich wie die Zunge einer Schlange hin und her windet. Dann landen wir in einem Ort mit einer Handvoll Häuser, einer Kirche, einem Dorfgasthaus und einem kleinen Supermarkt. Von wegen Einöde, hier bleiben wir! In der Vila Elena finden wir Unterkunft mit Blick aufs Meer. Am Nachmittag fahren wir die Straße, die durch das Dorf führt, weiter und gelangen drei Kilometer später an ihr Ende. Vor uns erstreckt sich eine der zahlreichen Campinganlagen der Insel direkt am Meer. Wir verbringen Zeit am Strand und essen zu Abend im Gasthaus. Erholung = Zeit + Genuss. Hier treffen die alten Dorfbewohner abends zum Trinken und Reden zusammen. Kinder spielen auf der Straße, ein paar Autos fahren durch oder bleiben stehen, hin und wieder knattert ein Moped um die Ecke. Drei Generationen führen das Gasthaus. Großvater, Vater und Sohn. Der Opa sitzt die meiste Zeit im Schatten, während sich Vater und Sohn um die Gäste kümmern. Manchmal steht er auf und sieht nach dem Rechten. Seine Arbeit erledigt er immer vormittags. Dann steht er vor dem Steingrill und beobachtet das Lamm oder Schwein, das sich gerade auf einem Stecken im Kreis dreht. Während David noch bei seinem Bier sitzen bleibt, mache ich einen Spaziergang durch das Dorf. Bei angebrochener Dunkelheit gehe ich die zwei, drei Dorfstraßen entlang, vorbei an Steinhäusern, der Kirche, einer Schule, einer Kapelle und einigen Wohnhäusern. Am Ende der Ortschaft steht plötzlich ein Reh mitten am Weg und ein Hund, der auf den Stufen eines Wohnhauses sitzt, bellt laut in die Nacht hinein. Ich drehe lieber wieder um und hole David im Gasthaus ab. Gemeinsam biegen wir in die andere Richtung ab und gehen noch ein paar Minuten durch die spärlich beleuchtete Nacht. Plötzlich ein Geräusch von rechts. Wir bleiben stehen und sehen jetzt erst eine Herde Schafe, die lautstark Gras kaut. Die Tiere heben ihre Köpfe und schauen uns mit großen Augen an. Eine Stunde später bricht ein lautstarkes Gewitter aus. Wir schlafen mit dem Regen, der gegen die Fenster schlägt, ein und wachen am nächsten Morgen mit dem Sonnenschein wieder auf. In den nächsten Tagen fahren wir durch die Gegend, besichtigen die quirrlige Stadt Mali Losinj, spazieren durch das Dorf Osor am Übergang der einen Insel zur anderen, kehren ein in < Konobas > und erkunden die Badeplätze rund um Punta Kriza. Wir fahren mit dem Schlauchboot eine Bucht entlang, legen irgendwo an, klettern über Fels und Stein, um die Umgebung zu entdecken und springen schließlich ins Wasser. Einmal, es ist ein später Nachmittag schlagen wir einen der Wanderwege im Ort ein. Der Name Peski steht auf dem Wegschild. Schnell gelangen wir in einen Wald. Das Laub am Boden knirscht unter unseren Füßen, Spinnennetze hängen von den Bäumen, immer wieder sehen wir Rehe, die davonlaufen. Die Route ist beschildert, doch nicht immer eindeutig und so kommen war bald das erste Mal vom Weg ab. Plötzlich hören wir ein lautes, tiefes Brummen. Schnell drehen wir um. Was war das? Rehbock, Hirsch, Wildschwein? Schnellen Schrittes gehen wir zurück, blicken zwei bis dreimal zurück, um sicher zu gehen, dass kein großes, starkes Tier die Verfolgungsjagd aufgenommen hat. Dann kommen wir auf den ursprünglichen Pfad zurück und gehen weiter bis wir schließlich bei Peski angekommen sind. Peski, ein liebliches, altes Steinhaus mit einem schönen Garten mitten im Wald. Diese und andere Entdeckungen begleiten unseren Urlaub. Unsere Tage auf Cres sind unaufgeregt schön. Inselleben eben.

      

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Herbstzeit, lose

Ein Spaziergang durch die Felder, eine Ode an die Heimat

Unterretzbach, ein kleines Dorf an der tschechischen Grenze, mein Zuhause in der Kindheit & Jugendzeit, ein Ort, keine 100 Kilometer von Wien entfernt. Und doch eine andere Welt.

Wenige, sind die Tage, verteilt übers ganze Jahr, die ich hier verbringe. Der Entschluss zu gehen ist zugleich die Entscheidung immer wieder zu kommen. Im Frühling, Sommer, Herbst und Winter. Wenn die Stadt zu grau, zu groß, zu grantig wird, dann setze ich mich ins Auto oder in den Zug und fahre nach Hause.

Wenn ich dann in Unterretzbach bin, erwachen meine Sinne aus dem Großstadtschlaf. Ich sehe,höre, rieche und fühle anders. Je länger ich nicht hier war, desto größer der Unterschied.

Sonntag nachmittag bin ich bei Sonnenschein durch die Felder gelaufen. Die pure Luft zum Atmen, der strohige Duft der Natur, die unverwechselbare Stille und die weiten Ausblicke haben das Landkind in mir zum Erwachen gebracht. Ich war entzückt über die Schmetterlinge, die an mir vorbeigeflattert sind, bin erschrocken über die Tiere, die meine Anwesenheit aufgescheucht hat und habe mich gewundert über die unterschiedlichen Geräusche, die der Wind an mein Ohr getragen hat.

Ich hatte plötzlich Lust einen Strauß zu pflücken und schärfte meine Augen für die Blumen und Gräser am Wegrand. Weiße, gelbe, blaue Blüten leuchteten im Grün der Umgebung. Stiele, Halme und Blätter erkämpften sich ihren Weg aus dem Dickicht und ich war erstaunt über die Vielfalt, die wild aus dem Boden wuchs.

Erfreue ich mich in der Stadt schon über DAS Grün eines Baumes, so war ich heute bewegt von den Nuancen der Natur. Die Sonne hat mich begleitet bei meinem Spaziergang. Sie war nicht mehr heiß wie im Sommer, sondern warm wie der Herbst. Ihre Strahlen, nur mehr lose gebündelt, läuten die Herbstzeit schon herbei.

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Yassas Lesbos!

Als wir am letzten Mittwoch im Juli auf Lesbos, Griechenlands drittgrößter Insel, ankommen und im kleinen Feriendorf Skala Kalloni unser Hotel beziehen, haben wir ein großes Ziel: einen Mietwagen.

Noch am selben Abend laufen wir durch den Ort und erkundigen uns bei den beiden Vermietern. Was wir zu dieser Zeit nicht wissen: in Griechenland streiken die LKW-Fahrer und vielerorts ist deswegen bereits der Benzin ausgegangen. Wir machen inzwischen das „Geschäft“ unseres Lebens und mieten bei „Dimitri“ am Dorfplatz einen Toyota Vitara mit Allrad-Antrieb im Super-Angebot. Wir zahlen vier Tage und fahren fünf. Weder Dimitri noch die Rezeptionistin im Hotel klären uns über die präkere Lage auf. Zwei Tage später fahren wir dann mit dem Fahrrad in das 11 Kilometer entfernte, auf einem Hügel gelegene, Dorf Agia Paraskevi. Aus freien Stücken, sei angemerkt. Wir haben, ohne es zu wissen, unsere Erkundungstour mit den streikenden LKW-Fahrern abgestimmt und den Wagen erst für Montag reserviert.

Und dann düsen David und ich über die Insel als wäre nichts gewesen. Die längste Zeit fahren wir genau genommen im Schritttempo, da die Straßen eng, die Kurven scharf und die Griechen ganz schön rasant sind. Doch wir haben nicht nur Zeit, sondern auch ein offenes Hinterdach und so weht uns trotz der Hitze ein angenehmer Fahrtwind durch die Haare. Wir fahren in alle vier Himmelsrichtungen und erleben eine Insel mit landwirtschaftlich geprägten Dörfern, lebhaften Hafen-Städtchen und viel Natur. Wir baden und schnorcheln am ruhigen Strand von Vatera im Süden, laufen durch die lebhaften Städtchen Petra und Molyvos im Norden, fahren nach Westen ans „Ende der Welt“ und tauchen ein in den Trubel der Hauptstadt Mytilini im Osten der Insel.

Es sind die kleinen Momente, die unsere Ferien reich machen an Schönheit, Freude und Lebensgefühl. Es ist der süßlich-herbe Duft der Minze, die den Speisen ihr Aroma schenkt, es ist der lachende Junge, der sie uns in den engen Gässchen des Bergdorfs Agiassos verkauft. Es sind die alten Herren, die in den Kafenias Backgammon spielen und zum Gruß den Kopf erheben. Wir setzen uns an den Nebentisch, bestellen Ouzo und spielen eine Runde Uno. Wer verliert bezahlt die Rechnung. Dann spazieren wir weiter durch die Gassen, vorbei an bunten Häusern mit kleinen Türen und Balkonen, vorbei an alten Damen, die aus dem Fenster schauen. Wir springen zur Seite, wenn junge Burschen  mit dem Moped um die Ecke kurven und wagen einen Blick in die Häuser, wenn die Türe offen steht. Wir flüchten von der Sonne in den Schatten, schlürfen den beliebten Eiscafe. David fotografiert Hunde, Katzen und andere Tierchen während ich Notizen in mein Heft schreibe.

Wir fahren in beliebte und belebte Dörfer und Städtchen und halten an Orten, die wir am Weg entdecken oder als ungewöhnlichen Punkt auf der Landkarte ausmachen. So steigen wir an einem Tag gemeinsam mit anderen Inselgästen in Petra den berühmten Fels hoch zur Kapelle. Und sitzen am nächsten Tag neben drei Fischern in der Taverne am kleinen Hafen von Apothika, einem einsamen Dörfchen am Auslauf des Golfs von Kalloni. Einmal hören wir Stimmengewirr und lautes Lachen, das andere Mal nur das Zirpen der Grillen und eine Kettensäge aus der Ferne.

Was uns von Ort zu Ort begleitet ist die Hitze, die in diesen Sommertagen ihren Höhepunkt erreicht. Am Strand brennt der Sand unter den Füßen, auf dem heißen Asphalt quietschen die Reifen und auf der Haut tummeln sich kleine Wassertröpfchen. Da wirkt es beinahe mystisch, dass genau an dem Tag als wir in den kargen Westen Richtung Sigri aufbrechen, die Sonne ein einziges Mal hinter den Wolken verschwindet und einzelne Regentropfen herunterfallen. Dieser Teil der Insel ist anders. Wir lassen das Grün der Hügel hinter uns und fahren durch eine raue, trockene Landschaft. Keine 10 Kilometer vor der Küste befindet sich ein riesiges Stück Land unter Naturschutz. Im „versteinerten Wald „sehen wir in einer ausgedehnten, schattenlosen Felslandschaft Baustämme, große und kleine, die im Laufe von Millionen Jahren durch Verkieselung zu Stein geworden sind und heute in den Farben gold, braun, grün, rot und rosa funkeln. In Sigri fühle man sich wie am „Ende der Welt“ lesen wir im Reiseführer. Da wollen wir hin. An diesem Tag ist der Himmel über der kleinen Häusersiedlung am Hügel dunkel und der Wind bläst stärker als sonst. Ein paar Menschen sitzen in der Taverne gegenüber dem kleinen Hafen, ab und zu kommt ein Auto, hält an oder dreht um und fährt wieder weg. Es ist ruhig, nicht viel los und dann, wenn im Herbst der Bus nur noch 2x die Woche hierher kommt, dann fühlt man sich in Sigri bestimmt ganz schön abgeschieden. Wir fahren nach dem Essen wieder zurück nach Skala Kalloni, wo am Abend das alljährliche Dorffest beginnt. Mit Ouzo und Sardinen, mit Musik und Menschen, die von der ganzen Insel herkommen.

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Über den Tiefen der Schwalbenhöhle

In der Huasteca Potosina, der Wiege der Tenek-Kultur, finden sich raue Naturschönheiten, bizarre Kunstwerke und alte Traditionen

Wir stehen auf der Ladefläche eines kräftigen Geländewagens und bewegen unsere Körper im Takt der Serpentinenschlangen zur 40minütigen Fahrt vom kleinen, mexikanischen Dorf Aquismón hinauf in den Regenwald. Der Wind fliegt durch die Bäume und die Äste neigen sich über uns, sodass wir alle paar Meter die Köpfe einziehen müssen. Die Dämmerung ist nah, der Wagen fährt schneller. Die Natur kennt kein Erbarmen, wer zu spät kommt, verpasst das Ereignis. Schnellen Schrittes folgen wir den ortskundigen Kindern durch den Wald und stehen Minuten später abrupt vor einem riesigen, 55 Meter durchmessenden Loch mitten in der Erde. Die Sonne neigt sich immer mehr gen Westen und plötzlich erfüllt ein gellendes Kreischen die eintretende Nacht. Wir richten den Blick in den Himmel, die Augen gewöhnen sich nur langsam an die hereinbrechende Dunkelheit. Und dann, in Windeseile, jagen schwarze Punkte durch die Luft und stürzen sich in hohem Bogen in die tiefe, dunkle Schlucht. Diese dreht sich in Form eines umgekehrten Kegels über 500 Meter in den Abgrund und nimmt die tausenden Mauersegler und Grünsittiche über Nacht in ihren Schutz. Mit den ersten Sonnenstrahlen, die wages Licht in die “Schwalbenhöhle” tragen, verlassen die Vögel ihren Unterschlupf wieder und fliegen spiralenförmig in den Himmel.

Ihren Namen erhielt die Karsthöhle, die zu den größten der Welt zählt,  aufgrund der Ähnlichkeit von Schwalben und Seglern von den hier lebenden Tenek-Indianern. In und um das kleine Städtchen Aquismón zählen rund 80% der Bevölkerung zu dieser indigenen Gruppe, die seit 3000 Jahren in der “Huasteca Potosina”, der Region um die zentralmexikanische Stadt San Luis Potosí, lebt und bis in die Gegenwart (noch) Raum findet, um ihre traditionellen Lebensweisen im Einklang mit der Natur zu verwirklichen. Die Kultur der Tenek (“Ich bin auch von hier”) wird von Archäologen, die seit einigen Jahren intensiv die wiederentdeckten Ausgrabungsstätten Tamtoc und Tamohi erforschen, mittlerweile als eine der wichtigsten Kulturen Mesoamerikas betrachtet.

Die traditionellen Tenek leben heute zerstreut zwischen dem Dickicht des Regenwaldes und im Schutze der Berge der Sierra Madre Oriental, nah an Quellen, Flüssen und Grotten, wo sie weiterhin den Dialog mit ihren Göttern suchen. Besondere Aufmerksamkeit rufen sie während der Feierlichkeiten zum “Tag der Toten” hervor, dem Allerheiligen-Fest, das in der Huasteca als “Xantolo” begangen wird.

Vorbereitungen für "Xantolo"

In Tancanhuiz etwa bereiten die Tenek-Frauen in ihren rosa bestickten Gewändern eine Fülle von Gaben vor einem Altar aus grünen Zweigen und orangenfarbenen Totenblumen auf, während eine kleine Gruppe von Männern einen aufgestellten Baumstamm erklimmt und sich, befestigt an einem Seil, kreisförmig und kopfüber  zum Spiel der Flöten wieder zu Boden schwingt.

Viele der kühnen Naturschönheiten der Huasteca Potosina – wie die aus Wasser geschliffene Felsformation „Brücke Gottes“ oder die Wasserfälle „Tamul“ und Tamasopo – entfalten ihre rohe Eleganz inmitten selbstverwalteter Lebensräume indigener Gruppen und locken seit der Vermarktung eines sanften und nachhaltigen Tourismus immer mehr Naturliebhaber in die Region. Die heiligen Stätten der Ureinwohner ziehen auch die Besucher unwillkürlich in ihren Bann. Ihre Flüsse und Quellen versprühen Charme und Lebenselixier, die tosenden Wasserfälle demonstrieren Stärke und Entschlossenheit. Die Menschen öffnen sich und ihre Welt den Besuchern und zeigen ihnen ein Stück ihres Lebens. Die finanzielle Unterstützung erleichtert ihren Alltag, doch ihr größtes Anliegen ist der Schutz ihrer Umwelt und der Erhalt ihrer Selbstbestimmung.

Nach Xilitla – im Süden der Huasteca Potosina – hat es vor vielen Jahren den Aristokraten Sir Edward James verschlagen. Der exzentrische Schotte fand in der exotischen Vegetation der Umgebung, den idealen Ort für die Verwirklichung seines bizarren Lebenstraums. Auf einer Fläche von über 36 Hektar ließ er seiner künstlerischen Affinität zum Surrealismus freien Lauf und erbaute zwischen üppigen Urwaldriesen das „Schloss des Sir Edward James“ – einen surrealistischen Garten aus Skulpturen, Figuren und Bauwerken.

Kleine Wege und Treppen führen durch den Wald, vorbei an eigenwilligen Konstruktionen wie der „Stiege in die Unterwelt“ oder dem „3-stöckigen Haus, das 5 Stöcke haben könnte.“ Getrieben vom Ton herabstürzenden Wassers gelangt man schließlich an einen kleinen, kristallinen See, der einen 40 Meter hohen Wasserfall auffängt, der stufenweise über Felsplatten in die Tiefe stürzt.

Wasser ist eines der treibenden Elemente der Huasteca Potosina, einer Region, die ein „anderes“, großteils unbekanntes Mexiko zeigt, dass durch seine Ursprünglichkeit besticht und behutsam, Schritt für Schritt erkundet werden will.


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