Dienstag, April 01, 2008

Check Your Pose!



Schnauze voll von verhunzten Bildern von Dir? Bereite Dich hier auf Deinen grossen Auftritt vor. Einfach auf Play drücken und loslächeln...

Anspieltipp zum 1. April

Anspieltipp von Jani zum ersten April:
Auf www.songza.com "weisse Wolke" in die Suchmaske eingeben und dann den Treffer mit Julio Iglesias anhören. So schööön...

Der Mann hat eben Pfeffer!




Montag, März 31, 2008

Armin, Orkan und die Fickerin (Teil 3)

Der Hausflur ist dunkel und steht im krassen Kontrast zu der prächtigen Außenfassade. Die Wände sind mit dunkelbraunen Kacheln verschandelt. Keine Fenster. Das original Treppengeländer – sicherlich einmal aus Holz gefertigt – musste einer Stahlstreben-Konstruktion mit Linoleum- Handlauf weichen. Einer dieser Handläufe, die man nicht anfassen mag. Höchstens mit einem schützenden Taschentuch in der Hand.

Armin und Marie entscheiden sich für den Fahrstuhl. Ja, das Haus hat einen. Orange ist er. Nicht schön. Aber zweckmäßig.

Jan und Bärbel Mettmann stehen schon in der Tür. Die braune Kachel ist im dritten Stock einem pfiffig daher kommenden Putzkunstwerk gewichen. Dem großen, grobschlächtigen Bruder der Toskana-Schwamm-Technik.

„Hallo“ rufen die Mettmanns.

„Hallo“ rufen Marie und Armin zurück.

Bärbel ist schwanger. Das ist nicht zu übersehen. Jan, ein sanfter, schlaksiger Kerl mit John Lennon Brille steht behütend vor Bärbel.

„Ich bin Marie. Das ist Armin. Er sucht eine Wohnung.“ Marie nimmt wieder das Ruder in die Hand. Armin nickt zustimmend.

„Bärbel.“

„Jan.“!

Hände werden geschüttelt.

Bärbel sagt: „Kommt doch rein. Schaut Euch in Ruhe um. Wenn ihr wollt, könnt Ihr auch Fotos machen.“

Marie sagt: „ Ja, das ist super. Danke!

Jan und Armin sagen nichts und wirken unbeholfen. Bärbel und Jan verschwinden durch den Flur in einem Zimmer.

Maries Euphorie steigt, als sie das erste Zimmer beritt. Es ist das Schlafzimmer. Sie denkt: „ein großes Zimmer. Zwei Fenster. Hohe Decken. Laminat. Schön ist es. Und schön hell.“

Auch Armin betritt den Raum. Er denkt: „Das Bett ist ja gar nicht gemacht. Da liegt eine Unterhose auf dem Boden. Muss von ihr sein. Frottee. Eins, zwei, drei Steckdosen und eine Buchse für die Fernsehantenne. Auf dem Nachttisch steht Vaseline. So sehen die gar nicht aus. Säue! Da, noch eine Steckdose. Nicht schlecht!“

Armin und Marie sehen sich an. Marie nickt verheißend in Armins Richtung.

Nächstes Zimmer. Es ist das Bad. Marie geht rein und muss erneut einen Lachanfall unterdrücken. Kachelkunst par excellence. Grün, braun und rosé vereint in Blumenranken. Die Armaturen sind grün. Baumarkt-Armaturen-Grün. Das Waschbecken, das Klo und die Badewanne. Aber es ist riesig, das Bad.

Armin ist sprachlos. Er sieht sich um. Marie liest das aufkeimende Entsetzen in Armins Augen und versucht ihn zu beruhigen.

„Wenn du hier mit einem bunten Duschvorhang und anderen Dingen arbeitest wird das super 70er Jahre mäßig. Und es ist wirklich groß. Da kannst Du problemlos Waschmaschine und Wäschespinne unterbringen.“

„Wie bitte, es noch schlimmer machen? Nein, auf keinen Fall!“ erstickt Armin Maries Ratschläge im Keim.

„Aber es hat ein Fenster. Das ist super. Ein Fenster im Bad.“ Marie gibt nicht auf.

„Stimmt, und zwei Steckdosen!“ Armin beruhigt sich wieder.

Sein Blick schweift über die Tiegel, Fläschchen und Döschen auf dem Ivar-Regal. Von einer Intimwaschlotion hat Armin noch nie etwas gehört. Von deren Hersteller, der Firma Dufti-Bär schon gar nicht.

Freitag, März 28, 2008

Armin, Orkan und die Fickerin (Teil 2)

Gut 2 Meter großes, wohlgenährtes und muskelbepacktes Fleischgewebe grinst sie an. Die Haare: pechschwarz. Kurz. Geölt wie Kurbelwellen. Er ist sehr braun. Wirklich sehr braun. Er nickt ein „Hallo“ zu. Der Zyklop trägt eine Jeansjacke mit vielen bunten Aufnähern. Von Tankstellenmarken, Motorölen und Herstellern von Doppelvergasern. Das denkt zumindest Armin. Er liegt richtig.

Exkurs:

Norditalien, Konferenzraum einer angesagten Bekleidungsfirma.

Enzo „Le Grande“ Fratello verteilt die Schnitte einer Prototyp Jeansjacke an seine Chefdesigner und setzt zu Predigt an. Verschüchtert und devot blickt ihn seine Modetruppe an .

„Wolle mir mache tolle neue Jack. Musse etwas ganze neue sein. Musse die Kerle uns ausse Hände reisse. Habbe Bild vore meine Auge von Rebell in alte englische Sporteflitzer mit offen Dach, ok? Aber isse keine saubere Auto. Isse mehr Rostlaub. Die Haare von die Type isse so wie bei diese Elvis. Kennte Ihr? Tolle mit Schwalbeschwanze? Also, neue Jack musse auch aus jede Idiote diese Type mache könne, verstande? Gute. Un niche vergesse. Type isse keine Feingeiste, isse Rebelle Typ mit schmutzig Finger, der auch ma haut eine Kopfe kaputt. Verstanne? Gute.

Die Jacke hat sich schließlich zu einem Verkaufsschlager entwickelt. Besonders auf dem deutschen Markt. Das freut „Le Grande Fratello“ sehr.

Exkurs Ende.

Hinter dem Zyklop – er nahm ja den ganzen Türrahmen ein – versteckt sich noch eine andere Person, die ebenfalls ein scheues „Hallo“ entgegen nickt. Kleiner als Marie. Blond und unscheinbar. Eine Frau. Der Prototyp einer „grauen Maus“.

„Die Besichtigung ist im dritten Stock, wenn Ihr deswegen da seid“, sagt sie freundlich im Vorbeigehen.

„Ja, danke!“ sagt Marie. Armin blickt Marie mit hochgezogenen Augenbrauen an. Marie unterdrückt einen Lachanfall. Sie sehen beim Betreten des Hauses den beiden nach. Der Zyklop und die graue Maus gehen in die Sonnenbank.

„Nee, klar. Erst Wohnungsbesichtigung und dann auf die Sonnenbank.“ Armin wartet mit dieser Bemerkung bis er sicher ist, dass die Haustür hinter ihnen ins Schloss gefallen ist. „Was war das denn für eine Mischpoke?“ stellt Armin ohne eine Antwort zu erhalten in den Raum.

Donnerstag, März 27, 2008

Armin, Orkan und die Fickerin (Teil 1)

Armin will nicht aus dem Süden weg. Schon gar nicht raus aus seiner Wohnung. Aber der Vermieter hat Eigenbedarf angemeldet. Da kann man nix machen. Armin auch nicht.

Es ist nicht einfach in Köln überhaupt eine Wohnung zu finden. Wirklich nicht. Fast unmöglich ist es, eine schöne Wohnung zu beziehen. Gerade mit kleinem Geldbeutel hat wählt man in der Regel zwischen winzig und mickrig.

Armin hatte sich damit abgefunden demnächst im Mäusekino zu leben. Doch es soll anders kommen. Dank Marie.

Marie, 24 Jahre alt, studiert Design in Köln. Armin und Marie lernten sich Karneval kennen. Nicht in Köln. In Nizza. Am Rhein.

Armin und Marie sind nun ein Paar.

Wie ein umbrisches Trüffelschwein durchforstet Marie die Anzeigen. Unermüdlich. Armin dagegen ist es eigentlich wurscht. Hauptsache seine neue Bleibe hat ausreichend Steckdosen. Der Computer will gesäugt werden.

„Hier. 2 Zimmer, Wohnküche, Bad, Altbau, Nordstadt. Das hört sich doch super an. Besichtigung ist in 30 Minuten. Los geht´s!“

Marie sitzt im Schneidersitz auf ihrem Schlafsofa. Armin ist über Winnetou 2 eingeschlafen. Er liegt wie ein Berner Sennehund zu ihren Füssen.

„Mhh, was hast du gesagt? Och, nee, ich hab da jetzt überhaupt keine Lust mehr zu. Lass uns doch hier bleiben. Ich könnte Kuchen besorgen?“

„Nix da, zieh Dir Schuhe an. Kuchen holen wir auf dem Rückweg. Das muss jetzt sein.“ Marie ist nicht umzustimmen. Armin weiß das.

Mit Armins Polo geht es einmal über den Ring. Ans andere Ende der Stadt. Einmal um den Ebertplatz und rechts rein in die Neusser. Die Agneskirche steht wie eine unüberwindbare Festung im Fluchtpunkt der Straße.

„Halt. Hier ist es doch schon. Schau, da ist eine Sonnenbank im Haus.“ Marie gefällt das Veedel. „Ja, Mensch, und ein Brauhaus gegenüber. Das ist doch eine super Gegend hier.“ Ihre Begeisterung steigt an. „Das Haus ist superschön und hier… da ist direkt eine Bäckerei und da noch eine…“

„Mhhh“, war alles was Armin dazu zu sagen hatte. Fast alles.

„Hier finde ich nie einen Parkplatz und zum Job ist es auch nicht wirklich nah.“

Nach seinem Studium arbeitet Armin halbtags als Netzwerkadministrator in einer Firma im Kölner Süden.

Direkt vor seiner Nase, direkt vor seiner neuen Wohnung fährt ein Auto aus der Parklücke heraus.

„Siehste. Ist doch gar nicht so schwer hier mit dem Parken.“ Eine leichte Genugtuung liegt in Marie´s Stimme.

„Mhhh, Zufall.“ Armin ist skeptisch.

„Klingel bei Jan und Bärbel Mettmann. Das sind die Mieter.“ Marie hat ein gutes Gefühl.

Bevor die Mettmanns den Summer im 3. Stock betätigen können, öffnet jemand die Haustür der Nummer 245 von innen. „Mein Gott“, denkt Marie. „Himmel“ Armin.

Der Brief


Liebe Nachbarn,

wir müssen eine Lösung finden!!! Ich freue mich ja darüber, dass Ihr Liebesleben erfüllt ist und das soll auch so bleiben.
Aber ich möchte nicht immer daran teilhaben müssen! Unglücklicherweise liegt mein Schlafzimmer direkt unter Ihrem.
Es geht in erster Linie gar nicht um "freudige" Laute, sondern um ein in diesem Maße nicht akzeptables Poltern, Klappern und Wummern Ihres Bettes (?) auf dem Fußboden und (?) an der Wand. Es ist wirklich sehr laut. Das geht so nicht! Leider scheint meine decke bzw. Ihr Fußboden recht hellhörig zu sein. Ich wünsche mir, dass Sie eine Lösung finden können.
Bitte nehmen Sie mir die direkte Ansprache in Form dieses Briefes nicht über, aber ich musste das jetzt einfach mal ansprechen.

Mit freundlichen Grüßen,

Ihr Nachbar

Neues von Armin!



"Armin, Orkan und die Fickerin" ist der Name meiner neuen Geschichte. Ich schreibe noch daran. Deshalb habe ich mich dazu entschlossen, sie in mehreren Teilen zu veröffentlichen, quasi als Blog-Soap.
Natürlich gibt es wieder einen realen Hintergrund, auch wenn er in diesem Falle wirklich tragisch ist:
Armin´s Vorbild ist von einem Tag auf den anderen ausgezogen. Eines Morgens war die Wohnung leer. Es gab keinerlei Umzugsanzeichen. Kein zu beobachtendes Kistenpacken, kein gespanntes Flatterband zwischen Parklücken mit Umzugsankündigung in Klarsichtfolie. Nichts. Auch im Supermarkt habe ich ihn nicht mehr gesehen. Dabei lief es doch so gut für ihn. Die Anzeige wegen versuchten bewaffneten Raubüberfalls wurde fallengelassen und mit Marie hat er seine Herzensdame gefunden.

Orkan und die Fickerin sind absolut real. Ich persönlich hatte die "Freude" mit den beiden Bekanntschaft zu machen. Orkan´s wirklichen Namen kenne ich nicht. Die Fickerin hieß im wahren Leben Hannelore (kein Witz).

Als kleinen Vorgeschmack ein Original-Brief, den ich den beiden in meiner Verzweiflung unter die Tür geschoben habe. Ihre Reaktion darauf? Lest selbst!

Sonntag, März 16, 2008

War doch nur Spass…

Ein stolzes Fest. Bunte Gesichter. Bunte Kleidung. Bombenstimmung. Das Kurhaus der mittelgroßen Stadt ist geschmückt wie eine Hochzeitstorte. Wohin das Auge reicht: Clowns...“auf ihrem Weg zum Horizont“...


Vor seinen Augen steckt ein lustiger Clown einem anderen lustigen Clown tief die Zunge in den Hals. Schminke verschmilzt mit Schminke. Aus Rot und Weiß wird Rosa. Die Beiden setzen ab und sehen ihn an. „Was gibt´s da zu glotzen? Hast Du ein Problem?“, raunzt der lustige Clown-Mann ihn an. Das lustige Clown-Mädchen lacht. „Ach, lass ihn, Manni“. Als Clown-Manni weiter reden will, stopft ihm das Clown-Mädchen den Mund. Manni ist wieder in seinem Element.

Armin hat noch einmal Glück gehabt. „Hier dein Bier“, sagt Konrad. „Danke! Sag mal, hättest Du mir nicht sagen können, dass hier jeder als Clown geht? Ich komme mir vor wie ein Idiot“, Armin ist verunsichert.
„Ja, du hättest Dir ruhig etwas mehr Mühe geben können mit dem Kostüm.“ Armin trägt ein grau-schwarz kariertes Holzfällerhemd, eine Jeans, seine alten Bundeswehrstiefel. Eine große Pistole ragt aus seinem Gürtel. Armin trägt heute Abend einen Nylonstrumpf über dem Kopf. Armin ist Bankräuber.
„Warum? An sich ist dagegen nichts einzuwenden. Nur hier komm ich mir jetzt echt dämlich vor“, sagt er, während sein Blick durch das Haus schweift.
„Ach, stell dich nicht an. Es ist Karneval und wir zwei kippen uns heute mal richtig einen hinter die Binde. Ausserdem gibt´s hier die hübschesten Mädchen am Mittelrhein“, entgegnet Konrad und stürzt das Bier hinunter.

Armin hatte es seinem alten Studienfreund Konrad versprochen. Konrad kommt von hier – aus dem Nizza am Rhein, wie er es immer nennt. Armin wäre lieber in Köln geblieben. In der Kölner Südstadt. An seinem Fenster. An seinem Computer. Da fühlt er sich wohl. Da fühlt er sich sicher.
„Die schönsten Mädchen vom Mittelrhein. Was soll das überhaupt heißen? Da geht immer was, hatte Konrad gesagt“, Armin starrt ins Leere.

Vielleicht war das aber gerade der Anreiz für Armin gewesen, letztendlich doch den Regionalexpress nach Koblenz zu besteigen. Gerade erst war für 3 Monate in Chicago. Er hatte an einem Uni-Exchange-Programm teilgenommen. Seine Wohnung hatte er untervermietet. Er war dankbar für den Ortswechsel.

Er denkt an Jule und könnte sich abermals ohrfeigen. Jule war eine vielversprechenden Email-Bekanntschaft. Doch er versetzte sie beim ersten, alles entscheidenden Date. Er hatte sie sehr gemocht und mochte sie immer noch. Aber sie antwortete nicht mehr auf seine Nachrichten.
Vielleicht würde er heute Abend fündig. Vielleicht findet er heute die Wärme, die ihm fehlt. „Die Zugfahrt war ja schon vielversprechend“, Armin lächelte.

Im Zug hatte er den Nylon Strumpf abgezogen. Ihm gegenüber saßen vier ältere Damen, die nacheinander erfolglos versuchten, eine Marillenschnapsflasche zu öffnen. Alle vier hatten sie kleine Becher mit Kordeln um den Hals. Die Gummibänder der kecken, kleinen Hütchen schnitten in schlaffe Backen. Sie waren bester Laune und geil auf Marille. „Junger Mann, seien Sie doch so nett und versuchen mal diese Flasche aufzubekommen. Zur Belohnung gibt´s Schnäpschen und Bützchen.“ Wie abgestochene Schweine fingen sie an zu kreischen. Armin bekam einen roten Kopf. Andere Leute streckten schon den Kopf um die Sitze. „Gott, wie peinlich“, dachte sich Armin und legte die Hand um den Drehverschluss. Er drehte ihn ab und reichte die Flasche zurück. „Danke, bist ein Schatz, Liebelein. Keine Angst. Erika hat nur Spaß gemacht. Du musst dich von dem Lederlappen nicht küssen lassen. Und wieder ging das Kreischen los. Aber nur das von dreien, denn Erika lachte nicht mit. „Hier, trink!“ Bevor Armin Ja oder Nein sagen konnte, hatte er das Glas schon in der Hand. „Prost, Jung´!“ „Prost“, sagte Armin. Um Höflichkeit bemüht schickte er den Schnaps mit zurückgelegten Kopf auf den Weg.
Acht Schnäpse später war er da und bekam nun doch vier nasse Küsse auf die Wange. Es schüttelte ihn.
Noch als der Zug anrollte, hörte er wieder das schreckliche Kreischen der alten Schachteln. Aber er hatte sie bereits lieb gewonnen. „Der liebe Gott hat viele Wohnungen“, dachte sich Armin. Es war kalt. Aber Armin spürte die Wirkung der Marille. Es wurde ihm warm ums Herz. Er fühlte sich gut. Er hatte das Gefühl auf dem Erdball zu gehen.

Uns jetzt steht er hier, inmitten der Clowns. „Ach nee, die auch hier. Komm, ich stell Dir mal Angelika vor. Angelika...“, Konrad brüllt quer durch den Raum.
„Hallo Konrad, auch mal wieder da? Mensch, ist ja echt schön, Dich zu sehen“, Angelika strahlt Konrad an.
„Ja, Karneval lass ich mir doch nicht entgehen. Wie geht´s Dir? Immer noch in Freiburg?“, fragt er.
„Ich wohne jetzt außerhalb. Hab´ eine Referendarstelle in Bad Krotzingen bekommen habe. Ist aber total schön, alles grün.“
„Das hört sich doch super an. Ach, übrigens, das ist Armin. Studiere mit ihm in Köln. Armin, das ist Geli. Wir waren zusammen auf der Schule.“
„Hi, freut mich.“, sagt Angelika.
„Mich auch.“
„Kommst Du aus Köln?“
„Nee, wohne nur da wegen des Studiums. Komme ursprünglich aus Olpe im Sauerland.“
„Ah, ok, verstehe. Und Du bleibst Karneval nicht in Köln?“
„Ich hatte es Konrad versprochen, für einen Abend hierher zu kommen.“
„Tolles Kostüm übrigens!“ Angelika kichert.
„Ja, ich weiß. Deins auch. Haste Du das selbst genäht?“

Falsche Frage. Angelika doziert nun wasserfallartig über die Nähkünste der Mädchen aus Rhein-Nizza, über Karnevalshosen in allen Varianten. Die Holzknöpfe kaufe man in Kinderläden, Stoffe bekäme man bei Hutzi Mutzi in Ratzi Fatzi, usw. usw. Armin hat eine Lawine losgetreten. „...und die jungen Dinger schneidern sich die Hosen nun so auf die Hüfte, dass hinten der String rausschaut. Aber das hat doch mit Clown gar nichts zu tun...“ Dieser Stil scheint Angelika, deren Hose recht weit geschnitten ist und über einen prächtigen Latz verfügt nicht zu gefallen.
„Ist doch geil“, fällt ihr Konrad in den Vortrag. „Ja, klar, dass Dir das gefällt. So ist er, der Konrad. Und Armin - findest Du das auch geil?“ Angelika sucht einen Verbündeten. Aber den findet sie in Armin nicht. „Klar ist das geil!“, grinst er die Geli an.
„Aha, hab ich mir schon gedacht. Ihr seid doch alle gleich, ich zieh mal weiter, bis später.“ Angelika schiebt ab.

„Uiuiuiui, was war denn jetzt los?“, fragt Armin. „Ach, die war schon immer so ein bisschen zickig und bieder. In der 6. Klasse musste ich sie mal beim Flaschendrehen küssen, schrecklich. Komm, wir gehen an die Theke.“, Konrad ist bester Laune.

Dreizehn Kölsch auf die Marille gegossen.

Armin ist prächtig in Stimmung. Immer wieder umgarnen Konrad, den alten Charmeur, die Frauen. Und mittlerweile findet auch Armin Gefallen an den schönsten Mädchen vom Mittelrhein. Armin hat den Nylonstrumpf wegen der hohen Trinkfrequenz bis zur Nase hochgezogen.

„Armin, mit Verlaub, Du siehst echt scheiße aus. Zieh das Ding ab.“, Konrad meint es gut. Armin betrachtet jedoch dieses Assecoir als das entscheidende Detail seiner Verkleidung. „Du kannst mich mal, ohne den Strumpf sehe ich aus wie ein Waldarbeiter beim Feierabendbier. Der Strumpf bleibt auf!“ Der Alkohol macht Armin selbstbewusster.
„Wo ist der eigentlich her? Das ist doch ein Stück von einer Frauenstrumpfhose?“ Konrad will es jetzt genau wissen.
„Hab ich im Schrank gefunden. Muss noch von Tanja sein“, Armin muss daran denken, wie er und Tanja sich kennen lernten. Tanja war die kleine Schwester seines alten Kumpel Frank aus Olpe. Tanja studierte Agrarwissenschaften in Bonn und während einer Hausarbeit stürzte ihr der Rechner ab. Armin gelang es damals alle Daten zurückzuholen. Es war dann auch in Tanjas Zimmer, als er das erste Mal von einer Frau ausgezogen wurde. Er genierte sich schrecklich. Und eigentlich wollte er das alles gar nicht. Noch nicht. Aber Tanja führte ihn durch die Nacht und er lag wie Kind in ihrer Hand. Das erste Mal? Es war eine Katastrophe, aber sie lachten viel. Da spürte er erstmals die Wärme, nach der er sich so sehnte.

„Marie!“ Konrad klingt heiter. „Marie, ist deine Schwester auch hier?“ Marie ist Angelikas personifizierter Alptraum. Marie ist 22 Jahre alt, sieht bezaubernd aus und ist angetrunken. Marie trägt eine extrem niedrig auf den Hüften sitzende Clownshose. Nicht nur, dass hinten kess ein Nichts von Unterwäsche blank liegt, nein, auch vorne hängt die Hose eine Ewigkeit unter dem Bauchnabel.

Sie blickt Konrad selig an. „Nee, die Lena ist in Berlin geblieben. Die schreibt Klausuren und muss lernen. Konrad tanz mit mir!“
„Später Marie. Zieh Dir erst mal deine Hose wieder an.“, Konrads Stimme hat plötzlich etwas väterliches. „Warum?“ Marie blickt an sich herab, fährt mit dem Daumen unter den Gummizug der Clownshose und hält sie plötzlich wie in der Weightwatcher-Reklame von sich weg. Konrad und Armin haben freie Sicht bis zu den Knien. „Heute geht´s rund“, ruft Marie und streckt Arm nebst Sektglas trimphierend in die Höhe. Der Schaumwein entschwindet dem Glas und landet in Angelikas Nacken. „Kannst Du nicht aufpassen, Du dumme Gans?“ Angelika ist außer sich. Marie streckt Angelika die Zunge raus. Das ist alles.
In diesem Moment bereut es Armin den dämlichen Strumpf aufzuhaben. Auf der anderen Seite hält die Nylonfaser seine entgleitenden Gesichtszüge in Form. Er kommt sich vor wie in einem David Hamilton-Film.
„Wer bist denn Du?“ Marie sieht Armin an. Erst als das Gummiband der Clownshose auf Maries Bauch zurückklatscht, weicht seine Körperstarre.„Armin, ich bin Armin der Bankräuber“, stammelt er. „Ah, Bankräuber ist der Armin also.“ Marie schlingt ihre langen Arme um das Holzfällerhemd. „Komm, Armin, alter Räuber. Wir trinken jetzt erst mal einen zusammen.“ Ungläubig beobachtet Konrad wie Marie den willenlos dreinschauenden Armin abschleppt.

Hinein in den großen Saal. Hinein in die Menge der bunten Clowns. Hinein ins Leben.

Marie bestellt Sekt. Eine ganze Flasche. Zwei Gläser. „Mach mal auf.“ Marie nimmt sich aus einer herrenlosen Packung eine Zigarette. „Und lass ja den Korken fliegen!“ Marie freut sich wie ein Kind. „Aber dann läuft so viel Sekt raus“, meint Armin besorgt. „Egal, der Korken muss fliegen.“ Marie kichert und lehnt sich an Armins Seite. Sie bläst Rauch in die Luft.
Der Korken fliegt. Marie und Armin sehen ihm nach. Er ist trotz der Dunkelheit gut zu erkennen. Ein wunderschöner Bogen. Er landet irgendwo auf der anderen Seite des Saales in der Menge. Marie kichert. „Schön ist der geflogen, oder?“ „Ja, das ist er“, sagt Armin und gießt die Gläser voll.
„Prost Marie!“
„Prost Armin!“ In dieser Sekunde sind Armins Zweifel verflogen. Er hat die richtige Entscheidung getroffen. Er mag Marie. Und Marie mag ihn. „Weißt Du Armin, Dein Kostüm sieht echt scheiße aus, aber ich mag es gern. Ich habe noch nie einen Typen an Karneval gesehen, der sich als Bankräuber verkleidet hat. Ich find´s toll. Komm lass uns tanzen.“ Marie stellt das Glas auf der Theke ab. Sie zieht Armin weiter in die Menge. Weiter ins Leben.
„Ach Du Scheiße“, denkt Armin, „ausgerechnet jetzt läuten sie hier den Engtanz-Part ein.“ Aber Marie hat schon ihre langen Arme um seinen Hals gelegt. Unbeholfen legt er seine Holzfäller Tentakeln um Maries Hüfte. „Jetzt greif doch mal richtig zu und halt mich fest, Armin. Du bist doch ein Räuber, oder?“ Armin spürt wie ihm das Blut in den Kopf schießt. „Ja, das bin ich. Ich bin Armin der Bankräuber.“ Armin erhöht den Anpressdruck. „Na also...“ hört er Marie an seiner Brust knurren. Er spürt Maries warmen Körper. Armin ist voller Glück.

Hundertachtundreissig Drehungen im Uhrzeigersinn später zersprengt der DJ mit einem Mundart-Gassenhauer die feste Umarmung.

Zurück zur Theke. Marie nimmt sich wieder eine Zigarette aus einer fremden Schachtel. Und sie nimmt sich Sekt aus einer fremden Flasche.
„Hee, Marie, Finger weg, die ist mir. Kauf Dir eine eigene.“, ruft der Pirat über die Theke. Marie grinst ihn an und gießt die Gläser voll. Der Pirat lächelt zustimmend zurück.
„Ach schau mal“, sagt Armin, „ein Pirat. Da bin ich ja gar nicht der einzige Nicht-Clown.“ Armin mustert den Pirat. Der Pirat mustert Armin. Ein Dreispitz thront auf einer grauen Zottelperücke. Seine Augen mustern Armin aus dunklen Augenhöhlen.
„Der ist mit meiner Schwester befreundet. Prost Armin!“
„Prost Marie!“ Armin wirft einen letzten Blick auf den Vogelscheuchen-Pirat.

Dann geht alles ganz schnell. Marie nimmt ihm das Glas aus der Hand, wirft ihre Zigarette auf den Boden, schlingt abermals ihre langen Arme um Armin und küsst ihn. Und Armin? Ja. Armin lässt es geschehen. Alles um ihn herum versinkt in Belanglosigkeit. Er hat das Gefühl mit Marie allein zu sein, auf einem illuminierten Podest nach oben zu fahren. Er kann es nicht fassen. Sie hat ausgerechnet ihn, Armin den Bankräuber, ausgewählt. Er entscheidet, sich keine weiteren Gedanken zu machen. Er lässt es alles an sich ran und akzeptiert es: Das Leben in seiner vollen Pracht, konzentriert in der Tat zweier Menschen. In diesem Moment. In diesem Augenblick. Glück. Mit Nylonstrumpf.

Glück. Glück.Glück.

„Komm, wir holen uns noch ne Flasche. Hast Du Geld?“, Marie blickt ihn sanft an. Armin kramt in seinen Taschen und zieht die Innenseiten nach außen. „Nichts mehr, gibt´s hier einen Automaten in der Nähe?“
„Ja, den gibt es, aber es ist zu kalt und ich will nicht, dass Du gehst.“ Marie mag Nylonstrumpf-Armin sehr.
“Armin, Du bist doch Bankräuber, oder nicht?“, Marie stellt sich auf die Zehenspitzen und sieht ihm in die Augen.
„Ja, ich bin Armin der Bankräuber!“
„Dann hol uns Geld an der Kasse“, Marie´s Augen funkeln entschlossen.

Armin und Marie sind taumelig vor Leidenschaft und Alkohol. „Du bist verrückt, Marie, das meinst Du nicht ernst.“ Armin weiss, dass sie es ernst meint. „Komm, probier es doch mal. Du kannst es immer noch als Scherz verkaufen, wenn´s in die Hose geht. Und vielleicht finden Sie es auch lustig, wenn Du´s machst und geben Dir Geld oder Bons.“
„Du spinnst ja total. Ich geh´erst mal aufs Klo.“
Armin torkelt durch die Menge. Hinaus ins Foyer. Die schönen Clowns von vor vier Stunden sehen allesamt aus wie schreckliche Jofrika- Monster. Glasige Augen, verwischte Schminke, aufgerissene Lippen, zerrissene Hosen. Selbst die Mittelrhein-Mädchen verlieren nun den Nizza-Glanz. Jetzt um 3 Uhr in der Nacht.

Die große Treppe runter ins Souterrain. Rein in die Toilette. Ach herje, hier sieht es aus. „Pinkelt hier auch nur ein Mensch in die dafür vorgesehenen Öffnungen?“ schreit der alte Mann im weißen Kittel. Das Emblem des lokalen Gebäudereinigungsdienstleisters prangt auf seiner Brust. Erich Dollenhof ist stinksauer.

Exkurs:

„Herrschaften, wir haben von dem Clownsverein den Klo-Auftrag erhalten und was soll ich sagen: ein lukratives Geschäft.“ Hermann Dorse, 56 Jahre alt, fettleibig, Haarkranz, Goldkette mit Tigerfangzahn aus Hadihuschnipur, Gelegenheitsswinger, hatte den Betrieb von seinem Vater Heinrich übernommen, der wiederum von seinem Vater Theodor. Hermann war in seinem Element. „Der Fortschritt macht vor nichts halt, außer vor der Scheiße. Die wird es immer geben. Das haben schon mein Vater und auch mein Urgroßvater gesagt. Und es stimmt auch heute noch, Herrschaften. Unsere Klientel wird es immer geben...aber egal, Freiwillige vor! Ich weiß, es ist Karneval. Es gibt auch was obendrauf. Versprochen!“
Hermann Dorse blickte in die Runde. Was für eine Runde. 15 Personen aller Nationen, jeden Alters, aber keine Freiwilligen.
„Aha, ich bin sehr enttäuscht.“ Dorse sah sich um. „Heini, was ist? Doris? Vlado? Tanan? Übüll? Was ist denn mit Euch? Ist das der Dank? Ist das der Dank?“, Dorste hatte Schweißperlen auf der Stirn. Hinten in der zweiten Reihe gingen langsam zwei Hände hoch.
„Ach wusste ich´s doch. Auf die Dollenhofs ist Verlass.“
Erich und Traudel Dollenhof, seit 43 Jahren verheiratet, starke Raucher, kinderlos. Er die Herren, sie die Damen. So war´s immer, so wird´s immer sein. Zwischendurch sitzen sie an einem Tisch im Toiletten-Eingangsbereich. Traudel füllt die Thermoskannen mit Kaffee. Beide sagen: „Wir sind zusammen. Das ist wichtig. Ob wir gemeinsam vor dem Fernseher sitzen, gemeinsam einen Misthaufen betrachten oder zusammen Toiletten putzen. Alles unwichtig. Alles Misthaufen. Hauptsache zusammen.“

Exkurs Ende!

Armin sieht sich um in Erich´s Reich. Gerade ist er damit beschäftigt den stark alkoholisierten Clown, der mit heruntergelassenen Hosen auf einer Kloschüssel schläft, aufzuwecken.
„Der heißt Manni.“ ruft Armin Erich zu. „Was ist los?“ Erich blickt ihn an. „Manni. Sein Name ist M-a-n-n-i!“ Armin knöpft sich die Hose auf. „Dann kümmere dich gefälligst um deinen besoffenen Freund“, raunzt Erich Armin an, „und wenn Du den nicht gleich mit rausbringst, dann gibt´s Ärger.“

„Nein. Halt. Herr..., das ist nicht mein...“, aber Erich war schon wieder um die Ecke auf Posten bei Traudel.
„Verfluchte Scheiße!“, brüllt Armin, „Auch das noch. Von wegen. Ich denk gar nicht dran, den hier rauszutragen.“
Armin geht um die Ecke und sieht, wie sich Traudel und Erich mit einem unverkleideten jungen Mann mit schwarzer Bomberjacke unterhalten. Dieser trägt wiederum das Emblem eines Sicherheitsdienstes auf der Brust. Jetzt zeigt Erich mit dem Finger auf Armin. Der schwarze Sheriff nickt und nimmt eine widerwärtige Pose ein. Beine leicht gespreizt, Fußspitzen leicht nach außen ausgerichtet. Hohlkreuz und den Kopf leicht nach hinten gelegt. Durch Sehschlitze die Zielperson anvisiert. Ganz wichtig: hinter dem Rücken die Hände scheinheilig ineinander gelegt.

Armin dreht auf dem Absatz wieder um. Er begutachtet Clown Manni. Er schläft immer noch. „Manni?“ haucht Armin. „Manni?“, Armin wird lauter. Schließlich brüllt Armin und rüttelt an Mannis Schulter.
Manni macht die Augen auf.
„Was?“ fährt er Armin an. „Nichts, Du kannst hier nicht so liegen bleiben. Die machen gleich richtig Ärger draußen“, versucht es Armin auf die sanfte Tour.
Manni glotzt ihn an. „Wer macht Ärger draußen?“
„Der Klo-Mann hat einen schwarzen Sheriff gerufen. Die erwarten von mir, dass ich dich raushole.“, sagt Armin nervös.
„Warum?“
„Weil sie denken, Du bist mein Freund.“
„Warum?“
„Weil ich Erich Deinen Namen verraten habe.“
„Wer ist Erich?“
„Der Klomann.“
„Woher kennst Du meinen Namen?“
„Deine Freundin hat´s vorhin gesagt.“
„Woher kennst Du meine Freundin?“
„Von hier. Du wolltest mir vor 5 Stunden eine reinhauen. Und sie hat Dich davon abgehalten.“
„Hat Sie?“
„Ja“
„Schade!“
Manni richtet sich auf und sieht Armin an. „Wenn ich mich nicht irre, hast Du hier das Problem. Denn wenn Du mich hier nicht rausholst, kommst Du hier auch nicht raus. Hab ich Recht?“ Manni grinst.
„Ja, so ähnlich. Es wäre auf jeden Fall toll, wenn Du mitkämst. Da oben wartet ein Mädchen auf mich an der Bar. Ich möchte wieder zu ihr.“, redet Armin auf Manni ein.

„Verstehe. Was springt denn für mich raus, wenn ich mitspiele, Bankräuber?“ Manni grinst.
„Was meinst Du damit?“
„Naja, ich bin blank, habe Durst und habe Hunger. Ich will Bons für fünf Bier und zwei Bouletten.“
„Wieviel sind das?“
„Fünfundzwanzig Bons.“
„Ich muss erst zum Bankautomaten. Ich habe kein Geld mehr.“
„Nix da. Du bleibst hier. Frag Dein Mädchen, ob sie welches hat.“
„Die hat auch keins mehr.“
„Dein Problem. Ich begleite dich nach oben und warte am Saaleingang. Jetzt lass uns gehen. Mir reicht´s hier.“, Manni zieht sich die Hose hoch.
Armin beeindruckt die Professionalität des Erpresser-Clowns.
Breit grinsend legt Manni beim Verlassen der Toilette seinen Arm um Armin. Traudel, Erich und der schwarze Sheriff nickten freundlich zurück. Es ist ihr Triumph.

Oben im Saal herrscht noch reges Treiben. Es ist immer noch voll. Armin dreht sich noch einmal um. Manni droht mit dem Zeigefinger. In diesem Moment fällt Armin die Pistole aus dem Hosenbund. Er hebt sie auf und betrachtet das gute Stück. Sie sieht wirklich echt aus. „Nur ein Fachmann wird sie als Plagiat entlarven können.“, denkt sich Armin. Sein Blick wandert durch den Raum. An der Bar unterhält sich Marie gerade mit dem zotteligen Piraten. Sein Blick wandert weiter. Hinten in der Ecke ist eine kleine Bude aufgebaut. Lichterketten schmücken den Bretterverschlag. Er ist bunt angemalt. „Kasse/ Bons“ steht da in lustigen Mädchenbuchstaben auf dem Schild. Es ist nicht viel los an der Bude. Innen sitzen normalerweise zwei Leute. Zurzeit ist aber nur eine Frau anwesend. „Die andere ist wahrscheinlich gerade bei Erich unten“, denkt sich Armin.
“Armin, Du bist doch Bankräuber, oder nicht?“, Maries Worte hallen durch Armins Kopf...„Komm, probier es doch mal. Du kannst es immer noch als Scherz verkaufen, wenn´s in die Hose geht. Und vielleicht finden Sie es auch lustig, wenn Du´s machst und geben Dir Geld oder Bons.“

Armin starrt vor sich hin. Er ist müde, er ist verwirrt, er ist verliebt und er hat kein Geld. Aber er hat eine Waffe in der Hand und einen Nylonstrumpf auf dem Kopf.

In diesem Moment brennt in Armins innerem Sicherungskasten die entscheidende Sicherung durch. Peng!

„Ich bin Armin der Bankräuber“, stammelt er vor sich hin. Immer wieder. Die Musik im Saal verschmilzt mit den Stimmen zu einem Klumpen. Ein Gefühl, als ob sich bei Tempo 230 Km das Seitenfenster öffnet.

Armin drängt sich durch die Masse. „Hee, pass doch auf, wo du hinläufst...“, kommt es von rechts. Danach von links. Er reagiert nicht auf die Beschwerden.
Armin zieht sich Tanjas Nylonstrumpf wieder ganz über das Gesicht. Die andere Hand hält die Feuerwaffe. Sein Puls ist ruhig. Armin hört nichts mehr. Er fixiert nur die Bude. Die Kasse. Seine Bank.

Im Foyer hat Konrad gerade festsgestellt, dass Angelika immer noch beschissen küsst und seit dem Flaschendrehen nichts dazu gelernt hat. „Der große Unterschied ist nur, dass ich sie damals mit dem nächsten Drehen der Flasche wieder los war. Jetzt hängt sie mir am Rockzipfel.“, Konrad ist unzufrieden mit dem Abend. Armin hat er schon seit einer Ewigkeit nicht mehr gesehen. „Hat sich wahrscheinlich wieder nach Köln verdrückt, nachdem Marie genug von ihm hatte.“

Konrads Blick wandert durch den Raum. Schräg gegenüber ist das Hauptquartier der schwarzen Sheriffs. Eine Bomberjacke beobachtet stoisch die sechs Bildschirme. Das Gebäude ist natürlich videoüberwacht. Konrad betrachtet den TV-Überwachungswürfel. Der Klomann hält eine Damenbinde in der Hand und einem jungen Mädchen einen Vortrag. Der Eingangsbereich des Kurhauses ist bewacht von zwei weiteren Bomberjacken. Sie trinken Kaffee aus dampfenden Bechern. Auf einem Bildschirm erkennt Konrad sich selber. Die Kamera muss irgendwo hinter ihm sein. Konrad stellt fest, dass sein Haarausfall doch schon weiter fortgeschritten ist, als gedacht. Verdammt.
Die anderen drei Bildschirme zeigen den großen Saal. An der Sektbar entdeckt er Marie, die sich mit einem Piraten unterhält. An der Bierbar stehen sie alle versammelt. Die ganze Rhein-Nizza-Mischpoke.
Als Konrad den letzten Bildschirm betrachtet, setzt seine Atmung aus.
Armin steht an der Bonkasse. Er trägt einen Nylonstrumpf über dem Kopf und richtet eine Waffe auf Frau Obermüller, seine alte Mathelehrerin.

„Wieviel Bons?“, die dicke Frau hinter der Kasse sieht nicht hoch. Sie sieht die Waffe nicht, die auf ihren beperückten Kopf gerichtet ist.
„100.“, Armin spricht klar und deutlich.
„Das macht 50 Euro!“, sagt die Obermüllerin und hebt ihren Kopf. Ihr Mund geht auf und bleibt auf. Frau Obermüller starrt in den Lauf einer “45 Magnum“.
„Nein, das macht gar nichts, dicke Frau! Gib mir die Bons! Sofort! Sonst blas´ ich dir das verfettete Hirn weg!“, Armin atmet ruhig.
Frau Obermüller hat Schnappatmung. Frau Obermüller ist wie gelähmt.

In diesem Moment sieht Bomberjacke Rudolf auf Bildschirm Nummer 6. Er sieht genau hin und dann geht alles ganz schnell. Rudolf drückt auf einen kleinen Knopf auf seinem Pult. In dieser Sekunde geht ein Ruck durch die schwarzen Sheriffs. Finger drücken auf kleine Lautsprecher in Ohrmuscheln: „Alle an die Bonkasse. Bewaffneter Überfall.“
Ungläubig sieht Konrad der schwarzen Mobilmachung zu. „Armin, du Vollidiot!“ sagt er leise vor sich hin und springt auf.

In diesem Moment springt in Armins innerem Sicherungskasten die entscheidende Sicherung wieder rein. Klick!

Ihm wird bewusst, was passiert ist und Maries Worte hallen in seinen Ohren: „...du kannst es immer noch als Scherz verkaufen, wenn´s in die Hose geht. Und vielleicht finden Sie es auch lustig, wenn Du´s machst und geben Dir Geld oder Bons.“

Armin reagiert sofort, steckt die Waffe in den Hosenbund und zieht sich den Strumpf vom Kopf, setzt ein Lächeln auf und sagt: „War doch nur Spaß. Tut mir leid, wenn ich Sie erschreckt habe. Ist doch Karneval.“ Armin reagiert sofort, aber Armin reagiert zu spät.

Innerhalb des Bruchteils einer Sekunde ist er unter einem Berg Bomberjacken begraben. Musik aus, Licht an, Party vorbei. Armin hört eine sich nähernde Polizeisirene, dann zwei, dann drei.

Die Bomberjacken klettern von ihm runter. Armin liegt in der Mitte des einst so prächtigen Saales. Seine Hände sind auf dem Rücken mit Kabelbindern zusammengebunden. Um ihn herum Marie, Konrad, Angelika, die Clowns, die schönen Mädchen vom Mittelrhein, schwarze Sheriffs, die ganze Mischpoke. Nur Traudel und Erich sind nicht da. Sie sind auf Posten im Souterrain.´

„Armin, was hast Du getan?“, Marie weint, „Das war doch nur ein Witz mit dem Überfall. Ach, Armin.“ Konrad steht neben ihr.

„Marie, es tut mir leid. Ich weiß auch nicht was los war. Ich hab das doch gar nicht gewollt. Ich weiß nur eins: es hat sich gelohnt. Sehen wir uns?“, fragt Armin.
„Ja.“, Marie lächelt.

Die Polizei führt ihn ab. An Manni vorbei, der schlafend auf einer Bierbank liegt. Endlich wieder Gesprächsstoff In Rhein-Nizza.

Armin ist am nächsten Abend wieder in Köln. Karneval feiert er nicht mehr. Kein Bedarf. Nach endlosen Gesprächen und Beteuerungen war die Sache vom Tisch. Frau Obermüller hat sich gut erholt vom Schock. Nachdem Konrad, ihr ehemaliger Lieblingsschüler, sie noch einmal davon überzeugt hatte, dass Armin ein Freund und die ganze Sache ein blöder Spaß gewesen ist, setzte auch sie sich für Armin den Bankräuber ein. Sogar Erich sagte aus: „Ein tadelloser Kerl, der seinem betrunkenen Freund vom Klo half.“

Der zuständige Beamte machte mit dem Kommentar „Komm, weg vom Tisch, et is Karneval“ aus dem Vorgang keinen Aktenvorgang.

Armin ist müde. Er freut sich wieder in seiner Wohnung zu sein. Die schräge Tante gegenüber sitzt wieder am Fenster. Armin macht den Rechner aus. Start – Beenden – Herunterfahren. Es klingelt. Armin öffnet die Tür. „Hallo Marie. Schön, dass Du da bist...“

Weiter geht´s...


Die Idee zu "War doch nur Spass..." hatte ich nach Karneval. Ich weiß nicht mehr, wo mir dieser Bankräuber in Köln über den Weg lief. Aber irgendwie hat er es geschafft, nicht in den Sturzbächen von Alkoho(h)l aus meinem Hirn hinaus gespült zu werden. Respekt!

Für diese Leistung gebührt ihm die Hauptrolle in meiner nächsten Geschichte. Und da Jule bereits wieder glücklich ist, soll Armin auf jeden Fall seine zweite Chance bekommen.

Übrigens habe ich neulich Armin im Supermarkt getroffen. Also nicht Armin, sondern seinen Ideengeber. Wir standen nebeneinander bei den Süßigkeiten. Während ich nach der Prinzenrolle griff, fiel seine Wahl auf das "Studentenfutter". Ich konnte es einfach nicht fassen und...ich werde dafür sorgen, dass er auf jeden Fall seine regelmäßige Ration bekommt.



Donnerstag, Februar 14, 2008

Freitag, 21:30 Uhr, Friesenplatz

Gerade ist sie in ihre 2 Zimmer Wohnung eingezogen. Kein Altbau, nein. Ein 70er Jahre Mietshaus in der Moltkestrasse. Vorher hatte sie in dieser WG gewohnt – mit Johannes und Babsi. Sie war heimlich in Johannes verliebt. Das Problem: Babsi auch. Und die hat dann das Rennen gemacht, bevor sie, die Jule, überhaupt eine Regung in seine Richtung machen konnte. Das traf sie hart, doch nie im Leben hätte sie sich etwas anmerken lassen. Naja, und nachdem das junge Glück Johannes Zimmer als Wohnzimmer nutzte, kam sie sich endgültig überflüssig in der WG vor. Und natürlich war sie immer noch in Johannes verliebt. Deshalb räumte sie auch nach wie vor die verdreckte Küche auf und kochte – das kann sie gut – immer noch brav für die beiden mit. Kochten die Beiden, wurde sie noch nicht einmal gefragt, ob sie sich zu ihnen setzen wolle.

„Ich ziehe aus“, Jule hatte sich lange auf diesen Satz vorbereitet. „Wie du ziehst aus? Was soll das denn jetzt?“, Babsi war schockiert und saß auf einem dieser mit Kichererbsen gefüllten Sitzsäcke.

„Naja, es ist doch hier nicht mehr so, wie es war. Wir sind damals zusammengezogen und hatten ne Menge Spass und jetzt...na, jetzt seid ihr zusammen und ich habe das Gefühl, dass ich hier nur noch für die Hauswirtschaft zuständig bin. Ihr seid doch eh nur noch in Johannes altem Zimmer und schließt die Tür ab.“

„Wie stellst Du dir das denn vor, Jule? Wir können die Wohnung nicht alleine halten!“ Babsis Stimme klang leicht zickig.
„Dann müsst ihr Euch halt jemand anderes suchen!“ erklärte Jule.

Das Gespräch endete rasch. Als Jule später an dem Liebesnest der Beiden vorbeikam, hörte sie zufällig wie Babsi sagte „Ich bin froh dass die bald weg ist. Ich konnte sie eigentlich nie richtig leiden – aber sie hat immer so lecker gekocht.“
„Du bist unmöglich, ich find´s schade, wenn sie geht...na ja, zumindest müssen wir uns jetzt ne Putzfrau besorgen, sonst ersticken wir im Dreck“ sagte Hannes.
Jule zog es den Boden unter den Füssen weg.


Und die Worte der falschen Schlange gehen ihr nicht aus dem Kopf. Auch nicht an diesem Freitag Abend, als sie auf dem Rand ihrer Badewanne sitzt und sich die Beine rasiert. Das Bad riecht nach Lavendel. Die Kugeln sind ein Geschenk ihrer Großtante Paula zu ihrem letzten Geburtstag. Sie macht sich zurecht. Mehr als das – sie ist bereit für sämtliche Eventualitäten. Und so schäumt sie sich ein und lässt die Klinge ihre Arbeit verrichten. „Daran soll die Sache nicht scheitern“, denkt Jule mit einem leichten Lächeln im Gesicht, als sie sich mit der Brause abduscht. Beim Abtrocknen sieht sie sich im Spiegel an. Die in letzter Zeit vernachlässigte Bikini-Zone brennt.
Ihre Vorfreude auf diesen besonderen Abend sinkt augenblicklich. Jule ist nicht dürr, aber sie ist auch nicht dick- sie findet sich unvorteilhaft. „Das Licht muss ausbleiben!“ denkt sie sich und gleichzeitig kommt ein trauriges Lächeln über die Lippen. „Was soll schon passieren – es wird eh nichts passieren.“ Von ihren alten Möbeln, die noch Teil Ihres Jugendzimmers in Bergisch Gladbach waren hat sie sich getrennt. Und auch die gebatikten Überwürfe über den abgewetzten Cordsessel ihrer Eltern hat sie aus ihrem Leben verbannt. Sie hat Geld verdient. Sie arbeitet an einem Uni Institut als wissenschaftliche Assistentin. Sie verdient nicht viel, doch es reicht für schwedischen Lifestyle.

Sie wühlt in ihrer Wäscheschublade. Sie wählt die knappste Kombination, die das Sortiment zu bieten hat.
ß
Zeitgleich in der Südstadt. Armin ist total überfordert. Er ist spät dran. Aber das Motherboard und die Platine haben Probleme gemacht. Auch er steht vor seinem Kleiderschrank. Er wühlt hilflos in einem Haufen Stoff rum. Armin studiert Wirtschafts-Informatik. Auch seine Freizeit verbringt er da, wo er sich am besten auskennt: am Computer. Ab und zu schaut er im gegenüberliegenden Haus in die Fenster. Auch jetzt sitzt sie wieder am Küchentisch. So lange wohnt sie noch nicht da. Er fragt sich immer, was sie wohl beruflich macht. Im Sommer ist sie – er saß die ganze Nacht am Rechner – schon um 5:30 Uhr aus dem Haus gegangen. Immer hat sie diese komische Kindertasche um die Hüfte hängen. Wenn sie zuhause ist, sitzt sie gern am Fenster und raucht. Zwischendurch ist sie irgendetwas aus einer roten Tüte – es könnten Salzstangen sein. Vor einiger Zeit hat ziemlich lang so ein Typ bei ihr gewohnt. Der ist jetzt weg. Zwischenzeitlich war auch ein anderer Kerl da – aber der kommt jetzt nicht mehr. Obwohl - neulich war er wieder mal da.

"Nein, das Sweatshirt der Uni-Köln ist wohl eher unpassend für diesen Abend", denkt er sich und zieht die nächste Stofffahne aus dem Schrank. „Ja, das ist ok“ Er zieht sich sein Jeanshemd mit den Perlmutknöpfen an. Armin ist nervös, denn Armin hat ein Date.
Vor knapp zwei Wochen hat er in einem Uni-Chat Jule kennen gelernt. Sie ist gerade umgezogen. Vorher hatte sie in einer WG gewohnt, da gab es aber irgendwie Zoff mit ihren Mitbewohnern. „Gerade umgezogen – vielleicht ist es ja die von nebenan“, die Vorstellung amüsiert ihn. „Nein, ausgeschlossen, Jule wohnt im Belgischen Viertel“. Er und Jule waren sich sofort sympathisch. Sie mailten jeden Tag und dann war es der Vorschlag von Jule sich doch mal zu treffen. „Ok, was schlägst Du vor?“. Armin hatte einen roten Kopf, als er auf Senden klickte. So etwas hatte er noch nie gemacht. Überhaupt hat er mit seinen 29 Jahren nur eine Freundin gehabt. Tanja hat ihn vor ca. 3 Jahren verlassen. Sie sagte, es sei kein Platz für sie neben den Platinen.
„Lass uns doch um 21:00 Uhr am Friesenplatz treffen – vor Starbucks am Eingang zur U-Bahn. Ich steh am Stadtplan. Und dann sehen wir einfach wo wir hingehen.“ Armin war froh, dass Jule die Sache in die Hand nahm. Er hätte gar nicht gewusst, wohin man so geht. Er ging manchmal mit seinen Studienkollegen ins „Ding“. Die Musik gefiel ihm ganz gut. Die spielten viel aus den 80ern – außerdem war der Laden preisgünstig. Der Sekt kostet fünfzig Cent. Armin war sich jedoch sicher, dass es Jule dort nicht so gut gefallen würde.

Jule steht vor dem Spiegel in ihrem Schlafzimmer. Neben ihr türmen sich Hosen und Oberteile. „das ist zu fein, das zu schlampig, hier drin seh´ ich fett aus“, usw, usw. Sie ist verunsichert. Sie will doch alles richtig machen. Sie entscheidet sich für ein neutrales Outfit.
Jeans, Top und ihre Retro-Trainingsjacke. Die hatte sie sich letztes Jahr in Berlin gekauft. Ihr ganzer Stolz. Dazu die Pumas.

Kurz noch den Zerstäuber bedient, einmal, zweimal, bloß nicht aufdringlich. Ein Lieblingsparfum hat Jule nicht. Die Flakons, die auf ihrer Kommode im Schlafzimmer stehen, haben sich über Jahre hinweg angesammelt. Jule ist aufgeregt, liegt aber gut in der Zeit. Sie gießt heißes Wasser über den Beutel – grüner Tee mit Zitrone.

Wie sieht er wohl aus? Ein Wirtschaftsinformatiker. „Hoffentlich hat er nicht so ne dicke Brille“ Jule kicherte. Nein, er hatte sich schon ganz detailliert beschrieben. Gerne hätte sie sich jetzt eine Zigarette angezündet. Vor sechs Monaten hat sie mit dem Rauchen aufgehört.
Ihr Finger drückt auf die Play-Taste des CD-Players: Travis. Zum ersten Mal hört sie auf den Text: „She´s so fine and she wears a black moustache...“ Sie steht auf und geht noch einmal ins Bad. Sie nimmt ihre Oberlippe genau unter die Lupe. „Nein, alles ok“, sagt sie sich, atmet tief durch und macht einen Kussmund in den Spiegel. „Auf geht´s, soll er mal kommen.“


Armin hat feuchte Hände als er mit der Maus den Curser zum Start-Button bewegte: Beenden – Herunterfahren – Aus. Ein letzter Blick in den Spiegel. Armin löscht das Licht und zieht die Tür hinter sich zu. Er ist nervös, sehr nervös. Er findet den Lichtschalter im Treppenhaus nicht. „Hauptsache, ich komme nicht zu spät“, sagt er und blickt auf seine Digitaluhr. 20:45 Uhr. Das ist zu schaffen-locker.
Aus der Haustür raus und nach rechts. Sein Schuh rutscht nach vorne. Ein Gefühl, als hätte er Kernseife unter den Sohlen. „Verdammt noch mal...“ flucht er. „Was ist denn das für eine Scheisse.“ Ja, es ist eine riesengroße Scheiße und zwar die eines Hundes. Er kann es nicht fassen. Jetzt, gerade jetzt muss ihm so etwas passieren. „Das ist bestimmt der Köter von der Tante nebenan. Nur der ist imstande so einen Berg zu produzieren.“ Rex heisst er, der Schäferhund von der Marlies. „Rex, Rex, Rex - da hätte die blöde Kuh ruhig mal kreativer sein können, ach egal, ich bringe sie um - beide“. Armin atmet tief durch, was ihm schwer fällt, da ihm ein übler Geruch in die Nase steigt. Der seines schmutzigen Schuhs.
20:50 Uhr ist es nun. Armin flucht erneut. Der Schlüssel hakt im Schloss der Haustür: Licht an, Treppe rauf, Schuhe aus und Tür auf. Armin besitzt nicht viele Schuhe: die Turnschuhe sind nun hin, die bekommt er so schnell nicht sauber. Er hat noch ein paar schwarze Lederschuhe für die Familienfeste und seine alten Camel-Boots. Die Lederschuhe gingen gar nicht. „Wenn Jule mich mit den Schuhen sieht, ist´s aus.“ Armin blickt die braunen Camel-Boots an. „Vielleicht ein bisschen alternativ, aber bequem.“ Der durch Zeitdruck sehr beherzte Zug an den Schnüren endet im Leeren. Glatter Durchriss des linken Senkels. „Das kann nicht wahr sein. So eine verfluchte Scheisse“, Armin hat das Gefühl, dass sein Kopf jeden Moment wie eine reife Wassermelone zerplatzt. Die Senkel des festlichen Schuhes halten. Als Armin erneut die Strasse betritt ist es 20:55 Uhr. „Ich werde zu spät kommen.“


Jule ist pünktlich. Sie kann Unpünktlichkeit nicht ausstehen. Im Starbucks am Friesenplatz ist immer noch die Hölle los. „Was trinken die jetzt noch alle Café?“, fragt sich Jule. Rund um das Geländer warten Leute. „Scheint ein beliebter Treffpunkt zu sein. Ein Blick auf die Uhr: es ist 21:05 Uhr. Ihr Blick mustert jeden, der aus der U Bahn mit der Rolltreppe nach oben kommt. Sie würde jetzt gerne rauchen. So wie der Typ, der auf so einem schnöseligen Aluminium-Koffer mitten auf dem Gehweg sitzt. Er telefoniert und schaut sie an. Das Starbucks-Logo spiegelt sich auf der rechten Seite seines Kopfes. „Hoffentlich hat Armin Haare.“ Denkt Jule und wendet ihren Blick ab. Die Wartenden an der U-Bahnhaltestelle Friesenstrasse werden weniger. „Ich geb´ Dir 15 Minuten, Armin, 15 Minuten...“ sagt Jule leise und bläst sich eine Strähne aus dem Gesicht.

Sein Finger droht zu brechen. So fest drückt er auf den runden Türöffner und versucht den kleinen Lampenring durch Anstarren grün leuchten zu lassen. Aber nichts zu machen. Der Fahrer hat die Tür bereits gesichert. Armin hat die Straßenbahn verpasst.
Armin ist jetzt nicht mehr zu bremsen in seiner Wut. „Scheiss KVB“ schreit er und tritt gegen einen Mülleimer. Der Lederschuh schmerzt. Armin glaubt bereits eine Blutblase zu haben.
„Nächste Bahn in 8 Minuten“ steht da auf der Anzeige.

Es ist 21:10 Uhr. Wie mit Armin verabredet steht sie direkt am Stadtplan. Der Glatzkopf telefoniert immer noch. Jule ist enttäuscht. „Wo steckt der? Beim ersten Date darf man einfach nicht zu spät kommen. Das gehört sich nicht.“

„Nun fahr schon los.“ sagt Armin nervös. Er sitzt in der Bahn. Es ist 21:12 Uhr. Die Bahn braucht 7 Minuten.

„Jule? Jule, bist Du das?“ Sie kann die Stimme nicht auf Anhieb einordnen. „Armi..., ach du bist es Hannes? Hallo." Sie weiss nicht recht, wie sie mit der Situation umgehen soll.

„Wie geht´s Dir Jule?“ fragt er. „Gut. Und selbst?“ fragt Jule leicht unterkühlt. „Auch gut. Ich hab mich von Babsi getrennt. Wohne jetzt alleine auf der Aachener und komme gerade von der Arbeit.“
„Aha“ entgegnet Jule. Ihr hallt immer noch Hannes Putzfrauen-Asnspielung in den Ohren.
„Du, Jule, ich muss mich bei Dir entschuldigen. Ich hab´mich echt scheisse verhalten. Sorry.“

„Ist schon gut, Hannes. Hatte es schon vergessen“ sagt sie.
„Was machst Du denn hier? Bist Du verabredet“ fragt er. „Ich? Nein! Ja! Ach, ich weiß auch nicht. Er kommt wohl nicht mehr.“ Jetzt ist sie vollends verwirrt. Es ist 21: 19 Uhr.

„Das tut mir leid. Hast Du Lust mit mir was trinken zu gehen? Bei mir um die Ecke hat ein neuer Laden aufgemacht. Ist ganz nett“ Hannes schaut sie an.

„Weiß nicht.“ Sie blickt auf die Uhr 21:20 Uhr. „Ja, ok. Wer nicht will, der hat schon“ sagt sie und nickt Hannes zu.

„Dann lass uns die Bahn nehmen. Komm!“ Jule und Hannes gehen nebeneinander die Treppe runter.

Armin springt als erster aus der Bahn. Die Rolltreppe rennt er hoch. Um die Ecke und noch mal hoch. Er rempelt einen jungen Mann an. „Pass, doch auf, du Trampel“ ruft der ihm nach.

„Hast Du das gesehen, Jule?, rennt mich der Idiot fast um!“ sagt Hannes und blickt Armin hinterher. „Ist doch nichts passiert. Wer weiß, vielleicht ist er spät dran.“ antwortet Jule.

Armin sieht sich um. Da steht keine Frau mehr. Jule ist weg.

Vor ihm auf dem Gehweg sitzt ein Kerl auf einem Aluminium-Koffer. Er telefoniert und raucht. „Irgendwie kommt der mir bekannt vor“, denkt sich Armin und geht die Treppe wieder runter.


Es geht los!


Die Idee zu "21:30 Uhr Friesenplatz" hatte ich bereits letztes Jahr. Ich kam mit dem Zug aus Frankfurt und wollte vom Kölner Hauptbahnhof mit der U-Bahn nach Hause fahren. Am Friesenplatz musste ich umsteigen. Just in dem Moment klingelte mein Handy. Der Empfang unter der Erde war miserabel, so dass ich den U-Bahnhof über die Treppe am Starbucks verlassen musste. Und genau dort setzte ich mich auf meinen Koffer und telefonierte. Es war ein längeres Telefonat. Mir fiel auf, dass rund um das Geländer der U-Bahnstation Menschen standen. Vielmehr warteten sie. Allesamt wiesen sie die typischen Anzeichen des Wartenden auf: ein unauffälliger Blick auf die Uhr, ein Zurechtzupfen des Pullovers, ein suchender Blick nach links, einer nach rechts, das hektische Ausdrücken einer Zigarrette gefolgt von der sofortigen Einnahme von Kaugummi...
Und tatsächlich: nach und nach wurden die Wartenden von den Erwarteten erlöst. Nur eine nicht. Eine wartete weiter. Ob sie vielleicht später erlöst wurde? Ich weiß es nicht. Ich habe sie Jule genannt. Das ist ihre Geschichte.

Guten Tag!

Guten Tag!

Ich schreibe gern und ich habe einen Spleen: ich sehe Menschen an. Auf der Strasse, im Büro, beim Sport, in Bars und Restaurants, aus Fenstern, ja auch aus Küchenfenstern. Und bei vielen weiß ich, wer sie sind, wie sie heissen, mit wem sie befreundet sind, was bei ihnen im Schrank steht. Ich weiß es natürlich nicht wirklich, aber in meinem Kopf fügt sich alles zusammen: viele Bilder, tolle Bilder, traurige Bilder. Ich schreibe diese Bilder nieder. Für mich und für den, den es interessiert...

Willkommen am Küchenfenster!