Montag, 11. Juni 2012

Und jeder Abschied birgt auch einen Neuanfang

Unglaublich lange ist mein letzter Beitrag nun schon her. Abschied und Neuanfang gleich zwei Mal.

1. Seit meinem Einzug im Personalwohnheim Ende Februar hatte ich immer stärker mit furchtbaren Hautproblemen zu kämpfen. Die möglichen Ursachen reichten von Arbeitsklamotten, gestellter Bettwäsche und somit Wasch-/Stärkungsmittel über Zusätze im Essen bis zu meinem Zimmer selbst - hier verdächtig der etwas siffige ewig alte, leicht fleckige Teppichboden - oder die Matratze meines Bettes. Der Ausschlag wurde immer schlimmer und generalisierter und so setzte ich letztendlich durch, innerhalb des Wohnheims umzuziehen, in ein Zimmer mit PVC-Boden. Ich verabschiedete mich also von meiner gemütlichen Dachgeschosswohnung mit Schräge und zog vom fünften in den zweiten Stock - in ein Zimmer ohne Dachschräge, aber dafür mit Balkon. Ich denke ich habe einen guten Tausch gemacht. Meine Haut wurde auch besser. Hoffen wir, dass es so bleibt.

Da ja, wie einige von euch bemerkt haben, bereits viel Zeit seit meinem letzten Eintrag vergangen ist, ist auch mein PJ weiter fortgeschritten. Nach acht Wochen Gyn wechselte ich in die Geburtshilfe, was viel Neues und Spannendes mit sich brachte. Hier konnte ich nach und nach auch immer selbstständiger arbeiten. Kamen "Neuaufnahmen", sprich Frauen zur Geburt oder auch Frauen zur Besprechung des Geburtsmodus (Spontangeburt vs. Kaiserschnitt) oder zur Kontrolle, so konnte ich bereits das Anamnesegespräch führen, die Akte anlegen, anhand der Mutterpässe bestimmen, welche Blutwerte von uns noch bestimmt werden müssen, Blut abnehmen und mit dem Ultraschall eine Biometrie durchführen, also das Baby vermessen. Dazu werden BPD (Biparietaldurchmesser - also Kopfdurchmesser von rechts nach links), FOD (Frontookzipitaldurchmesser - Kopfdurchmesser von vorne nach hinten), MAD (mittlerer abdomineller Durchmesser), AU (Abdomenumfang) sowie FL (Femurlänge) bestimmt. Daraus berechnet das Sonogerät dann von selbst ein ungefähres Gewicht des Kindes. Außerdem muss man natürlich schauen, wierum liegt das Kind da im Bauch, ist der Kopf, so wies sein sollte, nach unten oder hat man etwa eine Beckenendlage, wie ist die Fruchtwassermenge, wo sitzt die Placenta (Mutterkuchen) und so weiter. Am Anfang ist das ein ganzschön wirres Mit-dem-Schallkopf-planlos-auf-dem-Bauch-Rumgefahre, aber man wird doch erstaunlich schnell sicherer und besser. Dann is man auch ganz stolz, wenn man den Eltern bisschen erklären kann: hier sieht man das Herz schlagen (das erkennen die meisten allerdings auch schon von allein *g*), oder da sieht man die Wirbelsäule, oder das hier ist die Harnblase - die is aber ganzschön voll, oder wissen Sie denn schon, was es wird, wenn das kleine Kerlchen stolz seine kleinen Kronjuwelen präsentiert. Ja, das Schallen macht Spaß. Außerdem war ich natürlich bei vielen Geburten dabei und durfte bei Sectiones (darunter auch Beckenendlagen und Zwillinge) assistieren.
Zur Betreuung des Kreißsaales gehört auch die Betreuung der Wöchnerinnenstation. Das ist für Anfänger wie mich total super. Denn die Visiten sind ziemlich einfach - den meisten Müttern geht's gut, also gilt es lediglich ein paar Standard-Dinge abzuklappern: Fundusstand (bildet sich die Gebärmutter gut zurück)? Lochialfluss (Wochenfluss)? Brüste gut? Stillen gut? Nähte, wenn vorhanden, gut? Also alles Dinge, die ich auch gut machen kann und bei denen ich trotzdem Übung bekomme. So durfte ich also nach und nach immer häufiger auch alleine auf Visite gehen und habe an einigen Tagen sogar die ganze Station alleine visitiert. Außerdem gibt es dann auch immer viele Abschlussgespräche und -untersuchungen zu führen, da ja die meisten Frauen nur wenige Tage da bleiben. Am Ende fehlt dann noch das Ausfüllen des Mutterpasses und das Schreiben des Entlassbriefes. Da habe ich wirklich viel gelernt und es ist doch ein cooles Gefühl, zu wissen, dass man mehr oder weniger die Station alleine geschmissen hat.
15 Wochen Gyn/Geburtshilfe gingen so seeeehr rasch vorbei und kaum versah ich mich, war auch schon der letzte Tag gekommen. So verabschiedete ich mich am vergangenen Freitag von diesem super netten Team - mit einem weinenden, aber auch mit einem lachenden Auge, denn, s. Überschrift.
Zum Abschied bekam ich sogar einen Blumenstrauß geschenkt, als Dank für meine "Hilfe". Habe mich total gefreut. Der Chef meinte beim Abschiedsgespräch: "Frau Biehl, formulieren wir's mal so: wenn Sie doch irgendwann einsehen sollten, dass Chirurgie doch nicht das Richtige für Sie ist - was ich hoffe - und falls Sie sich denken: Gyn ist das Richtige. Wenn Sie dann noch sagen sollten: in Singen hat es mir gefallen, da bewerbe ich mich - dann bräuchte ich Sie nicht zu einem Vorstellungsgespräch einladen. Ist das deutlich genug ausgedrückt?" "Vielen Dank, ich werde es im Hinterkopf behalten" ;)

2. Heute begann also bereits mein zweites Tertial: Chirurgie. Die ersten vier Wochen werde ich hier in der Unfall-Chirurgie verbringen, jippi. Ich liebe ja Knochen. V.a. kaputte. Und noch viel mehr, wenn sie am Ende wieder ganz sind. Also hab ich mich voll auf meinen ersten Tag gefreut, auch wenn ich vor dem Chef son bisschen Schiss hatte, da der in den Seminaren immer so komisch ist - nie ein Lächeln auf dem Gesicht und auf falsche Antworten reagierte er mit "da müssen Sie aber nochmal kräftig was nachlesen"...
nunja. Heute konnte er sich dann doch ein Lächeln abringen, als er mich mit einem "Wir kennen uns ja schon, dann mal herzlich willkommen" begrüßte. Die ersten zwei Wochen wird sich meine Zeit hier noch mit den letzten zwei Wochen von Christian, einem anderen PJler überlappen - eine ganz neue Erfahrung ;)
Für den ersten Tag hängte ich mich dann an Niclas' Fersen, der sich heute um die Station kümmerte. Das Gute war, dass er die letzten 10 Tage selbst nicht da war und somit alle Patienten neu kennenlernen musste. Das hieß: seeeehr ausführliche Visite mit sorgfältigem Durchschauen aller Kurven. Das hat mir natürlich auch total viel gebracht und ich konnte schon einiges lernen. Außerdem stellte ich fest, dass meine letzte Chirurgie-Famulatur nun halt auch schon wieder eineinhalb Jahre her ist. Aber ich bin ja PJler, da darf man viele, viele dumme Fragen stellen - also alles garkein Problem. Mit der Visite waren dann ganzschön lange beschäftigt. Später schrieben wir Briefe - ich schrieb selbst auch zwei. Gute Übung. Für den OP war ich heute noch nicht eingeteilt, aber ich hoffe, das kommt bald =o) Viel mehr ist heute eigentlich nicht passiert. Also Fazit erster Tag: auch nette Leute, lehrreicher Tag, aber noch wenig unspektakulär. Aber was nicht ist, wird sicher noch kommen ;)

So, nu packe ich mal fürs Volleyball.

Liebe Grüße von der Unfall-Front,

Lena

Mittwoch, 18. April 2012

Das Lenschn auf dem Pfad der Differentialdiagnosen

Am Montag früh kam eine 19-jährige junge Frau zu uns mit starken Unterbauchschmerzen. Keine Blutung, kein Fieber, keine sonstigen Beschwerden. In der Anamnese gab sie an, seit vier (!) Jahren unter Diarrhoe zu leiden, viele Male am Tag. Ihr Hausarzt diagnostizierte eine Lactoseintoleranz, allerdings habe sie die Beschwerden trotz Lactose-freier Diät weiterhin (!). Gynükologisch sonographisch war nichts festzustellen, sah alles so aus, wie es aussehen sollte. Bei der vaginalen Untersuchung allerdings hatte sie so starke Schmerzen beim Druck auf den Douglas-Raum (Raum zwischen Vagina und Rektum), dass sie fast vom Stuhl gehüpft wäre.
Schwangerschaftstest unauffällig, Labor samt Entzündungsparametern unauffällig. Die Patientin hatte sich übrigens primär bei den Internisten vorgestellt, diese haben sie dann zu uns weitergeschickt.
Unsere Oberärztin vermutete eine Endometriose. Hierbei handelt es sich um "versprengtes" Endometrium-Gewebe, also Gebärmutterschleimhaut, die außerhalb der Gebärmutter in kleinen Herden verstreut vorkommt. Das ist eine relativ häufige Erkrankung, die Genese ist noch unklar, es gibt verschiedene Theorien dazu. Das Problem dieser Endometrioseherde ist, dass sie, da sie ja eigentlich Gebärmutterschleimhaut entsprechen, zyklusabhängig zu- und wieder abnehmen und dabei Beschwerden auslösen können. Klinisch oder sonographisch kann man diese Herden oft nicht nachweisen, solange sich keine größeren Zysten daraus bilden. Letztendlich kann man sie in manchen Fällen durch eine Bauchspiegelung diagnostizieren oder mit einer Anti-Babypille versuchen, die Symptome zu reduzieren. Spricht die Patientin darauf an, kann man von der Diagnose Endometriose ausgehen.
So also der Plan der OÄ: eine Laparoskopie (Bauchspiegelung) sollte die Verdachtsdiagnose bestätigen/ausschließen. Mir kam die ganze Sache komisch vor. Die Tatsache, dass die Patientin seit 4 Jahren unter Diarrhoen litt und nun einen Druckschmerz in Richtung Rektum zeigte, ließ bei mir im Kopf die Alarmglocken für eine chronisch entzündliche Darmerkrankung (Mb. Crohn oder Colitis ulcerosa) klingeln. Mein Innere-Kurs liegt ja glücklicherweise noch nicht so lange hinter mir. Als ich später mit der OÄ alleine war und sie gerade die Unterlagen für die OP vorbereitete, zögerte ich eine ganze Weile, ob ich diese Idee ansprechen sollte oder nicht. Vor allem kam die Patientin ja ursprünglich von den Internisten. Falls eine CED vorliegen könnte, hätten diese doch sicher auch daran gedacht!? Andererseits: vielleicht dachten sich die Internisten auch: junge Frau, Unterbauchschmerzen - schicken wir sie erst mal zu den Gynis - wenn die nix finden, können wir uns ja immer noch Gedanken machen.
Ich entschied mich dafür, meine Gedanken auszusprechen und fragte, ob die Patientin nicht vielleicht auch eine CED haben könne. Die Diarrhoen seit so langer Zeit seien schon auffällig und Lactose scheint ja nicht der Auslöser gewesen zu sein. Wenn eine CED eine mögliche Differentialdiagnose wäre - wäre es dann nicht sinnvoller, zuerst eine Coloskopie (Darmspiegelung) zu machen, bevor man die junge Frau operiert? Operieren kann man ja immer noch, wenn dabei nichts rauskommt. Aber dann hat man zumindest eine CED ausgeschlossen... die OÄ hielt das erst mal für sehr unwahrscheinlich. Ich sollte bei einer Patientin einen Zugang legen und als ich zurück kam, rief mich die OÄ zurück. Ich hatte mittlerweile über meinen Kommentar nachgedacht und entschuldigte mich, dass ich nicht "klugscheißern" wollte, aber dass mir der Gedanke eben kam, weil mein Innere-Kurs noch nicht so lange her sei. Sie erwiderte sofort, dass das vollkommen okay sei, sie würde sich über Ideen und Gedankenanstöße sehr freuen. Sie habe sich das nochmal durch den Kopf gehen lassen und darauf hin die Internisten angerufen. Diese meinten, die Anamnese wäre nicht sehr typisch, aber sei doch eine Differentialdiagnose, an die man denken könne. Sie einigten sich, für den kommenden Tag eine Coloskopie anzumelden und je nach Ergebnis dann in den folgenden Tagen noch eine LSK (Bauchspiegelung) nachzuschieben, bei unauffälligem Colo-Befund.

Heute morgen lief die Colo. Der Chef der Gastro fand hierbei entzündliche Veränderungen des terminalen Ileum, welche mit einem Mb. Crohn vereinbar sein könnten. Es wurden Biopsien entnommen und zur feingeweblichen Untersuchung geschickt.

Somit entließen wir heute die Patientin. Die Pathologen werden ca. zwei Tage brauchen, um die Biopsien auszuwerten. Sollte sich der Mb. Crohn bestätigen, wird sich die Patientin bei den Internisten wieder vorstellen müssen, um das weitere Vorgehen zu planen. Eine LSK ist erst mal nicht notwendig, da sie vermutlich nichts Gynäkologisches hat.

Da war ich einerseits etwas baff über mich selbst, aber andererseits auch etwas stolz =O)

Diese Geschichte zeigte aber auch, wie sehr man, wenn man erst mal in einer Fachrichtung drin ist, nur noch in eben dieser Fachrichtung denkt. Umso mehr man sich vom Studium entfernt, desto fremder werden auch die anderen Fachbereiche. Deshalb bin ich wirklich froh, dass ich als Wahlfach letztendlich doch noch etwas anderes als Chirurgie/Orthopädie gewählt haben, um mir auch noch andere Themenbereiche und Krankheitsbilder einprägen zu können.

Liebe Grüße vom Lenschn, dass durch den heutigen Tag mindestens zwei Zentimeter gewachsen ist ;)


Dienstag, 27. März 2012

Vom Rekordtumor, meiner ersten AE und dem Kuchen

Heute war ein toller Tag. Endlich, endlich, endlich durfte ich bei einer richtig großen Bauch-OP mit Laparotomie (Bauchschnitt) assistieren. Darauf habe ich seit viereinhalb Wochen gewartet =) Die Patientin: eine Frau mitte sechzig, die sich kürzlich bei ihrem Hausarzt wegen Schwindelattacken vorstellte. Bei der körperlichen Untersuchung stellte dieser dann, mehr oder weniger zufällig, eine deutliche Resistenz im Unterbauch fest, woraufhin er die Dame zu uns schickte. Im Ultraschall zeigte sich dann ein Fußball-großer Tumor, der das komplette Becken ausfüllte und durch die vorgewölbte Bauchdecke deutlich tastbar war. Man vermutete ein Ovarial-Carcinom, weshalb sie heute bei uns operiert wurde. So einen großen Tumor habe ich noch nie gesehen. Er war wirklich Kopf-groß und ging vom rechten Ovsar aus. Überraschenderweise war er glatt abgrenzbar und das Bauchfell erweckte nicht den Eindruck einer Carcinose (häufiger Streuungsort bei Ovarial-Ca). Wir holten den Tumor also im Gesamten raus und dieser wurde sofort rüber zu den Pathologen gebracht. Diese fertigten einen Schnellschnitt an und bestätigten dann telefonisch: es handelte sich hier tatsächlich um KEINEN malignen Tumor, was wir eigentlich bei dieser Größe erwartet hätten. Allerdings konnte ein Borderline-Tumor nicht ausgeschlossen werden (hierbei handelt es sich um Tumoren, die zwar nicht invasiv wachsen, allerdings trotzdem metastasieren können). Der Pathologe diagnostizierte ein "Kystom", dies ist ein zystenbildender Tumor.
Da ein Borderline nicht ausgeschlossen werden konnte, wurden, um therapeutisch auf der sicheren Seite zu sein, zusätzlich ein Teil des großen Netzes sowie des Peritoneums mitentfernt. Außerdem, "da wir nun schonmal drin" waren, entschied der Chef, auch die Appendix (Blinddarm) zu entfernen. Was weg ist, kann sich auch nicht entzünden. "Das ist für Sie, Frau Biehl!" So kam ich zu meiner ersten Appendektomie =o) Klemme, Ligatur, Absetzen mit dem Skalpell, Tabaksbeutelnaht, fertig. Da hat sich das Lenschn aber gefreut. "Da ich Ihnen unterstelle, dass Sie das zum ersten Mal gemacht haben, wird Sie das einen Kuchen kosten!" Nun ja, das nehme ich in Kauf ;) Beim Absetzen des Netzes durfte ich außerdem ganz viele Ligaturen knoten. "Sie wissen schon, wenn die Frau jetzt heute Nacht einblutet, dann wird Dr. Felix Sie anrufen. Dann dürfen Sie zum Assistieren antreten, denn dann haben Sie's vermurkst!" Man, habe ich diese Bauch-OPs vermisst =o) Da fallen mir dann auch immer tausend Fragen ein. "Frau Biehl, Sie stellen gute Fragen. Sie denken mit. Als denkende Person wären Sie in der Chirurgie doch total falsch aufgehoben! Überlegen Sie sich doch noch einmal, ob nicht doch Gyn das richtige für Sie wäre!" "Solche schönen offenen Bauch-OPs gibt's halt leider in der Gyn viel zu selten!" "Ach, das ist der Grund? Da kriegt sie ja richtig Leuchten in den Augen!" ;)
Am Ende durfte ich dann noch den riesenlangen Schnitt zutackern. Somit war der Tag perfekt *strahl*

Zwar nur ein kurzer Eintrag für heute, aber den wollte ich euch nicht vorenthalten!

Liebe abendliche Grüße vom See!

P.S. auf die Frage, ob sie diesen Tumor nicht bemerkt habe, meinte sie nur: jaja, sie hatte sich ja schon seit ner Weile gedacht, dass da was nicht in Ordnung sei, aber sie habe es nicht wahr haben wollen =/ Welch ein Segen, dass es sich um keinen malignen Tumor handelt!

P.P.S. Die Schwindelattacken könnten schmerzbedingt begründet sein. Evtl. hat der Tumor aber auch, je nach Körperlage, die Vena cava abgedrückt. Dieses Problem kennt man auch von Schwangeren, wenn das Kind auf die Vene drückt.