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Stand 19.11.2009

 

 

 

 

Leitsätze Verkehrspsychologische Therapie (Stand 11.08.2008)

Rüdiger Born (BNV), Dr. Hans-Joachim Hellwig (Pro-Non), Anita Müller (AVUS), Dr. Bernd Rothenberger (BNV), Prof. Dr. Konrad Reschke (Universität Leipzig), Prof. Dr. Peter F. Schlottke (Universität Tübingen), Dr. Joachim Seidl (AFN), Jörg-Michael Sohn (BNV), Dr. Karl-Friedrich Voss (BNV)

Präambel: Dieser Text stellt die vorläufigen Ergebnisse einer Arbeitsgruppe dar, die 2006 auf Anregung des Vorsitzenden der Deutschen Gesellschaft für Verkehrspsychologie, Prof. Dr. Schubert, durch den Bundesverband Niedergelassener Verkehrspsychologen zusammengestellt wurde.1 Die erarbeiteten Leitsätze sind das Ergebnis einer konstruktiven und fruchtbaren Zusammenarbeit niedergelassener Therapeuten, Gutachter und Hochschullehrer als Vertreter dieses Arbeitsgebietes.

Der vorliegende Text stellt das Zwischenergebnis nach nunmehr neun Treffen dar und wird in der vorliegenden Fassung von allen Autoren mitgetragen. Die Arbeitsgruppe dankt darüber hinaus Prof. Dr. Egon Stephan, Dr. German Höcher, Frau Cathrin Rohlfing und Herrn Rüdiger von Wolmar für viele wertvolle Anregungen. Das Einstellen ins Internet soll eine fachliche Diskussion anregen, die in die endgültige Fassung einfließen wird. Das vorliegende Zwischenergebnis darf in eigenen Arbeiten oder Webseiten mit Hinweis auf die Quelle verwendet werden.

Rechtsanwälte, Richter, Fahrerlaubnisbehörden, Begutachtungsstellen für Fahreignung haben es immer häufiger mit Menschen zu tun, die an verkehrspsychologischen Einzel-Maßnahmen teilgenommen haben. Die Einordnung solcher Maßnahmen und der Bescheinigungen sowohl im Hinblick auf die strafrechtliche (z.B. Sperrfristverkürzung) als auch verwaltungsrechtliche (Wiederherstellung der Fahreignung) Fragestellungen zu ermöglichen, ist mithin eine wichtige Zielsetzung dieses Papiers. Gleichzeitig stellt dieses Papier einen Konsens der wesentlichen Träger solcher Maßnahmen dar.

 

1. Geschichte des Begriffes

Das Konzept einer „Verkehrstherapie“ stammt aus den 80er Jahren. Zu der damaligen Zeit hatten sich standardisierte Gruppenprogramme für verkehrsauffällige Kraftfahrer durchgesetzt. Es wurde aber zunehmend deutlich, dass für eine Teilgruppe der als ungeeignet beurteilten Kraftfahrer Maßnahmen zur Eignungsverbesserung nötig waren, die stärker therapeutisch ausgerichtet und stärker individualisiert sind als die traditionellen Modelle. Nachdem bereits in den 60er Jahren von Winkler (1967) und Spoerer (1969) Überlegungen für solche Angebote veröffentlicht wurden, entstanden ausgehend von frühen Konzepten von Höcher (1985) und Sohn (1990) ab Ende der 80er Jahre in der Bundesrepublik zunehmend Einzelpraxen von freiberuflichen Verkehrspsychologen, die therapeutisch orientierte Einzelmaßnahmen für verkehrsauffällige Kraftfahrer anboten, wobei häufiger der Begriff „Verkehrstherapie“ verwendet wurde, ohne dass es sich um ein gemeinsames und ausformuliertes Konzept handelte. 1998 wurde im Arbeitskreis „Klinische Verkehrspsychologen“ innerhalb der Sektion Verkehrspsychologie des Berufsverbandes Deutscher Psychologinnen und Psychologen die „Selbstverständnis-Erklärung“ erarbeitet und durch den Sektionsvorstand bestätigt, die „Berufspolitische und berufsethische Grundsätze der Klinischen Verkehrspsychologen“ festlegte. Diese Vorgabe setzte sich in den Folgejahren zunehmend als Arbeitsgrundlage durch, so dass heute zwar nicht eine einheitliche theoretische Grundlage oder methodische Einförmigkeit solcher Maßnahmen existiert, aber ein in der Praxis von fast allen Anbietern geteilter Kern von Gemeinsamkeiten. Dieser wird mit dem vorliegenden Text fortgeschrieben und gleichzeitig mit dem Begriff „Verkehrspsychologische Therapie (VpT) präziser benannt.

2. Verkehrspsychologische Therapie (VpT) hat ein rechtlich-normativ definiertes Ziel: die Wiederherstellung bzw. Schaffung der individuellen Voraussetzungen für eine sichere und partnerschaftliche Teilnahme am Straßenverkehr durch Aufbau neuer Verhaltensmuster.

Es handelt sich um die Veränderung von Verhaltensweisen im (Straßen-)Verkehr mit therapeutischen Mitteln, ohne dass damit der Anspruch einer Gesamtveränderung im Sinne einer (heilenden) Psychotherapie verbunden ist. Als konstitutives Element ist in der Selbstverständniserklärung festgeschrieben: „Ziel einer verkehrstherapeutischen Maßnahme ist das Vermeiden von Verkehrsauffälligkeiten“. Unabhängig von einer genaueren Definition und Operationalisierung des Begriffes „Verkehrsauffälligkeiten“ (folgenlose Verstöße gegen Verkehrsregeln, real gefährdendes Verhalten, Ordnungswidrigkeiten, Straftaten, Verkehrsunfälle) wird damit die Orientierung an der Verkehrssicherheit, nicht an der Wiedererlangung der Fahrerlaubnis vorgegeben. Es geht darum, ein partnerschaftliches Verkehrsverhaltens zu etablieren, nicht nur die individuelle Mobilität zu erhöhen: „Sichere Mobilität für alle“. Nur dauerhaft verhaltensändernde, therapeutisch fundierte Maßnahmen erfüllen dieses Kriterium, nicht aber Kurse mit dem Ziel reiner Wissensvermittlung oder der Vorbereitung auf die Medizinisch-Psychologische Untersuchung.

3. Anlass Verkehrspsychologischer Therapie sind in der Regel aktenkundige verkehrsrelevante Normverstöße, nicht Störungen von Krankheitswert.

Anlass einer Verkehrspsychologischen Therapie sind aktenkundige erhebliche und/oder wiederholte Verkehrsverstöße. Die ursprüngliche Motivation für die Aufnahme einer verkehrspsychologischen Therapie liegt in der Regel nicht so sehr in einem subjektiven Leidensdruck, sondern in der rechtlichen Sanktionierung von Verhaltensweisen in einem eng umschriebenen Lebensbereich.

Andererseits schließen bestehende Störungen von Krankheitswert für sich genommen weder eine positiven Verkehrsverhaltensprognose aus, noch sprechen sie gegen eine spezifisch verkehrsbezogene therapeutische Maßnahme. Selbst wenn eine Krankheit ursprünglich die Ursache einer Verkehrsauffälligkeit war, kann eine solche Störung so weit kompensiert werden, dass keine erneuten Verkehrsverstöße zu erwarten sind. Zu einer solchen Kompensation kann eine verkehrspsychologische Therapie beitragen.

4. Die Zielgruppe der Verkehrspsychologischen Therapie sind Kraftfahrer mit verkehrsrelevanten Normverstößen in verschiedenen Problembereichen (Alkohol, Drogen, Punkte, Straftaten).

Verkehrspsychologische Therapie behandelt nicht ein einzelnes, klinisch-diagnostisch abgrenzbares Störungsmuster. Sie hat als Zielgruppe grundsätzlich alle Verkehrsteilnehmer, die gegen rechtliche Bestimmungen in Bezug auf die Verkehrsteilnahme verstoßen haben. Auch ist die Zielgruppe nicht als Träger eines bestimmten psychologischen oder medizinischen Merkmals definiert, sondern durch die rechtlich fundierte Definition einer Veränderungsnotwendigkeit. Mit der Normverletzung können sehr unterschiedliche psychologische Prozesse einhergehen und sie mitverursacht haben.

5. Ziel ist eine Veränderung rechtlich sanktionierter Verhaltensweisen im (Straßen-)Verkehr, mit therapeutischen Mitteln, ohne dass damit notwendigerweise der Anspruch einer Gesamtveränderung im Sinne einer (heilenden) Psychotherapie verbunden ist.

Verkehrsverstöße sind in der Regel nicht Krankheitssymptome, sondern primär Ausdruck normabweichender Verhaltensweisen und inadäquater Einstellungen. Damit ist Ziel einer solchen Maßnahme nicht die Heilung von Störungen mit Krankheitswert wie in der allgemeinen Psychotherapie, sondern das Vermeiden weiterer Verkehrsverstöße; die Zielsetzung ist also im Kern rechtlich, nicht medizinisch definiert. Auch wenn eine Störung von Krankheitswert die Ursache für Verkehrsverstößen sein kann, ist das Ziel nicht die Beseitigung oder Abschwächung einer oder mehreren Störungen mit Krankheitswert, sondern nur die Bewältigung oder Kompensation derjenigen Störungen von Krankheitswert, die einem regelkonformen Verhalten entgegenstehen. Damit entfällt auch die Grundlage für einen Approbationsvorbehalt.

6. Verkehrspsychologische Therapie wird nicht zu Lasten der Gesetzlichen Krankenversicherung oder anderer Gesundheitsversicherungssysteme abgerechnet.

Da im Rahmen einer Verkehrspsychologischen Therapie keine Störungen von Krankheitswert behandelt werden, ist die Abrechnung über die umlagefinanzierten Gesundheitssysteme unzulässig. Liegt der Auffälligkeit eine Störung von Krankheitswert zugrunde (Alkoholismus) oder wird eine solche im Rahmen einer Verkehrspsychologischen Therapie deutlich (Depression als Komorbidität), so kann sie im Rahmen einer normalen Psychotherapie behandelt werden. Sobald es um fahreignungsbezogene, nicht gesundheitsbezogene Veränderungen geht, handelt es sich nicht um eine erstattungsfähige Regelleistung der GKV. Sofern die Maßnahme in Einzelfällen als Rehabilitation im Rahmen eines Wiedereingliederungsprozesses (z.B. Rehabilitation nach Schlaganfall) mit dem Ziel einer beruflichen Wiedereingliederung eingestuft werden kann, muss die Finanzierung im Einzelfall mit den Kostenträgern vereinbart werden.

7. Die Verkehrspsychologische Therapie ist eine eigenständige Maßnahme und verknüpft drei verschiedene Perspektiven: die klinische (diagnostisch und psychotherapeutisch), die verkehrpsychologische und die verkehrrechtlich/normative.

Diese Perspektivenverschränkung bedeutet, dass Zielsetzungen und Methoden Verkehrspsychologischer Therapie sowohl unter klinischenals auch unter verkehrspsychologischen wie unter rechtlichen Gesichtspunkten entwickelt und umgesetzt werden müssen.

8. Verkehrspsychologische Therapie arbeitet nach wissenschaftlich begründeten Standards der Verkehrspsychologie und Klinischen Psychologie.

Die Spezifika der Maßnahme liegen im Bereich der Zielsetzung bzw. Zielgruppe. Sowohl von der historischen Entwicklung, als auch der wissenschaftstheoretischen Fundierung her ist die Verkehrspsychologische Therapie nicht durch spezielle Methoden oder ein bestimmtes Persönlichkeitsmodell definiert. Das Spezifische ist, dass mit einer besonderen Zielgruppe (verkehrsauffälligen Kraftfahrern) auf ein besonderes Ziel hin (Vermeiden weiterer Verkehrsverstöße) gearbeitet wird und das Erreichen dieses Zieles einer externen Überprüfung unterworfen ist. In der Praxis findet sich eine Vielzahl von unterschiedlichen Therapierichtungen in diesem Bereich, auch wenn die eher verhaltensbezogenen Methoden dominieren. Diese Schulen-Unabhängigkeit erscheint auch deshalb bewahrenswert, da alle bisherigen Untersuchungen keine erkennbaren Unterschiede in der Erfolgsquote zwischen verschiedenen therapeutischen Ansätzen erkennen lassen. Der Erfolg einer solchen Maßnahme hängt per se nicht von der therapeutischen Methode ab, sondern von der reflektierten und selbstkritisch überprüften Einbindung in das Gesamtsystem der Überprüfung von Fahreignung und einer darauf bezogenen Qualifikation (verkehrspsychologische, klinisch-psychologische und psychotherapeutische Kompetenzen).

9. Als relativ junger, aus der Praxis heraus entwickelter Therapieansatz ist die Verkehrspsychologische Therapie auf eine Begleitung durch die wissenschaftliche Forschung angewiesen.

Dies umfasst die Notwendigkeit, an den Hochschulen für den interventionsorientierten Zweig der Verkehrspsychologie sowohl Grundlagen-, als auch Anwendungs-Forschung auszubauen. Um die Lücke zwischen Praxis und Theorie zu schließen, ist dabei eine enge Zusammenarbeit zwischen Praktikern und Wissenschaftlern erforderlich, auch um die praxisbegleitende Forschung in den Einrichtungen selbst zu verbessern.

10. Verkehrspsychologische Therapie erfordert fahreignungspezifische, prozessbegleitende Diagnostik.

Bei Bewertungen von Veränderungen muss unterschieden werden zwischen therapiebegleitender Diagnostik (die in der Therapie laufend vorkommt), psychologischer Verhaltensprognose (die für die Abschätzung des Erreichten innerhalb der Therapie wichtig sein kann, aber als Bewertung mit Rechtsfolgen Aufgabe der MPU ist) und rechtlicher Wagniswürdigung (die den Fahrerlaubnisbehörden vorbehalten ist). Als Therapeut rechtlich verbindlich das Ergebnis der eigenen Arbeit begutachten zu wollen, ist ebenso ein Kunstfehler, wie der Versuch, aus einer Begutachtungssituation heraus therapeutisch zu intervenieren. Entscheidend ist nicht die psychiatrisch-diagnostische Frage „Welche Krankheit liegt vor?“, sondern die verkehrspsychologische Frage: „Welche Verhaltensveränderungen sind nötig, damit in einer nachfolgenden Begutachtung eine positive Verkehrsprognose möglich ist?“

11. Inhalt der Verkehrspsychologische Therapie ist die Verbesserung von individuellen Verhaltensweisen und verkehrsrelevanten Einstellungen (Selbstregulation) im Interesse der allgemeinen Verkehrssicherheit. Sie orientiert sich auch, aber nicht nur an den subjektiven Interessen der Klienten.

Auftraggeber einer Verkehrspsychologische Therapie ist der betroffene Kraftfahrer, nicht eine Behörde. Es verstößt gegen die rechtlich vorgegebenen Rahmenbedingungen der Arbeit, sich ausschließlich an den subjektiven Interessen des Auftraggebers zu orientieren. Diese gilt es zwar zu erkennen, zu berücksichtigen und umzusetzen – dies findet aber die Grenzen in dem Recht auf sicherer Verkehrsteilnahme für alle Teilnehmer. Orientierung für ein verantwortungsvolles therapeutisches Handeln ist die Internalisierung des gesamtgesellschaftlichen Interesses aller Verkehrsteilnehmer als Richtschnur für individuelle Handlungsmaximen.

12. Verkehrspsychologische Therapie ist anlassbezogen, Interventionen erfolgen auf der Grundlage einer spezifischen Indikation und einer individuellen Therapieplanung, schwerpunktmäßig in Form von Einzelgesprächen, teilweise ergänzt durch Gruppenmaßnahmen.

Elemente, die sich in den meisten durchgeführten Maßnahmen finden, sind Informationsvermittlung, detaillierte Analyse der einzelnen Auffälligkeiten und des Verkehrsverhaltens, fortlaufendes Besprechen des Problemverhaltens, Präzisierung von Handlungsabsichten, Besprechen potentiell rückfallrelevanter Situationen, biographischer Hintergrund der Auffälligkeiten und der ihnen zugrunde liegenden Wahrnehmungs-, Bewertungs- und Verhaltensmuster, klares Festlegen von Verhaltenszielen für die Zukunft - ohne dass dieser Katalog komplett abgearbeitet werden muss oder gar vollständig ist. Verkehrspsychologische Therapie ist nicht ausschließlich beschreibbar als Einzelsitzungen gegenüber Gruppensitzungen. In der Praxis kommen sowohl beide Formen in Reinform als auch Maßnahmen mit beiden Elementen vor, wenngleich eine gewissen Tendenz erkennbar ist, Verkehrspsychologische Therapie eher in Form von Einzelmaßnahmen durchzuführen. Im Regelfall sind spezifische Zielsetzungen für einzelne Klienten erforderlich und ein standardisiertes Gruppenprogramm kann nur den gemeinsamen Kern solcher Auffälligkeiten, nicht aber die spezifischen Auslösebedingungen, Hintergründe und notwendigen individuellen Veränderungsschritte in einem begrenzten Zeitrahmen abdecken.

13. Verkehrspsychologische Therapie wird von therapeutisch qualifizierten Verkehrspsychologen durchgeführt. Diese dokumentieren und überprüfen ihre Arbeit nach dem Modell der kontrollierten Praxis bzw. nach den Kriterien von Qualitätssicherungssystemen.

Verkehrspsychologische Psychotherapeuten müssen über verkehrsrechtliches Wissen verfügen, über eine spezifische Fachkunde im verkehrspsychologisch-diagnostischen und verkehrspsychologisch-therapeutischen Bereich sowie über klinisch-diagnostisches Wissen. Umfassende klinisch-heilkundliche Kompetenzen sind dagegen nicht zwingend erforderlich. Unabdingbare Basis-Voraussetzung für die Durchführung von Verkehrspsychologischen Therapien ist die Qualifikation als Diplom-Psychologe. Zusätzlich zu dieser Basisqualifikation müssen in zwei Bereichen nachweisbare Kompetenzen und Weiterbildungen vorliegen: Im therapeutischen sowie besonders ausgeprägt im verkehrspsychologischen Bereich.

Das Kriterium einer ausreichenden verkehrspsychologischen Qualifikation ist in jedem Fall erreicht, wenn ein Anbieter die Qualifikation „Fachpsychologe für Verkehrspsychologie BDP“ oder die amtliche Anerkennung als Verkehrspsychologischer Berater gemäß § 4 Abs. 9 StVG besitzt.

Im Bereich der therapeutischen Qualifikation gilt:

Es müssen klinisch-diagnostische und therapeutische Kompetenzen zum Beispiel belegbar sein über die Approbation oder andere Fachkunde-Nachweise. Eine Approbation als Psychologischer Psychotherapeut erfüllt die Qualifikationsanforderung in jedem Fall, da auch hier eine umfangreiche Ausbildung vorliegen muss und die Titelführung geschützt und über die Psychotherapeutenkammer nachprüfbar ist. Allerdings ist dies zwar eine hinreichende, aber keine notwendige Bedingung, da keine vollständige Qualifikation für Heilkunde (Behandlung von Störungen mit Krankheitswert), sondern lediglich die Kompetenz erforderlich ist, thematisch begrenzte Verhaltensänderungen einzuleiten und Grenzen eigenen Handelns erkennen zu können.

Prozessqualität betrifft die therapiesteuernden Maßnahmen des Therapeuten zur Therapieplanung und zur Klientenbeurteilung sowie die Dokumentation des Therapieverlaufs und den Datenschutz.

Der Therapeut ist in einen regelmäßigen Erfahrungsaustausch und in kollegiale Supervision eingebunden.Er nimmt regelmäßig an für den Verkehrsbereich relevanten Fortbildungsveranstaltungen teil.

Aus den genannten Qualitätskriterien ergibt sich ein Minimalkatalog qualitätssichernder Maßnahmen.

14. Der Therapieprozess wird in Abschlussbescheinigungen dokumentiert, ohne gutachterliche Aussagen zu präjudizieren.

Am Ende der Maßnahme wird eine Abschlussbescheinigung ausgestellt, die zumindest den Anlass der Intervention, den Zeitraum und die Anzahl der Sitzungen sowie Therapieschwerpunkte ohne Wertung und prognostische Einordnung des Maßnahmeergebnisses aufführt. Aus der Bescheinigung sollte hervorgehen, ob die Maßnahme regulär beendet wurde oder lediglich eine bestimmte Anzahl von Sitzungen bescheinigt werden. Außerdem sollte differenziert werden zwischen der eigentlichen Therapie und der Nachsorgephase.

15. Verkehrspsychologische Therapie hat ihre Wirksamkeit am Kriterium der Legalbewährung nachgewiesen.

Da das Grundziel, nämlich die Wiederherstellung der Fahreignung grundsätzlich einer an Tatsachen anknüpfenden rechtlichen Überprüfung zugänglich ist, müssen darauf gerichtete Maßnahmen nicht nur eine allgemeine therapeutische Zielsetzung benennen, sondern konkrete Unterziele definieren, die kompatibel sind mit den verwaltungsrechtlichen Anforderungen, also z. B. das Vermeiden weiterer Verkehrsauffälligkeiten, Abstinenz bei illegalen Drogen, überprüfbare Veränderung des Trinkverhaltens. Schließlich ist der Anspruch solcher Maßnahmen, Verkehrsauffälligkeiten zu verhindern, durch eine KBA-Abfrage überprüfbar, so dass solchen Maßnahmen zu bevorzugen sind, für die eine solche an der Legalbewährung orientierte Effektivitätsüberprüfung bereits vorliegt, da diese die Forderung nach einem validen Außenkriterium erfüllen. Dies ist auch die Voraussetzung für eventuelle Rechtsfolgen solcher Interventionen (Verkürzung der Sperrfrist, Erfüllen von Auflagen, Verbesserung der Fahreignung).

16. Verkehrspsychologische Therapie erfolgt im Kontext einer interdisziplinären Zusammenarbeit mit Juristen, Medizinern und Verwaltungsfachleuten.

17. Verkehrspsychologische Therapie erfordert die personelle und institutionelle Trennung vom Prozess der Begutachtung. Therapeuten müssen finanziell unabhängig vom Ergebnis ihrer Therapie und fachlich nicht weisungsgebunden sein.

Mit Blick auf die Unabhängigkeit der Begutachtung ist auch aus therapeutischer Sicht dem Gesetzgeber zuzustimmen² : „Durch das Ineinandergreifen von Beratung, medizinisch-psychologischer Begutachtung, Kursempfehlungen, Kursangeboten und Therapien wird das gesamte System für den Betroffenen intransparent und nicht erkennbar, dass die medizinisch-psychologische Begutachtung eine isolierte Maßnahme auf gesetzlicher Grundlage darstellt, die nicht im Zusammenhang mit densonstigen Angeboten steht, also insbesondere nicht mit vorherigen und anschließenden Angeboten in einer notwendigen Verbindung steht. Mit dieser Regelung wird die Neutralität der Begutachtungsstellen für Fahreignung und die Objektivität der Begutachtung gestärkt.“Aus therapeutischer Sicht besteht zudem die Gefahr, dass bei auffälligen Kraftfahrern die Veränderungsbereitschaft sinkt, wenn sie den Eindruck bekommen, sie könnten allein aufgrund des Durchlaufens einer institutionell eingebundenen Kette von Beratungs-, Vorbereitungs- Kursangeboten und Begutachtung sicher mit einem positiven Gutachten rechnen.

 

Kontaktanschrift für die Arbeitsgruppe:

Dipl.-Psych. Jörg-Michael Sohn

Verkehrspsychologische Praxis

Saarlandstr. 6 a, D-22303 Hamburg

Tel: 040-56008008, Mail: sohn@vpp.de

 

1 Ursprünglich war geplant, diesen Text im Rahmen des Kommentars zu den „Begutachtungslinien für Kraftfahrereignung“ zu veröffentlichen. Da aber damit ein „Kommentar“ zu Inhalten abgegeben würde, die in den Leitlinien selbst nicht enthalten sind (wenngleich dort an verschiedenen Stellen der Hinweis auf verhaltensändernde Maßnahmen jenseits der traditionellen Gruppenmaßnahmen auftaucht, z. B. Begründung zu 3.11, in 3.14 Punkt b), wurde auf diese Einbettung verzichtet.

2 Vierte Verordnung zur Änderung der Fahrerlaubnis-Verordnung und anderer straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften, Bundesratsdrucksache 302/08 vom 30. April 2008

 

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Copyright © 2009 Verkehrspsychologische Praxis Dipl.-Psych. Jörg-Michael Sohn, Saarlandstr. 6 a, 22303 Hamburg, Tel.: 040-35776764. Stand: 19. November 2009