Ausweitung der Evakuierungszone

Fukushima und die Elektronikindustrie: Das Schlimmste steht uns wohl noch bevor

29. April 2011, 15:52 Uhr | Engelbert Hopf
Rob Green, Renesas Electronics Europe: »Sieben der acht betroffenen Fabriken laufen wieder. Und jetzt hat für uns die Naka-Fab die höchste Priorität.«
© Renesas

Noch steckt Ware in der Supply-Chain. Die Komplexität einer weitgehend durch Outsourcing geprägten Industrie lässt jedoch erwarten, dass die wahren Auswirkungen der Katastrophe den europäischen Bauelementemarkt erst in zwei bis drei Monaten mit voller Wucht treffen werden.

Jean Quecke, Regional Vice President Sales Europe bei TTI, stellt nach wie vor eine Verunsicherung bezüglich der Verfügbarkeit von Halbleitern am Markt fest. Die konkreten Auswirkungen der Katastrophe auf die Halbleiterbranche werden aus seiner Sicht aber erst im Sommer in Europa sichtbar werden.

»Bei einer Ausweitung der Evakuierungszone über 40 km hinaus«, so Michael J. Knappmann, Regional Vice President bei Avnet Abacus Central Europe, »würden weitere Fabriken betroffen sein, und die Auswirkungen auf die Infrastruktur wären massiver«. Eine Einschätzung, die Dr. Arne Albertsen, Manager Sales & Marketing bei Jianghai Europe, teilt: »Eine weitere Ausweitung der Beobachtungs- und Evakuierungszone hätte mit Sicherheit eine weitere Verschlechterung der Liefersituation zur Folge«. Welche quantitativen Folgen daraus resultieren würden, ist nach seiner Einschätzung derzeit nicht absehbar. Auch sechs Wochen nach den Vorkommnissen in Japan, so sein Resümee, lassen sich die Folgen des Desasters für die Versorgung mit elektronischen Bauelementen von japanischen Herstellern noch nicht beziffern. »Wir registrieren weiterhin eine zunehmende Anzahl von Kundennachfragen nach alternativen Lösungen zu Elkos japanischer Hersteller«, stellt Dr. Albertsen fest.

Für Uwe Reinecke, General Manager European Sales bei AVX, ist mit jeder möglichen Erweiterung der Zone um Fukushima eine Verschärfung der Liefer- und Versorgungssituation der Elektronikbranche verbunden. »Es ist ja schon jetzt zu beobachten, dass die OEMs massiv an Sonderfreigaben für alternative Anbieter arbeiten, um Produktionen aufrecht zu erhalten«, schildert er die Situation, »wie sich das weiter entwickeln wird, dazu lässt sich derzeit keine konkrete Vorhersage machen«. Dass in Japan derzeit alle Hebel in Bewegung gesetzt werden, um die Versorgungsausfälle so gering wie möglich zu halten, zeigt etwa das Bespiel Murata: Dort hat ein betroffenes Werk für Wickelgüter seit Mitte April wieder die Produktion aufgenommen. »Die Kollegen vor Ort haben teilweise in 24-Stunden-Schichten gearbeitet, um das hinzubekommen«, bekundet Reinhard Sperlich, Geschäftsführer bei Murata Europe seinen Respekt, »auf vollen Touren wird die Produktion dort aber sicher erst wieder ab Mitte/Ende Mai laufen«.

Ein nach wie vor nicht absehbares Problem sieht Joachim Pfülb, zuständig für die Verkaufsleitung bei Beck Elektronik Bauelemente, durch die Erweiterung der Evakuierungszone: »Es kann in der Lieferkette zu nicht sofort erkennbar werdenden Problemen durch fehlende Grundmaterialien kommen. Diese Unübersichtlichkeit hat mit der immer geringer werdenden Fertigungstiefe der Unternehmen zu tun«.

Zu den besonders betroffenen Aluminium-Elektrolyt-Konden-sator-Herstellern gehört Nippon Chemi-Con. Wie der Ausriß eines Rundschreibens an Kunden (siehe oben) zeigt, rechnet das Unternehmen damit, dass es noch mehrere Monate zu Lieferschwierigkeiten kommen kann. Neben den Schäden an den Fabriken verweist Tsubata Takeo, Managing Director Europe Chemi-Con, auf die beschränkte Versorgung mit notwendigen Zulieferkomponenten wie Aluminiumfolien, Chemikalien und anderen Grundstoffen. Wie Takeo in diesem Schreiben auch mitteilt, hat Europe Chemi-Con seine Lead-Time mit sofortiger Wirkung auf 52 Wochen erhöht.
Welche Auswirkungen das unter anderem auf die deutschen Stromversorgungs-Hersteller, zu deren bevorzugten Lieferanten Nippon Chemi-Con zählt, hat, zeigen die Antworten einiger Hersteller. »Ich sitze im Moment jede Woche mit dem Einkauf und der Entwicklung zusammen, um den Stand zu erfahren und Maßnahmen einzuleiten«, so Geschäftsführerin Sandra Maile, »wir haben zum Teil bereits Alternativen ausgewählt, die laut Datenblatt passen könnten«. Doch während man in Sachsenheim nun auf die Muster wartet, müssten eigentlich schon die Serien bestellt werden, schließlich liegen die Standardlieferzeiten auch in guten Zeiten bei rund 16 Wochen. Probleme registriert Maile auch bei Kernen von TDK. »Deren Fertigung erfolgt zwar nicht in Japan, aber die Rohstoffe kommen offenbar aus der betroffenen Gegend«, gibt sie ihre Recherchen wider, »glücklicherweise hatten wir eine Alternative aus China vorgesehen und konnten schnell umschwenken«. Ihr Fazit: »Durch die tragischen Ereignisse hat sich die Beschaffungssituation weiter verschlechtert. Chemicon ist nur ein derzeitiges Highlight, in einigen Monaten rechne ich mich großflächigeren Problemen«.

Auch für Hermann Püthe, geschäftsführender Gesellschafter von inpotron, ist NCC ein Schlüssellieferant. »Dass NCC aufgrund der Probleme im Folienwerk seine Lieferzeiten von 20 auf 52 Wochen hochgesetzt hat, beschäftigt uns schon sehr«, gibt er zu, »ich habe mich diesbezüglich auch mit Marktbegleitern ausgetauscht und auch dort werden 'Notfallkonzepte' erarbeitet«. Bei inpotron stehen bei den meisten Elko-Typen Alternativen von Rubycon sowie teilweise von Nichicon und Panasonic in den Freigaben. »Rubycon ist sehr bemüht uns zu unterstützen, ihre Lieferzeiten liegen im normalen Rahmen«, beschreibt Püthe die aktuelle Lösung, »wir sind mit Rubycon überein gekommen, sobald sich NCC wieder erholt, zu unserem gewohnten 'Splitting' zwischen den beiden Herstellern zurückzukehren«. Aus seiner Sicht für alle Beteiligten eine gute und partnerschaftliche Lösung, die speziell auch für NCC eine positive Botschaft enthält.

Mit Sorge sieht auch Bernhard Erdl, Geschäftsführer von Puls die Situation bei Nippon Chemi-Con. »Im Moment ist die Supply-Chain noch gefüllt, doch wenn die jetzt noch vorhandene Ware aufgebraucht ist, dann könnte es in ein paar Wochen eng werden«.


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